Titel
Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit


Autor(en)
Groebner, Valentin
Reihe
Konflikte und Kultur - historische Perspektiven 3
Erschienen
Konstanz 2000: UVK Verlag
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
DM 68,-
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Teuscher, Univerity of California Email:

Dies ist nicht nur ein Buch über Geschenke, sondern auch eine gelungene Einlösung der Forderung, städtische Politik am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit gleichermaßen auf den Ebenen von Verwaltungspraktiken, alltäglichen Auseinandersetzungen, Rechtsbestimmungen, kulturellen Vorstellungen und literarisch-moralischen Diskursen zu untersuchen. Schon ihrer Definition nach bilden Geschenke eine prekäre Kategorie, die zu idealisierenden ebenso wie zu düsteren Konnotationen geradezu verführt: Um als solche gelten zu können, müssen Geschenke Transaktionen besonderer Art sein, für die der Geber keine Ansprüche auf Gegenleistungen erheben kann - zumindest nicht sogleich und nicht explizit, vielleicht aber mit der Zeit und unter der Hand.

Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die Beobachtung, dass die Klassiker der Sozialwissenschaft das selbstlose Schenken zum Gegenstand einer ihrer Verlustgeschichten der Moderne machten. Als eine Praxis, welche die ganze Person und ihre Beziehungen umfasst, wurde das Schenken auf eine höhere Bedeutungsebene gehoben, auf der es als utopisches Gegenbild sowohl zur Staatlichkeit als auch zum Markt funktionierte und folglich einer nicht näher definierbaren, archaischen Vorzeit zuzuordnen war. Der Verfasser kritisiert gerade diese Rede vom Schenken als ganzheitlichem oder "totalem Phänomen" (Mauss), die darüber hinwegsehen lässt, dass die am Schenken beteiligten Akteure in ganz konkrete Praktiken, Intentionen und Auseinandersetzungen involviert sind und ihre Transaktionen entsprechend mehrdeutige und umstrittene Deutungen zulassen.

Dieser Ansatz lässt es zu, bislang eher geahnte als verstandene Zusammenhänge zwischen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Praktiken zu klären, welche sowohl zeitgenössische Mandate als auch die herkömmliche politische Geschichtsschreibung akribisch auseinander zu halten versuchten: Korruption einerseits und die in der städtischen Politik allgegenwärtigen Praktiken des öffentlichen Schenkens anderseits. Städte beschenkten regelmäßig Gesandte von Nachbarstädten und Fürstenhöfen, fremde Kaufleute und eigene Bürger. Regelmäßige Geschenke bildeten auch einen zentralen Bestandteil des Verhältnisses zwischen der Stadt und ihren Amtleuten von den untersten Chargen der Torhüter bis hin zu den Häuptern der Obrigkeit. Im Rahmen feierlicher Rituale überreichte städtische Geschenke waren für Rechtsverhältnisse zwar nicht konstitutiv, machten sie aber durch ostentative Kostbarkeit öffentlich. Auch hier spielte man auf eine schon damals als archaisch empfundene uneigennützige Soziabilität an: So wurden selbst Geldgeschenke in die Metaphorik des Aus-Schenkens von Wein gekleidet, indem sie in prunkvollen Bechern überreicht wurden. Andere Geschenkpraktiken spielten auf Gastungen und auf Rituale des althergebrachten Rechts an und verschleierten damit gerade, wie stark Geschenke Bestandteil situationsgebundener politischer Kalküle waren.

Beobachtungen zum Spannungsfeld zwischen öffentlich-repräsentativem und heimlichem Schenken in der städtischen Politik eröffnen neue Perspektiven auf das Funktionieren städtischer Amtsverhältnisse, was der Buchtitel nicht unbedingt verrät. Groebner hält der Charakterisierung städtischer Verwaltung als Urkeim moderner Bürokratie (Below) die überzeugende Sicht städtischer Amtleute als Subunternehmer der Stadt entgegen, die in Nebenerwerbstätigkeit an den Erträgen ihrer Amtstätigkeit beteiligt waren. Als Richter, Stadtknechte oder Unterkäufer erscheinen sie als Personen mit amtlichem und privatem Status zugleich. Sie erhielten im Zusammenhang mit amtlichen Dienstleistungen nur bedingt freiwillige Geschenke von Bürgern und Auswärtigen, die je nach Situation und Intention als ritualisierte Vertragsbesiegelungen, Gebühren, Trinkgelder oder Bestechung deutbar waren. Mindestens ebenso mehrdeutig waren die Geschenke, welche die Obrigkeiten ihren Amtleuten an Feiertagen oder zu besonderen öffentlichen und privaten Anlässen zukommen ließen. Der Vorwurf, sich heimlich und missbräuchlich am städtischen Gabentausch bereichert zu haben, gehörte denn auch zu den zentralen Strategien der Diskreditierung, die sich nicht nur gegen zahllose kleine städtische Beamte richtete, sondern auch gegen verhinderte "Stadttyrannen" wie Waldmann in Zürich und Schwarz in Augsburg.

Insgesamt überzeugt die Darstellung des Schenkens als eines potenziell immer ambivalenten Vorgangs. Die Betonung der spezifischeren Ambivalenz zwischen feierlich-offiziellen und heimlichen Interpretationen von Geschenken an Amtleute erweckt allerdings bisweilen den Verdacht, gerade deshalb so pointiert auszufallen, weil der Verfasser bei den Zeitgenossen eine rigidere Unterscheidung öffentlicher und privaten Sinndimensionen des Handelns von Amtspersonen voraussetzt als es seine eigenen Beobachtungen eigentlich zulassen würden. Es hätte sich vermutlich gelohnt, die städtischen Praktiken nicht nur einer idealtypischen modernen Bürokratie gegenüberzustellen, sondern sie auch stärker mit adligen und höfischen Konzeptionen von Amt, Dienst und Ehre in Verbindung zu setzen. Dies nicht nur aus dem trivialen Grund, dass städtische Obrigkeiten trotz ihrer Besonderheiten letztlich mit älteren mittelalterlichen Herrschaftsformen verwandt sind, sondern auch weil sich die städtischen Geschenkpraktiken gerade im Kontakt mit Fürstenhöfen zu bewähren hatten.

In die Praktiken des städtischen Schenkens fügten sich die Pensionen, die auswärtige Mächte im Zusammenhang mit der Bündnis- und Söldnerpolitik der eidgenössischen Orte sowohl an Gemeinden insgesamt als auch an einzelne Amtsträger bezahlten, nahtlos ein. Groebner hält der älteren Historiographie entgegen, dass das sogenannte Pensionenwesen weniger ein "importiertes" Phänomen als eine Erweiterung des bereits entwickelten Systems des politischen Schenkens darstellte. Neu war ab den 1480er Jahren vor allem der Umfang der Zahlungen, was nicht nur zur Labilität eidgenössischer Politik beitrug, sondern auch zur materiellen Konsolidierung und Stabilisierung der Führungsschichten. Die fremden Pensionen wurden Gegenstand besonders heftig umstrittener moralischer, rechtlicher und politischer Beurteilungen. Wie an einer minuziösen Fallstudie zu Basel gezeigt, waren gerade die offiziellen, in Ratserlässen festgehaltenen Deutungen von Pensionen äußerst flexibel und passten sich ständig an aktuelle politische Interessenkonstellationen an. Die Basler Auseinandersetzungen schlugen sich außerdem in Werken der Literatur (u. a. Erasmus) und der Malerei (Holbeins Wandmalereien im Basler Rathaus) nieder, die der Verfasser im Kontext sprunghafter gesellschaftlich-politischer Auseinandersetzungen dekodiert.

Im Gegensatz zur herkömmlichen Begriffsgeschichte analysiert "Gefährliche Geschenke" konsequent den argumentativen Einsatz der unterschiedlichen Wortfelder und Vorstellungskonglomerate, die mit dem Schenken assoziiert wurden. Dieser methodische Ansatz beweist seine Leistungsfähigkeit gerade im Hinblick auf das Pensionenwesen. Die dunklen und heimlichen Seiten von Geschenkpraktiken wurden durch "böse Worte" evoziert, welche auf die Verunreinigung des politischen Körpers anspielten und Assoziationen zu Sodomie, Prostitution, Ketzerei oder Simonie heraufbeschworen. Die sprachlichen Bezüge zu großen, unaussprechbaren Sünden bezogen ihre polemische Kraft gerade daraus, dass sie vage blieben. In die Darstellung der Auseinandersetzungen um Definitionsgewalt finden auch die rechtlichen Bestimmungen über Pensionen und Geschenke an Amtleute Eingang. Städtische Satzungen erscheinen dadurch in enger Verbindung zur politischen Konfliktkultur, in denen sie oft als Regeln zweiter Ordnung zu verstehen sind, die weniger das Handeln als das legitimatorische Reden über das Handeln regelten.

Groebner geht verschiedentlich auf Elemente des Wandels der Bedeutungen des Schenken ein. So legt er dar, wie sich im städtischen Schenken im Lauf des 15. Jahrhunderts eine zunehmend "obrigkeitliche" Symbolik durchsetzte, etwa in der Form von Wappenscheiben und Stoffen in den Stadtfarben, die zwischen den Städten und ihren Bürgern zirkulierten. Systematische Ausblicke auf die frühe Neuzeit enthalten die beiden Appendices. Der erste legt dar, wie Konventionen des Redens adaptiert wurden, um in den Polemiken der Reformatoren gegen altgläubige Praktiken ein neues Wirkungsfeld zu finden. Der zweite Appendix führt am Beispiel der Entwicklungen der Bedeutungsfelder des Wortes "Pracktick" aus, wie das Reden über legale und illegale Gaben zu zunehmend institutionalisierten Abgrenzungen zwischen öffentlichen und heimlichen Dimensionen von Politik beitrug. Damit wird ein Argument fortgeführt, dass schon im Hauptteil bei der Diskussion des zeitgenössischen Gebrauchs der Dokumente einsetzt, die der Verfasser als Quellen verwendet. Dass städtische Obrigkeiten Geschenke zunehmend schriftlich festhielten, wird dort überzeugend mit Versuchen in Verbindung gesetzt, Abgrenzungen zwischen unterschiedlichen Sphären der Öffentlichkeit und des Geheimhaltung des obrigkeitlichen Handelns zu verfestigen. Hier würde man sich den vermehrten Einbezug von jüngeren Forschungsergebnissen zur städtischen Rechnungsführung wünschen, die vermutlich eine Brücke von den Beobachtungen zu Geschenken zu einer breiteren Diskussion über den Wandel städtischer Kommunikations- und Kontrollpraktiken herstellen könnten 1.

"Gefährliche Geschenke" ist aber ohnehin ein facettenreiches Buch, das in unterschiedlichen Forschungsfeldern starke Beachtung verdient: Es verfolgt ein zentrales Phänomen des Beziehungshandelns, gibt dadurch genaue Einblicke in kulturelle und soziale Funktionsweisen politischer Auseinandersetzungen des ausgehenden Mittelalters und entwirft innovative Ansätze zum Verständnis der städtischen Verwaltungsorganisation. Nicht zuletzt trägt das Buch entschieden zu aktuellen methodologischen Diskussionen bei: Mit seiner Ausrichtung auf den situativen Gebrauch kultureller Vorstellungen verwirklicht der Verfasser eine Alternative zur dichotomischen Gegenüberstellung von Volks- und Elitekultur und weicht statische Konzepte wie "Grundbegriff" und "Mentalität" auf, indem er ein dynamisches Spannungsfeld zwischen Handeln und Verhandeln heraus arbeitet. Ein gewandter, oft spielerisch-ironischer Sprachduktus macht "Gefährliche Geschenke" zu einer ebenso anregenden wie erfrischenden Lektüre.

1 Franz-Josef Arlinghaus, Zwischen Notiz und Bilanz: zur Eigendynamik des Schriftgebrauchs in der kaufmännischen Buchführung am Beispiel der Datini/di Berto-Handelsgesellschaft in Avignon (1367-1373) (= Gesellschaft, Kultur und Schrift 8), Frankfurt am Main 2000; Claudia Becker, Beiträge zur kommunalen Buchführung und Rechnungslegung, in: Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Überlieferungen, hg. v. Hagen Keller und Thomas Behrmann (= Münstersche Mittelalter-Schriften 68), München 1995, 117-148; Hagen Keller, Vom heiligen Buch zur Buchführung. Lebensfunktionen der Schrift im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 26 (1992) 1-31.

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