L. Harding: Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhunderts

Cover
Titel
Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhunderts.


Autor(en)
Harding, Leonhard
Reihe
OGG 27
Erschienen
München 2005: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arno Sonderegger, Institut für Afrikanistik, Universität Wien

Kürzlich ist die Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert, die Leonhard Harding, inzwischen emeritierter Professor für Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg, 1999 erstmals vorgelegt hat, in zweiter Auflage erschienen. Der Kauf des Buches lohnt sich, soviel sei vorausgeschickt, allerdings nur, sofern man nicht bereits die Originalausgabe besitzt. Verglichen mit jener hat sich kaum etwas verändert. Der Text ist, von kleinen kosmetischen Korrekturen abgesehen, gleich geblieben. Nur an zwei Stellen finden sich Zugaben. Zum einen enthält das Literaturverzeichnis nun Ergänzungen zur 2. Auflage (S. 249f.), die mit kaum zwei Seiten Länge allerdings äußerst knapp bemessen sind und dementsprechend manche Lücke aufweisen. 1 Was bereits an der Erstauflage nicht ganz zu Unrecht bekrittelt worden ist – nämlich, dass sich das Quellen- und Literaturverzeichnis „nicht durchgehend auf dem neuesten Stand befindet“ 2 –, findet hier leider eine Fortsetzung, zumal auch jetzt keine Kriterien formuliert worden sind, welche die getroffene Auswahl aus der Fülle existenter Literatur begründen würden.

Die zweite Neuerung ist die kurze Vorbemerkung zur 2. Auflage, die kursorisch neue Ansätze zu durchaus klassischen Themen Afrikanischer Geschichte und Geschichtsschreibung anzeigt: zu „Widerstand und Gewalt“, zur „Rolle der Frau“, zum „Völkermord an den Herero“, zur Theorie und Praxis Afrikanischer Historiografie etc. (S. VI). Harding begründet in diesem Zusammenhang das Zustandekommen der Zweitauflage seines Buches damit, dass sich seit 1999 „in der Geschichtsschreibung zu Afrika sehr viel getan“ habe (S. VI). Da dem durchaus so ist, hätte man allerdings eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit den neuesten Tendenzen erwarten dürfen. Wünschenswert wäre die Diskussion neuer Ansätze in der Afrika-Historiografie allemal gewesen. Immerhin vermitteln schon die wenigen Vorbemerkungen nützliche Anhaltspunkte, die neugierig gewordenen LeserInnen die weitere Orientierung erleichtern können. Das entspricht der Zwecksetzung der Reihe Oldenbourg Grundriss der Geschichte, in der das Buch erscheint, wendet diese sich doch primär an eine auf dem Feld der historischen Wissenschaften tätige Leserschaft, die nicht nur eine „gut lesbare Darstellung des historischen Geschehens [ge]liefer[t]“ bekommen, sondern die darüber hinaus „unmittelbar an die Forschungsprobleme heran[ge]führt“ werden soll (S. V, Vorwort der Herausgeber).

Der Aufbau des Buches gliedert sich, der Reihenvorgabe gehorchend, in drei große Abschnitte: I. Darstellung (S. 1-109); II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung (S. 203-250); III. Quellen und Literatur (S. 203-250). Eine kurze Einleitung steht voran, ein Anhang und gut gearbeitetes Register beschließen das Buch. Der erste Abschnitt widmet sich dem afrikanischen Geschehen des 19. und 20. Jahrhunderts aus problemgeschichtlicher Perspektive. Wie bei einem Überblickswerk zur afrikanischen Geschichte kaum anders zu erwarten, stehen in Hardings Darstellung sozial-, wirtschafts- und politgeschichtliche Dimensionen im Vordergrund. Seine Überschriften künden das Programm: Die wachsende Integration Afrikas in das weltwirtschaftliche System, Die afrikanischen Gesellschaften und die Herausforderungen durch den Weltmarkt, Koloniale Eroberung und Unterwerfung, Afrikanischer Widerstand, Die Unabhängigkeit. Beizeiten finden auch kultur- und ideengeschichtliche Aspekte Erwähnung; so anläßlich des intellektuellen antikolonialen Widerstands (S. 69ff.) oder des Aufbegehrens afrikanischer SchriftstellerInnen, Cineasten und MusikerInnen gegen den postkolonialen Staat (S. 105ff.). Insgesamt werden die Ereignisse afrikanischer Geschichte in durchaus geglückter Weise um thematische Aspekte angeordnet. Dadurch gelingt es, eine relativ einheitliche Geschichte des Kontinents zu erzählen, ohne dabei die innere Vielfältigkeit afrikanischer Realitäten zu verbergen (wenn sie auch oft mehr angesprochen als ausgeführt wird). Dass diese Geschichtsdarstellung auch gut lesbar ist, verdankt sich dem flüssigen Stil, in dem Harding sie verfasst hat.

Für praktizierende oder in Ausbildung begriffene HistorikerInnen interessanter sind freilich die zwei folgenden Abschnitte. Das vielfach aufgegliederte Quellen- und Literaturverzeichnis erweist sich als nützlich für ein erstes Einlesen in spezifischere Themenfelder Afrikanischer Geschichte. Ein umfassendes Verzeichnis der wichtigen einschlägigen Literatur liegt allerdings nicht vor. Es handelt sich um eine Auswahl, die mitunter dem Zufall geschuldet scheint, ein Eindruck, der durch die leider fehlende Explikation der Auswahlkriterien vestärkt wird. Der zweite Abschnitt des Buches, Grundprobleme und Tendenzen der Forschung, beginnt mit einem Kapitel zur Quellenlage, das verschiedene Quellengattungen (schriftliche, mündliche, archäologische, linguistische) sowie theoretische Modelle (Produktionsweisen) hinsichtlich ihres Wertes für die Afrikageschichtsforschung diskutiert. Dem folgt ein zweites Kapitel, das den Gebrauch von Begrifflichkeiten problematisiert und die Bedeutung kultureller Differenziertheit anspricht, aber auch Einblick in Diskussionen um Landrechtsfragen und demografische Ansätze gibt. Harding geht es hierbei insbesondere darum, „die Fragwürdigkeit einer Anwendung europäischer wissenschaftlicher Begriffe auf die afrikanische Wirklichkeit aufzuzeigen und Auswege zu öffnen; gleichzeitig sollen wichtige Kategorien aus der afrikanischen Wirklichkeit vorgestellt werden“ (S. 129). Zweifelsohne ein lohnendes Unterfangen; die Umsetzung gelingt jedoch nur ansatzweise, zu zahlreich und zu vielschichtig sind die verhandelten Fragenkreise, zu deren angemessener Behandlung es wohl jeweils jenes Raums bedurft hätte, der Harding für alle Themenkomplexe zusammen zur Verfügung steht.

Überzeugender wirken die Stellungnahmen zur Interpretation der Sklaverei, zur Bewertung des Kolonialismus, zu Islam und Christentum in Afrika, die im Kapitel Globalinterpretationen zu finden sind. Problematisch hingegen erscheint mir Hardings zu positive Einschätzung der afrozentristischen Geschichtsschreibung à la Cheikh Anta Diop, bei deren Behandlung er die zahlreichen Einwände, die von fachkundiger Seite gemacht worden sind, grosso modo ignoriert; merkwürdig auch, dass ihn die Widersprüchlichkeit seiner Wertschätzung für Diops Konzeption einer „kulturellen Einheit Afrikas“ (S. 197ff.) und der eingangs konstatierten Vielfältigkeit afrikanischer Lebensformen (S. XIff.) nicht ins Grübeln brachte. Etwas bedenklich ist auch Hardings Umgang mit dependenztheoretisch inspirierten Ansätzen, denen er entgegenhält, dass „[e]rst der wachsende Zugriff der Weltwirtschaft […] zu einer langsamen Auflösung [jen]er Hindernisse geführt“ habe, „die Veränderungen wie eine größere politische Konzentration, eine ausgeprägtere gesellschaftliche Differenzierung, eine merkliche Steigerung von Produktion und Produktivität sowie eine stärkere Rationalisierung der Verwaltung unnötig machten oder geradezu blockierten.“ (S. 169f.). Hardings Analyse nimmt hier, implizit einer teleologisch-progressiven Idee von Geschichte folgend, einen problematischen Blickwinkel an, der sich hervorragend dafür eignet, einem herrschaftsdienlichen Entwicklungsdiskurs ein kleidsames Deckmäntelchen umzuhängen. Dass Harding die oktroyierten Strukturanpassungsprogramme der vergangenen zwanzig Jahre bezeichnenderweise als quasi finalen Akt solch „langsame[r] Integration in die Weltwirtschaft“ ansieht, die „auch als ein fortschreitender Prozeß der Überwindung eigener Blockaden und der Sprengung kolonialer und neokolonialer Fesseln gedeutet werden“ könne (S. 171), gleicht dann auch wirklich mehr dem Bild einer globalhegemoniale Verhältnisse verschleiernden Propaganda als einer sachlichen Bestandsaufnahme. Hardings Hoffnung in eine – nicht genau gefaßte – „Globalisierung“, die Entwicklungshemmnisse aus dem Weg räumen werde (S. 171), scheint mir schlecht begründet und nicht mehr zu sein als ein frommer Wunsch.

Die drei Teile von Hardings Buch verdienen gesondert beurteilt zu werden. Die dem Forschungsstand und der Literatur gewidmeten Abschnitte sind nützlich und interessant aufbereitet, geben über weite Strecken verläßliche Orientierungshilfen auf dem weiten Feld der Afrikanischen Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte, sind aber weit davon entfernt, vollständig zu sein oder auf alle aufgeworfenen Fragen genügende Antworten zu geben. Anregend wirken sie jedoch allemal. Der Darstellungsteil hingegen erfüllt die Erwartungen, die man rechtens an einen gerafften Überblick über 200 Jahre Geschichte eines riesigen Kontinents stellen darf; eine beträchtliche Leistung, die Leonhard Harding gut gemeistert hat.

Anmerkungen:
1 So ist verwunderlich, dass in der Ergänzungsrubrik Handbücher und Gesamtdarstellungen, abgesehen von Christoph Marx (Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart, Paderborn 2004), andere seit 1999 am deutschsprachigen Buchmarkt erhältliche Überblicksbände unerwähnt bleiben; so zum Beispiel: Ansprenger, Franz, Geschichte Afrikas, München 2002; Grau, Inge u.a. (Hgg.), Afrika. Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 2000; Schicho, Walter, Handbuch Afrika, 3 Bände, Frankfurt am Main 1999-2004.
2 Erbar, Ralph, Rezension von Leonhard Harding, Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, in: Historische Zeitschrift 271 (2000), S. 494-495, hier S. 495.

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