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Titel
Antonio Geraldini († 1488). Leben, Dichtung und soziales Beziehungsnetz eines italienischen Humanisten am aragonesischen Königshof. Mit einer Edition seiner "Carmina ad Iohannam Aragonum"


Autor(en)
Früh, Martin
Reihe
Geschichte und Kultur der iberischen Welt 2
Erschienen
Münster 2005: LIT Verlag
Anzahl Seiten
X, 402 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Biersack, Regensburg

Wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Humanismusrezeption in Spanien vor allem von Seiten der deutschsprachigen Forschung negativ bewertet - Hans Wantoch machte Spanien gar zum „Land ohne Renaissance“1 - so trugen zahlreiche in den letzten 20 Jahren veröffentlichte Arbeiten zu einem besseren Verständnis des Humanismus in den Kronen von Kastilien und Aragón bei. Dies ist vor allem den Quellen-Editionenen und Monografien zu in Spanien wirkenden Humanisten wie Lucio Marineo Siculo, Antonio de Nebrija, Alonso de Herrera, Hernán Núñez de Guzmán, Pietro Martire d’Anghiera etc. geschuldet. Mit der von Jürgen Petersohn betreuten und 2002/03 an der Philipps-Universität Marburg angenommenen Dissertation von Martin Früh liegt jetzt auch eine bedeutende Arbeit zu dem lange Zeit in Spanien ansässigen italienischen Humanisten Antonio Geraldini vor.

Früh gliedert seine Dissertation in drei Bereiche. Der erste Teil besteht aus einer umfassenden Biografie Antonio Geraldinis, an die sich eine Übersicht über das literarische Schaffen des Humanisten anschließt. Neben der Auswertung zeitgenössischer Chroniken, historischer Biografien und der in den Werken des Humanisten enthaltenen Information greift Früh auf Quellenbefunde aus italienischen und spanischen Archiven zurück. So gelingt es ihm, den Aufenthalt Geraldinis in Barcelona, seine Tätigkeit an der königlichen Kanzlei und am Königshof, seine Siziliengesandtschaft oder seine diplomatische Mission 1485-87 in Italien zu erhellen. Das Ergebnis ist nicht nur eine sehr gut dokumentierte Biografie Geraldinis, auch die in seinen literarischen Werken enthaltenen Angaben zu historischen Ereignissen werden anhand anderer Quellen überprüft und ergänzt.

Der zweite Teil der Dissertation widmet sich dem sozialen Beziehungsnetz des Humanisten. In Kurzbiografien stellt Früh die Bezugspersonen Geraldinis aus seinem spanischen und italienischen Umfeld dar. Das Beziehungsnetz Geraldinis wird dabei unter geografischen Gesichtspunkten betrachtet und vom katalonisch-aragonesischen Kontext mit dem Zentrum Barcelona aus sukzessive erweitert über den aragonesischen Königshof bis nach Italien. Dort besaß der Humanist in Amelia, seiner Heimatstadt, Rom und Florenz zahlreiche Freunde und Verwandte. Der erste Teil der jeweiligen Kurzbiografie fasst die wichtigsten Daten zu Leben und Werk der Bezugspersonen Geraldinis zusammen. Im zweiten Teil legt Früh die Beziehung Antonio Geraldinis zu der entsprechenden Person dar. Insgesamt sind die Kurzbiografien eine gute Informationsquelle für bedeutende Humanisten Kataloniens oder Italiens wie Pere Miquel Carbonell, Jeroni Pau, Pomponio Leto oder Ugolino Verino. Darüber hinaus liefern sie in vielen Fällen auch neue Informationen durch die Auswertung von Verwaltungsschriftgut und die Analyse der literarischen Werke Geraldinis. Zu nennen ist hier vor allem das Profil zu Antonios Bruder Alessandro, das auf eine Reihe neuer Quellen verweisen kann (S. 136ff.). In Bezug auf Personen, über die es bislang keine moderne oder gar keine Biografie gab, ist Frühs Dissertation nun die erste oder einzige Referenz. So zum Beispiel zu Gaspar de Ariño (S. 101ff.) und Bartomeu de Verí (S. 90ff.) aus der königlichen Kanzlei in Barcelona oder Francesco de Casa-saja, „eine rätselhafte, doch offenbar angesehene Gestalt aus dem humanistischen Barcelona“, über deren Lebensdaten nun dank Früh Wesentliches bekannt wird (S. 121f.).

Im dritten Teil seiner Dissertation ediert Früh Antonio Geraldinis Carmina ad Iohannam Aragonum. Diese bislang nur unvollständig in modernen Ausgaben vorliegende „früheste neulateinische Odenproduktion auf iberischem Boden“ (S. 334) ist nicht nur von literaturwissenschaftlichem, sondern auch von historiografischem Wert. Die Edition ist mit einer Textgeschichte und einem umfangreichen Sachkommentar versehen sowie mit einer literaturgeschichtlichen Einleitung. Auf eine eingehende literaturwissenschaftliche Untersuchung verzichtet Früh. Für eine umfassende Interpretation des lyrischen Werks Geraldinis fehlt eine modernen Standards genügende Edition von dessen poetischen Werken.2

Eines der Ergebnisse der Arbeit ist die Rekonstruktion der Einbettung Geraldinis in das katalanische Umfeld spätestens seit Mitte der 1470er-Jahre, die sich vor allem anhand seiner sozialen Kontakte ablesen lässt. Im Umfeld des „italophilen“ humanistischen Zirkels an der königlichen Kanzlei von Barcelona konnte diese Integration offenbar ohne Probleme vonstatten gehen. An dieser Stelle wäre eine eingehende Analyse der Voraussetzungen und Konsequenzen dieser Integration von Interesse gewesen. Deren Fehlen mag vielleicht der kurzen Einleitung geschuldet sein, die auf eine allgemeine methodische Reflexion über Fragen der Rezeptionsgeschichte oder des Kulturtransfers verzichtet. Beispielsweise hätte als zusammenhängendes Band hinter die Kurzbiografien aus dem sozialen Umfeld Geraldinis in Katalonien-Aragón eine allgemeine Darstellung des Humanismus an der königlichen Kanzlei Barcelonas gelegt werden können. Dieser Rezeptionskontext könnte verdeutlichen, weshalb die Integration Geraldinis in den katalanischen Humanismus so problemlos verlief. So könnte die von Früh festgestellte religiöse Wende in Geraldinis literarischem Schaffen in der zweiten Hälfte der 1470er-Jahre auf den Erfolg des italienischen Humanisten in Spanien Einfluss gehabt haben. Sie könnte auch geradezu durch sein soziales Umfeld bedingt gewesen sein. Immerhin fällt die religiöse Wende mit der Zeit zusammen, in der Früh zufolge die Integration Geraldinis in den katalanischen Kontext zum Abschluss gekommen war. Anderen italienischen Humanisten gelang die Integration in das spanische Umfeld gerade nicht so problemlos. Pietro Martire d’Anghiera musste sich als Lehrer der königlichen Hofschule den Vorwurf des Paganismus gefallen lassen. Und Lucio Marineo wurde von Nebrija als Italiener des Republikanismus verdächtigt, um ihn als königlichen Historiker zu disqualifizieren. „Paganismus“ und „Republikanismus“ sind zwei Anschuldigungen, vor denen Geraldini durch sein sowohl vom religiösen als auch vom politischen Standpunkt Spaniens aus gesehen tadelloses Werk offenbar geschützt war. Die Integration Geraldinis könnte aber auch weniger seiner eigenen Anpassungsfähigkeit geschuldet sein als vielmehr seinem katalanischen Umfeld in der königlichen Kanzlei. Dieses war eventuell schon solchermaßen vom italienischen Humanismus durchdrungen, dass sich der italienische Humanist leicht einfügen konnte. Dagegen stand der Hof der Katholischen Könige gegen Ende des 15. Jahrhunderts anscheinend weiter zurück. Die Klagen der dort tätigen italienischen Humanisten über die spanische Unbildung geben - trotz deren topischen Charakters - beredtes Zeugnis davon.

An der Bedeutung Geraldinis für die Rezeption des italienischen Humanismus in Spanien besteht kein Zweifel. Früh führt die Vermittlung seines Bruders Alessandro und Pietro Martire d’Anghieras an den Hof der Katholischen Könige als eine der wesentlichen Leistungen Geraldinis an. Geraldinis Präsenz am Hof, seine Vermittlungstätigkeit und sein Wirken als Pädagoge wären ein schlüssiger Grund, weshalb die Katholischen Könige in den 1480er und 1490er-Jahren mit Lucius Marineus, Pietro Martire d’Anghiera und Alessandro Geraldini drei weitere italienische Humanisten als Lehrer an ihre Seite beriefen. Leider fehlen bislang Informationen über die Tätigkeit Geraldinis am Hof der Katholischen Könige. So ist es nur wahrscheinlich, aber keineswegs gesichert, dass er Erzieher Johannas, der ältesten Tochter Isabellas, war. Akzeptiert man seine Rolle als Vermittler des humanistischen Bildungsideals an den Hof der Katholischen Könige, dann wurde Geraldini nicht nur zu einem Vermittler für den italienischen Humanismus in Katalonien-Aragón, sondern auch – und hier wahrscheinlich mit noch größerer Bedeutung – in Kastilien. Der Lebensweg Geraldinis würde damit einen weiteren Beleg für die Brückenfunktion liefern, die Katalonien-Aragón beim Transfer des Humanismus nach Kastilien zukam: Jahrzehnte vorher waren mit dem Marqués de Santillana und Enrique de Villena zwei Pioniere des volkssprachlichen kastilischen Humanismus im Königreich Aragón mit dem italienischen Humanismus in Berührung gekommen.

Es bleibt nun zu hoffen, dass weitere Archivfunde die Bedeutung erhellen können, die Geraldini bei der Humanismusrezeption in Kastilien zukam.3 Für das katalonische Umfeld liefert die Dissertation von Martin Früh hervorragende Ergebnisse, der eine gebührende Rezeption durch die Forschung zu wünschen ist.

Anmerkungen:
1 Wantoch, Hans, Spanien: das Land ohne Renaissance. Eine kulturpolitische Studie, München 1927.
2 Eine weitere Edition liegt mittlerweile vor: Leistritz, Sigrun, Das „Carmen Bucolicum“ des Antonio Geraldini. Einleitung, Edition, Übersetzung, Analyse ausgewählter Eklogen, Trier 2004.
3 Eine Übersicht über die Geraldini-Forschung bietet die nach Abschluss der Dissertation von Martin Früh stattgefundene Tagung: I Geraldini di Amelia nell’Europa del Rinascimento. Atti del Convegno Storico Internazionale Amelia 21-22 novembre 2003, ed. Tiziana DeAngelis, Amelia 2004.

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