Titel
Judentum und Männlichkeit. transversal: Zeitschrift des David-Herzog-Centrums für Jüdische Studien


Herausgeber
transversal
Reihe
2. Jg., Nummer 1/2001
Anzahl Seiten
64 S.
Preis
DM 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Suppanz, Institut für Geschichte/Abteilung Zeitgeschichte, Karl-Franzens-Universität Graz

Mit der Zeitschrift „transversal“, herausgegeben vom David-Herzog-Centrum für Jüdische Studien (DHC) an der Grazer Karl-Franzens-Universität, erscheint seit kurzem ein Periodikum, das in der umfangreichen, von vielen Perspektiven aus unternommenen Forschung zum Thema „Judentum“ eine innovative Rolle spielt. Die Publikation stellte sich im Vorjahr mit einer Sondernummer vor, in der ersten Hälfte des laufenden Jahres erschien die erste reguläre Nummer mit dem Themenschwerpunkt „Judentum und Männlichkeit“.
Das zentrale Anliegen der Zeitschrift ist die Präsentation eines kulturwissenschaftlichen Zugangs zu den Jewish Studies/Jüdischen Studien. Wie Steven Beller in der Sondernummer unter dem Titel „Why ‚Jewish Studies‘“ erläutert, steht in deren Mittelpunkt – und das ist auch als programmatisch für „transversal“ anzusehen – die Untersuchung „jüdischer“ Kontexte gleichermaßen in ihrer Besonderheit wie auch als eine der Quellen kultureller und identitärer Vielfalt in den „westlichen“ Gesellschaften. Jüdische Studien sollten (ähnlich wie andere „ethnic and minority Studies programmes“) zum Abbau einer monolithischen, fälschlicherweise universalistischen Sichtweise von „Western civilization“ beitragen. Sie könnten damit zu einer adäquateren Bestimmung „westlicher“ wie auch z. B. österreichischer Identität beitragen, indem sie anstelle essentialistischer Bestimmungen des Eigenen und der daraus resultierenden Polarisierung zum Anderen Differenz und Heterogenität als inhärente Strukturmerkmale von „Nation“, „Kultur“, „Zivilisation“ deutlich machen.
Dass dieser Zugang die Vernetzung einer Vielfalt kulturwissenschaftlicher Fragestellungen bedingt, wird anhand der ersten regulären Ausgabe der Zeitschrift deutlich, die mit ihrer Fragestellung Jewish Studies und Gender Studies verbindet, wobei insbesondere Körperkonstruktionen und Körpererfahrungen eine Schnittstelle bilden. In seinem Beitrag „Proust`s Nose“ untersucht Sander L. Gilman, ausgehend von der Beschreibung des „krypto-jüdischen“ Charles Swann aus Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“, das Verhältnis von als „jüdisch“ konnotierten Körpermerkmalen und dem Diskurs betreffend Assimilation oder Integration von männlichen Juden um 1900. Insbesondere an französischen und deutschen Beispielen erörtert der Autor darin die besondere Rolle der Chirurgie bei der Konstituierung und „Korrektur“ von Identitäten. Der gegenderte Charakter der Körperwahrnehmung in den Judendarstellungen wird auch in Ingrid Spörks Artikel „Das Bild vom ‚Juden‘ in den Texten Max Nordaus“ deutlich. Nordaus Ideal des „Muskeljuden“ sei ein Versuch, das bürgerliche Männlichkeitsideal für eine neue Gruppe nutzbar zu machen und damit eine neue jüdische Identität zu konstruieren. Die Autorin untersucht anhand dieses Topos auch das Verhältnis zwischen antisemitischem Fremdbild und jüdisch-männlichem Selbstbild um 1900. Die gegenderte Erinnerung an den Holocaust thematisiert Harry Brod in seinem essayartigen, autobiographisch geprägten Beitrag „The German-Jewish Hyphen: Conjunct, Disjunct or Adjunct“. In seiner Argumentation gegen essentialistische, polarisierende Konzepte von „deutsch“ und „jüdisch“ verweist er auf die zeitgenössische feministische Theorie, die Identität als konstruiert, fließend und multipel auffasst und somit eine deutsch-jüdische „Bindestrich“-Identität plausibel macht. Im Mittelpunkt der Überlegungen des Autors stehen die jüdischen Väter, ihr Schweigen, ihre Abwesenheit, aber auch ihr Schamgefühl, traditionelle männliche Rollenerwartungen als Beschützer ihrer Familien nicht erfüllt zu haben. Mit dieser Fragestellung leiten Brods Ausführungen über zu Uta Kleins Aufsatz „Männlichkeit und Militär in Israel“, in der der Heldenmythos des wehrhaften jüdischen Mannes u. a. aus der Erfahrung der Wehrlosigkeit in der Shoa erklärt wird. Trotz der Wehrpflicht für Frauen werde die traditionelle Geschlechterdifferenz auch im israelischen Militär fortgeschrieben. Die (vor-)militärische Sozialisation richte sich vor allem an die männliche Jugend und reproduziere die traditionelle Rollenverteilung. Im Kontext der Fragestellung „Judentum und Männlichkeit“ steht auch ein Bericht über das Projekt „Körper als Zukunft“ des Historikers Daniel Wildmann, das den innerjüdischen Diskurs über das männliche Körperideal in Deutschland zwischen 1890 und 1933 zum Gegenstand hat.
Neben dem Themenschwerpunkt enthält die aktuelle Ausgabe des „transversal“ außer Rezensionen ein Diskussionsforum sowie unter der Rubrik „Juden in der Provinz“ den ersten Teil einer zweiteiligen „Geschichte der Juden in der Steiermark“. Das Forum, das jeweils aktuellen Themen gewidmet sein soll, behandelt die Frage „Österreich – Erstes Opfer der Nationalsozialisten?“ Heidemarie Uhl und Erika Weinzierl setzen sich darin kritisch mit der Beschreibung „der Österreicher“ als „erste Opfer des Naziregimes“ durch den Bundeskanzler Wolfgang Schüssel auseinander, gelangen allerdings zu unterschiedlichen Akzenten in ihrer Beurteilung der „Opfertheorie“. Den thematisch konventionellsten Teil des Heftes bildet schließlich der erwähnte Beitrag Joachim Hainzls über „Juden in der Provinz“, der die Geschichte der Juden in der Steiermark von den ersten Erwähnungen im 12. Jahrhundert bis zum Staatsgrundgesetzt von 1867 schildert.
„transversal“ erweist sich somit als Publikation, die Aspekte des internationalen Diskurses in der Jewish Studies ebenso aufgreift wie die regionale Ausrichtung, die sie als Periodikum des Grazer David-Herzog-Centrums für Jüdische Studien kennzeichnet. Mit der Beschränkung auf wissenschaftliche Artikel – etwa im Gegensatz zur Zeitschrift „Juden in Österreich/Jewish Austria. Gestern.Heute/Past.Presence“ des St. Pöltener Instituts für Geschichte der Juden in Österreich, die u. a. auch Veranstaltungsberichte bietet – gibt sie sich ein scharf umrissenes Profil, das in Themenheften wie dem vorliegenden besonders deutlich zum Ausdruck kommt. „Judentum und Männlichkeit“ bietet trotz der Vielfalt an konkreten empirischen Untersuchungsgegenständen Leitperspektiven, die die einzelnen Beiträge in aufschlussreicher Weise miteinander verbinden. Kritisch ist daher anzumerken, dass die hochinteressante Verbindung zwischen internationaler und regionaler Orientierung nicht durch einen gemeinsamen kulturwissenschaftlichen Zugang zusammengehalten wird. In Anbetracht der oben skizzierten Ausrichtung der Zeitschrift wirkt ein rein fakten- und ereignisgeschichtlicher Beitrag wie die „Geschichte der Juden in der Steiermark“ trotz seines Informationsgehalts etwas irritierend und deplatziert. Lohnend wäre es, ein Leitthema auch auf regional definierte Quellen, konkret eben aus der Steiermark, angewandt zu finden.
Insgesamt aber ist festzuhalten, dass die aktuelle Ausgabe des „transversal“ mit ihrem Schwerpunktthema, das Jewish Studies, Gender Studies und Körpergeschichte interdisziplinär miteinander verbindet, deutlich macht, dass die Zeitschrift weit über den ForscherInnenkreis der Jüdischen Studien hinaus von großem Interesse für KulturwissenschaftlerInnen ist. Zu hoffen ist daher, dass es der Redaktion auch in Zukunft gelingt, neben den angekündigten „offenen Heften“ immer wieder spannende Themenhefte zu projektieren. Unabhängig davon ist die Zeitschrift mit ihrer Orientierung an aktuellen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen sicherlich geeignet, über das regionale oder österreichische Umfeld hinaus Beachtung zu finden, wofür auch die Mitarbeit eines breiten internationalen und interdisziplinären Spektrums renommierter ForscherInnen garantieren dürfte.

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