M. S. Aßländer: Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung

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Titel
Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung. Eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte menschlicher Arbeit


Autor(en)
Aßländer, Michael S.
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
€ 36,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Buchner, Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz

Die Habilitationsschrift von Michael S. Aßländer analysiert die Bedeutung und Bewertung von Arbeit in der europäischen Geschichte seit der Antike. Er verfolgt dabei das Ziel, aktuelle sozialwissenschaftliche Debatten um die Zukunft der Arbeit in den westlichen Gesellschaften mit einer historischen Tiefendimension zu konfrontieren. Seine zentrale These ist darin zu sehen, dass das moderne Arbeitsverständnis nicht das Ergebnis einer „wie auch immer gearteten technischen und ökonomischen Entwicklung“ sei, „sondern umgekehrt schuf erst ein geändertes soziales und kulturelles Verständnis von Arbeit Raum für neue Techniken und Arbeitsformen und erlaubte so die Entwicklung der neuzeitlichen Ökonomie“ (S. 12). Um zu einem angemessenen Verständnis des Themas zu gelangen, so Aßländer, sei Arbeit als „Kulturbegriff“ zu entwickeln, also die kulturelle Einbettung des Verständnisses und der Funktion von Arbeit zu betonen.

Antike Autoren hätten, so Aßländer, Arbeit nicht grundsätzlich abgelehnt. Gleichwohl aber galt das Ideal eines unabhängig von handwerklicher Arbeit und ohne Not von seinem landwirtschaftlichen Einkommen lebenden Bürgers bis in die römische Kaiserzeit. Diente Arbeit ausschließlich dem Erwerb und nicht der Vervollkommnung eigener Fähigkeiten oder der Ausübung eines öffentlichen Amtes, galt sie als wenig erstrebenswert. Erwerbsarbeit als Begründung sozialer Mobilität war dem antiken Denken nicht bekannt. Entsprechend blieb auch die Definition des Arbeitswertes vom sozialen Status des Arbeitenden abhängig. All dies zeigt, wie wenig ausgeprägt das ökonomische Denken der Antike war und sich grundsätzlich am oikos und seinen Bedürfnissen orientierte.

Das mittelalterliche Arbeitsverständnis war einem starken Wandel unterworfen, blieb aber eng an die biblische Überlieferung gebunden. Arbeit wird als göttlicher Fluch empfunden, dem Menschen durch die Vertreibung aus dem Paradies aufgebürdet und damit zunächst als Arbeitsleid interpretiert. Das Neue Testament und seine Betonung der Welt der Handwerker und kleinen Leute beinhaltete eine bereits positivere Interpretation von Arbeit. In der Lehre von den drei Ständen wird die Spannung zwischen der antiken Arbeitsauffassung und dem jüdisch-christlichen Verständnis gemildert: Arbeit wird nun als gemeinsames Dienen zum Wohle Gottes und der Menschen verstanden. Sie verliert damit das „Stigma der moralischen Minderwertigkeit“ (S. 154). Als wesentliches Element einer Wandlung des Arbeitsverständnisses sieht Aßländer die mittelalterliche Stadt und – in enger Verbindung damit – Kaufleute und das arbeitsteilige Handwerk. Deren Beitrag zum Gemeinwohl sieht Aßländer erstmals vollauf von den Reformatoren gewürdigt. Arbeit wird etwa bei Luther als Frucht des Glaubens und damit als Werk der Liebe gegenüber den Mitmenschen interpretiert. Damit wandelt sich auch das Verständnis von Armut, die tendenziell als Schaden der Gemeinschaft verstanden wird. Arbeit rückt, wie auch Utopien zeigen, allmählich ins Zentrum der Gesellschaft.

Das neuzeitliche Arbeitsverständnis sieht Aßländer in engem Zusammenhang mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft: „Die Geburtsstunde unserer heutigen Arbeits- und Erwerbsmentalität ist auf das engste mit der Entstehung dieser bürgerlichen Gesellschaft verknüpft.“ (S. 157) Diese Entwicklung sieht Aßländer in Verbindung mit drei Charakteristika: ein zunehmendes politisches und gesellschaftliches Selbstbewusstsein des Bürgertums, eine neue Sichtweise der ökonomischen Handlungssphäre und eine zunehmende Wahrnehmung individueller Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Die individuelle Lebensführung des Bürgers wird in zunehmendem Maße dem Gelderwerb durch Arbeit untergeordnet. Konsequenz dessen sei eine zunehmende funktionale Trennung verschiedener Lebensbereiche, wozu insbesondere die Trennung von Haushalt und Privatsphäre und Beruf und Öffentlichkeit zähle. Arbeit wurde in zunehmendem Maße als wertschaffend und auf legitime Art und Weise Eigentum begründend verstanden, wie sich auch im ökonomischen Denken spätestens seit Smith deutlich erkennen lasse. Arbeit und Erwerb wurden damit zu einer Begründung sozialer Mobilität. Ohne Arbeit zu sein bedeutete nun, nicht vollauf am Gemeinwohl mitzuwirken. Daraus begründete sich in der Folge sowohl das Recht auf als auch die Pflicht zur Arbeit. Im 19. Jahrhundert sieht Aßländer eine sich verändernde Gesellschaft, deren Eliten die Ideale Fleiß und Sparsamkeit auf sich beziehen und als Tugendkatalog auf die unteren Schichten anzuwenden gedenken.

Aus dieser historischen Untersuchung konstruiert Aßländer zwei idealtypische Verständnisweisen von Arbeit, deren Konturierung – so viel sei vorweggenommen – durch eine stärkere Berücksichtigung einer geschlechtsspezifischen Perspektive gewonnen hätte. Das aristokratische Modell zum einen ordnet Arbeit dem privaten und nicht dem öffentlichen Bereich zu (vgl. oikos), ihre Legitimation gewinnt sie dadurch, dass sie die Möglichkeit zu anderen, wesentlicheren Dingen gewährt, etwa der Mitwirkung am Gemeinwesen. Arbeit begründet im aristokratischen Modell keine sozialen Rechte und wenn doch, dann primär in Form von Ausschluss aus der Gemeinschaft. Dieses Modell sieht Aßländer tendenziell in Antike und Mittelalter verwirklicht. Kennzeichnend für die Neuzeit hingegen sei ein bürgerliches Modell: Arbeit ist darin dem öffentlichen Bereich und öffentlicher Anerkennung, allen voran der Lohn, aber auch das Prestige, zugeordnet. Nicht entlohnte Tätigkeiten hingegen wären tendenziell dem privaten Bereich zugeordnet. Die Legitimationsbasis der Arbeit im bürgerlichen Modell bilde das individuelle Streben nach Verbesserung der sozialen Lage, Erwerbsarbeit ist Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft.

Ausgehend von dieser idealtypischen Gegenüberstellung erörtert Aßländer ausführlich die aktuellen soziologischen und ökonomischen Debatten um die Zukunft der Arbeit. Aßländer kritisiert besonders deren Tendenz, die kulturelle Dimension von Arbeit zu vernachlässigen, was zu Verkürzungen und Fehleinschätzungen führt. Arbeit wird in allen Ansätzen einer erwerbswirtschaftlichen Definition zugeordnet; ihre grundsätzliche Werthaftigkeit wird von keiner Position bestritten. Die auf Grundlage dieser verkürzten Wahrnehmung gestellte Frage nach der Zukunft der Arbeit, führe, so Aßländer, demnach in die Irre: „Nicht ob wir in Zukunft arbeiten werden – davon ist auszugehen – und vielleicht auch weniger wie wir in Zukunft arbeiten werden […] sondern weit eher, welche soziale Bedeutung wir in Zukunft der Arbeit zumessen werden, ist die eigentliche Frage.“ (S. 395) Reformbestrebungen sollten demnach, so Aßländer, im Auge behalten, dass Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft ein Versprechen auf Teilhabe an der Gesellschaft birgt, was auch weiterhin ihr Fortbestehen als Wert garantiert, unabhängig davon, was den Inhalt von Arbeit ausmachen wird.

Dieses Buch reiht sich in die stark interdisziplinär geprägte geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Arbeit ein, die neben Praktiken insbesondere auch die Bedeutungen und Bewertungen von Arbeit ins Zentrum der Analyse rückt. Aßländer wählt dabei ein Verfahren, das Vor- und Nachteile aufweist: Anhand einer hermeneutischen Annäherung an ausgewählte Beispiele der europäischen „Höhenkammliteratur“ seit der griechischen Antike sollen durch die Isolierung jeweils als allgemein erkannter Merkmale Idealtypen entwickelt werden, mittels derer aktuelle sozialwissenschaftliche Debatten historisch eingeordnet werden können. Diese langfristige Perspektive erlaubt einerseits, voreilige Schlüsse auf lineare Entwicklungen zu vermeiden und rückt die vielfach wirkmächtigen Traditionen des Arbeitsverständnisses in den Blick. Gleichwohl liegen auch die Nachteile dieser Vorgangsweise auf der Hand: Eine Darstellung, die grundsätzlich den Anspruch erhebt, die europäische Geschichte der Arbeit seit der Antike so zu erfassen, dass daraus Idealtypen gebildet werden können, unterliegt der Gefahr, vorschnell das für repräsentativ zu halten, was aus der „Höhenkammliteratur“ gewonnen wird, ohne die Vielschichtigkeit und auch Widersprüchlichkeit von Arbeitsverständnissen und -verhältnissen hinreichend berücksichtigen zu können. Auf Ebene der begriffshistorischen Darstellung argumentiert Aßländer differenziert; der Gefahr einer schematischen Darstellung erliegt er aber in jenen Passagen, in denen er Aussagen über allgemeine gesellschaftliche Verständnisweisen von Arbeit trifft. Hier rekurriert Aßländer vielfach auf ältere Konzepte, etwa jenes der „geschlossenen Hauswirtschaft“ (für die Antike), die wiederum seit mehreren Jahren zu Recht als nur bedingt aussagekräftig kritisiert werden. Entsprechend schematisch wirken einzelne Schlussfolgerungen, etwa jene, dass die „griechische Antike wesentlich von nicht-ökonomischen Überlegungen geprägt“ war (S. 71) oder auch seine polare Gegenüberstellung von Bedarfs- und Überflusswirtschaft (etwa S. 255).

Davon abgesehen, weist das Buch von Aßländer interessante Perspektiven auf, die insbesondere in seiner Analyse sozialwissenschaftlicher Modelle mit Hilfe der aus der historischen Untersuchung gewonnenen Kategorien deutlich werden. Das Buch vermittelt damit einen gut lesbaren Überblick über die Begriffsgeschichte von Arbeit, wenn auch manchmal vorschnell auf gesamtgesellschaftliche Mentalitäten geschlossen wird.

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