W. Speitkamp (Hg.): Kommunikationsräume – Erinnerungsräume

Titel
Kommunikationsräume – Erinnerungsräume. Beiträge zur transkulturellen Begegnung in Afrika


Herausgeber
Speitkamp, Winfried
Erschienen
München 2005: Martin Meidenbauer
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Brahm, Universität Hamburg, Historisches Seminar

In der methodischen Vielfalt, die die Geschichtswissenschaft seit inzwischen mehreren Jahrzehnten auszeichnet, hat auch das Raumkonzept unter neuen Vorzeichen wieder Anwendung gefunden. Dass der Raum und Grenzziehungen im Raum für ganz unterschiedliche Fragestellungen einen methodischen Rahmen bieten können, zeigt der vorliegende, von Winfried Speitkamp herausgegebene und eingeleitete Sammelband, der sich Kommunikations- und Erinnerungsräumen in Afrika widmet.

Transkulturelle Begegnung und Kommunikation finden vorrangig in sich überlappenden Grenzräumen statt, die nicht statisch sind, sondern immer neu verhandelt werden. Symbolische Orte im Raum, seien es natürliche oder anthropogene, schaffen Bezugspunkte in der Raumvorstellung einer Gemeinschaft. Und nicht zuletzt die Produktion von Erinnerung und von Geschichte findet stets in imaginären Räumen statt und definiert diese neu.

Reinhard Klein-Arendt beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Verbreitung und Bedeutung von Feuerwaffen im vorkolonialen Ostafrika. Es wird deutlich, dass Feuerwaffen, entgegen landläufiger Meinung in Europa, bereits vor der Etablierung der Kolonialherrschaft integraler Bestandteil vieler Gesellschaften in der Region waren. Ihre Einführung wurde und wird auch durchaus nicht als „kulturfremd“ oder als „Unglück“ empfunden und erinnert. Unterschiede in Verbreitung, Qualität und taktischem Einsatz der Feuerwaffen führten zu erheblichen regionalen Macht- und Grenzverschiebungen.

Manch ein deutscher Expeditionsleiter, der im 19. Jahrhundert zum ersten Mal nach Afrika reiste, hatte die naive Vorstellung, er könne notfalls mit preußischen Disziplinierungsmaßnahmen schnell die nötige Akzeptanz innerhalb des Expeditionstrosses gewinnen. Welche Risiken eine solche Fehleinschätzung in sich barg, zeigt Michael Pesek in seinem Beitrag zu europäischen Forschungsreisenden und ihrer Begegnung mit Ostafrikanern im 19. Jahrhundert. Die Europäer trafen auf eine lange Tradition der Karawanenreise und der Arbeitsorganisation von Trägern in Ostafrika, die ihre eigenen Regeln hatten. Durch intensive Quellenarbeit und -kritik gelingt es Pesek, ein differenziertes Bild der Reisepraxis und der Kommunikationsformen aufzuzeigen, wobei er insbesondere die Bedeutung von Habitus, Körperlichkeit und technischer Repräsentation herausstellt.

An die brandenburgisch-preußische Kolonialgeschichte erinnert Ulrich van der Heyden. Sie ist heute soweit vergessen, dass sie auch bei den Diskussionen über Entschädigungszahlungen für den Sklavenhandel gern unter den Tisch fällt. Am Beispiel des Ortes Princes Town in Ghana, am Fuße der ehemaligen Sklavenfestung Großfriedrichsburg gelegen, geht van der Heyden der regionalen Erinnerungskultur nach. Er zeigt auf, wie durch Mythenbildung und mangelhafte Ausbildung der Touristenführer Geschichte verfälscht und kommerzialisiert wird. Eine mangelhafte Erinnerungskultur an die Kolonialzeit konstatiert van der Heyden aber genauso für Deutschland, wo beispielsweise erst in einigen Städten damit begonnen wurde, die eigene koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten.1

Die beiden, leider zu kurzen Beiträge von Hartmut Bergenthum thematisieren einen anderen, wichtigen Faktor für Konstituierung und Modifikation von Erinnerungsräumen: die Geschichtsschreibung selbst. Die Funktion der Historiografie für eine regionale Identitätsbildung wird zum einen am Beispiel der Luo und Kikuyu in Kenia diskutiert, zum anderen spricht Bergenthum das Dilemma kenianischer Historiker nach der Unabhängigkeit an, einerseits eine „authentische“ afrikanische Geschichtswissenschaft schaffen zu wollen, gleichzeitig aber überkommene, „westliche“ Ansätze übernehmen zu müssen, um international überhaupt Gehör zu finden.

Sehr interessante und differenzierte Ergebnisse präsentiert Ute Röschenthaler aufgrund umfangreicher Studien im Cross River-Gebiet in Kenia. War hier Geschichte lange Zeit ein Privileg dörflicher Eliten, ein wohlbehüteter Privatbesitz, der nur zu bestimmten Anlässen in Anspruch genommen wurde, hat sich in den 1990er-Jahren im Zuge der Demokratisierungsbewegung binnen kurzer Zeit eine regionale Erinnerungskultur herausgebildet.

Am Beispiel einer Sufi-Brüderschaft in Ostafrika gehen Chanfi Abdallah Ahmed und Achim von Oppen ebenfalls auf ritualisierte Praktiken einer religiösen Erinnerungskultur ein, in der sich schriftliche, mündliche und performative Formen verbinden. Sie legen anschaulich soziale und räumliche Funktionen der Erinnerungsrituale für die Bruderschaft dar.

Das Beispiel des Mount Kenya und des ihn umgebenden Waldes zeigt, wie natürliche Räume und Bezugspunkte in der Landschaft zu Identifikations- und Erinnerungsräumen werden können. Christiane Reichart-Burikukiye verfolgt den Weg des Mount Kenya zum heute scheinbar unversöhnlichen Symbol sowohl der Nationalkultur als auch der opponierenden, traditionalistischen Mungiki-Bewegung.

Journalistische Medien in Europa frönen oftmals einer reißerischen, nihilistischen Sichtweise auf Afrika. So beschrieb der polnische Journalist Ryszard Kapuściński die banlieus von Dakar als „belebte Wüste“ mit Bewohnern ohne Ziel und Lebenssinn.2 Es ist das Verdienst von Susann Baller, dies am Beispiel der Stadt Pikine zu widerlegen und zu zeigen, wie die Bewohner sich ihren eigenen, visionären Raum schaffen und durch Freizeitaktivitäten an einer globalisierten Kultur partizipieren.

Eine sehr interessante Quelle wertet Matthias Gruber in Form von nigerianischen Videospielfilmen aus. Eine Analyse mehrerer epics macht deutlich, dass die Vergangenheit stark auf die Gegenwart verweist, etwa auf die politische Landschaft oder die Bewertung der Mission. Nach Gruber zeigt sich in der Darstellung des Verhältnisses zu Europäern in einigen Filmen ein „starkes nationales Bewusstsein, dass offenbar die Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Imperialismus überwunden hat“ (S. 261).

Speitkamp geht in seinem Beitrag zur politischen Symbolik in verschiedenen postkolonialen Staaten Afrikas einer Geschichtspolitik nach, die durch hybride Formen versucht hat, den nation building-Prozess zu unterstützen.

Abschließend beschäftigt sich der Beitrag von Anna-Maria Brandstetter mit Genozidgedenkstätten in Ruanda. Sie beschreibt die Formen der Gedenkstätten und analysiert ihre Bedeutungen für verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Thematisiert wird zudem die kritische Frage der politischen Vereinnahmung des Gedenkens, die auch auf aktuelle Diskussionen in Deutschland, etwa zum Holocaust-Mahnmal in Berlin, verweist.

Betrachtet man den Sammelband als Ganzes, ist etwas bedauerlich, dass einige Beiträge den Bezug zu dem von Speitkamp einleitend dargelegten Konzept von Kommunikations- und Erinnerungsräumen kaum oder nur zögerlich herstellen. Dies hätte die Tragfähigkeit und auch die Grenzen dieses Ansatzes noch stärker aufzeigen können. Insgesamt gesehen bietet der Band aber einen spannenden Aufriss, der dem überlieferten Bild einer Grenzenlosigkeit und Alterität Afrikas entgegentritt und der viele Anregungen für die Beschäftigung mit der Geschichte von Kommunikations- und Erinnerungsräumen auch in anderen Weltregionen gibt.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a.: Möhle, Heiko (Hg.), Bibeln, Branntwein und Bananen. Eine Spurensuche in Hamburg, Hamburg 1999; Van der Heyden, Ulrich; Zeller, Joachim (Hgg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002.
2 Kapuściński, Ryszard, Afrikanisches Fieber. Erfahrungen aus vierzig Jahren, Frankfurt am Main 1999, zit. nach dem Beitrag von Susann Baller, S. 222.

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