Titel
Drei letzte Kaiser. Der Untergang der grossen europaeischen Dynastien


Autor(en)
Straub, Eberhard
Erschienen
Berlin 1998: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
417 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Kohlrausch

Sogenannte nichtwissenschaftliche historische Buecher - worunter gemeinhin solche ohne Fussnoten verstanden werden - haben in der Zunft einen schweren Stand. Das liegt in der Logik wissenschaftlichen Arbeitens, die auf Reproduktion ihrer Standards angewiesen ist. Es mag sich aber auch aus Neid erklaeren, dem Neid auf die Moeglichkeit, seinen Ideen freien Lauf zu lassen, ohne sich in das mitunter enge Korsett der 'Belegbarkeit' zu zwaengen. Eberhard Straubs juengst erschienenes Werk 'Drei letzte Kaiser. Der Untergang der grossen europaeischen Dynastien', essayistisch strukturiert und vorgetragen in einem zwanglos erzaehlendem Ton, gibt zu solchem Neid allen Anlass.

Der Publizist Straub laesst sich von zwei Beobachtungen leiten, die - vielfach miteinander verknuepft - das Argument seiner Studie formen: Zum einen beschwoert er allenthalben die Heilige Allianz bzw. den Dreikaiserbund als Stabilitaetsgaranten europaeischer Politik, zum anderen verfolgt er bis in feine Veraestelungen den Prozess der 'Verbuergerlichung' der Monarchie am Beispiel dreier "Traeger des unmoeglichsten aller neuzeitlichen Berufe" (W. Rathenau) - den "letzten Kaisern" Franz Joseph I., Wilhelm II. und Nikolaus II.

Weit ausholend erlaeutert der Verfasser wie durch die nationale Gegnerschaft zum napoleonischen Frankreich in Deutschland der Monarch als Befreier praesentiert werden, aber auch, wie wirkungsmaechtige Geschichtsbilder 'besserer Zeiten', personifiziert in Friedrich dem Grossen und vor allem Josef II. - 'dem Volkskaiser' - popularisiert werden konnten. Allerdings sollte sich die Berufung auf die historischen 'Uebervaeter' und das merkwuerdige Buendnis mit dem Volk, das den Thron verteidigte, als ein problematisches Erbe fuer die Dynasten erweisen.

Nur vorlaeufig blieb die Institution Monarchie unangefochten, nicht zuletzt, weil die Franzoesische Revolution die unmittelbare Volksherrschaft diskreditiert hatte. Langfristig, so argumentiert Straub, sei die ehrwuerdige Institution durch den koordinierenden und zentralisierenden Staat, dem "Instrument des allgemeinen Nutzens", der durch die Buerokratie repraesentiert wurde, an den Rand gedraengt worden. Wahre Buerokraten dienten der Krone nur insofern, als sie Symbol des Staates war.

Ausgehend von diesen Ueberlegungen macht Straub sich auf zu seinen drei Portraits der "letzten Kaiser." Auch wenn dieses Etikett fuer den Kakanier Franz Joseph chronologisch nicht ganz zutrifft, so passt es doch sinngemaess. Der Monarch, der schon in den 1890er Jahren befand, dass "es herbstlich werde", verstand sich selbst als Anachronismus "Unpersoenlich wie ein Schatten" interpretierte der Regent zwischen 1848-Revolution und Erstem Weltkrieg seine Rolle auf geradezu klassische Weise als Herrscher zwischen Immediatbericht und Inspektionsreise. Dass der Monarch angesichts der Zumutungen seines Amtes eine nicht eben glueckliche Figur war, betont Straub mehr als einmal und bemueht wiederholt das Bild der Dornenkrone.

Immerhin, als Symbol, dies ist spaetestens seit Robert Musil die gaengige Interpretation, war Franz Joseph mit zunehmenden Alter durchaus ein Erfolg. Mit ihm verbanden sich Hoffnungen auf eine "Imperialisierung" des Reiches, also die Schaffung einer gemeinsamen Staatsgesinnung; Hoffnungen, die der Monarchie neue Chancen verschufen In einem Vielvoelkerstaat, wie es Oesterreich-Ungarn war, musste die Berufung auf die Volkssouveraenitaet zum Sprengsatz werden. Als "bildgewordene Idee" vermochte es der Kaiser, sich als Repraesentant nationaler Einigkeit, Garant vertraeglicher Uebereinkuenfte und rechtsstaatlicher Freiheit zu praesentieren. Zudem wurde das Kaisertum mit der grossoesterreichischen Idee, die Zivilisation bis an die untersten Gegenden an der Donau zu verbreiten, verbunden.

Aber die Adoption der Gedanken der Zeit blieb fuer den vorletzten Habsburger ein zweischneidiges Schwert. Wenn der Monarch die Ergebnisse der 1848-Revolution in seinem Sinne, d. h. vor allem zur Entmachtung des Adels nutzte, leistete er mit der Vorstellung vom 'Buendnis zwischen Thron und Volk' einer Idee Vorschub, die stark an den vom Volk auserwaehlten Fuehrer Louis Napoleon erinnerte. Autoritaere Herrschaft ersetzte in Frankreich die Herrschaft der Autoritaet.

In einer eigenwilligen Mischung beschreibt Straub das Eindringen buergerlicher Geisteshaltungen in die monarchische Welt sowohl als Ursache als auch als Indiz fuer den Niedergang der Habsburger. Die "klassische Nervoese" Elisabeth ('Sissi'), die sich den Pflichten einer Kaiserin zugunsten eines selbstbestimmten Lebens entzog, wird hierfuer zum Symbol. Zeitlebens misstrauisch gegenueber der "Feier des Individuums", Leben und Regieren streng auseinanderhaltend, muss der greise Monarch zudem mit ansehen, wie die Erzherzoege eine neues, ein buergerliches Zeitalter repraesentieren.

Hierin waren sie nicht unaehnlich ihrem Altersgenossen auf dem deutschen Kaiserthron, dem "flamboyanten Individuum" Wilhelm II. Allerdings findet, was Straub fuer Oesterreich in schwarzen Farben schildert, fuer das Berliner Reich seine Anerkennung. Die Studie ueber den Kaiser der deutschen Belle Epoche besticht staerker als die anderen durch ihren Deutungsreichtum. Vor der Folie des 'Idealpreussen' Wilhelm I. beschreibt Straub den merkwuerdigen Prozess der Individualisierung einer Herrscherperson hin zum "modernen Ich" (F. Naumann).

Der Regierungsantritt des jungen Kaisers, ueber den bis dato wenig bekannt war, wurde erwartungsvoll aufgenommen. Jedoch wurde das 'leere Blatt' bald beschrieben. Ueber eine extreme Veroeffentlichung seiner Person praegte sich "The Kaiser" im In- und Ausland gleich einem Markenartikel ein. Der "demokratische Caesar" (J. Langbehn) war nicht nur in dieser Hinsicht ein Abbild seiner Zeit. Bekanntheit seiner Person und Foerderung des monarchischen Gedankens waren fuer diesen Kaiser, nach Straub, identisch. Der persoenliche Wert kroente gleichsam den Monarchen. So kann es kaum verwundern, dass Franz Joseph seinen 'Kollegen' angeblich nie als Preussen, sondern als Berliner betrachtete. Ersteres sei eine Stilfrage, letzteres eine Geistes- und Gemuetshaltung. Tatsaechlich bildeten sich in der oeffentlich wahrgenommen Kaiserperson die Stereotype der modernen Reichshauptstadt ab - er war schnell, laut und froehlich. Tempo, vorlaute Besserwisserei, die starke Wirkung von Impressionen und Vermutungen, das Denken in Verkuerzungen und Zuspitzungen erscheinen aus heutiger Sicht als Zeichen der Zeit.

Da deren Wandel auch die Beschleuniger dieses Wandels zu ueberfordern schien, kann es kaum verwundern, dass gerade vom Kaiser ueber historische Verweise eine Vergewisserung des eigenen Standpunkts geleistet werden sollte: "Mit den Requisiten der Vergangenheit wurde ein ganz modernes Stueck ausgestattet, der Kaiser in Berlin". Straub analysiert dieses Phaenomen durchaus originell als Akzeptanz der buergerlichen Aesthetisierung aller Lebensformen, als aesthetische Monarchie. Schliesslich war das monarchische Empfinden aeusserlicher geworden. Verkoerpert wurden die neuen Praeferenzen - "grossstaedtisch-buergerliche Elastizitaet mit adeligem Hintergrund, 'aufgeschlossen und modern', doch Traditionen verhaftet in einem typischen Repraesentanten der neuen Gesellschaft, des Kaisers Lieblingskanzler Bernhard v. Buelow.

Es nimmt kaum Wunder, dass dieser 'unpreussische Habitus' Gegner auf den Plan rufen musste. Die entschiedenen Ansichten, die Wilhelms II. Standesgenossen unangenehm auffielen, wurden noch hoeflich als 'feurig' oder 'tatkraeftig' umschrieben. Aber die Oeffnung des Hofes, der eine ungeahnte Anziehungskraft entfalten konnte und der damit einhergehende unverhohlene Respekt, den der Kaiser gegenueber dem Geld bekundete, mussten die alten Eliten tief irritieren.

Eine parlamentarische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, so vermutet Straub, waere der Hohenzollernmonarchie besser bekommen. Wilhelm II. hatte letztendlich fuer den von ihm gewaehlten und nur ihm Rechenschaft schuldigen Kanzler einzustehen und wurde damit - nicht ohne eigenes Zutun - zu stark den Faehrnissen der Massenpolitik ausgesetzt. Der Herrscher wurde Partei. In der Tradition N. Sombarts verteidigt der Verfasser den kaiserlichen 'Suendenbock'. Beamte, die dem Monarchen vorenthielten, was dieser haette wissen sollen und rivalisierende Behoerden hatten demnach ihren Anteil an des Kaisers Sprunghaftigkeit. Letzterer, angeblich loyal gegenueber seinen Beamten, diente als willkommener aber unfreiwilliger Versuchsballon. Dass die Masse der kaiserlichen Reden so fatal nicht gewesen sein koenne, belege die Tatsache, dass immer wieder dieselben wenigen Beispiele zitiert wuerden.

Das Bild der Nachwelt vom letzten Kaiser demontierte nicht zuletzt die eigene Mutter, die in ihrem Sohn zunehmend all jenes repraesentiert fand, was ihr an neudeutschem Imponiergehabe zuwider war. Immer lauter andererseits verlangten einige, wie der Publizist M. Harden, nach einem 'Fuehrer'. Dabei lag es im Charakter des monarchischen Amtes begruendet, dass der Kaiser als solcher nicht in Frage kam. Die vermittelte Agitation gegen den Kaiser, die dessen Bild fuer die Nachwelt so stark gepraegt habe, gehe zurueck auf diejenigen, die die Monarchie innerlich aufgegeben hatten, aber wussten, dass sie ohne Monarchie ihre Zukunft einbuessten.

Dagegen habe sich Wilhelm II. im 'Volk' einer breiten, wenn auch nicht unbedingt tiefen, Popularitaet erfreut. Er war in erster Linie deutscher Kaiser, nicht preussischer Koenig, nicht zuletzt weil die juengere Generation dies erwartete. Durch seine persoenliche Praesenz wollte Wilhelm II. - und tat es wohl tatsaechlich - das festlich ueberhoehte Gefuehl nationaler Besonderheit foerdern, gegen die sogenannte 'Reichsverdrossenheit'. Trotz aller Enttaeuschungen bewahrten sich weite Kreise Hoffnungen auf den Kaiser, sobald dieser aus den 'Faengen der Buerokratie' und seiner Berater befreit sei. Eigentlich, so zitiert der Verfasser George Grosz, "sah man ja doch bis zum dritten Proletenstand staatserhaltend treu zum Kaiser auf."

Der revisionistische Ansatz Straubs in der Bewertung Wilhelms II. scheint, wenn es um die Zwaenge, denen derselbe sich durch eine immer wichtiger werdende oeffentliche Meinung und eine immer staerker werdende Buerokratie ausgesetzt sah, geht, berechtigt zu sein. Allerdings geht Straub darueber hinaus und betont - um das Verstehen der problematischen Herrscherfigur bemueht - regelmaessig deren positive Intentionen. Woher Straub das Wissen nimmt, etwa zu behaupten, der Kaiser habe nie an eine Beschraenkung der Rechte des Reichstags gedacht, bleibt sein Geheimnis. Bei Wilhelm II., von dem bisher immer angenommen wurde, dass er zu einer Kontinuitaet im Denken und Handeln nicht faehig war und von dem wenig selbstreflexives Material ueberliefert ist, muessen solche Informationen verwundern. (1)

Der sichere Blick in das Innere des Herrschers ueberrascht auch in der Passage ueber Nikolaus II. Der letzte Zar sei auf seiner "Suche nach dem Volk" zum Misserfolg verdammt gewesen. Soziale Gruppen, deren Interessen die russische Monarchie haette foerdern koennen, um in die soziale Ordnung einzugreifen, fehlten oder waren marginal. So blieb es bei einer unvollendeten Symbiose zwischen Autokratie und Nationalismus. Der Kaiser wurde zum Parteigaenger radikaler Nationalisten, die ihn instrumentalisieren konnten, waehrend der Gewinn fuer die Monarchie begrenzt blieb. Verstaerkt durch - nicht zuletzt in einer eigensinnigen Buerokratie begruendete - Kommunikationsprobleme wurde die Kluft zwischen Kaisertum und Nation groesser.

Waehrend Straub die Monarchien im Inneren als Opfer anonymer Prozesse erkennt, gegen deren Fortschreiten sie weitgehend machtlos waren, glaubt er bei allen drei Monarchen eine - in letzter Instanz - 'selbstvergessene' Aussenpolitik zu entdecken. Indem sie die Solidaritaet der Heiligen Allianz aufkuendigten, haetten sich die Kaiser letztendlich 'buergerlichen' Paradigmen in der Aussenpolitik unterworfen, naemlich dem unverhohlenen Staatsegoismus. Dies exemplifiziert Straub am Buendnis Russlands mit Frankreich, mit dem parlamentarische Mehrheitsbeschluesse Einfluss auf diplomatische Vertraege gewinnen konnten.

So kann es nicht verwundern, dass Straub den Kriegsausbruch 1914 - und damit den Anfang vom Ende der grossen Dynastien - als Produkt monarchischer Entscheidungen, die die oeffentliche Meinung nicht mehr ignorieren koennen, begreift. Mit dem Kriegsausbruch gerieten die drei Kaiser - am augenscheinlichsten wohl Wilhelm II. in Berlin - noch einmal in den Mittelpunkt des nationalen Enthusiasmus, aber es war der Nationalismus, nicht die monarchische Idee, die befluegelnd wirkte. Straub ueberspitzt, erkennt aber nicht ganz unzutreffend, dass sich im ekstatischen Jubel von 1914 die "vollendete nationale Demokratie" feierte. Das Volk trat als Protagonist auf die Buehne.

Die eigentliche Zielscheibe derjenigen, die den grossen Krieg begeistert begruesst haetten, sei nicht die ueberkommen Institution der Monarchie gewesen, sondern die buergerliche Natur des 19. Jahrhunderts. Die allzu enge Vermischung mit dem "buergerlichen Geist" allerdings habe die Monarchien mit in den Strudel gezogen. Insofern konnte es in diesem Krieg - der notwendigerweise ein Volkskrieg sein musste - auf Seiten der Monarchen nur Verlierer geben. Warum der Verfasser - der Ereignisgeschichte durchaus nicht abgeneigt - den eigentlichen Sturz der Monarchien 1917/18 nahezu uebergeht, ist freilich nicht ganz ersichtlich, fuer zwangslaeufig jedenfalls haelt er ihn nicht. Die drei Kaiserreiche wiesen vor dem Krieg eine erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik auf. Sie gingen nicht, so glaubt Straub, an ihren inneren Widerspruechen zugrunde, zumal solche auch in England und Frankreich nicht fehlten.

Nicht nur diese abschliessende These ist reichlich grossmuetig vorgetragen. Straubs Band mit dieser Bemerkung und der Nonchalance, die die Geschichtswissenschaft ueblicherweise Werken ausserhalb der Zunft entgegenbringt, abzutun, waere allerdings in zweierlei Hinsicht verfehlt. Die 'Monarchie in den Koepfen', zumal am Ende des 19. Jahrhunderts, zumal in vergleichender Perspektive gehoert nicht gerade zu den Lieblingskindern der Forschung, wie juengst wieder beklagt wurde. (2) Zudem bietet die Form, die Straub waehlt, auch Raum fuer Anregungen und Beobachtungen, die in den gaengigen Werken zum Thema notwendigerweise - da manch weitreichende Deutung kaum belegbar sein wird - aber auch bedauernswerterweise - da dieser Gegenstand bisher selten mit einem derartigen Scharfblick angegangen wurde - fehlen.

Anmerkungen:
[1] John Roehl, Kaiser Wilhelm II. Eine Charakterskizze, in: Ders., Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, Muenchen 1995, S. 17-34.
[2] Daniel Unowski, Creating Patriotism. Imperial Celebrations and the Cult of Franz Joseph, in: OeZG 9 (1998), S. 280-293, hier S. 281.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension