A. Meyer: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944

Titel
Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung


Autor(en)
Meyer, Ahlrich
Erschienen
Anzahl Seiten
279 S.
Preis
DM 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guilhem Zumbaum-Tomasi, Centre Marc Bloch -Deutsch-französisches sozialwissenschaftliches Forschungszentrum der HU-Berlin und CNRS Paris, Am Schifbauerdamm, Berlin Otto-Suhr-Institut, Historische Grundlagen der Politik, FU- Berlin

Im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte wandelte sich in Frankreich und in Deutschland die Historiographie des "Zweiten Weltkrieges" grundlegend. Occupation, résistance und collaboration werden Dank seriöser Recherche neu bewertet. War Paxton mit seinem Buch "La France de Vichy 1940-1944" (1972) noch seiner Zeit voraus, indem er das komplexe Verhältnis von résistance und collaboration Vichyfrankreichs unter der deutschen Besatzung objektiv darstellte, so gelingt es einer neuen Generation von französischen Historikern um Azèma, Rousso oder Wievorka, der Historiographie zum diesen Thema mit neuen Erkenntnissen die alten Zöpfe abzuschneiden. Diese Gruppe brach absichtlich mit Tabus und Legenden, die so nötig waren, um die IV. und V. Republik auf ein neues Fundament zu stellen, ohne der III. Republik endgültig ihr Versagen vorzuwerfen. Ihre Recherchen fielen in eine mediengünstige Zeit: mit dem Prozeß gegen Klaus Barbie, der nicht nur als eine juristische Verurteilung gegen einen ehemaligen SS- Schergen in der Öffentlichkeit verstanden wurde, begann die öffentliche Auseinandersetzung mit der eigenen nationalen Vergangenheit unter dem Hakenkreuz. Diese Auseinandersetzung fand mit dem Prozeß Papon vorerst ein Ende. Seitdem hielt die Commission Mateoli (2000) fest, daß Vichy als französischer Staat am Holocaust mitschuldig sei. Auf der anderen Seite ist der Prozeß Papon für die Vergangenheitsbewältigung nötig gewesen: er gilt par excellence als pars pro toto der hohen französischen Beamtenschaft, die ohne Zwang mit der deutschen Besatzungsmacht kollaboriert und nach der Befreiung an ihrer individuellen Legende als Widerstandskämpfer gearbeitet hat.

Mit dieser Einsicht wird schonungslos in Frankreich das gaullistische und kommunistische Bild eines heroischen Widerstandskampfes des französischen Volkes neu bewertet und somit seine Legenden entzaubert. Die Erkenntnis einer moralischen Verantwortung Frankreichs in der Frage der Internierung, der Deportation und der Mitschuld an Verbrechen in den Vernichtungslagern Polens, setzt sich seit ein paar Jahren in der öffentlichen Debatte durch.

Diese französische Auseinandersetzung mit den Folgen der deutschen Besatzung in Frankreich sollte die deutschen Forschung nicht mit Achselzucken verfolgen.

Auch wenn in Hitlers Europa viele Franzosen eine persönliche Verantwortung durch ihre Zusammenarbeit mit Hitler und Himmler tragen, so gibt es für die deutsche Geschichte keine mildernde Umstände.

In Deutschland wird durch seriöse Arbeiten wie beispielsweise über die Rolle der Wehrmacht als willfähriges Instrument der nationalsozialistischen Politik, der Mythos der "sauberen" Wehrmacht zu recht in Frage gestellt. Jetzt bleibt nur noch der Schritt, die Forschungsergebnisse als solche anzuerkennen und zu akzeptieren. Eine neue Erinnerungs- und Erkenntniskultur verlangt nicht mehr nur Lippenbekenntnisse in Sonntagsreden über die historische Verantwortung.

Es muß festgehalten werden, daß es bis dato keine gemeinsame französisch- deutsche Historiographie gibt, die kritisch Mythen und Legenden über das Thema Holocaust und Faschismus hinterfragt. Noch liegt eine gemeinsame Geschichtsschreibung in weiter Ferne. Die Gründe für ihr Fehlen liegt in der französisch- deutschen Verständigungspolitik. Sie verhinderte eine kritische Aufarbeitung der deutschen Besatzung in Frankreich.

Auf einen Ausweg weist Ahlrich Meyer in "Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940- 1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung" hin. Sein Buch ist möglicher Weise ein Anfang einer gemeinsamen französisch- deutschen Historiographie. Einen solchen Anfang für eine solche Historiographie unternahm er mit Serge Klarsfeld zusammen in "Der Blick des Besatzers; Le regard de l´occupant" (1999). Sein neuestes Buch kann als eine Fortsetzung des vorherigen verstanden werden. Seine Arbeit beginnt mit folgender Feststellung:

Die Politik der Endlösung und der collaboration habe ca. 80.000 Opfer in Frankreich gefordert, davon 8.000 französischer Herkunft und 72.000 Ausländer.

Ahlrich interessiert sich für das Wechselspiel zwischen Sühnemaßnahmen, Judenverfolgung, französische Kollaboration mit deutschen Stellen und den Exzesse der Wehrmacht bei der "Terroristenbekämpfung". Eine gelungene Analyse, die auch die französische Forschung aufhorchen lassen könnte. Bis dato wurden Themen wie: das neue Europa, die Judenverfolgung, collaboration und résistance getrennt untersucht. Meyer stellt in seinem Buch eine Verbindung zwischen diesen Themenbereichen her. Aber er greift nicht nur auf alte Bilder der französischen Forschung über die Zeit der deutschen Okkupation zurück, sondern beweist, daß die Wehrmacht im Westen wie im Osten im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie gegen Kommunisten und Juden mit der selben Brutalität und Ausnahmslosigkeit vorging. Sicherlich, die Brutalitäten im Osten sind in ihrem Umfang und Vorgehen mit denen im Westen nicht direkt vergleichbar. Doch wie im Osten dienten die Razzien, die in erster Linie ausländische Juden in Frankreich trafen, der Politik der Geiselnahme. Für jedes Attentat für jeden Sabotageakt wurde eine hohe Anzahl von Juden auf Befehl erschossen. Ahlrich Meyer versucht die Politik der deutschen Dienststellen und die Zusammenarbeit mit französischen Organen zu erklären und ihre Weite zu bewerten.

Die "Partisanenbekämpfung" steht bei A. Meyer im Zentrum seiner Arbeit. Gerade die Politik der "Partisanenbekämpfung" stehe für die Mittäterschaft der Wehrmacht, die sich auch im Westen nicht an die internationalen Konventionen hielt. Am Beispiel der Massaker von Oradour oder Tulle, zeigt Meyer, daß die Wehrmacht billigend solche Methoden in Kauf nahm. Frankreich war nach dem Verständnis der Militärs Kriegsgebiet, d.h. Zivilisten wurden nicht verschont. Für Meyer bildeten diese den Höhepunkt der Exzesse der Wehrmacht gegen die französische Zivilbevölkerung. Er zeigt geschickt und überzeugend, wie im Laufe der Okkupation solche Exzesse unter der Verantwortung der Wehrmacht vorbereitet wurden. Was Oradour und Tulle betrifft, halte sich bis heute der Mythos von der Verantwortung der SS. Nach Recherchen in französischen Archiven stelle sich heraus, daß die SS- Division "Das Reich" dem Oberbefehlshaber West und der Armeegruppe G unterstand. Noch am Tag des Massakers beschäftigten sich die höchsten militärischen Stellen damit, die eigentliche Tat zu verfälschen.

Doch schon in den Jahren vorher zeigt sich, daß die Wehrmacht an Aktionen gegen Zivilisten beteiligt war, die sie gerne nach dem Krieg der SS zurechneten. Dabei verfolgte sie in Frankreich, so Meyer, wie im Osten die Politik der "Logik der gegebenen Befehle" (S. 160). Massenerhängung, "Terroristen- und Bandenbekämpfung" sollte nach Willen des Oberbefehlshabers West, von Rundstedt, Terror und Krieg ins Landesinnere tragen.

Einen weit größeren Teil räumt er der Beziehung von Kommunistenverfolgung, Judendeportation und Kollaboration ein; eine Vorstufe für die Ereignisse 1944. Ob bei den Razzien, bei der "Partisanenbekämpfung" in den Städten oder in den Bergen wie in Savoyen bzw. in den Cevennen, die Wehrmacht war über die Tätigkeit der SS im Klaren und unterstützte ihre Aktionen mit eigenen Reservetruppen. Die Hinrichtung einer jüdischen Dorfgemeinschaft im Limousin 1943 war die erste Aktion eines solchen Massakers im besetzten Gebiet. Wichtig ist, daß diese und andere Aktionen nicht von Soldaten begangen wurden, die Erfahrungen im Osten gesammelt hatten.

Meyer zeigt desweiteren, wie die verschiedenen Dienststellen des Militärbefehlshabers für Frankreich und Belgien, die Person des Militärbefehlshabers von Stülpnagel (1940-1942) und ab 1942 der Höhere SS- und Polizeiführer in Frankreich gemeinsam eine Lösung der sogenannten Judenfrage in Frankreich angehen wollten. Doch schon ab 1941 arbeiteten Militärs in enger Zusammenarbeit mit Himmlers Dienststelle und beteiligten sich an der Vernichtungspolitik des europäischen Judentums. Eine wichtige These Meyers ist, daß noch vor der Wannsee- Konferenz 1942, Stülpnagel im Frühjahr des gleichen Jahres Berlin Lösungsvorschläge unterbreitete, nach denen von Geiselerschießungen als Sühnemaßnahmen abzusehen sei und die verhafteten Juden in den Osten deportiert werden sollten. Dabei kam der Besatzung die erneute Tätigkeit der Kommunisten im Sommer 1941 zugute. Für die deutschen Stellen stand fest, daß Kommunisten und Juden dem selben ideologischen Feindbild entsprachen. Wurde die Agitation der Kommunisten durch die Besatzungsorgane unterbunden, so nur durch Razzien, Geiselerschießungen und Deportation. Hier griffen sie gerne auf die Hilfe der französischen Stellen zurück, die ihnen vor allem ausländische Juden aus den Internierungslagern auslieferte.

Im Frühjahr 1942 teilte der MBF nach Berlin mit, daß die Geiselerschießung kein wirksames Mittel bei der Eindämmung von Sabotageaktion und Gewalttaten seien. Diese Einsicht führte im Mai 1942 zu seiner Absetzung und der Einsetzung eines Höheren SS- und Polizeiführers für Frankreich. Die Praxis der Geiselerschießung wurde weiter betrieben, nun aber in Zusammenarbeit von Geheimer Feldpolizei, SD und Wehrmacht. Meyer zeichnet mit Hilfe seiner spezifischen Periodisierung der Okkupations- und Kollaborationszeit, die sich an den Gewaltexzessen orientiert, ein Bild der wirklichen Machtverhältnisse und der Ausartung der Gewalt. Zudem identifizierte sich die Wehrmacht so sehr mit den rassenpolitischen Zielen des Nationalsozialismus, daß die Besatzung nicht als eine übliche bezeichnet werden kann. Dabei ahnten die militärischen Stellen ab 1942, daß der Blitzkrieg in Frankreich ein Pyrrhussieg war. Die Ausübung ihrer Gewalt war möglich, da die französische Bevölkerung lethargisch war. Wie Meyer zu recht festhält, waren die ersten Widerstandskämpfer Juden. Ihnen und den Kommunisten galt der Krieg.

Bemerkenswert an der Arbeit Meyers ist sein Quellenstudium. Er verknüpft die deutschen Quellen sowohl aus dem Archives Nationales, als auch aus dem Archive des "Centre Documentation Juives Contemporaines" im "Memorial des Juifs inconnus", die eine interessante Quelle für die Aufarbeitung der Besatzungszeit Frankreichs darstellen, mit denen des Militärarchivs in Freiburg.

So sehr die Arbeit Ahlrich Meyers von ihren Intentionen her lobenswert ist, so sehr reduziert sich sein Blick auf den von der Wehrmacht ideologisch geführten Kampf gegen Kommunisten und Juden. Seine These, daß die Verfolgung der Kommunisten und die Frage der Endlösung eng in Zusammenhang stehen - was nicht von der Hand zu weisen ist -, läßt einen anderen Aspekt unberücksichtigt:

Die gaullistische Bewegung und ihre Verfolgung durch die deutschen Dienststellen.

Mit der selben Entschlossenheit wurden Juden auch in der gaullistischen résistance in Frankreich bekämpft. Zeitweise assoziierten die Besatzungsorgane Gaullismus mit "internationalem Weltjudentum" und mit "Plutokratie", anstatt mit Kommunismus. Als nach der Befreiung von Algier die jüdische Bevölkerung in Algerien die vollen Bürgerrechte wiedererlangte und national gesinnte Juden sich in Frankreich den Gaullisten anschlossen, wurden sie mit dem Haß verfolgt wie ihre jüdische Kameraden im kommunistischen Untergrund. In der Tat war die PC im Untergrund ein Sammelbecken für die nach Frankreich emigrierten Juden geworden. Im Kampf gegen den Widerstand war es den deutschen Behörden am Ende gleichgültig aus welcher politischen Seite die jüdischen Geiseln kamen.

Die Frage nach den persönlichen Motiven bei der Erfüllung von Terrormaßnahmen in der deutschen Militärregierung bleibt unbeantwortet. Zwar weist Meyer auf die ideologische Substanz des Nationalsozialismus in den Reihen der Wehrmacht hin, aber bleibt leider in dieser Frage zu sehr bei einem ideologischen Erklärungsmuster. Die Wehrmacht hat sich nicht nur als Werkzeug des Nationalsozialismus mißbrauchen lassen, sondern war ein wichtiger und aktiver Bestandteil dieser. Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, in wie weit persönliche Ambitionen bei der Wehrmacht in Frankreich eine Rolle spielten, dem Drängen Himmlers nachzugeben.

Ein anderer Komplex betrifft die collaboration und der latent bis heute existierende Antisemitismus in Frankreich. Antisemitismus und Fremdenhaß hat in Frankreich 1939 dazu geführt, Emigranten zu internieren. Ist eine vorauseilende collaboration dann nicht von der Hand zu weisen ?

Nach der Niederlage 1940 gab es in den Städten Nizza und Marseille Progrome gegen jüdische In- und Ausländer. Diese Ausschreitungen wurden von deutschen Behörden mit gemischten Gefühlen gesehen. Gerade der Komplex Papon zeigt, wie sehr, ohne deutsche Einmischung hohe Repräsentanten des französischen Staates in der Judenverfolgung freiwillig mitarbeiteten.

Das Buch von Ahlrich Meyer ist dahingehend eine Neuheit, daß es ihm gelingt, emotionslos mit Mythen zur deutschen Okkupation, zum Kampf gegen Kommunismus und Juden zu brechen. Er zeigt, daß in Frankreich "Bandenbekämpfung", Geiselerschießungen und Razzien mit der Logik der Kriegführung im Osten zu vergleichen ist. Die Wehrmacht war Mittäter und Mitwisser, ein willfähriges Instrument der nationalsozialistischen Führung.

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