: Wald - von der Gottesgabe zum Privateigentum. Gerichtliche Konflikte zwischen Landesherren und Untertanen um den Wald in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 1998 : Lucius & Lucius, ISBN 3-8282-0079-6 320 S. € 62,00

: Den Wald entwickeln. Ein Politik- und Konfliktfeld in Hunsrück und Eifel im 18. Jahrhundert. München 2000 : Oldenbourg Verlag, ISBN 3-486-56510-9 408 S. € 69,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jutta Nowosadtko, Universität GH Essen Fachbereich 1 Geschichte Universitätsstraße 12 45141 Essen

Die ungeachtet ihres zwei Jahre auseinanderliegenden Erscheinungsdatums parallel erarbeiteten Studien (Ernst, 7/18) greifen mit unterschiedlicher Methodik auf einen gemeinsamen Forschungsgegenstand zu und vermögen sich häufig gerade dort gegenseitig zu ergänzen, wo die Befunde auf den ersten Blick quer zueinander zu liegen und im wechselseitigen Widerspruch formuliert worden zu sein scheinen. Den Ausgangspunkt bildet in beiden Fällen das „ausgesprochen hölzerne Gepräge“, welches bereits Werner Sombart der europäischen Kultur vor dem 19. Jahrhundert bescheinigt hatte. 1 Damit bewegen sich beide Arbeiten im umweltgeschichtlichen Forschungsfeld, welches die Zentralressource der vor- und frühindustriellen Zeit ins Zentrum der historiographischen Analyse rückt. Die Dissertation von Christoph Ernst behandelt die Waldentwicklung in Kurtrier, dem Kröver Reich und der Hinteren Grafschaft Sponheim im 18. Jahrhundert, wobei er das Politikfeld kommunikationstheoretisch konstituiert. Sein Hauptaugenmerk ist auf die seit den kritischen Einwänden Joachim Radkaus 2 innerhalb der Forschung noch immer heftig umstrittene Frage gerichtet, inwieweit in diesem Zeitraum tatsächlich eine Holznot bestand (21).

Die Stärken der Studie liegen darin, gleichsam aus der Perspektive des Waldes die verschiedenen ökonomischen Nutzungsformen, differenziert in Holzproduktionswald, Landwirtschaftswald und Jagdwald, parallel zu untersuchen, wobei etwa auch der enorme Holzbedarf der gewerblichen Großkunden und der Holländerholzhandel eine realistische Einordnung erfahren. Christoph Ernst weist nach, daß die sukzessive Ausweitung des Holzmarktes, woran Hofkammer und Gemeinden gleichermaßen Anteil hatten, zu einer nicht-nachhaltigen Bewirtschaftung der Mengenerträge führte (124, 194 f). Dabei beschreibt er ein System, bei dem alle Beteiligten profitierten, nur der Wald nicht (155). Obwohl im 18. Jahrhundert keine generelle Holznot gegeben war (339), gelangt er zu dem Ergebnis, daß die für die Region typische Kombination aus Holzproduktions- und Landwirtschaftswald langfristig nicht aufrecht gehalten werden konnte (343). Besonders gelungen erscheint die Analyse der Positionen der unterschiedlichen Behörden und innerobrigkeitlichen Interessenkonflikte, welche ein differenziertes Bild der zeitgenössischen Forstverwaltung zeichnen.

Um eine größere Differenzierung gegenüber der älteren forstgeschichtlichen Literatur bemühen sich auch Stefan von Below und Stefan Breit, wobei sie sich allerdings stärker auf die Gemeindeebene konzentrieren, die bei Ernst im Vergleich zur staatlichen Verwaltung nicht so ausführlich behandelt wird. Gegenüber dem dialogischen Ansatz verfolgen Below und Breit konflikttheoretische Ansätze und verzichten angesichts der widersprüchlichen und interessengeleiteten Aussagen in den Gerichtsprotokollen ganz bewußt auf den Versuch einer Klärung der wirtschaftsgeschichtlichen Probleme (Below, 43-45/Breit, 94-97). Der Band besteht im wesentlichen aus zwei separaten Einzelfallstudien, in deren Zentrum einerseits der von 1607 bis 1627 anhängige Reichskammergerichtsprozeß zwischen dem bayerischen Herzog, dem Jesuitenorden und verschiedenen Gemeinden des Pfleggerichts Schwaben um die Nutzungs- und Besitzrechte an der „Ebersberger Gemain“, andererseits ein Prozeß zwischen der Berner Landesherrschaft und den Bürener Gemeinden stehen, der zwischen 1753 und 1758 um das Eigentum der Wälder geführt wurde.

Verklammert und eingerahmt werden die beiden unterschiedlichen Teile durch einen Forschungsüberblick Stefan von Belows, in welchem die Entwicklung des Eigentumsbegriffes am Beispiel des Waldes nachgezeichnet wird. Umgekehrt bestreitet Christoph Ernst, daß die Kategorie Eigentum für die Waldentwicklung von entscheidender Bedeutung war (16), und betont, daß in erster Linie ökonomische Interessen für den allgemeinen Trend zum Holzproduktionswald verantwortlich waren (152, 308), während Stefan von Below für sein konkretes Fallbeispiel jegliches kommerzielle Interesse am Waldeigentum zurückweist und stattdessen machtpolitische Motive der Berner Obrigkeit und auf Seiten der Bürener Gemeinden die Verteidigung ihrer Autonomie als ursächlich einstuft (291). Stefan Breit nimmt in dieser Hinsicht eine mittlere Position ein, weil das wirtschaftliche Interesse der Untertanen am kommerziellen Holzhandel in seinem Untersuchungsgebiet vollkommen unstrittig ist (65-68, 117, 132). Allerdings läßt sich in diesem Zusammenhang auch nachweisen, wie sehr die Gemeinden aus prozeßtaktischen Gründen dazu gezwungen waren, ihr ökonomisches Interesse als „Hausnotdurft“ zu tarnen. Obwohl dieser Nebenerwerb durchaus von existenzieller Bedeutung sein konnte, stellte er keinen prozeßfähigen Anspruch dar (121 f, 128, 135).

Trotz einzelner Unterschiede im Detail zeigen sich weitreichende Übereinstimmungen in der Darstellung des Umgangs der landesherrlichen Verwaltung mit den betroffenen Gemeinden im 18. Jahrhundert. In beiden Fällen waren die jeweiligen Obrigkeiten aus einer gesicherten Position der Überlegenheit heraus durchaus bereit (Ernst, 313-316/Below, 297), bis zu einem gewissen Grade Rücksicht auf gemeindliche Interessen zu nehmen, obwohl im Zweifelsfall zugunsten der landesherrlichen Position entschieden wurde. Völlig anders stellt sich die Situation bei Stefan Breit dar, in dessen Studie sich der frühmoderne bayerische Machtstaat aufgestachelt von den Jesuiten von seiner schrecklichsten Seite zeigt. Allerdings mündete hier die rücksichtslose Durchsetzung der landesherrlichen Interessen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in einen Bauernaufstand, welcher mit militärischen Mitteln niedergeschlagen wurde (Breit, 311). Die Verrechtlichung hatte daher bis zum 18. Jahrhundert noch einen weiten Weg vor sich (Ernst, 49), dessen erste Anfänge sich auch innerhalb des Vorgehens der bayerischen Administration erkennen lassen. Nachdem die Kriminalisierung des Protestes den Konflikt lediglich verschärft hatte, ging die Zentralverwaltung sukzessive zu einer Strategie der Deeskalation über (Breit, 224 f, 231).

Ob die Gründe für das unterschiedliche staatliche Handeln eher in der allgemeinen zeitlichen Entwicklung vom 17. zum 18. Jahrhundert zu suchen sind, oder ob der politische Status der untersuchten Territorien dafür verantwortlich zu machen ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt kaum entschieden werden. Immerhin erscheint aber in diesem Zusammenhang bedenkenswert, daß die kurtrierischen Kollegien die Urteile des Reichskammergerichts in Wetzlar fürchteten und in ihr politisches Kalkül einbezogen (Ernst, 252, 312, 324), während die bayerische Regierung sogar ein Pönalmandat ohne justifikatorische Klausel aus Speyer, welches die Verhaftung, Einkerkerung und jegliche andere Art von „Belästigung“ der Kläger verbot, folgenlos ignorieren konnte (Breit, 153, 196 f). Während der Kurfürst in Trier durch seine finanzielle Abhängigkeit von den Ständen zu Konzessionen in der Forstpolitik genötigt wurde, die bis zur Auflösung der Forstamts reichten (Ernst, 232 f), sah sich in Bern ein schwach entwickeltes Staatswesen einer autonomen Gemeindestruktur gegenüber, so daß selbst die Durchsetzung der obrigkeitlichen Machtinteressen längerfristig keine Auswirkungen auf die vor Gericht unterliegenden Gemeinden hatte (Below, 297-303, 313). In Bayern stellte Herzog Maximilian I. hingegen die landsässigen Grundherren zur Rede, wie sie dazu kämen, ihren Untertanen die Zustimmung zu einem Kameralverfahren zu geben, das sich gegen den Landesherrn richte. Über den Hofrat wurde massiver Druck auf die Grundherren ausgeübt, damit diese ihrerseits ihre Grunduntertanen disziplinierten (Breit, 179 f). Anders als in Ebersberg (Breit, 106-108, 130, 133, 164) wurde die obrigkeitliche Kompetenz zur Verabschiedung neuer Holzordnungen im Kurtrier des 18. Jahrhunderts jedoch niemals in Frage gestellt, die sich vergleichsweise unspektakulär in den Horizont der allgemeinen Policeygesetzgebung einfügten (Ernst, 49-52, 224, 302).

Angesichts der unterschiedlichen Konfliktverläufe erscheint der kommunikationstheoretische Ansatz, den Christoph Ernst entwickelt, vor allem geeignet, den Dialog der unterschiedlichen Verwaltungsebenen und Regierungsinstanzen untereinander zu analysieren. Er ließe sich wohl auch ohne größere Probleme auf das Berner Fallbeispiel übertragen. Im Falle der bayerischen Konstellation bietet es sich lediglich an, in einem solchen Modell den Austausch zwischen Hofrat, Hofkammer, Pfleggerichten, Jesuiten und Kurfürsten zu erfassen. Beim zentralen Konflikt zwischen den Gemeinden und der bayerischen Regierung bestände hingegen die konkrete Gefahr, dadurch das real existierende Machtgefälle zu verschleiern. Vermutlich ist es kein Zufall, daß Christoph Ernst den immer wieder ritualisiert vorgebrachten Appell an die Obrigkeit zum Mitleid mit ihren armen Untertanen lediglich als retadierendes Element der Prozeßführung wahrnimmt (264), während die Taktik der Ohnmacht bei Stefan Breit noch ein zentrales und durchaus erfolgversprechendes Mittel der Gemeinden in ihrer Auseinandersetzung mit den Jesuiten vor der bayerischen Regierung darstellt (123-127).

Ihre Hauptreibungsfläche findet Christoph Ernsts Darstellung in der älteren Studie von Joachim Allmann 3, dessen Beitrag zur Revision der auf forstamtliche Positionen fixierten älteren Forstgeschichte und fundamentalen Neubewertung bäuerlicher Sichtweisen und Umgangsformen mit dem Wald er grundsätzlich würdigt (7, 245). Gegen Allmanns mentalitätsgeschichtlichen Ansatz wendet Ernst vor allem ein, daß dieser den immateriellen Motiven der betroffenen Gemeinden eine handlungsleitende Rolle innerhalb der Konflikte zuweise (307-309). Zweifellos lassen sich gegenüber Allmanns Argumentation eine Reihe von Einwänden formulieren. So stammen beispielsweise seine ‘vorvolkskundlichen’ Belegstellen für die immaterielle Nutzung der Wälder oftmals aus der Feder aufgeklärter, literarisch interessierter Zeitgenossen wie Friedrich Christian Laukhard 4, die schon allein aufgrund ihrer Herkunft und Bildung kaum dem Milieu zugeordnet werden können, über welches sie schrieben. Es erscheint somit nicht ausgeschlossen, daß Allmann damit eher dem Ausgangspunkt der romantischen Beziehung zum Wald, welche die Deutschen seit dem 19. Jahrhundert umtreiben sollte, 5 als den Einstellungen der traditionellen Bevölkerung auf die Schliche kam. Seine These einer doppelten Weltordnung, die neben einer real-konkreten auch eine übergeordnet-mentale Realitätsebene vorsieht 6, steht insofern auf schwachen Füßen. Umgekehrt erscheint Christoph Ernsts Materialbasis jedoch kaum geeignet, etwas anderes als ökonomisches Handeln zutage zu fördern, dessen Existenz er überzeugend sowohl auf obrigkeitlicher als auch auf gemeindlicher Ebene nachweist. Stefan Breit gelingt es demgegenüber, in den Verhörsprotokollen eine Schenkungslegende über die Gemain ausfindig zu machen, die verschiedene Erzählelemente nach Art der „bricolage“ kombinierte (99-103). Bezeichnenderweise verschwanden diese Denkmuster einer populären Kultur sofort aus den Prozeßschriften, um einer normierten, juristischen Argumentation Platz zu machen (164 f). Christoph Ernst weist selbst darauf hin, daß von der stereotypen Beweisführung keinesfalls auf die „Gesamtheit der bäuerlichen Vorstellungswelt über den Wald“ geschlossen werden dürfe (247). Insofern muß die Frage nach den manifesten Inhalten einer „übergeordnet-mentalen Realitätsebene“ vorerst noch offen gelassen werden.

Anmerkungen:
1 Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus. Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. II/2, Das europäische Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühkapitalismus, vornehmlich im 16., 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 81969, S. 1138.
2 Joachim Radkau, Zur angeblichen Energiekrise des 18. Jahrhunderts. Revisionistische Betrachtungen über die „Holznot“, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 73 (1986), S. 1-37.
3 Joachim Allmann, Der Wald in der frühen Neuzeit. Eine mentalitäts- und sozialgeschichtliche Untersuchung am Beispiel des Pfälzer Raumes 1500-1800, Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 36, Berlin 1988.
4 ebenda, S. 295.
5 Albrecht Lehmann, Von Menschen und Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald, Reinbek bei Hamburg 1999.
6 Allmann, S. 287.

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