S. Behrenbeck; A. Nützenadel (Hg.): Inszenierungen des Nationalstaats

Cover
Titel
Inszenierungen des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/1871


Herausgeber
Behrenbeck, Sabine; Nützenadel, Alexander
Reihe
Kölner Beiträge zur Nationsforschung 7
Erschienen
Köln 2000: SH-Verlag
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
DM 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Berger Waldenegg, Georg Christoph

Unter dem Titel “Inszenierungen des Nationalstaats” liegt nun ein Sammelband vor, der auf eine Anfang 1998 abgehaltene einschlägige Tagung der Werner Reimers-Stiftung zurückgeht. Es handelt sich hiermit um ein Thema, das zweifellos generell “Hochkonjunktur” besitzt, wie die Historikerin Roberta Suzzi Valli in ihrem Beitrag feststellt (113). Abgehandelt wird es in insgesamt zehn Beiträgen, denen ein einleitender und vergleichend angelegter Aufsatz der beiden Herausgeber Sabine Behrenbeck und Alexander Nützenadel vorangestellt ist. Der zeitliche Rahmen reicht bis heute, angefangen vom Zeitpunkt der jeweiligen Nationalstaatsgründungen (1860 für Italien, wobei bis auf 1851 zurückgeblickt wird, beziehungsweise 1871 für Deutschland).

Behrenbeck und Nützenadel springen mit ihrer Publikation also auf einen fahrenden Zug auf. Doch beschleunigen sie diesen gleichsam auch, indem sie ihm eine bereits verschiedentlich geforderte, bislang aber kaum eingelöste Komponente beifügen: Eine vergleichende Perspektive. Die Wahl ist hierbei nicht, wie sonst zumeist der Fall, auf Deutschland und Frankreich gefallen. Vielmehr stehen Deutschland und Italien im Mittelpunkt des Interesses. Dabei ist das inhaltliche Gewicht gleichmäßig verteilt: Beiden Ländern sind jeweils fünf Beiträge gewidmet. Diese Fokussierung erscheint infolge mehrerer “historischer Parallelen” zwischen diesen Staaten (Behrenbeck/Nützenadel, 12) plausibel, und sei es auch nur infolge ihres gemeinsamen, wenn auch heuristisch manchmal überstrapazierten Schicksals als “‘verspätete Nationen’”, worauf der Autor einer der Einzelbeiträge, Carlo Campani, verweist (171).

In komparativer Hinsicht hebt sich das vorliegende Werk wohltuend von manch anderen prinzipiell komparativ und zeitlich übergreifend angelegten Sammelbänden ab. So beschäftigen sich zum einen zwar insgesamt drei Aufsätze mit den beiden vermeintlich interessantesten Epochen des deutschen Nationalsozialismus beziehungsweise des italienischen Faschismus: Suzzi Valli untersucht “Jugendfeiern im faschistischen Italien” (113-126), Alexander Nützenadel “Staats- und Parteifeiern im faschistischen Italien” (127-148) und schließlich Sabine Behrenbeck die “Feierpraxis im nationalsozialistischen Deutschland” (149-170). Doch wird ähnlich großer Raum sowohl der Zeit davor wie auch danach gewidmet. Dies bewirkt die starke Akzentuierung einer vergleichenden Perspektive; Kontinuitäten, aber auch Brüche werden deutlicher sichtbar.

Zudem versuchen Behrenbeck und Nützenadel in ihrer Einleitung einzelne Beiträge aufeinander zu beziehen; doch auch die meisten Autoren der Einzelbeiträge blicken immer wieder auf die Entwicklung im jeweils anderen Land, obgleich unsystematisch und teilweise nur sehr punktuell. Insofern nehmen sie also sehr wohl - anders, als Behrenbeck und Nützenadel meinen - “direkte Vergleiche” vor (15). Ein substantieller, zumal zeitlich übergreifender Vergleich bleibt allerdings zwangsläufig aus. Verantwortlich hierfür zeichnet der zurecht konstatierte “Mangel an Spezialisten, die gleichermaßen in der deutschen wie in der italienischen Geschichte beheimatet sind” (15).

Dabei verweist der Begriff Inszenierung darauf, worum es eigentlich geht: Nämlich um die bewußte propagandistische Zurschaustellung einer bestimmten politisch-ideologischen Idee, wenn nicht Programmatik, die zuweilen durchaus den Charakter einer Art “politischen Religion” annehmen konnte (so etwa Suzzi Valli; zu einer indirekten Kritik an diesem Konzept, bezogen auf das Italien Mussolinis, siehe Alexander Nützenadel, 127-130; zu seiner Verteidigung, bezogen auf das Deutschland Hitlers, siehe Sabine Behrenbeck, 149-150). Dies muß bei der Lektüre der einzelnen Beiträge bedacht werden, da man manchmal gerne mehr über die Wirkung dieser Inszenierungen auf die Bevölkerung wissen würde. Zwar ist in der Tat nicht daran zu zweifeln, daß solche Inszenierungen prinzipiell dazu in der Lage sind - egal in welcher Form - “Gruppenbindungen zu verstärken” und ein “Gemeinschaftserlebnis zu erlauben” (Behrenbeck/Nützenadel, 13).

Es bleibt aber die Frage, wie sehr dies jeweils der Fall ist. Hierüber erfährt man eher wenig. Überdies befriedigen die dazu gemachten Ausführungen nicht immer. So begnügt sich Volker Ackermann mit nur zwei Quellennachweisen, um zu zeigen, “inwiefern die Absicht, Trauergefühle und Ehrfurcht vor dem Herrscher zu wecken, tatsächlich aufging” (93f.). Doch handelt es sich hierbei aufgrund des Fehlens eines auch nur annähernd “exakten ... wissenschaftlichen Kriteriums” zur Messung dieser Wirkung (Suzzi Valli, 124) wohl um das heuristisch schwierigste Problem. Wenigstens einige Autoren sind sich hierüber auch bewußt. Meint freilich Nützenadel, bezogen auf den von ihm behandelten Aspekt, “gesicherte Erkenntnisse” würden “nicht vorliegen” (146), darf gefragt werden, inwiefern sie überhaupt gewonnen werden könnten.

Nun läßt sich die Idee des Nationalstaates durchaus unterschiedlich beziehungsweise an unterschiedlichen Objekten in Szene setzen: Die Autoren beschäftigen sich speziell mit “Politischen Feiern”, fassen dieses Konzept aber durchaus weit. Es geht also um Feiern aller Art, ja eigentlich um “Feste und Feiern”, wie Behrenbeck und Nützenadel auch in ihrer Einleitung betonen (13), in der sie zugleich den allgemeinen Forschungsstand aufarbeiten, ihr Thema in den historischen Kontext einordnen und darüber hinaus den Aufbau sowie die aus ihrer Sicht wichtigsten Ergebnisse des Bandes darlegen (9-26). Ute Schneider behandelt beispielsweise den “Sedantag im Kaiserreich” (27-44) und Ilaria Porciani das Begehen des “Verfassungsfestes in Italien” zwischen 1851 und dem Ersten Weltkrieg, wobei sie den großen Einfluß der Kirche trotz eines zumeist dezidiert laizistischen Selbstverständnisses der Staatsführung äußerst überzeugend heraus arbeitet (45-66).

Aber nicht nur gleichsam mit positiven Assoziationen verbundene Feste beziehungsweise Feiern werden thematisiert. So untersucht Bruno Tobia das feierliche Gedenken an die “Toten der Nation” zwischen 1870 und 1921, also dem Durchbruch des Faschismus, (67-86), Ackermann hingegen parallel die “funerale Signatur von nationalen Totenfeiern” in Deutschland von Wilhelm I. bis Willy Brandt.

Die einzelnen Artikel umfassen zumeist große Zeiträume. Deshalb kann vieles nur andeutungsweise skizziert, anderes wiederum gar nicht behandelt werden. Doch strebten Behrenbeck und Nützenadel von vornherein keine annähernde Vollständigkeit an, sondern trafen eine bewußte “Auswahl”. Als übergeordnetes inhaltliches Kriterium diente ihnen die “zentrale Bedeutung” begangener Feste “für die Inszenierung der Nation” (14). Diesem Anspruch werden die einzelnen Beträge ebenso gerecht wie dem überdies postulierten Anspruch, miteinander “vergleichbare Feieranlässe” untersuchen zu lassen (14). Deutlich erhellen dies jene drei Aufsätze, die den Jahren nach 1945 gewidmet sind. Hier wird erstens das “Gedenken an den antifaschistischen Widerstand im republikanischen Italien” analysiert (Carlo Campani, 171-190), zweitens der “8. Mai und der 17. Juni in der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur” (Edgar Wolfrum, 221-243) sowie schließlich drittens “Politische Feier- und Gedenktage der DDR” (Monika Gibas, 191-220).

In inhaltlicher Hinsicht verdient also das Unternehmen - und verdienen damit auch die einzelnen Beiträge - reichlich Lob. Dies gilt, obgleich sie nicht alle überwiegend neue Erkenntnisse enthalten, wie jener von Suzzi Valli. Einige der Autoren haben bereits über den von ihnen analysierten Aspekt publiziert, teilweise auch in wesentlich ausführlicherem Umfang. Dies betrifft etwa den Beitrag Ackermanns oder auch jenen Porcianis.

Formal gesehen, ist allerdings partiell leichte Kritik angebracht. Dies betrifft wohlgemerkt nicht die äußere Form: Druckfehler finden sich kaum. Gemeint ist vielmehr vor allem die Behandlung des jeweiligen Forschungsstandes und der Quellenlage. Der Forschungsstand wird immerhin zuweilen dargelegt (so etwa in den Beiträgen von Tobia und Nützenadel, 127f.; besonders eindringlich Wolfrum, 223-228), während andere Autoren auf Forschungsdesiderate hinweisen (siehe etwa Schneider, 41; Ackermann 112). Doch auf die Quellenlage geht kaum ein Autor direkt ein (für eine Ausnahme siehe Porciani, 45). Dies ist um so bedauerlicher, als sämtliche Beiträge überwiegend mit Quellen arbeiten, oft auch unter Benützung bisher unveröffentlichten Archivmaterials.

Auch enthalten fast alle Beiträge eine oder mehrere Illustrationen. Sie stehen freilich recht unvermittelt neben dem Text, zeichnen sich nicht durch besondere Originalität aus und hätten zumindest einer gewissermaßen ikonographischen Entschlüsselung bedurft, um dem Leser ihre Bedeutung besser verständlich zu machen.

Der Umfang der Anmerkungsapparate läßt ebenfalls oft zu wünschen übrig. Häufig werden vor allem Zitate nachgewiesen, historische Zusammenhänge, die bestenfalls Experten vertraut sein dürften, hingegen nicht. Oftmals wird eine Aussage auch nur mit einem Literatur- oder Quellenhinweis belegt. Dies wirft nicht selten Fragezeichen hinsichtlich ihrer Repräsentativität auf. Daran vermag auch der Hinweis auf nur “in Auswahl zitierte Quellen und Zeugnisse” (Suzzi Valli, 125) nichts zu ändern. Ob diese Beschränkungen auf den Wunsch der Herausgeber Behrenbeck und Nützenadel beziehungsweise des Verlags zurückgehen oder in der freien Entscheidung der einzelnen Autoren lagen, muß dahingestellt bleiben.

Schließlich betonen Behrenbeck und Nützenadel in ihrem Vorwort ausdrücklich die große Bedeutung der Diskussionsbeiträge “weiterer Experten” während der Tagung (7). Insofern wäre es von großem Interesse, diese wie auch die Reaktionen der Referenzen nachlesen zu können, und sei es auch nur in reduzierter Form. Dieses abschließende und etwa in Österreich nicht so ausgeprägte Defizit kann freilich auf die Publikation von Tagungsbänden in Deutschland generell bezogen werden. Die grundsätzlich hohe inhaltliche wie formale Qualität des vorliegenden Bandes schmälert dies ebenso wenig wie die anderen aufgezeigten Mängel.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension