B. Ablonczy: Teleki Pál (Paul Teleki)

Cover
Titel
Teleki Pál.


Autor(en)
Ablonczy, Balázs
Erschienen
Budapest 2005: Osiris Kiadó
Anzahl Seiten
547 S.
Preis
HUF 3480
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norbert Spannenberger, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Universität Leipzig

Der schlichte Titel des anzuzeigenden Bandes wirkt nicht nur aufgrund der 547 Seiten anachronistisch, sondern auch wegen seiner Inhaltschwere. Die wissenschaftliche Visitenkarte des frisch promovierten Autors aus der Budapester Schule von Ignác Romsics verspricht eine Biografie über einen heute noch politisch äußerst umstrittenen Politiker der Zwischenkriegzeit. Als ihm zu Ehren 1994 eine Gedenktafel an der Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest enthüllt wurde, löste dies eine heftige Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit sowie in den Medien aus. Zehn Jahre später brach ein Sturm der Entrüstung los, als man ihm ein Denkmal auf der Burg in Ofen (Buda) aufstellen wollte. Etwa vier Wochen lang stand die Bewertung Telekis im Mittelpunkt der in allen Medien geführten Debatte.1

Schon in diesem Zusammenhang wäre die vorliegende Biografie hoch brisant, doch Telekis Leben selbst ist – auch ohne geschichtspolitische Aktualität – komplex und ambivalent. Der Autor betont in seinem Vorwort, dass er sich mit diesem Buch an der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit nicht beteiligen wollte, viel mehr ginge es ihm um die „historische Figur“ (S. 19). Wie schmal die Grenze zwischen Historisierung und öffentliche Meinungsprägung in der Praxis ist, scheint dem Autor sehr bewusst zu sein. Während in den letzten fünfzehn Jahren über führende Persönlichkeiten der ungarischen Zeitgeschichte – wie István Bethlen, Imre Nagy, Gyula Gömbös, Miklós von Horthy, und János Kádár – neue Biografien verfaßt worden waren, fehlte eine solche ausgerechnet über den langjährigen Spitzenminister Teleki, der – abgesehen von Reischverweser Horthy – einen festen Platz in der öffentlichen Erinnerung hat.

Teleki war schon kurz nach seinem Freitod 1941 zum Gegenstand der ungarischen Historiografie geworden. Diese zeigten ihn jedoch vor allem als Pfadfinder, gläubigen Katholiken, Erzieher der Nation oder als Nationalitätenpolitiker. 1944 veröffentlichte sein enger Mitarbeiter, Antal Papp, eine Sammlung von Telekis Reden. Wenn diese auch als Quellensammlung für die Forschung unerläßlich ist, war sie doch eher Bestandteil des Personenkultes, der während des Zweiten Weltkrieges von diversen meinungsbildenden Persönlichkeiten und Organisationen, wie z.B. der Pfadfinder, tatkräftig gefördert wurde. Bis in die 1960er-Jahren wurde keine Teleki-Biografie geschrieben. Die führende Parteihistorikerin Erzsébet Andics hatte 1945 die Losung ausgegeben, nach der „letztlich auch in Ungarn 25 Jahre lang ein faschistisches Regime herrschte“, zu dessen Führungsfiguren Teleki gehörte.2 Im Zusammenhang mit außenpolitischen Fragestellungen wurde Telekis Rolle von Aladár Kis und Gyula Juhász dann einer Neubewertung unterzogen.3 1969 erschien von Loránt Tilkovszky die erste, populärwissenschaftliche Kurzbiografie über Teleki, die überarbeitet und erweitert 1989 – unter veränderten politischen Rahmenbedingungen – auf den Markt kam.4 In den 1980er-Jahren waren zwar Einzelaspekte des Wirkens von Teleki in der Forschung thematisiert worden, doch erst 1991 gab es zwei wissenschaftliche Konferenzen über Teleki und seine Politik.5 Mit unverkennbarer Sympathie schrieben Anton Czettler und Ferenc Fodor über Pál Teleki die letzten größeren Arbeiten – ohne jedoch den Anspruch von Biografien zu erfüllen.6

Graf Pál Teleki wurde am 1. November 1879 als Spross eines alten siebenbürgischen Adelsgeschlechts geboren. Geprägt von der Erziehung und seinen Kindheitserlebnissen mündete sein elitäres Ständebewusstsein in eine imaginäre Rolle als Auserwählter im Dienst seiner Nation, und in eine Lebensführung nach adeliger Manier: Übermäßiger Alkoholkonsum und Kartenspielen gehörten ebenso dazu wie Einmischung in die Politik, wobei Wahlen mittels „Beköstigung“ der Wähler gewonnen wurden. Bestechung, Korruption, Adelsprivilegien und ein sorgloses Leben sind jene Schattenseiten im Leben des jungen Grafen, die Ablonczy sehr deutlich macht. Damit konterkariert er die Stereotypen in der öffentlichen Wahrnehmung, wonach Teleki bereits in seinen jungen Jahren ein von höherer Moral geleiteter Idealist gewesen sei. Teleki verkörperte nämlich schon zu Lebzeiten ein ganz anderes Bild vor der Öffentlichkeit: Er galt als führender Geograf, der aktiv für die 1918 nach Paris gereiste ungarische Friedensdelegation Materialien erstellte, und als ein konservativer Politiker, der ausdrücklich antisemitische Ansichten vertrat und mit der Rassenideologie sympathisierte. Als Anhänger der Turaner-Ideologie, wonach die Ungarn ein „turanisches Volk“ und mit den Völkern des Fernen Ostens (etwa Japan) verwandt seien, gelangte er bald zur Rassentheorie, setzte sich mit Fragen der „Volksgesundheit“ und „Rassenhygiene“ auseinander, und sympathisierte mit rechtsradikalen Strömungen (S. 118). Als Vertrauter des Reichsverwesers Nikolaus von Horthy wurde er am 19. Juli 1920 zum Ministerpräsident ernannt, doch wegen seiner royalistischen Haltung trat er schon am 14. April 1921 zurück. In diese Zeit fiel das erste so genannte Numerus-clausus-Gesetz, die Einschränkung der Anzahl jüdischer Studenten an den Universitäten und den Hochschulen.

Der Stammsitz der Familie lag in Pribékfalva, ein überwiegend von Rumänen bewohnter Ort in Siebenbürgen. Hier verinnerlichte Teleki ein apokalyptisches Bild von der Minderheitenfrage: Die Marginalisierung der „magyarischen Staatsnation“ erschien schon dem Kind als eine Realität, was in seiner Person tiefe Spuren hinterließ. Bedrohungsängste und Untergangsstimmung schienen sich mit dem Vertrag von Trianon und den großen Territorialverlusten Ungarns im Juni 1920 bewahrheitet zu haben, und Teleki fühlte sich in seinen Ansichten bestätigt. Revisionspolitik und die „Wiederherstellung“ der „Führung der magyarischen Rasse im Karpatenbecken“ blieben die Leitfäden seiner politischen Programmatik. Teleki war nämlich überzeugt, dass Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg in ganz Europa eine vorbildliche Minderheitenpolitik praktiziert hätte (S. 66). Romantische Geschichtsvorstellungen von der Sendung Ungarns als „Schutzwall der europäischen Christenheit“ (antemurale christianitatis) rundeten dieses Bild ab. Nach Trianon erhielt dieses Programm eine neue Aktualität, denn laut Telekis Überzeugung bestand die Aufgabe Ungarns diesmal in der Abwehr des Bolschewismus aus dem Osten, was jedoch einen starken Staat voraussetzte. Die von ihm engagiert vertretene Revisionspolitik erhielt somit ein neues Legitimationsfundament. Die Wiederherstellung Groß-Ungarns in diesem multiethnischen Raum stellte jedoch auch die ganz und gar nicht theoretische Frage nach den Prinzipien ungarischer Minderheitenpolitik; ein Problem, das Teleki im Spiegel seiner siebenbürgischen Erfahrungen sah. Er plädierte für eine gegenüber den Minderheiten kompromisslose Nationalitätenpolitik, weil Nachgiebigkeit und Konzessionsbereitschaft seiner Ansicht nach als Zeichen der Schwäche gewertet wurde (S. 113).

In den 1920er- 1930er-Jahren spielte Teleki eine führende Rolle in der Revisionspolitik und genoss das Ansehen eines international bekannten Geografen. Als „erster Pfadfinder“ des Landes lebte der praktizierende Katholik und „Erzieher der Nation“ genau das, was er später in seinem „Erziehungsprogramm für die Nation“ artikulierte: Eine konservative, auf Autorität gebaute Lebensführung gepaart mit einem gesteigerten Sendungsbewusstsein. Am 14. Mai 1938 übernahm er in der Regierung Imrédy das Amt des Ministers für Kultus und Unterricht, am 16. Februar 1939 wurde er vom Reichsverweser zum Ministerpräsident ernannt. In seine Regierungszeit fielen nicht nur die revisionspolitischen Erfolge der Wiener Schiedssprüche, sondern auch das so genannte „Zweite Judengesetz“. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vertrat er eine Politik der militärischen Neutralität und lehnte die Forderung des ungarischen Generalstabes ab, an der Seite Deutschlands in den Krieg einzutreten. Zugleich schloss er mit dem Dritten Reich weitere Wirtschaftsabkommen ab. Im Ergebnis des Anschlusses oder der Rückgliederung Nord-Siebenbürgens infolge des Zweiten Wiener Schiedsspruchs vom August 1940 wurde auch der Führer der Pfeilkreuzler, Ferenc Szálasi, aus dem Gefängnis entlassen, und im November 1940 trat Ungarn dem Dreimächtepakt bei. Um diese Entwicklung zu kompensieren schloss Teleki am 12. Dezember 1940 mit Jugoslawien einen Freundschaftsvertrag, doch der Militärputsch in Belgrad im März 1941 führte seine Politik in die Sackgasse. Als Ungarns Beteiligung am Feldzug gegen Jugoslawien auf die Tagesordnung kam, erschoss sich der Ministerpräsident am 3. April 1941in seinem Büro. Mit seinem Selbstmord wollte er Reichsverweser Horthy warnen. Dennoch befahl der „Oberste Kriegsherr“ am 11. April den Einmarsch in die Batschka. Ungarn wurde ein Krieg führender Staat.

In der Biografie bestechen von vornherein die ungewöhnlich elegante Sprache und die Argumentationskunst des Autors. Die Einführung und die Informationen über Kindheit und Jugend Telekis werden dabei mit großer Ausführlichkeit dargestellt, was nicht nur Liebe zum Detail, sondern auch eine nicht zu übersehende Sympathie für das „Untersuchungsobjekt“ deutlich macht. So entsteht ein facettenreiches Bild über die siebenbürgische Heimat der Teleki-Familie, mit allen Glanz- und Schattenseiten. Die historischen Rahmenbedingungen werden ohnehin so meisterhaft dargestellt, dass es anstelle vieler Meistererzählungen eher empfehlenswert wäre, dieses Buch in die Hand zu nehmen, wenn man sich differenziert über hoch komplexe Entwicklungslinien der modernen ungarischen Geschichte informieren will. Obgleich Ablonczy’ Narrativ vielfach ins Anekdotenhafte hinüber gleitet, verliert es nicht den Leitfaden. Wenig konsequent widmet sich der Autor jedoch der Analyse einer Reihe von Fragen, so der nach der Konstruktion von „dreierlei Minderheiten“, wonach „Zwangsminderheiten“, wie die magyarischen in den Nachbarländern, höchsten internationalen Schutz für sich beanspruchen konnten, während die in Ungarn gar keinen, weil sie „freiwillig einwanderten“. Im Hinblick auf die „historischen Minderheiten“, wie etwa die Siebenbürger Sachsen, plädierte er dabei für eine „flexible Minderheitenpolitik“. Den nahe liegenden kausalen Zusammenhang mit der Revisionspolitik (Trianon-Syndrom) zu thematisieren, erspart sich der Autor. Ablonczy irrt sich, wenn er behauptet, Teleki hätte die Genehmigung der Satzung des „Volksbundes der Deutschen in Ungarn“ verweigert (S. 476). Im Gegenteil, eben Teleki institutionalisierte diesen im November 1938 gegründeten Verein der deutschen Minderheit, allerdings ließ er vorher die Satzung bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln, woraufhin der „Volksbund“ als ein Kulturverein genehmigt wurde.

Geradezu demaskierend wirken Telekis zynische Äußerungen über die „Judenfrage“, und seine Obszönität in bezug auf die Geschlechterbeziehungen. Hierbei geht Ablonczy konsequent vor und spart nicht mit Einzelheiten. Etwas mager fällt allerdings die Behandlung von Telekis Beziehungen zur NSDAP aus, die sehr früh, nämlich Mitte der 1920er-Jahre einsetzte (S. 333). Im Gegensatz zur etablierten Fachliteratur betont der Autor die Dissonanzen Telekis mit Ministerpräsident István Bethlen, was erfrischend neue Informationen und Aspekte liefert. Ebenso befreit Ablonczy wichtige Aspekte aus den Fesseln klischeehafter Vorstellungen, wenn es um die ungarischen Judengesetze der Zwischenkriegszeit geht, die nach der Beteuerung Telekis nicht auf „deutschen Druck“ zustande kamen, sondern eine eigene Dynamik aufwiesen (S. 388, 404). Moderne ungarische Forschungsergebnisse untermauern diesen Ansatz.7

Problematische Themen, wie Sympathien für Rassenlehre, Antisemitismus und machiavellistische Instrumentalisierung politischer Strukturen in eigenem Interesse bis hin zum krankhaften Intrigieren Telekis, werden vom Autor gelegentlich ziemlich breit dargestellt, doch genau da entsteht ein ambivalentes Gefühl beim Leser. Denn die ursprüngliche Zielsetzung, eine Biografie zu schreiben, verliert dabei an Konturen: Es wird konstatiert, dass Teleki an seinen „aristokratisch-ständischen Ansichten“ stets festgehalten habe, ohne aber die Frage zu stellen, ob nicht nach dem Ersten Weltkrieg in Ungarn ein umfangreicher Elitewechsel berechtigt gewesen wäre? In Bezug auf das Geschichtsbild Telekis wird er als Vordenker der konservativen Elite mit Richtlinienkompetenz für die politisch korrekte Erinnerungskultur der Zwischenkriegszeit dargestellt; was aber ist mit der Verantwortung für die Richtlinien der Revisionspolitik? Und schließlich: Wie erklärt sich anhand der Persönlichkeitsanalyse, dass jemand Programme entwirft für die Erziehung einer ganzen Nation, der sich nicht um seine eigene Familie kümmert und die eigenen Kinder vernachlässigt? Wie kam es, dass jemand seine religiöse Frömmigkeit mit der täglichen Heiligen Kommunion demonstrierte, zugleich aber aus seiner rassistischen Überzeugung heraus die Diskriminierung ganzer Teile der Gesellschaft tatkräftig förderte?

Anmerkungen:
1 Die gesammelten Pressematerialien zur Debatte in: Bakos, István; Csicsery-Rónay, István (Hrsg.), "Szobor vagyok, de fáj minden tagom" – Fehér könyv a Teleki-szoborról ["Bin ein Denkmal, mir schmerzen aber die Glieder" – Weißbuch des Teleki-Denkmals], Budapest 2004.
2 Andics, Erzsébet, Fasizmus és reakció Magyarországon [Faschismus und Reaktion in Ungarn], Budapest 1945, S. 3.
3 Kis, Aladár, Magyarország külpolitikája a második világháború eloestéjén [Ungarns Außenpolitik am Vorabend des Zweiten Weltkriegs], Budapest 1963, S. 85-93; Juhász, Gyula, A Teleki-kormány külpolitikája [Die Außenpolitik der Teleki-Regierung], Budapest 1964, S. 18ff.
4 Tilkovszky, Loránt, Teleki Pál. Legenda és valóság [Pál Teleki. Legende und Wirklichkeit], Budapest 1969.; ders., Teleki Pál titokzatos halála [Der geheimnisvolle Tod von Pál Teleki], Budapest 1989.
5 Das Konferenzmaterial erschien in: Csicsery-Rónay, István; Vígh, Károly (Hrsg.), Teleki Pál és kora [Paul Teleki und seine Zeit], Budapest 1992.
6 Czettler, Anton, Pál Graf Teleki und die Außenpolitik Ungarns 1939-1941, München 1996; Fodor, Ferenc, Teleki Pál, Budapest 2001.
7 Siehe dazu ausführlich: Gyurgyák, János, A zsidókérdés Magyarországon [Die Judenfrage in Ungarn], Budapest 2001, S. 144f.

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