C. Jostkleigrewe u.a. (Hgg.): Geschichtsbilder

Cover
Titel
Geschichtsbilder. Konstruktion - Reflexion - Transformation


Herausgeber
Jostkleigrewe, Christina; Klein, Christian; Prietzel, Kathrin; Saeverin, Peter F.; Südkamp, Holger
Reihe
Europäische Geschichtsdarstellungen 7
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 416 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Brockmann, Institut für Didaktik der Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Geschichtsbilder“ – ein facettenreicher Begriff und eine viel genutzte Metapher: Dahinter können sich die Bilder von historischen Ereignissen, Personen oder Prozessen der Vergangenheit verbergen, die in ihrem Traditionszusammenhang ein Narrativ bilden, oder sie sind Träger einer Idee, die individuelle oder kollektive Geschichtsvorstellungen repräsentieren, oder sie meinen ganz plakativ jene Bilder, die Geschichte machen. Jede neue Publikation, die sich dem vielschichtigen und disparaten Begriff der Geschichtsbilder widmet, weckt gerade im Vorfeld des Konstanzer Historikertags Hoffnung auf Konkretisierung und methodisch-theoretische Reflexion – so auch der Sammelband „Geschichtsbilder. Konstruktion – Reflexion – Transformation“, der aus der gleichnamigen Tagung des Graduiertenkollegs „Europäische Geschichtsdarstellungen“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hervorgegangen ist (http://www.europaeische-geschichtsdarstellungen.de). Die Beiträge der Tagung vom Januar 2005 wurden durch Aufsätze der KollegiatInnen des Graduiertenkollegs ergänzt. Vor allem der Untertitel verspricht eine methodisch-kritische Überprüfung, die dazu beitragen könnte, das Bedingungsgefüge und die Konstruiertheit von Geschichtsbildern transparent zu machen. Doch bereits zu Beginn der Lektüre kommen Zweifel an diesem Erkenntnisanspruch auf, denn die HerausgeberInnen haben auf einen einleitenden Artikel verzichtet, der Komplexe wie Geschichtsbild, Erinnerungskultur, Gedächtniskritik und historischer Mythos diskutieren oder zumindest die Definitionsfrage klären würde.

So trifft man im ersten Teil, betitelt mit „Konstruktion“, ganz unvorbereitet auf sechs Aufsätze, die sich mit dem Menschen als Subjekt und Objekt von Geschichtsdarstellungen bildlicher und literarischer Art beschäftigen. Ulrich Kuder stellt die narrative Organisation des Teppichs von Bayeux vor (S. 3-29), der in seiner Bildgeschichte sowohl eine normannische wie auch eine angelsächsische Deutung der Schlacht bei Hastings 1066 zulässt. Leider wird die Interpretations- und Rezeptionsgeschichte des Teppichs nur kurz angeschnitten, obwohl sie für die Frage nach der Konstruktion von Geschichtsbildern aufschlussreich wäre.1 Nach dem Aufsatz von Stephanie Kurczyk, die das Nerobild in Senecas Fürstenspiegel „De clementia“ erkundet (S. 31-53), folgt Stephanie Jahns Untersuchung der Sturmszene in Lucans Epos „De bello civili“, die als poetisches Mittel zur Personifikation Caesars dient (S. 55-77). Benjamin Bussmann geht am Beispiel zweier mittelalterlicher Miniaturen dem „Prozess der Profanisierung“ nach, d.h. dem Wandel hin zu einer verweltlichten Sichtweise auf bildlich vergegenwärtigte historische Geschehnisse, der sich zwischen dem Ende des 10. und dem beginnenden 12. Jahrhundert vollzogen habe (S. 79-108). Florian Hartmann legt am Beispiel der „Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum“ des Bremer Domscholasters Adam die Formen literarischer Gestaltung und narrativer Konstruktion in der Beschreibung der billungischen Herzöge von Sachsen frei (S. 109-129). Thematisieren die vorgenannten Beiträge überwiegend Herrscher- bzw. Herrschaftsbilder, so beschäftigt sich Holger Südkamp mit Malcolm Bradburys Satire „The History Man“ (S. 131-149), die sowohl retrospektiv den zeitgeschichtlichen Kontext und die zeitgenössischen Ideologien der Protestbewegung der späten 1960er-Jahre behandelt als auch eine Kritik am Verfall liberaler und humanistischer Werte enthält.

Die Beiträge des zweiten Abschnitts („Reflexion”) beleuchten Wahrnehmungs- und Deutungsmuster von Vergangenheit sowie die Instrumentalisierung bestimmter Geschichtsbilder in verschiedenen Epochen. Johann Kreuzer analysiert anhand der Schriften „Confessiones“ und „De civitate dei“ Augustinus‘ Geschichtsdenken (S. 153-170). Nach den Vorstellungen von der Vergangenheit sowie deren Stellenwert in früh- und hochmittelalterlichen Geschichtswerken fragt Hans-Werner Goetz in seinem Beitrag, der darüber hinaus auch konzeptionelle Überlegungen und Zugänge für eine gedächtnistheoretisch orientierte Quellenkritik bietet. Christian Klein rekapituliert den Sybel-Ficker-Streit (S. 203-241) und deutet diese fachwissenschaftliche Kontroverse um die Italienpolitik der deutschen Könige und Kaiser des Mittelalters „als ein Symptom für den krisengeschüttelten Diskurs um den deutschen Nationalstaat in den letzten 150 Jahren“ (S. 207). Felix Heidenreich blickt auf das Werk Hans Blumenbergs, der in seiner Metapherntheorie die Produktion von Bedeutsamkeit erfasst (S. 243-258). Den postmodernen Begriff der Meistererzählungen bzw. Metanarrative, die als vorherrschende Paradigmen der Geschichtsschreibung bzw. besonders dominierende Geschichtsbilder die Kultur- und Wissenschaftstradition prägen, analysiert Konrad H. Jarausch (S. 259-280), der die Totalitarismusforschung, die Geschlechtergeschichte sowie die Territorial- und Landesgeschichte als alternative Entwürfe zur nationalen Großdeutung herausstellt.

Auffallend ist die Konzentration auf Text und Schrift in der Reflexion von Geschichtsbildern. So ist bei Hans-Werner Goetz zu lesen: „Der ‚Text‘ ist (wie immer) die Ausgangsbasis. Wir haben nichts anderes.“ (S. 201) Diesem Insistieren auf dem Text und der schriftlichen Fixierung von Vergangenheitskonzeptionen ist mit Heidrun Friese entgegenzuhalten: „Die Bedingung von Geschichte ist nicht nur die Narration, sondern auch das Bild.“2 Gerade der Einbruch der technischen Bilderwelt von Fotografie, Film und Fernsehen in die Domäne der traditionellen Speichermedien (Schrift – Text – Buch) muss für die gesamte kulturelle Erinnerungspraxis als eine einschneidende Zäsur gesehen werden, die nicht ohne Auswirkungen auf die Konstruktion von Geschichtsbilder bleibt: „Die neuen technischen Medien öffnen ein neues Fenster der Sichtbarkeit auf Räume des Vergangenen und Gewesenen.“3 Jene Medien, die sich dazu anbieten, das kulturelle Gedächtnisinventar affirmativ zu stützen und ästhetisch zu versinnbildlichen, modifizieren und prägen zugleich dessen Inhalte.

Zwar rücken im dritten Abschnitt unter der Überschrift „Transformation“ die Objektivationen und Visualisierungen der Geschichtskonzepte stärker ins Blickfeld, doch gehen die AutorInnen in ihren Beiträgen vorwiegend deskriptiv vor – sie beschränken sich auf die Beschreibung der sprachlichen und visuellen Grammatik, ohne auf Motivationen und Selektivität, auf soziokulturelle Kontexte und kognitive Aspekte der Bedeutungsproduktion einzugehen. Zu Beginn untersuchen Ursula Hennigfeld und Peter F. Saeverin die Rolle des neuplatonischen Gedankengutes bei Augustin und Petrarca hinsichtlich der historiografischen Konstruktion der Epochen (S. 283-310), gefolgt von Beatrice Schuchardts Beitrag zu Marguerite Duras‘ „Hiroshima mon amour“ (S. 311-336). Schuchardt betrachtet nicht nur die ästhetische Konfiguration des Films, der die Topoi Erinnern, Vergessen und die mediale Repräsentation historischer Ereignisse fokussiert; mit Aussagen von Roland Barthes, Charles Baudelaire und Walter Benjamin stellt sie zugleich die Fotografie als Medium der historischen Inszenierung heraus. Ein Kunstwerk als Medium der Erinnerung ist Hanne Darbovens „Schreibzeit“, eine Installation aus 20 Klemmordnern, die Stephanie Muhr genauer kontextualisiert (S. 337-369). Geschichte erscheint hier als persönliche Erfahrungswelt, die die Künstlerin durch das Abschreiben von historischen und zeitgenössischen Texten verarbeitet. Es folgen Katrin Piepers „architektonische Geschichtsreflexionen“ des Jüdischen Museums Berlin (S. 371-385) und Bernhard Giesens Ausführungen zum Konzept des Tätertraumas (S. 387-414). Im Mittelpunkt stehen das Verschweigen, das Aussprechen und die Erinnerung an die Täterschaft der Deutschen im Holocaust. Willy Brandts Kniefall am Warschauer Ghetto-Denkmal begründete laut Giesen ein neues Narrativ der nationalen Schuld. Unter dem Aspekt der Konstruktion, Reflexion und Transformation von Geschichtsbildern hätte man sich an dieser Stelle die Einordnung von Brandts Kniefall als Bildikone und „Schlagbild“4 gewünscht. Solche Geschichtsbilder heben die ursprüngliche Aussage auf eine dauerhafte Ebene und stilisieren sie zum Mythos.

Der Sammelband bietet sicherlich ein breit gefächertes Kaleidoskop an Themen aus den Fachbereichen Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie. Dieses Potpourri, das mit einem sehr knappen Bildteil von nur acht Seiten auskommen muss, rechtfertigt aber noch nicht den programmatischen Titel „Geschichtsbilder“. Im Vergleich zur gleichnamigen Festschrift für Michael Salewski5, die sich weitaus differenzierter mit der Konstruktion und Wandelbarkeit von Geschichtsbildern auseinandersetzt, fällt der Düsseldorfer Tagungsband in seiner inhaltlichen Unschärfe ab. Geschichtsbilder sind elastische Konstrukte, die nicht mit einem bestimmten Erinnerungswert und mit einer vorgegebenen Interpretation konserviert werden, sondern durch Kommunikation und Interaktion eine neue bzw. veränderte Aussagekraft erlangen und dadurch Erinnerungskonjunkturen beeinflussen können. Deshalb erscheint es notwendig, Geschichtsbilder stärker in den Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Kultur und Medien einzubinden, der als wechselseitiger Konstitutionszusammenhang die Zirkulation von Bedeutung und Bewusstsein steuert.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Hinweise von: Haskell, Francis, Die Geschichte und ihre Bilder. Die Kunst und die Deutung der Vergangenheit, München 1995, S. 151-159.
2 Friese, Heidrun, Bilder der Geschichte, in: Müller, Klaus E.; Rüsen, Jörn (Hgg.), Historische Sinnbildung. Problemstellungen, Zeitkonzepte, Wahrnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien, Reinbek 1997, S. 328-352, hier S. 329.
3 Großklaus, Götz, Medien-Bilder. Inszenierung der Sichtbarkeit, Frankfurt am Main 2004, hier S. 11.
4 Diers, Michael, Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart, Frankfurt am Main 1997.
5 Stamm-Kuhlmann, Thomas; Elvert, Jürgen; Aschmann, Birgit; Hohensee, Jens (Hgg.), Geschichtsbilder. Festschrift für Michael Salewski zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2003.

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