K. v. Greyerz u.a. (Hg.): Interkonfessionalität

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Titel
Interkonfessionalität - Transkonfessionalität - binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese


Herausgeber
von Greyerz, Kaspar; Jakubowski-Tiessen, Manfred; Kaufmann, Thomas; Lehmann, Hartmut
Reihe
Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201
Erschienen
Anzahl Seiten
290 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Langensteiner, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Der Wert der von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling entwickelten Konfessionalisierungsthese für die geschichtswissenschaftliche Debatte ist unbestritten. Nicht zuletzt ist es ihr zu verdanken, dass die von der Historiographie lange vernachlässigte Epoche zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Westfälischen Frieden in den vergangenen zwanzig Jahren wieder in den Fokus der Forschung gerückt ist. Es spricht nicht gegen, sondern für die Fruchtbarkeit des Paradigmas, dass in den letzten Jahren verstärkt Kritik an dessen allgemeiner Gültigkeit aufgekommen ist. 1 Einwände wurden vor allem gegen den Etatismus der Konfessionalisierungsthese und ihren vermeintlichen Generalisierungszwang vorgebracht. Die Rezeption dieser Kritik hat zu neuen Forschungsansätzen geführt, deren primäres Ziel nicht die Widerlegung der These, sondern vielmehr deren Erweiterung und Präzisierung sind. In diesen Zusammenhang ist auch der vorliegende Sammelband einzuordnen, der aus einem Arbeitsgespräch hervorgegangen ist, das am 3. und 4. März 2000 am Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte stattfand.

Gemäß den einleitenden Erläuterungen von Thomas Kaufmann ist es die Intention des Bandes, „gegenüber der funktionalen politik- und gesellschaftsgeschichtlichen Leitperspektive der Konfessionalisierungsthese die Vielschichtigkeit frühneuzeitlicher Religionskultur zur Darstellung zu bringen“ (S. 13). Transparent gemacht werden soll dies mit Hilfe der drei im Titel des Bandes genannten Leitbegriffe. Transkonfessionalität bezeichnet hierbei ein noch im jeweiligen konfessionellen Lager verankertes Phänomen, das aus durchaus unterschiedlichen Motiven die durch konfessionelle Dogmen und Mechanismen vorgezeichneten Grenzen verlässt, indem es beispielsweise auf gemeinchristliche Wurzeln oder überkonfessionelle Kohärenzen zurückgreift. Im Gegensatz hierzu sind unter Interkonfessionalität „wechselseitige Austauschprozesse zwischen einzelnen Personen oder Gruppen verschiedener konfessioneller Milieus oder verschiedener konfessioneller Einheiten“ (S. 15) zu verstehen. Binnenkonfessionelle Pluralität schließlich dient als Sammelbegriff für die Vielfalt innerkonfessioneller Ausdifferenzierungen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen manifestierten und ein zweifelndes Licht auf das Postulat einer homogenen, in sich geschlossenen konfessionellen Gesellschaft werfen.

Unter diesem Leitgedanken versammelt der vorliegende Band zehn Beiträge, die das Konfessionalisierungsparadigma aus gänzlich unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, kritisieren und zu erweitern versuchen. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem Aspekt der „konfessionellen Indifferenz“ zu, der in Opposition zur „konfessionellen Identität“ steht, die man den Bewohnern konfessionalisierter Territorien gemeinhin zuschrieb. Mit diesem Themenkomplex beschäftigen sich im weitesten Sinne gleich drei Aufsätze, freilich unter jeweils eigenen Blickwinkeln und Fragestellungen. Nicole Grochowina versucht den Beweis der Existenz eines derartigen Phänomens am Beispiel der religiösen Gegebenheiten im Ostfriesland des 16. und 17. Jahrhunderts zu führen. Sie zeigt auf, dass sich eine derartige Indifferenz quer durch alle gesellschaftlichen Schichten feststellen ließ und trotz obrigkeitlicher Gegenmaßnahmen im Alltag immer wieder anzutreffen war, sei es durch Abendmahlsverweigerung, durch Teilnahme an fremdkonfessionellen Gottesdiensten oder ähnlichem. Aus diesem Befund, den sie mit dem Nachweis des Wirkens „konfessioneller Dissidenten“ wie etwa der Täufer kombiniert, zieht die Verfasserin den Schluss, „daß die gelebte und bewusst entschiedene Zugehörigkeit zu einer Konfession zumindest im Ostfriesland der frühen Neuzeit nicht selbstverständlich war“ (S. 71).

Frauke Volkand stellt das Vorhandensein konfessioneller Identitäten dagegen mit Blick auf die vielfach anzutreffenden Konversionen in Zweifel. Sie kritisiert die „sträfliche Vernachlässigung der Konversionsproblematik in der Konfessionsforschung“ (S. 95), denn unter Rückgriff auf ein Interpretationsmuster, das Konversion als soziales Drama, als rituelle Handlung auffasst, lasse sich die These einer konfessionellen Identität relativieren, da Konversion nicht zwangsläufig den Bruch mit der eigenen Glaubensüberzeugung darstellen müsse, sondern oftmals aus den persönlichen komplexen Lebensumständen des Konvertiten heraus erklärt werden könne. In eine ähnliche Richtung geht die Argumentation von Martin Mulsow, der in seinem Beitrag religiösen Indifferentismus anhand von Mehrfachkonversionen zu belegen sucht. Am Fallbeispiel des Juristen Hubert van Giffen, unter anderem Professor in Ingolstadt und später Reichshofrat in Prag, zeigt Mulsow auf, dass gerade Mehrfachkonversionen wenig mit individuellen religiösen Einstellungen zu tun haben mussten, sondern aus opportunistischen Gründen, im Falle van Giffens aus Karrierestreben, vollzogen wurden. Dass sich diese Motive oft mit einer prinzipiellen Hinneigung gerade protestantischer Intellektueller zum Katholizismus verband, widerlegt diese These nach Ansicht des Verfassers nicht, sondern gibt ihr eine weitere Dimension, die im 17. Jahrhundert mit dem Schlagwort der „religio prudentum“ bezeichnet wurde und die „zusammengeschusterte Privatreligion von solchen Leuten [meinte], die sich Bestandteile aus den einzelnen Konfessionen auswählten, je nachdem was sie am ehesten überzeugte“ (S. 147).

Stehen diese Aufsätze folglich noch in einem gewissen thematischen Zusammenhang, so bilden die übrigen ein buntes Sammelsurium an Themen, das man je nach Standpunkt des Betrachters als übergreifendes und gedanklich vielfältiges Kaleidoskop loben oder aufgrund fehlender inhaltlicher Kohärenz rügen kann. Rebekka von Mallinckrodt sucht nach „Reichweite und Grenzen des Konfessionalisierungs-Paradigmas am Beispiel der Kölner Laienbruderschaften im 17. Jahrhundert“ (S. 16). Aufgrund ambivalenter Phänomene wie der gleichzeitigen Mitgliedschaft in strikt konfessionalisierten und in eher traditionell orientierten Bruderschaften hält sie eine Überschreitung des Konfessionalisierungsparadigmas für notwendig, um die Bedeutung dieser Vereinigungen in ihrer ganzen Breite ermessen zu können. Ralf Pröve richtet seinen Blick dagegen auf das Militär, also auf ein Feld, das man lange Zeit nicht mit Religion in Verbindung brachte, obwohl dies durchaus gerechtfertigt wäre, da vor allem durch die Praxis der Rekrutierung und Einquartierung starke Berührungspunkte zwischen Militär und konfessionell geprägter Gesellschaft bestanden. Am Beispiel der Göttinger Festungsgarnison im 18. Jahrhundert legt Pröve dar, dass die Konfession nicht nur keinerlei Einfluss auf die sozialen Beziehungen innerhalb des Militärs besaß, sondern dass das durch die Einquartierungen verursachte Zusammenleben von Menschen verschiedener Glaubenszugehörigkeiten etwaige obrigkeitlich gesteuerte Konfessionalisierungsbemühungen sogar abschwächte.

Mit der Respublica Litteraria beschäftigt sich der Beitrag von Anselm Schubert. Anhand der Beziehungen zwischen dem deutschen Theologen Barthold Nihus und dem Philologen Gerard Vossius arbeitet Schubert interkonfessionelle Tendenzen heraus: Konfessionelle Momente, ja konfessionelle Konkurrenz spielten durchaus eine Rolle in der Gelehrtenrepublik, ohne dass dies aber der Kommunikation zwischen den Intellektuellen Abbruch getan hätte. Der Verfasser konstatiert eine in der konfessionalistischen Überzeugung von der Rechtmäßigkeit der eigenen Glaubenswahrheit wurzelnde „Gleichzeitigkeit von Kommunikation und Konkurrenz“ (S. 131). Dass auch von Seiten der Obrigkeit nicht immer gezielt auf Konfessionalisierung hingearbeitet wurde zeigt Hans Joachim Müller in seinem Aufsatz zum Streit über die Irenik in Danzig von 1645 bis 1647. Im Verlauf dieses Streits kristallisierte sich heraus, dass der Rat der Stadt die Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung und des gesellschaftlichen Friedens gegenüber einer Durchsetzung der lutherischen Konfession präferierte. Müller wählt hierbei einen kommunikationshistorischen Ansatz, um Einsichten in „die oft widersprüchlichen oder die von konfessionellen Logiken abweichenden Praktiken interkonfessionellen Umgangs“ (S. 178) zu gewinnen.

Die Abhandlung von Thomas Kaufmann beleuchtet die Wahrnehmung der ‚Schwärmer‘ im frühneuzeitlichen Luthertum. Kaufmann verweist auf den Zusammenhang von Konfessionalisierung und religiösem Dissidententum als einem „Zentralproblem des Konfessionalisierungskonzepts“ (S. 181) und bietet im Folgenden einen Längsschnitt über die Entwicklung des „Anti-Schwärmer-Diskurses“ (S. 189) im späten 16. und 17. Jahrhundert. Gestützt auf die umfassende Analyse dreier ausgewählter Textkorpora gelangt er zu vielfältigen Ergebnissen, insbesondere im Blick auf Integrationsbemühungen der lutherischen Orthodoxie mit dem Ziel, die eigene Konfession gegen die fortschreitende binnenkonfessionelle Pluralisierung zu immunisieren. Das letztendliche Misslingen dieser Bemühungen dient als Beleg dafür, dass die von der Konfessionalisierungsforschung postulierte These der Selbstabschließung der frühneuzeitlichen Konfessionen nur schwer aufrecht zu erhalten sein wird.

Eher reflektierenden Charakter hat der kurze Aufsatz von Hartmut Lehmann. Er verzichtet auf eine konkrete Fallstudie und trägt stattdessen allgemeine Überlegungen zur weiteren Entwicklung der Konfessionalisierungsdebatte vor. Er bemängelt die Zentrierung auf den Staat, die dazu geführt habe, Faktoren wie die Rolle klimatischer Veränderungen außer acht zu lassen. Darüber hinaus bekräftigt Lehmann die bekannte Forderung nach mikrohistorischen Studien und regt an, den Blick auf die Rolle der unterbäuerlichen Schichten, auf die Vielfalt der Glaubenseinstellungen in den bäuerlichen und bürgerlichen Schichten und auch auf die Träger der Konfessionalisierungspolitik, also die Obrigkeiten, zu richten. Den Abschluss des Bandes bildet ein Beitrag von Gerhard Lauer, der den Versuch unternimmt, den Begriff der Konfessionalisierung auf die frühneuzeitliche Entwicklung des Judentums zu übertragen. Zwar benennt Lauer Gegenargumente wie die fehlende theologische Konfessionalisierung sowie die lokale Begrenztheit konfessioneller Konflikte. Aufgrund der gesteigerten Sorge um das Heilige, die zu einer „mystischen Durchdringung des Judentums“ (S. 279) und damit einhergehend zur Entstehung von Orthodoxie geführt habe, sieht er den Vergleich aber als berechtigt an.

Zieht man ein Fazit, so kommt man nicht umhin, die Vielzahl an instruktiven Ideen und Thesen zu würdigen, die die Konfessionalisierungsdebatte zweifelsohne ein gutes Stück vorangebracht haben. Das berühmte „Haar in der Suppe“ dieses Sammelbandes stellen allenfalls die in nahezu allen Beiträgen gebetsmühlenartig auftauchenden Bemerkungen über Entstehung und Kritik der Konfessionalisierungsthese mit den sich wiederholenden Anmerkungen zu den einschlägigen Werken von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard dar. Da diese Prolegomena bereits in der Einleitung von Thomas Kaufmann ihren Platz gefunden haben, hätte man in den Beiträgen problemlos hierauf verzichten können. Gleichwohl kann die Lektüre des vorliegenden Bandes jedem Reformationsforscher guten Gewissens empfohlen werden.

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu Schmidt, Heinrich Richard, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 12), München 1992, S. 116-122; Ehrenpreis, Stefan / Lotz-Heumann, Ute, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002.

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