KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Die Ausstellungen

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Titel
Zeitspuren. Die Ausstellungen


Herausgeber
KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Erschienen
Bremen 2005: Edition Temmen
Anzahl Seiten
239 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karin Orth, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der 4. Mai 2005 markiert für die Geschichte der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einen Wendepunkt. Anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des KZ Neuengamme wurde die Gedenkstätte neu eröffnet, und zwar in erheblich erweiterter Form als Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum. Ermöglicht wurde dies durch den kurz nach der Jahrtausendwende gefassten Entschluss der Stadt Hamburg, dem langjährigen politischen Druck nachzugeben und die Justizvollzugsanstalt Vierlande zu verlegen, die 1948 auf dem ehemaligen Lagergelände eingerichtet worden war. Nach einer zweijährigen Umgestaltungsphase konnte die neu konzipierte Gedenkstätte mit vier neuen Dauerausstellungen am 4. Mai 2005 der Öffentlichkeit übergeben werden. Die neuen Ausstellungen befinden sich in erhalten gebliebenen (zum Teil rückgebauten) Gebäuden des ehemaligen Konzentrationslagers. Die Hauptausstellung widmet sich der Geschichte des Konzentrationslagers Neuengamme und der Nachgeschichte des Geländes; zwei Ergänzungsausstellungen dokumentieren die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen in der Rüstungsproduktion bzw. im Ziegelwerk des KZ Neuengamme. In einer vierten Ausstellung wird die Geschichte der SS-Wachmannschaften thematisiert. „Zeitspuren“ heißt der zugehörige, hier vorzustellende Katalog, der ebenfalls zum 4. Mai 2005 fertiggestellt wurde.

Der Katalog umfasst rund 240 Seiten und gliedert sich in vier Hauptteile, d.h. einen für jede der erwähnten Ausstellungen. Hinzu kommen zwei Geleitworte, eine knappe Einleitung sowie ein Verzeichnis ausgewählter Literatur im Anhang. Auf den Innenseiten des Buchdeckels informiert eine Karte über das gesamte Gedenkstättenareal; zudem beginnt jeder Katalogteil mit einem Lageplan des entsprechenden Ausstellungsraums. Der erste, mit rund 130 Seiten deutlich umfangreichste Teil dokumentiert die Ausstellung über die Geschichte des KZ Neuengamme von 1938 bis 1945 sowie die Nachkriegsgeschichte des Lagergeländes bis heute. Letzteres ist diejenige historische Phase, über die wohl am wenigsten bekannt ist. Von Mai 1945 bis Sommer 1948 wurde das Lager als Repatriierungs-, Internierungs- und Transitlager genutzt, bis die Freie und Hansestadt Hamburg das Gelände übernahm und dort eine Justizvollzugsanstalt baute. Seit den 1950er-Jahren, auch das dokumentieren Ausstellung und Katalog, war das Gelände zugleich Ort der Erinnerung und des Gedenkens. Die entsprechenden Abschnitte im Katalog informieren über Formen und Aktivitäten des Gedenkens sowie der politischen Auseinandersetzung um die Nutzung des Geländes, die in den späten 1980er-Jahren massiv einsetzte. Erst mit dem Abriss der Justizvollzugsanstalt und der Umgestaltung der Gedenkstätte in den Jahren 2003 bis 2005 fanden diese Konflikte ihren Abschluss.

Der zweite Teil des Kataloges thematisiert die Ausstellung über die Lager-SS. Er beginnt mit der Nachkriegsgeschichte, mit den alliierten und deutschen Ermittlungen und Prozessen gegen ehemalige SS-Angehörige des KZ Neuengamme in der Britischen Zone, der Bundesrepublik und der DDR, die sich über den Zeitraum von 1945 bis 2004 erstreckten. Erst anschließend folgen Ausführungen zu Organisation und Dienstalltag der Lager-SS. Der dritte und vierte Teil des Kataloges widmet sich den beiden Ausstellungen über die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen. Zunächst geht es, über das KZ Neuengamme hinaus, ganz allgemein um den Einsatz von Gefangenen in der nationalsozialistischen Rüstungsproduktion, dann im Speziellen um das in Neuengamme betriebene Klinkerwerk. Die letzten Seiten des Ausstellungskataloges informieren über das so genannte Gedenkhaus, das von 1981 bis 1995 die zentrale Ausstellung sowie Verwaltung, Archiv und Bibliothek der KZ Gedenkstätte beherbergte und seither als „Haus des Gedenkens“ genutzt wird.

Die einzelnen Abschnitte der Ausstellungen sind im Katalog mit Bildern (zum Teil bislang unveröffentlichten Fotografien) und einem Informationstext vertreten. Die Texte werden – wie auch die Grußworte, Einleitung und Anhang – durchgängig in Deutsch, Englisch und Französisch präsentiert. Indem Ausstellungen und Katalog nicht nur die NS-Zeit, sondern auch die Nachkriegszeit bis zur Gegenwart zum Objekt der Betrachtung machen, folgen sie einer Tendenz der neueren zeitgeschichtlichen Forschung, nämlich die NS-Zeit nicht zu isolieren, sondern sie in den Zusammenhang zur Nachkriegszeit zu stellen und zugleich den Umgang der (bundes-)deutschen Gesellschaft mit der NS-Zeit zu thematisieren. Die Texte sind darüber hinaus meist informativ sowie inhaltlich, stilistisch und sprachlich durchweg sachlich gehalten.

Der Katalog blendet auch Tabuthemen nicht aus, wie beispielsweise das System und die Macht der Funktionshäftlinge oder das Thema „Zwangsprostitution im Konzentrationslager“. Nur Kleinigkeiten sind im Hinblick auf die politische Korrektheit zu monieren, beispielsweise der unschöne Begriff der „Lagerbelegung“ (S. 22) oder etwa die Tatsache, dass die Texte nicht (auch) ins Russische und/oder Polnische übersetzt wurden (schließlich waren die osteuropäischen Gefangenen die größte Häftlingsgruppe). Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der Katalog für diejenigen Leser/innen, die nicht zugleich auch durch die Ausstellungen gehen (können), zunächst etwas verwirrend ist, da die Chronologie nicht eingehalten wird und einige Themen nicht nur einmal behandelt werden. Dies ist der Anlage des Kataloges geschuldet, der alle vier Ausstellungen in ihrer je eigenen Konzeption und zeitlichen Anordnung abbilden möchte. Somit richtet er sich in erster Linie an Besucher der KZ-Gedenkstätte – etwa die Überlebenden selbst und ihre Angehörigen –, speziell an diejenigen, die von ihrem Besuch etwas materiell Bleibendes mit nach Hause nehmen wollen, ohne sich mit sperrigen wissenschaftlichen Texten auseinandersetzen zu können oder zu wollen. Hier leistet der Katalog gute Dienste, zumal er mit knapp 15 Euro zu einem erschwinglichen Preis angeboten wird. Die wissenschaftlich Interessierten werden demgegenüber wohl eher zur Forschungsliteratur greifen, die für das KZ Neuengamme – im Vergleich zu anderen Konzentrationslagern – in erfreulich großer Zahl vorliegt.

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