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Titel
Krieg und Gedächtnis. Ein Ausnahmezustand im Spannungsfeld politischer, literarischer und filmischer Sinnkonstruktion


Herausgeber
Wende, Waltraud Wara
Erschienen
Anzahl Seiten
427 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birgit Schwelling, Kulturwissenschaftliche Fakultät, Europa-Universität Viadrina Frankfurt an der Oder

Beginnen wir mit den Assoziationen, die sich angesichts des Titels des zu besprechenden Sammelbandes, der Dokumentation einer im Wintersemester 2004/05 an den Universitäten Groningen und Witten/Herdecke veranstalteten Ringvorlesung, bei der Rezensentin einstellen. Der Titel „Krieg und Gedächtnis“ erinnert daran, dass Kriegserfahrungen in besonderem Maße auf Sinnstiftungen angewiesen und Nachkriegszeiten von daher Hochzeiten der Konstruktion individueller wie auch kollektiver Erinnerungen sind. Er lässt an einige der bedeutendsten und einflussreichsten Studien in der Gedächtnis-Forschung denken 1 und markiert insofern keinen neuen Zusammenhang, sondern verweist auf ein gut bestelltes und seit längerem aktuelles Forschungsfeld.

An diesen angesichts des Titels des Bandes nahe liegenden Forschungskontext knüpft die Herausgeberin Waltraud „Wara“ Wende im einführenden Beitrag allerdings nicht an. Überhaupt ist die Gedächtnis-Forschung, sieht man von den fast schon obligatorisch zu nennenden Verweisen auf Maurice Halbwachs und Aleida Assmann einmal ab (S. 18), merkwürdig abwesend. Den Rahmen für die weiteren zwanzig Beiträge des Sammelbandes liefern stattdessen die „Medienkulturwissenschaften“. In dieser Perspektive werden „journalistische Medien, wissenschaftliche Forschung, Spielfilme und Literatur“ als „Medien der gesellschaftlichen Kommunikation und des kollektiven Gedächtnisses“ definiert (S. 19). Als allzu verbindlich will Waltraud Wende diese einführenden Bemerkungen allerdings offensichtlich nicht verstanden wissen, wird in der Einleitung doch auch darauf verwiesen, dass „die mit dem Erfahrungsraum ‚Krieg’ verbundenen Sinnstiftungsbemühungen und Sinnkonstruktionen möglichst komplex und facettenreich reflektiert“ (S. 21) werden sollen. Der Hinweis, dass damit „Bausteine“ (ebd.) geliefert werden, ist eine höfliche Umschreibung für eine Sammlung von Beiträgen, die durch kaum mehr als ein vages Thema zusammengehalten werden und denen es insgesamt an einer verbindenden Klammer fehlt. Dies geht sogar soweit, dass auf die Vereinheitlichung der Rechtschreibung bewusst verzichtet wurde, um „die Rechtschreibreform nicht in die Rolle eines Prokrustesbett zu erheben“ (S. 22).

Dieser Mangel an einer verbindenden Konzeption ist bedauerlich. Ärgerlich aber wird es, wenn bei einem Sammelband nicht nur Verbindendes fehlt, sondern die wenigen, in der Einführung formulierten konzeptionellen Orientierungspunkte bereits durch die Gliederung des Bandes konterkariert werden. Wurde in der Einleitung ein breites, funktionales Verständnis des Medien-Begriffs formuliert – zum Medium der Kommunikation und des Gedächtnisses kann alles werden, was zur Verdeutlichung, Vermittlung und Speicherung von Sinnkonstruktionen genutzt wird – enthält die Gliederung des Bandes implizit ein anderes, sehr viel enger gefasstes Verständnis. „Krieg und Gedächtnis“, „Krieg und Literatur“ sowie „Krieg und Medien“ lauten die Titel der drei Abschnitte des Bandes, und es wird weder deutlich, aus welchen Gründen der Buchtitel nun nur noch für einen Abschnitt des Bandes steht, noch warum literarische Auseinandersetzungen mit Kriegen einem eigenständigen Kapitel zugeordnet werden und beispielsweise nicht, neben anderen Medien wie etwa Film und Fotografie, im dritten Abschnitt ihren Ort finden.

Die einzelnen Beiträge thematisieren nicht nur Kriege in unterschiedlichsten Epochen, sondern befassen sich auch mit verschiedenen Formen des Gedächtnisses. Sie reichen vom Trojanischen Krieg im Gedächtnis der Literatur (Ortrud Gutjahr: Der andere Kampfplatz. Der Trojanische Krieg und seine Beziehungsmuster im Gedächtnis der Literatur), über den Spanischen Bürgerkrieg in der Erinnerung der Francisten sowie im Gedächtnis der spanischen Republikaner (Hub Hermanns: Krieg, Gedächtnis und Geschichtsfälschung. Der spanische Bürgerkrieg) bis zur literarischen Verarbeitung des Algerien-Konfliktes in Romanen von Assia Djebar und Latifa Ben Mansour (Liesbeth Korthals-Altes: Kriegsgewalt und narrative Deutungsmuster. Assia Djebars L’Amour, la fantasia und Latifa Ben Mansours La prière de la peur). Das Familiengedächtnis an den Zweiten Weltkrieg (Harald Welzer: Krieg der Generationen. Zur Tradierung von Vergangenheit und Krieg in deutschen Familien) wird ebenso thematisiert wie die filmische Erinnerung an den Vietnam-Krieg (Waltraud „Wara“ Wende: Die Bilder vom Krieg und der Krieg der Bilder. Vietnam im internationalen Spielfilm) und die Verarbeitung von Kriegen in der Komödie (Georg-Michael Schulz: „Auf Wiedersehn im ‚Kelch’, um Sechse, nachm Krieg“. Krieg und Komödie).

Diese Auswahl aus den zwanzig Beiträgen des Bandes lässt bereits deutlich werden, dass eine immense Bandbreite an Forschungsfeldern, Disziplinen und Ansätzen vertreten ist, die eine einheitliche Beurteilung nur schwer zulassen. Abgesehen davon, dass einige der Beiträge bereits an anderer Stelle veröffentlicht wurden (Beiträge von Harald Welzer, Liesbeth Korthals-Altes und Ralf Schnell) bzw. bekannte Thesen neu zusammenfassen, sind die Beiträge wie in den meisten Bänden dieses Umfangs von sehr unterschiedlicher Qualität. Positiv hervorzuheben ist der Beitrag von Jürgen Reulecke 2, weil darin der ungewöhnliche und zugleich sehr aufschlussreiche Versuch einer „Selbsthistorisierung“ unternommen wird. Der Autor trägt sich mit seiner Biografie in den aktuellen Diskurs um die so genannten „Kriegskinder“ gewissermaßen ein und thematisiert auf diese Weise nicht nur die eigene Vaterlosigkeit, sondern bezieht diesen Umstand, frei von der in der aktuellen Diskussion häufig kritisierten Betroffenheitsrhetorik, auf seine Forschungsarbeit als Historiker zurück.

Fazit: Diejenigen Leser/innen, die Waltraud Wende darin folgen wollen, ihr „Reflexionswissen über den Erfahrungsraum ‚Krieg’“ und die damit „verbundenen Sinnkonstruktionen auszubauen und zu vervollständigen“ (S. 21), ohne dabei nach einer übergeordneten Fragestellung oder Struktur zu verlangen, sind mit dem Band sicherlich gut bedient. Wer sich allerdings neue, über die Analyse einschlägiger einzelner Beispiele hinausgehende Erkenntnisse im Bereich der Gedächtnis-Forschung erhofft, wird den Band eher enttäuscht zur Seite legen.

1 Unter anderem: Fussel, Paul, The Great War and Modern Memory, Oxford 1975; Leed, Eric, No Man’s Land, Combat and Identity in World War I, Cambridge 1979; Mosse, George L., Fallen Soldiers. Reshaping the Memory of the World Wars, Oxford 1990; Winter, Jay, Sites of Memory, Sites of Mourning. The Great War in European Cultural History, Cambridge 1995.
2 Nachkriegsgenerationen und ihre Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs. Einige exemplarische Befunde und persönliche Anmerkungen, S. 76-89.

Kommentare

Von Schwelling, Birgit12.04.2006

In meiner Rezension zu: Wende, Waltraud Wara (Hrsg.): Krieg und
Gedächtnis. Ein Ausnahmezustand im Spannungsfeld politischer,
literarischer und filmischer Sinnkonstruktion. Würzburg 2005, habe
ich irrtümlicherweise behauptet, dass es sich bei dem Beitrag von
Liesbeth Korthals-Altes um einen Zweitabdruck handelt. Das ist
falsch. Tatsächlich handelt es sich um einen Originalbeitrag.

Birgit Schwelling


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