A. Meußer: Für Kaiser und Reich

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Titel
Für Kaiser und Reich. Politische Kommunikation in der frühen Neuzeit: Johann Ulrich Zasius (1521-1570) als Rat und Gesandter der Kaiser Ferdinand I. und Maximilian II.


Autor(en)
Meußer, Anja
Reihe
Historische Studien 477
Erschienen
Anzahl Seiten
533 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Moritz, Universität Potsdam

"Der erste Eindruck, den man sich von der Intelligenz eines Herrschers macht, wird durch die Männer seiner Umgebung bestimmt." (S. 13) Am Beginn des 16. Jahrhunderts griff Machiavelli im ‚Il Principe’ jene seit der Antike kolportierte Sentenz auf, die sich durch die gesamte Fürstenspiegelliteratur der Frühen Neuzeit zog und die Bedeutung der Berater auf den Punkt brachte. Die Geschichtsforschung konzentrierte sich lange Zeit auf die ‚geschichtsmächtigen’ Herrscherfiguren, deren Abglanz ein nur schummriges Licht auf ihre ‚Steigbügelhalter’ fallen ließ. Im ausgehenden 20. Jahrhundert veränderte sich der Fokus: Die "Männer im zweiten Glied" (S. 12) rückten in das Blickfeld der Forschung. Zahlreiche Sammelbände und Monografien suchten sich auf verschiedensten Wegen jener Personengruppe zu nähern. Wenn auch die Elitenforschung stellenweise noch immer auf die Rolle der Funktions- oder Leistungseliten bei der Entstehung eines so genannten modernen Staates abhebt, sind doch ihre Ergebnisse äußerst ertragreich 1, lassen gerade sie doch das sehr spannungsreiche Verhältnis zwischen herrschernahem Amtsträger und seinem Dienstherren erkennen. Speziell der Rolle der Juristen widmeten sich seit dem maßgeblichen Sammelband von Roman Schnur 2 beachtenswerte kollektivbiografische Arbeiten über die Richter des Reichskammergerichtes.3 Ein dritter Forschungsansatz beschäftigt sich mit der Thematik der Politischen Kommunikation, dem auch die hier zu besprechende Monografie zuzuordnen ist. Dabei handelte es sich zumeist nicht um einen ideengeschichtlichen Ansatz, sondern eher um eine Sozialgeschichte der Kommunikation, ihrer Akteure, ihrer Mittel und Wege sowie um eine Geschichte der Diplomatie.4

Meußer stellt sich in ihrer 2003 eingereichten Dissertation die Frage: „Wie angesichts der konfessionellen Zerrüttung in der Mitte Europas eine Reichs- und Friedenspolitik möglich war, die dem Reich eine sechzigjährige Friedenszeit bescherte“ (S. 13) und nähert sich deren Beantwortung am Beispiel des kaiserlichen Amtsträgers Johann Ulrich Zasius. Sie bettet diese biografische Forschungsarbeit in die grundsätzliche Thematik ein: "wie Reichspolitik überhaupt funktionierte" (S. 13). Beiden Themen räumt die Autorin in ihrer sehr umfangreichen Monografie in jeweils zwei Kapiteln genügend Raum ein: Während sich die beiden ersten mit der persönlichen und beruflichen Biografie des Zasius beschäftigen, widmen sich die beiden letzten Kapitel seinem Kommunikationsverhalten. Der Anhang enthält eine Übersicht über seine Korrespondenzpartner sowie ein Itinerar des Gesandten Zasius, basierend auf einer äußerst aufwendigen und gründlichen Erfassung der Korrespondenz (ca. 2600 Briefe und Aktenstücke).

Als Sohn des Juristen und Humanisten Ulrich Zasius wurde Johann Ulrich 1521 in Freiburg geboren. Er absolvierte seine Studien an der heimatlichen Universität und in Padua, wo er im Alter von 23 Jahren zum Dr. jur. promovierte. Sein Dienst am Hof des Herzogs Karl III. von Savoyen führte ihn in die Nähe des Kaisers Karl V. Auf dem Augsburger Reichstag 1547 intensivierte Zasius die bereits geknüpften Kontakte zu König Ferdinand und wurde von diesem noch im selben Jahr zum Hofrat ernannt. Obwohl Zasius nach Wien zog, war er doch fortan permanent im gesamten oberdeutschen Raum als Gesandter des Königs unterwegs. Mit dem Übergang der Königswürde auf Maximilian II. im Jahre 1564 wurde Zasius Mitglied des Geheimen Rates und zwei Jahre später zum Reichsvizekanzler ernannt und zählte nun zum Kreis der engsten und einflussreichsten Berater des Monarchen.

Zwei Themen prägten in der Folge seine Amtstätigkeit: die Regelung der konfessionellen Frage und die Wahrung des Landfriedens. Für den Juristen, dessen politisches Denken stets auf eine Stärkung von Kaiser und Reich zielte, bargen gerade jene Konflikte ausreichend Potential, die Stabilität des Reiches zu gefährden. In diesem Rahmen sind das Engagement des Zasius unter anderem bei den Passauer (1552) und Augsburger (1555) Verhandlungen einerseits sowie seine auffallende Zurückhaltung hinsichtlich der Rezeption der Beschlüsse des Trienter Konzils und den aufkommenden calvinistischen Tendenzen in der Kurpfalz andererseits zu deuten. Zasius selbst war katholisch, wenn auch "luthernah, papstfern und calvinismusfeindlich", so Meußer. (S. 101) "Konfession war bei ihm keine individuelle Glaubensentscheidung, sondern eine politische Demonstration. Wenn Zasius also über Religion und Konfession sprach, machte er Politik [...]" (S. 93) Jene politische Sicht auf die konfessionelle Problematik führte aber z.B. dazu, dass die eigentlichen konfessionellen Streitpunkte im Augsburger Religionsfrieden mittels dissimulierender Sprachfindung nur interimistisch ruhig gestellt wurden. Zasius hatte auch einen erheblichen Anteil an der Entstehung der beiden Landfriedensbündnisse, dem Heidelberger Verein (1553-1556) und dem Landsberger Bund (1556-1598). Nachdem 1555 das Reich die Zuständigkeit für die Wahrung des Landfriedens auf die Reichskreise übertragen hatte, schienen diese Bündnisse das einzig probate Mittel zu sein, um den Landfriedensbrechern, wie Albrecht Alcibiades, das Handwerk zu legen. Mit Sachkenntnis schildert Meußer die Verhandlungen des Rates mit den jeweiligen Reichsständen und dessen Geschick, die verschiedenen Interessen mit seinen und den Intentionen seines Auftraggebers zu verbinden.

Nach allgemeinen einführenden Bemerkungen über die Kommunikation in der Frühen Neuzeit widmet Meußer sich detailreich den praktischen Aspekten der Gesandten- und Korrespondententätigkeit. Während sie aufgrund der Quellenlage nur wenig Auskunft über den diplomatischen Alltag geben kann, beschreibt sie ausführlich die Struktur der Kommunikation mit den einzelnen Reichsständen und auswärtigen Potentaten, den Aufbau bzw. die Aktivierung und Pflege von Netzwerken durch Zasius im Interesse kaiserlicher Politik sowie die praktische Umsetzung von Kommunikation. Wie sehr sich politische Meinungsbildung immer auch durch persönliche Nähe vermitteln ließ, wie stark beide Seiten, Rat wie Reichsstände, auf diese Nähe setzten, um ihre Interessen zu vertreten, verdeutlicht das Teilkapitel "Zasius als Gesandter". Während der Gesandte in der Regel im Rahmen der Audienz kaum eigenen Spielraum besaß und direkt als Stimme des Kaisers fungierte, konnte Zasius sein diplomatisches Geschick in den informellen Gesprächen und in seinen Korrespondenzen einbringen.

Die Biografie Johann Ulrich Zasius’ kann als Beispiel jener "Bilderbuchkarrieren" gelesen werden (S. 443), die nichtadlige gelehrte Juristen auf einflussreiche Positionen am frühneuzeitlichen Kaiserhof führen konnte. Die enorme Bedeutung funktionierender Netzwerke (hier liefen sie über den Vater Ulrich Zasius) zum ersten, der Bibliothek des Gelehrten, die Arbeits- und Identifikationsmittel zugleich darstellte, zum zweiten und des Bildungsgrades für den "homo novus" zum dritten liefern wichtige sozial- und bildungsgeschichtliche Aspekte für die Erforschung der frühneuzeitlichen Gelehrtengruppe. Gleichwohl darf als Ursache für den sozialen Aufstieg der Juristen im 16. Jahrhundert, in Abgrenzung zum Adel und zur Geistlichkeit, die verstärkte Rezeption des römischen Rechts nicht unberücksichtigt bleiben. Es scheint mir daneben auch fraglich zu sein, ob der Begriff der "Modernisierung" für den Prozess der "Verstaatlichung" im 16. Jahrhundert seine Berechtigung hat. Das der Untersuchung der Kommunikationsnetzwerke vorgeschaltete Modell von Harold D. Lasswell ("Who says what in which channel to whom with what effect?") halte ich für zu einseitig, um die Komplexität der Thematik erfassen zu können. Ärgerlich für den Leser ist die durchgängige Anwendung von Kurztiteln in den Fußnoten. Trotz dieser kleinen Anmerkungen bleibt festzuhalten, dass Meußer mit ihrer Dissertation eine aufwendig recherchierte und auf breiter Quellenbasis beruhende gut lesbare Studie vorgelegt hat, die einen wichtigen Beitrag zur Rolle der Gelehrten im Nahbereich frühneuzeitlicher Herrschaft liefert.

Anmerkungen:
1 Klingebiel, Thomas, Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit. Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel, Hannover 2002; Kaiser, Michael; Pečar, Andreas (Hgg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003.
2 Schnur, Roman (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986.
3 Jahns, Sigrid, Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Teil II: Biografien (2 Bde.), Köln 2003.
4 Pflüger, Christine, Kommissare und Korrespondenzen. politische Kommunikation im Alten Reich (1552 - 1558), Köln 2005.

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