Titel
Kultfigur und Nation. Öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London 1848-1914


Autor(en)
Rausch, Helke
Reihe
Pariser Historische Studien 70
Erschienen
München 2005: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
797 S.
Preis
€ 79,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gundula Bavendamm, Taunusstein

Die kulturhistorische Forschung boomt und hat längst auch in die Nationalismusforschung Einzug gehalten. Trotz zahlreicher Studien gibt es immer noch Forschungslücken. Insbesondere an vergleichenden Arbeiten gibt es nach wie vor Bedarf. Bemerkenswert ist daher die Heidelberger Dissertation von Helke Rausch über die Entstehung und Rezeption personenbezogener Denkmäler in Berlin, London und Paris im Zeitraum von 1848 bis 1914. Im Zentrum der vergleichenden Studie steht die Frage nach der Funktion und Bedeutung von „Kultfiguren“ für das Selbstverständnis der deutschen, britischen und französischen Nation im „langen 19. Jahrhundert“. Personendenkmäler und deren öffentliche Inszenierung waren wichtige Kristallisationspunkte für das aufkeimende Nationalgefühl – so die zentrale These des Buches, das Kriegerdenkmäler bewusst ausnimmt.

Ihr theoretisches Koordinatensystem knüpft Rausch einleitend aus den kulturhistorischen Nationalismuskonzepten von Eric Hobsbawm und Terence Ranger 1, Benedict Anderson 2 und Alan Confino. 3 Hinzu kommen die „dichte Beschreibung“ von sozialen Praktiken (Clifford Geertz) und der kultursoziologische Ansatz von Pierre Bourdieu. Ihre Länderauswahl begreift Rausch als Instrument, um die Tragweite der sattsam bekannten und gleichermaßen veralteten Gegensatzpaare westlicher demokratischer Nationalismus/autoritärer deutscher Nationalismus bzw. französische Kulturnation/deutsche Staatsnation zu überprüfen – eine Frage, die am Ende des Buches leider nicht wieder aufgegriffen wird. Gleichwohl sieht Rausch sich selbst einer nichtnormativen, europäischen „Geschichte von lauter Sonderwegen“ (Hagen Schulze) verpflichtet. Wie beides zusammenpasst, wird nicht ganz klar. Es ist die Vergleichsanordnung, mit der Rausch ihre Leitfrage selbst konterkariert. Allzu offensichtlich liegt die Geschichte der britischen Nation in wesentlichen Punkten quer zur chronologischen Grundstruktur des Buches. 1848 gab es in England keine Revolution, 1870/71 markierte keine historische Zäsur wie in Deutschland und Frankreich, britische Kriegserfahrungen blieben auf die Kolonien beschränkt, ein politischer Systemwechsel fand in London nicht statt. Insofern überrascht es nicht, dass der Vergleich starke Parallelen zwischen Deutschland und Frankreich zutage fördert und London zumeist den Sonderfall darstellt. Es spricht viel dafür, dass Rom letztlich die interessantere Vergleichsmetropole gewesen wäre.

Auf einer breiten Grundlage von Archivalien und gedruckten Quellen führt Rausch durch die Denkmaltopografien der drei Metropolen. Den Fallanalysen vorgeschaltet ist ein Kapitel über die politischen, administrativen und sozialen Rahmenbedingungen. In allen drei Ländern wurden Denkmalprojekte durch Exekutivorgane und städtische Gremien kontrolliert. Besonders die preußischen Monarchen tendierten dazu, auch in laufende Denkmalprojekte nach ihrem Gusto einzugreifen. Grenzübergreifend gingen die Initiativen von Stiftungskomitees aus. In London waren die Militärs am stärksten präsent, in Berlin dominierte das Bildungsbürgertum. An der Seine beteiligten sich in manchen Fällen auch Literaten, Wissenschaftler oder Journalisten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen waren Denkmalprojekte transnational eine exklusiv männliche Angelegenheit, Stifterinnen traten so gut wie nicht in Erscheinung.

Der Hauptteil des Buches ist chronologisch gegliedert. Zwischen 1848 und 1870 (Teil 1) entstanden in den drei Ländern insgesamt nur 36 Denkmäler. In Frankreich bezog sich der größte Teil der „Kultfiguren“ auf das Premier Empire. Die Symbolpolitik Napoleon III. zielte darauf ab, die Niederlage von 1814/15 zu kompensieren und an die glorreiche Vergangenheit der „Grande Nation“ anzuknüpfen. Weithin sichtbar wurde 1863 der „petit caporal“ auf der Vendôme-Säule gegen eine Napoleonfigur im Imperatorenkostüm ausgetauscht. Die Hohenzollern setzten mit ihrer frühen Denkmalpolitik ein antirevolutionäres Signal. Unter demonstrativer Auslassung der Revolution wurden 1849 und 1851 Standbilder von Friedrich Wilhelm IV. (Tiergarten) und Friedrich II. (Unter den Linden) eingeweiht. Im Vergleich mit Berlin und Paris entwickelte sich der Denkmalkult an der Themse nur sehr zögernd. Wichtige nationalgeschichtliche Bezugspunkte bei der Aufstellung von „Kultfiguren“ waren die frühindustrielle Reformpolitik und der Kolonialismus.

Personenbezogene Denkmäler entstanden ganz überwiegend zwischen 1870 und 1914 (Teil 2), 162 hat Rausch analysiert. Eine Stärke des Buches sind die detaillierten Beschreibungen der großen Denkmalseinweihungen des 19. Jahrhunderts. Die Beteiligung von „Volk“, „peuple“ und „ordinary crowd“ vollzog sich in allen drei Ländern nach sorgfältig durchdachten Regeln. Monarchie, Exekutive, Armee und Klerus dominierten die öffentliche Kultpraxis. Der sorgfältig orchestrierte Aufmarsch von bis zu 22.000 Handwerker-, Studenten- und Arbeitervertretern ergab große „tableaux vivants“ der geeinten Nation – und spiegelte doch stets ein hierarchisches, berufsständisch und politisch gegliedertes Gesellschaftsmodell, das linke und rechte Extreme ausschloss. Wenn 1899 ein Arbeiter die Hülle vom Cromwell-Denkmal zog, so wegen Personalnotstand in der Londoner Stadtverwaltung und nicht, weil man eine demonstrative Integrationsgeste machen wollte. Wenn im selben Jahr in Paris sechzig Frauen mit „roten Mützen“ am Festzug zur Einweihung des République-Denkmals an der Place de la Nation teilnahmen, so war das eine einmalige Angelegenheit.

Rauschs Studie ist nicht ohne Schwächen. Die chronologisch-systematische Gliederung, die sich an den für Frankreich und Deutschland relevanten historischen Zäsuren des 19. Jahrhunderts einerseits und an den Themenschwerpunkten der Nationalismusdebatte andererseits orientiert, zerreißt aufschlussreiche Zusammenhänge. Die räumliche Dimension der Denkmalerrichtungen, die von Monarchie, Exekutive und Stiftungskomitees gezielt betriebene Verdichtung spezifischer Erinnerungsareale im Zusammenspiel von „Kultfiguren“ und Repräsentationsarchitektur innerhalb der Hauptstädte – so z.B. das Gebiet vom Pariser Platz bis zum Stadtschloss mit der „Erinnerungsmeile“ Unter den Linden in Berlin – teilt sich eher zwischen den Zeilen mit. Gerade an diesen Stellen aber gerät die Darstellung auf einmal plastisch, wird unmittelbar einleuchtend, dass sich die nationalen „Kultfiguren“ und ihre Inszenierung immer auf einen konkreten innerstädtischen Raum bezogen, zu näheren und weiter entfernteren Personendenkmälern, Gebäuden, Plätzen und Straßenachsen in Beziehung standen und ihre nationale Bedeutung innerhalb eines solchen Terrains entfalteten. Umso mehr vermisst man historische Innenstadtpläne der Metropolen, die die untersuchten Denkmale verzeichnen. Stattdessen sind die Leser/innen mit einer bald ermüdenden Abfolge von Denkmalinitiativen, Einweihungszeremonien und den anschließenden Pressekommentaren konfrontiert. Zum anderen suggeriert die Gliederung eine Vielfalt der Themen, die der Realität der Denkmalkultur nicht wirklich entspricht. Vor allem die Reichweite der Themenkreise „Nation und Militär“ (Teil 1) und „Nation und Krieg“ (Teil 2) gehen weit über die gleichnamigen Kapitel hinaus. Im Kapitel „Nation und Fortschritt“ (Teil 1) beispielsweise geht es vorrangig um die Einweihung eines Denkmals für Dominique Larrey, Militärarzt Napoleon I., so dass „unversehens die napoleonischen Kriege“ (S. 242) den interpretatorischen Kontext abgeben. Insgesamt handelt es sich um ein durch und durch solides Buch, das einen interessanten Diskursfaden in die kulturhistorische Nationalismusdebatte einflicht, aufgrund der Vergleichsanordnung jedoch kaum mit überraschenden Ergebnissen aufwarten kann und wegen der chronologischen Grundstruktur zu Redundanzen tendiert. Mit 800 Seiten ist die Studie entschieden zu lang. 4 Eine aktualisierte Literaturliste (Stand 2002) hätte man aus Anlass der Veröffentlichung erwarten dürfen.

Anmerkungen
1 Hobsbawm, Eric; Ranger, Terence (Hgg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983.
2 Anderson, Benedict, Imagined Communities. Reflections on the Origin und Spread of Nationality, London 1992.
3 Confino, Alon, The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany, and National Memory, 1871-1918, Chapel Hill/London 1997.
4 Für eine Aufsatzfassung siehe: Rausch, Helke, Monumentale Personifizierung und kultische Inszenierung nationaler Identitäten. Nationale Denkmalfiguren in Paris, und Berlin (1870-1914), in: Hirschhausen, Ulrike von, Leonhard, Jörn (Hgg.): Nationalismus in Europa. West- und Osteuropa im Vergleich, Göttingen 2001, 267-287.