F. Kießling u.a. (Hrsg.): Bilder für die Welt

Cover
Titel
Bilder für die Welt. Die Reichsparteitage der NSDAP im Spiegel der ausländischen Presse


Herausgeber
Kießling, Friedrich; Schöllgen, Gregor
Reihe
Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 61
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hensle, Stadtarchiv Herten

„Bilder für die Welt“, mit diesem sprechenden Titel legen die Herausgeber Gregor Schöllgen, Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Erlangen, und Friedrich Kießling, Wissenschaftlicher Assistent in Erlangen, eine Untersuchung über die „Reichsparteitage der NSDAP im Spiegel der ausländischen Presse“ vor. Vergleichbar der Olympiade 1936, der (sport)politischen NS-Propagandainszenierung, zielten diese gewaltigen alljährlichen Selbstdarstellungen des Regimes darauf, nachhaltigen Eindruck sowohl nach innen als auch nach außen zu machen. Ob und inwieweit sich die Auslandspresse beeindrucken ließ, ist Gegenstand der vorliegenden Publikation, für die die Herausgeber im Vorwort den Anspruch erheben, dass damit „die Reaktionen ausländischer Beobachter auf die Reichsparteitage der NSDAP erstmals in systematischer Form“ untersucht worden seien.

Für die jeweiligen Presselandschaften (Zeitungen und Zeitschriften) wurden sechs Autoren gewonnen: Detlev Clemens (Großbritannien), Claus W. Schäfer (Frankreich), Sylvia Taschka (USA), Martin Kastler (Tschechoslowakei), Antonie Beck (Italien) und Matthias Stadelmann (Sowjetunion). Mitherausgeber Friedrich Kießling widmete sich der Presse Österreichs und zeichnet für die Einführung verantwortlich. Warum gerade auf die Untersuchung der Presse der neutralen Schweiz verzichtet wurde, bleibt ebenso ein Geheimnis der Herausgeber wie der Verzicht auf die Untersuchung der Presse Polens, immerhin erstrangiges Subjekt und Objekt in der Außenpolitik des nationalsozialistischen Deutschlands. (Deutsch-polnischer Nichtangriffspakt 1934, Mitwirkung an der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938 und erstes Kriegsopfer 1939).

Angesichts der genannten Länder ist mit einer völlig unterschiedlichen Presselandschaft zu rechnen, von einer pluralistisch angelsächsischen über eine zensierte bis hin zur staatlich gelenkten. Darauf weisen die jeweiligen Autoren eingangs hin. Gleichzeitig liefern sie einen nützlichen Überblick über die vorherrschende Pressesituation. Leisten die Untersuchungen darüber hinaus noch mehr? Zunächst wird in der Regel quantitativ auf die Presseerwähnungen der Reichsparteitage eingegangen. Bezüglich der US-Presse bietet Sylvia Taschka sogar ein statistisches Schaubild (S. 89). Vornehmlich wird die Parteitagsberichterstattung natürlich inhaltlich analysiert. Dabei erfährt der Leser auch manch interessantes Detail, beispielsweise dass die österreichischen Zeitungsleser bis 1936 „kein Bild aus Nürnberg“ zu sehen bekamen (S. 135) und bei der sowjetischen Berichterstattung „der völlige Verzicht auf Fotografien“ auffallend sei (S. 184). Der „Austrofaschimus“ fürchtete sich wohl, mit Bildern ähnlicher Inszenierungen konfrontiert zu werden und die Sowjetunion wollte offenbar jegliche Assoziationen von vornherein unterbinden.

Bemerkenswert ist die unterschiedliche Wahrnehmung der „Nürnberger Gesetze“, die im Anschluss des Reichsparteitags 1935 vom Reichstag vor Ort beschlossen worden waren. Fast alle österreichischen Zeitungen „druckten die Gesetze im Wortlaut ab“, aber nicht alle „erkannten sogleich die Bedeutung der Reichstagsbeschlüsse bzw. wollten diese erkennen“, so die Analyse bei Friedrich Kießling (S. 134). „Einigkeit hingegen herrschte unter den britischen Zeitungen in der Kritik und Ablehnung der antisemitischen ‚Nürnberger Gesetze’“, lautet der Befund bei Detlev Clemens (S. 38). Sylvia Taschka zufolge sind die Nürnberger Gesetze in der US-Berichterstattung des Jahres 1935 „auch das dominierende Thema“ (S. 82). Martin Kastler konstatiert für die Tschechoslowakei ähnliches (S. 105). Dagegen wurde die Verkündung der Nürnberger Gesetze von Italiens Presse, auch vom Kirchenblatt Osservatore Romano, laut Antonie Beck „nicht zur Kenntnis genommen“ (S. 170). In der Sowjetpresse wurden diese, nach Matthias Stadelmann, als „nationalsozialistische Phobien“ des Parteitags, als beispielhaft für das Nazi-Feindbild des „Juda-Marxismus“ wahrgenommen (S. 199, Fn. 57).

Da Claus W. Schäfer Frankreichs Rezeption der Parteitage nicht chronologisch, sondern entlang von Presseorganen untersucht, ist das Thema „Nürnberger Gesetze“ hier schwerer zu fassen. So gab etwa die kommunistische Zeitung „L´Humanité“ „auch die vom Reichstag verabschiedeten ‚Rassegesetze’ wieder“ (S. 53), mehr ist jedoch hierüber nicht zu erfahren. Auch in der linksgerichteten Zeitung „L´Œuvre“ „erfuhren die in Nürnberg verabschiedeten Rassegesetze keinerlei Kommentierung“ (S. 55f.), ebenso beim konservativen „L´Echo de Paris“: „Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen allerdings nicht die in Nürnberg verabschiedeten Rassegesetze, sondern die gleichzeitig vorgenommene Erhebung der Hakenkreuzfahne vom Partei- zum Staatssymbol“ (S. 64). In Schäfers Zusammenfassung kommt die genannte Thematik dementsprechend gar nicht mehr vor. Dafür wird deutlich, dass in Frankreich fast ausnahmslos alle Medien bei der Berichterstattung über die NS-Reichsparteitage auf religiöse Erklärungsmuster zurückgegriffen hatten (S. 73).

Damit sind wir bei grundsätzlichen Deutungsversuchen der nationalsozialistischen Parteitage angekommen. Diese werden auch von Friedrich Kießling in seiner Einleitung als Propagierung des NS-Gesellschaftskonzepts dargestellt: als Fiktion der „rassisch, politisch und sozial geeinten Volksgemeinschaft“ einschließlich des Führermythos. Und schließlich gehöre „zur ‚Ästhetisierung der Politik’ im Nationalsozialismus die mediale Inszenierung“ (S. 4). Die hier vorgenommene Betonung der „politischen Ästhetik“ der Reichsparteitage ist allerdings genau so wenig neu wie die sonstigen Ergebnisse: Natürlich verfehlte der „Lichtdom“ aus Hunderten von Flakscheinwerfern am Nürnberger Himmel nicht seine Wirkung, ebenso wenig der Aufmarsch Zehntausender oder gar die raffinierte Propagandaästhetik Leni Riefenstahls in „Triumph des Willens“. Zugleich muss jedoch auch Friedrich Kießling konstatieren, dass die meisten ausländischen Beobachter die „kritische Distanz“ wahrten. Zu stark sei „die abschreckende Wirkung der in Nürnberg demonstrierten Gewaltbereitschaft oder der Eindruck von radikalisierten, emotionalisierten Massen“ gewesen (S. 20f.). Dies provoziert die Frage, welchen Stellenwert die Reichsparteitage im jeweiligen Bild vom nationalsozialistischen Deutschland einnahmen, zumal es, wie Kießling selbst anmerkt, noch einige Faktoren mehr gab, die das Deutschlandbild prägten: Der „Judenboykott“ 1933, der sogenannte „Röhmputsch“ 1934, die Olympiade 1936 und der Einmarsch ins demilitarisierte Rheinland sind nur einige, die er anführt, um letztlich doch zu dem Schluss zu kommen: „Die Reichsparteitage hatten begonnen, das Bild des nationalsozialistischen Deutschland in der Welt zu prägen.“ (S. 22f.)

Mitherausgeber Kießling verkennt nicht die Problematik, das Deutschlandbild im Ausland quasi aus dem ausländischen Presseberichten zu den Reichsparteitagen herauszuextrahieren, denn er stellt klar: „Eine umfassende Darstellung über die Wahrnehmung des nationalsozialistischen Deutschland im Ausland ist ein Desiderat der Forschung.“ Weiter fügt er an: „Eine solche Arbeit müsste nicht nur die Vielzahl entsprechender Einschätzungen, sondern auch politische Bedingungen, die Strukturen der jeweiligen Öffentlichkeit oder die Traditionen der vorhandenen Deutschlandbilder berücksichtigen.“ Als Ausweg aus dem methodischen Dilemma hält Friedrich Kießling unter Verweis auf Untersuchungen zum Novemberpogrom 1938 eine „vergleichende Untersuchung eines bestimmten Aspekts“, also hier der Reichsparteitage im Spiegel der ausländischen Presse, durchaus für machbar (S. 10).

So stellt sich anhand der Methodik nochmals die Frage nach den Ergebnissen, wobei hier nicht bezweifelt werden soll, dass die Zeitungen hinsichtlich der Reichsparteitagsberichte gründlich ausgewertet worden sind und, wie oben gezeigt, der ein oder andere neue Aspekt vorgewiesen werden kann. Um noch einmal das Beispiel mit der statistischen Auswertung der US-Presse aufzugreifen: Was nützt es dem Leser, wenn er weiß, dass es der Reichsparteitag von 1934 jeweils einmal geschafft hat, auf die Titelseite der „New York Times“ und der „Washington Post“ zu kommen, wenn er nicht weiß, welche anderen Meldungen aus Nazi-Deutschland ebenfalls derart beachtet worden sind? Hier bedarf es der vergleichenden Darstellung, um den Sachverhalt einordnen zu können. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass zumindest einige der Autoren genau damit Schwierigkeiten haben, zumal es sich nicht nur um ausgewiesene Kenner des Nationalsozialismus handelt. Anders ist nicht zu erklären, warum der sogenannte „Röhm-Putsch“ bei Claus W. Schäfer als „Ermordung u.a. der SA-Führung mit Hilfe der Wehrmacht“ (!) (S. 59) und bei Sylvia Taschka als Gewalttat, bei der „Hitler Oppositionelle aus den eigenen Reihen ermorden ließ“ (S. 75f.), erläutert wird.

Um zu verhindern, dass ein Zerrbild entsteht, genügt es eben nicht, eine Quellenkategorie isoliert auszuwerten. Unabdingbar ist das quellenkritische Hinterfragen, das heißt konkret die Frage nach der Rezeption der untersuchten Zeitungsberichte. Wie und von welchen Bevölkerungsteilen wurden die Berichte rezipiert, welche Wirkungen hatten sie auf politische Entscheidungsträger? Wie sah die Berichterstattung im Rundfunk und in Wochenschauen aus? Welche Radiokommentare gab es? Sicherlich kann von einem kleinen Autorenteam nicht erwartet werden, die gesamte Bandbreite an Medienäußerungen hinsichtlich der NS-Reichsparteitage zu untersuchen. Aber etwas mehr hätte schon geboten werden können, als sich weitgehend auf reine Inhaltsangaben diverser Septemberzeitungsausgaben aus sieben ausgesuchten Ländern zu beschränken. Positiv ist dagegen hervorzuheben, dass mit der vorgelegten Studie ein wichtiges Detail medialer Wahrnehmung des nationalsozialistischen Deutschland freigelegt worden ist. Dieses kann Ausgangspunkt sein für notwendige weitere Forschungen zu den Fragen, die die Studie aufgeworfen hat, aber nicht zu beantworten vermochte.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension