Rydell, Kroes: Buffalo Bill in Bologna

Cover
Titel
Buffalo Bill in Bologna The Americanization of the World, 1869-1922..


Autor(en)
Rydell, Robert W.; Kroes, Rob
Erschienen
Anzahl Seiten
209 S.
Preis
€ 16,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Barth, Paris

Das Anliegen des schmalen Bandes ist es, einen komprimierten und schnell zugänglichen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung zum Thema der US-amerikanischen Populärkultur zu bieten. Die Verfasser fragen nach deren Ursprüngen im 19. Jahrhundert und versuchen, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in- und außerhalb der USA etablierte „predominance“ zu erläutern (S.3). Rydell und Kroes, Professoren in Montana und Amsterdam, plädieren innerhalb ihres Untersuchungszeitraums bewusst für den Terminus der „mass culture“, auch wenn dieser erst ab den 1930er Jahren gebräuchlich wurde. Denn ihrer Meinung nach ist moderne Populärkultur unabdingbar an die moderne Industriegesellschaft gekoppelt und daher nur in Zusammenhang mit revolutionären Veränderungen im Transport- und Kommunikationssektor nachvollziehbar (S.4). Innerhalb der zahlreichen von der Forschung vorgeschlagenen Definitionen favorisieren die Autoren, die aus ihren teilweise divergierenden Standpunkten keinen Hehl machen (S.13), dabei eine „that emphazises the processes of creating cultural hybrids within a global context“ (S.6).

Die Darstellung beginnt am Promontory Point, Utah, im Jahr 1869 mit der Fertigstellung der ersten transamerikanischen Eisenbahnlinie durch das symbolische Einschlagen des letzten, goldenen Nagels. Dabei ging der erste Versuch übrigens daneben, was einige Probleme bei der Initiierung einer nationalen Standardzeit verursachte, die durch den mit einem Telegraphen verbunden Nagel synchron eingeläutet werden sollte. Getreu ihres Credos einer engen Verknüpfung von Kultur-, Wirtschafts- und Technikgeschichte proklamieren Rydell und Kroes, dass „the same forces that were generating the incorporation of the American economy were also generating the incorporation of American culture” (S.16). Doch zuvor bietet das erste Kapitel einen Schnelldurchlauf verschiedener, sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts durchsetzender neuer Kulturformen, deren Beschreibung ihnen als Grundlage des nach dem Bürgerkrieg voll durchbrechenden „kulturellen take-off“ unverzichtbar scheint. Anhand von Kleinkunsttheatern (vaudeville) und Wild West Shows, Zirkus und Groschenromanen (dime novels), aber auch unter Bezugnahme auf die Verbreitung der Photographie und das Entstehen moderner Kaufhäuser, wird dabei ein „cumulative effect“ (S.38), jedoch gerade kein radikaler Kulturbruch beschrieben. Rydell und Kroes gelingt es, die politischen Dimensionen verschiedener „Kulturkämpfe“, wie z.B. des Theateraufstandes am Astor Palace, New York, von 1849, aufzuzeigen, indem sie diese Entwicklung eng an den Aufstieg der Republikanischen Partei anbinden, die von 1865 bis zu Woodrow Wilson das Präsidentenamt, mit der doppelten Ausnahme des Demokraten Grover Cleveland, für sich monopolisieren konnte (S.37).

Das zweite Kapitel ist den US-amerikanischen Weltausstellungen und damit dem Steckenpferd von Robert Rydell gewidmet. Dabei wird die World’s Columbian Exposition in Chicago 1893 als vorläufiger Höhepunkt des unaufhaltsamen Durchbruchs der Populärkultur nordamerikanischer Prägung dargestellt. Denn erst im Rahmen des World’s Fair, so die Autoren, wurde „mass culture“ zu etwas typisch Amerikanischem (S.69). Nicht nur, indem vorformulierte rassistische Botschaften als Empire-Propaganda an ein Millionenpublikum kommuniziert wurden, sondern auch durch die Erfindung der „Pledge of allegiance“ (S.58) als Sinnbild der, typisch amerikanischen, Verschränkung von Populärkultur und Politik.

Von nun an wurden „consumerism and leisure“ nicht nur zur „national identity“ (S.78), sondern zum Ausgangspunkt einer weltweiten Expansion, die im dritten Kapitel behandelt wird. Vergnügungsparks, Kurzfilme und nicht zuletzt das Radio werden dafür als Beispiele herangezogen, bevor mit D.W. Griffith’s Film „The Birth of a Nation“ das politische und kulturelle Manifest des neuen Amerika ins Blickfeld gerät. Besonders gelungen ist dabei die immer wieder angemahnte Rücksicht auf soziale Kriterien der Aneignung, in der die Konsumenten das breite Angebot vor allem als „raw material“ (S.94) und interpretativen Ausgangspunkt für eine klassenspezifische Auslegung zu benutzen wussten.

Die im Untertitel des Bandes angedeutete „Americanization of the world“, die der englische Journalist W.T. Stead bereits 1901 konstatierte, wird im viertem Kapitel, zunächst wiederum anhand der Weltausstellungen analysiert. Gerade die Exposition universelle de 1900 in Paris steht beispielhaft für ein Phänomen, das Walter Benjamin wenige Jahrzehnte später als die Reproduzierbarkeit moderner (Massen-)Kultur theoretisch fassen sollte (S.104). Dass dieses Charakteristikum keineswegs politisch neutral ist, zeigen Rydell und Kroes überzeugend anhand Buffalo Bills Aufführung seiner Wild West Show für Queen Victoria 1890, die sich aus diesem Anlass zum ersten Mal seit dem Tod ihres Gatten 25 Jahre vorher wieder der Öffentlichkeit zeigte (S.107). Dies war nur eines der eindringlichsten Beispiele für den weltweiten Triumph amerikanischer Massenkultur, dem das fünfte Kapitel gewidmet ist. Stellvertretend dafür steht der Film und dabei einmal mehr der unter tatkräftiger Mithilfe Woodrow Wilsons produzierte „The Birth of a Nation“. Der als kulturelle „watershed“ (S.141) beschriebene Erste Weltkrieg kann dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser globale Siegeszug auf denselben Erfolgskriterien basierte, wie die Wild West Shows und Weltausstellungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Allein, insbesondere viele europäische Intellektuelle zeigten sich von dieser Amerikanisierung alles andere als angetan, und den breiten Debatten, die sie auslöste, sind Gegenstand des abschließenden sechsten Kapitels. Von Alexis de Tocqueville, über Jules und Edmond Goncourt bis hin zu Johan Huizinga zieht sich eine durchgehende Linie meist konservativer europäischer Kulturkritik, die vor allem den „materialism of American civilization” (S.167) mit unverminderter Schärfe anprangerte. Eines der weltweit einflussreichsten Werke war dabei Matthew Arnolds 1869 veröffentlichtes „Culture and Anarchy“, in dem der Autor die Begriffe ‚Kultur’ und ‚Masse’ als schlichtweg unvereinbar beschreibt. Das gegen Ende von den Autoren angeführte Argument, dass das europäische Publikum die mantraähnliche Züge annehmende Kritik der US-amerikanischen Massenkultur nicht zuletzt auch zur Rechtfertigung für die Errichtung eines europäischen Empires benutzt habe, hätte dabei sicher etwas mehr Platz verdient (S.167).

Aber bei einem gerade einmal 200 Seiten starken Band zu einem inzwischen kaum mehr überschaubaren Forschungsgegenstand sind Hinweise auf die unzähligen weiteren möglichen Themen und Argumente kaum angebracht. Das Buch versteht sich als einführende Überblicksdarstellung für Studenten und interessierte Laien und erfüllt diesen Zweck vorbildhaft. Freilich ist es unter der Federführung von Robert Rydell etwas weltausstellungslastig ausgefallen. Doch es überzeugt nicht nur durch viele aussagekräftige Beispiele sowie eine immer angenehm zu lesende Sprache, sondern vor allem durch den allgegenwärtigen Willen, kulturelle und politische Phänomene zusammen zu bringen und dabei weder Klassen- noch Genderperspektiven einer alles anderen als monolithischen modernen Massenkultur zu unterschlagen. Auch der öfter eingestreute Hinweis auf das aktive und kreative Rezeptionsverhalten des Publikums ist anregend und weiterführend. Abgerundet wird der Band durch eine Vielzahl schöner Illustrationen sowie ein nützliches bibliographisches Essay. So bleibt am Ende einer unterhaltsamen und informativen Lektüre nur die Frage nach dem Titel. Denn was all dies mit Buffalo Bill in Bologna zu tun hat, kann der Rezensent an dieser Stelle beim besten Willen nicht erklären.

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