Cover
Titel
13. August 1961: Mauerbau. Fluchtbewegung und Machtsicherung


Autor(en)
Eisenfeld, Bernd; Engelmann, Roger
Erschienen
Bremen 2001: Edition Temmen
Anzahl Seiten
120 S.
Preis
€ 13,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Potratz

Der vorliegende Band erschien anlässlich des 40. Jahrestages der Errichtung „der Mauer“ in Berlin am 13. August 1961. Die beiden Autoren sind Mitarbeiter der „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik” (BUSt).

Die Errichtung der Sperranlagen in Berlin wird eingebettet in die Entwicklung der „Berlin-Krise” von 1958 bis 1963, und zugleich wird ein besonderer Akzent auf die Entwicklung der Fluchtbewegungen aus der DDR in die Bundesrepublik von 1949 bis 1961 gesetzt. Ausführlicher werden besonders tragische und auch spektakuläre Fluchten in der ersten Zeit nach dem Bau der Mauer beschrieben. Hierzu zählt der Tod von Günter Litfin. Der junge Schneider versuchte am 24. August 1961 schwimmend durch den Berliner Humboldt-Hafen zum westlichen Ufer zu gelangen. Angehörige der Ostberliner Transport- und der Schutzpolizei schossen mehrfach mit Pistolen und Maschinenpistolen ins Wasser und trafen ihn tödlich. Erfolgreiche Fluchtversuche mit einem Ausflugsdampfer oder einem leeren Zug illustrieren jene Phase, in der das Grenzsperrgebiet um West-Berlin noch nicht völlig dicht war und deshalb einzelne Personen die Chance hatten, verhältnismäßig unauffällig an die Sperranlagen zu gelangen und sie zu überwinden.

Der reichhaltig bebilderte und mit Nachdrucken von Dokumenten versehende Band gibt den aktuellen Stand der Forschung zur Berlin-Krise wider. So entstand ein sehr anschauliches Lesebuch, welches breitere Interessentenkreise anspricht und ausführlicher als die gängigen Broschüren und Faltblätter die Genese des Baus der Mauer in Berlin erklärt und ihre tödlichen Konsequenzen für deren Bezwinger sowie die zur politischen Ohnmacht verurteilten Westberliner beschreibt.

Vor allem der Versuch, differenzierter die Entwicklung der „Republikfluchten” in den Jahren 1949 bis 1961 zu analysieren, hebt den Band von anderen populärwissenschaftlichen Publikationen zum Thema ab. Zugleich erscheinen jedoch einige Erklärungsversuche zur Entwicklung der Flüchtlingszahlen als zu eindimensional, weil hier vor allem politische Motive unterstellt werden. 1953 z.B. verließen insgesamt 330.000 Menschen die DDR. Eine Ursache hierfür waren zweifelsfrei die Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 und die seit Mai 1952 eingeleiteten Maßnahmen der SED-Führung, die zu einer rapiden Verschlechterung der Lebensbedingungen der DDR Bevölkerung und zur gezielten Verfolgung einzelner Gruppen geführt hatten.

Doch dies waren weniger Folgen des Beschlusses der 2. SED-Parteikonferenz zum „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ in der DDR als u.a. die radikalen Militarisierungsprogramme, die die KPdSU-Führung im April und Mai 1952 festgelegt hatte. Die Enteignung von Landwirten, die die überhöhten Abgaben nicht liefern konnten, trafen zwar die „Großbauern“, doch sollten sie der SED helfen, das Haushaltsdefizit auszugleichen. Der Aufbau der Rüstungsindustrie und die Werbung junger Arbeiter für den „Dienst für Deutschland“, für die Kasernierte Volkspolizei und die Grenzpolizei standen im Widerspruch zum Arbeitskräftebedarf der volkseigenen Industrie. Der von Zwangsmaßnahmen begleitete Abschluss der Kollektivierung der Landwirtschaft 1960 bewog auch viele bis dahin erfolgreich wirkende private Landwirte, die DDR zu verlassen.

Die verstärkte ideologische Ausrichtung der Universitäten nahm nicht-kommunistischen Wissenschaftlern letztendlich die wissenschaftliche Perspektive und Karrieremöglichkeiten wenn nicht sogar die Existenz, weshalb sicher viele nach Alternativen im anderen Teil Deutschlands suchten. Doch die große Gruppe junger Fach- und Industriearbeiter, die nach dem Juni 1953 eher zu den Privilegierten der Fürsorge des Regimes zählte, dürfte wohl eher aus Mangel an persönlich-wirtschaftlichen Perspektiven den Weg in den boomenden Weststaat eingeschlagen haben. Insbesondere der von Chruschtschow 1958 propagierte Wettlauf der Systeme im Bereich des persönlichen Lebensstandards legte jedem Industriearbeiter den direkten Konsumvergleich nahe.

Ulbrichts eigenes Bekenntnis gegenüber Chruschtschow, dass die offene Grenze die DDR zu Löhnen zwinge, die weit über der Produktivitätsentwicklung lägen und trotzdem die Arbeiter nicht binden können, mag hierfür ein Indiz sein. Der Mangel an persönlichen Zukunftschancen ist ein legitimes Motiv zum Verlassen eines Staates und von daher nicht weniger akzeptabel als die Flucht aus Gründen der direkten politischen Verfolgung.

Ein Nebenaspekt wird daher mehr im Überblick im Abschnitt über die Fluchtbewegung aus der DDR zusammengefasst: die Entwicklung des Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze. Hier sind allerdings einige Ungenauigkeiten und einseitige Interpretationen zu korrigieren. Das Jahr 1952 bildete eine signifikante Zäsur in der Auseinanderentwicklung der beiden deutschen Staaten und führte zur Tiefensicherung des Grenzregimes nach sowjetischen Vorgaben. Doch dies war wohl weniger eine Folge der Fluchtbewegung als Teil der sowjetischen Konfrontationsstrategie für den Fall der Integration der Bundesrepublik in das westeuropäisch-atlantische Wirtschafts- und Militärbündnis – denn die Pläne des Grenzregimes entwickelte die Sowjetische Kontrollkommission (SKK). Opfer dieser Maßnahmen waren die Bewohner des neu geschaffenen Sperrgebietes – auch wenn einige nicht ausgesiedelt wurden.

Der pioniertechnische Ausbau, die Verlegung der Minen, der Bau zahlreicher Grenzzäune und Gräben begannen erst im Winter 1961 bzw. in den 1970er Jahren und gehörten zu späteren Phasen der Grenzsicherung. Sie waren ausschließlich zur Verhinderung von Fluchten errichtet worden. Die im Mai und Juni 1952 durchgeführten Zwangsaussiedlungen aus dem neu geschaffenen Sperrgebiet an der Demarkationslinie setzten am 29. Mai ein. Sie hatten nach bisherigen Kenntnissen nur beim MfS in Thüringen den Codenamen „Aktion Ungeziefer“ – in den Akten anderer Länder und der SED sowie der Polizei findet man andere Bezeichnungen.

Der materialreiche Band eignet sich angesichts der knappen Aufbereitung des Forschungsstandes und mit seinen vielen Fotos und Dokumenten gut für den Einsatz in der politischen Bildung innerhalb und außerhalb der Schule.

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