E. Michels: Von der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut

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Titel
Von der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut. Sprach- und auswärtige Kulturpolitik 1923-1960


Autor(en)
Michels, Eckard
Reihe
Studien zur Zeitgeschichte 70
Erschienen
München 2005: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
VI, 266 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen R. Kathe, Trier

Die Deutsche Akademie wird landläufig als Vorgängerorganisation des heutigen Goethe-Instituts betrachtet. Sie hat in den Jahren ihrer Existenz eine bewegte Geschichte durchlaufen, von den kulturpolitischen Wirrungen der Weimarer Republik und der freiwilligen Gleichschaltung im NS-Regime über eine Erfüllungsgehilfin einer machtpolitisch ausgerichteten Kulturpolitik im nationalsozialistisch besetzten Ausland bis hin zur Geburtshelferin eben jener Münchner Mittlerorganisation mit Namen Goethe-Institut, die heute derart prägnant die deutsche Auswärtige Kulturpolitik bestimmt. Eine Institutionsgeschichte dieses privatrechtlichen Vereins, der erst durch einen „Führererlass“ 1941 in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts umgewandelt wurde, stand jahrzehntelang unter keinem guten Stern. Die Quellenlage ist äußerst schwierig, sind doch die nur noch rudimentär erhalten Akten über das gesamte ehemalige Deutsche Reich zerstreut. Eine wissenschaftlich abgesicherte Basis existierte deshalb lange nicht; nur wenige Arbeiten zu anderen kulturpolitischen Organisationen dieser Zeitspanne wie beispielsweise den DAAD helfen, den Rahmen abzustecken und den einen oder anderen Forschungsbefund zu erheben. Eine Geschichte der Deutschen Akademie blieb deshalb lange ein Desiderat.

Jede Institution wird von den Menschen getragen, die in ihr arbeiten und wirken. Für die Deutsche Akademie steht an herausragender Stelle der Kulturpolitiker Franz Thierfelder, der in der Akademie einen raschen Aufstieg vom Pressereferenten zum Generalsekretär durcheilte. Aus gekränkter Eitelkeit verließ er 1937 die immer mehr von den neuen Machthabern in Anspruch genommene Deutsche Akademie und schlug sich bis Kriegsende als freier Publizist mit Auftragsarbeiten (auch des NS-geprägten Auswärtigen Amtes) durch, um schließlich in den 1950er-Jahren Gründungsmitglied des neuen Goethe-Instituts und danach Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen (IfA) in Stuttgart zu werden. Seine Kündigung Ende 1937 in der Deutschen Akademie konnte er nach Kriegsende in seiner Entnazifizierung gewinnbringend einsetzen und münzte sie beinahe schon zu einem Widerstandskampf gegen die NS-Kulturpolitik um.

Franz Thierfelder nimmt bei Michels deshalb einen „breiten Raum“ ein. Allein sechsmal weist dieser in seiner Einleitung auf die Bedeutung Thierfelders für die Entwicklung der Deutschen Akademie hin. Erwartet man nun eine durchgehende Lobeshymne auf Thierfelder, wie es oft bei diesem oder anderen Kulturpolitikern in der entsprechenden Literatur zu finden ist, so wird man sicherlich enttäuscht. Michels bleibt seriös und dabei historisch kritisch hinterfragend. Er klärt die Rhetorik Thierfelders gnadenlos auf, ob nun seine Argumente, warum Deutschland eine Sprachpolitik im Ausland brauche, die nur allzu oft vom Geist der Zeiten beseelt waren, oder auch seine Taktik in der Beschaffung eines „Persilscheins“ nach Kriegsende. Der Generalsekretär Thierfelder war ein durchaus wortgewaltiger und in publizistischen Auseinandersetzungen bewanderter Mann, der seine Begabung immer zu nutzen verstand, auch wenn er nach 1945 die eine oder andere Veröffentlichung oder das eine oder andere Zitat „vergaß“. Nichtsdestotrotz verdankt die deutsche Kulturpolitik diesem Kulturpolitiker sehr viel. Die eigentliche Idee, im Ausland deutsche Sprachschulen (die Deutsche Akademie nannte sie Lektorate) einzurichten, die nicht den deutschstämmigen Exilanten als Kaffeestube dienten, sondern Ausländern die deutsche Wesensart näher bringen sollten, stammte von ihm. Seiner vom kulturpolitischen Ehrgeiz getriebenen ständigen Präsenz in den ranghohen Kreisen der Politik und Wirtschaft verdankte die Deutsche Akademie und zum Teil wohl auch das neue Goethe-Institut und das IfA in Stuttgart einen großen Teil des Schwungs, mit dem der Ausbau und Aufstieg dieser Organisationen voran schritt. Er war Teil dieser organisatorischen Kraft, die für das verwaltungstechnische Gelingen der auswärtigen deutschen Kulturpolitik verantwortlich war.

Die eigentliche Institutionsgeschichte der Deutschen Akademie ist eine sehr erfolgreiche. Gegründet im Jahr 1923 einige Zeit nach einer eher zufälligen Begegnung eines bayrischen Gesandten und eines Juristen auf einem Gesellschaftsabend in München, auf dem diese die fehlende „Propagandatätigkeit im Ausland“ betrüblich fanden, hatte die Akademie in den folgenden Jahren zunächst sehr unter der Organisationsvielfalt der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik zu leiden. Es gab einfach zu viele von den Institutionen, die mit staatlicher Förderung im Rücken dieser oder jener Form der Auswärtigen Kulturpolitik nachgingen. Zunächst brauchte deshalb niemand eine Deutsche Akademie, schon gar nicht mit Sitz in Bayern und hauptsächlich von bayrischen Konservativen getragen. Auch innerhalb der Akademie waren sich die Protagonisten oft uneins über den weiteren Weg ihrer Neugründung, ihrer Konzepte oder Möglichkeiten. Die Deutsche Akademie verdankte ihr Überleben oft genug dem Einsatz des unermüdlichen Franz Thierfelders, der rasch die Geschicke der Akademie in sichereres Fahrwasser lenkte. Unter seiner Mitarbeit wandte sich die Akademie ab 1927 verstärkt an die Zielgruppe der Auslandsdeutschen und nicht länger an die Deutschen im Inland. Geografisch orientierte sich diese „moderne“ Idee der Auswärtigen Kulturpolitik auf den Balkan, wo erstmals ein „Kulturaustausch“ als neues Konzept eingeführt werden sollte. Ab 1929 erklärten die Kulturpolitiker der Akademie, sie wollten von nun an die deutsche Sprache im Ausland fördern und richteten ihr Konzept auf Sprachkurse in Ländern mit entsprechendem Bedarf und deutschfreundlicher Gesinnung aus. Damit ging man nicht zuletzt dem Konkurrenzkampf mit den etablierten Kulturorganisationen im Reich aus dem Weg. Die Kooperation mit dem Auswärtigen Amt begann ebenfalls ab 1929 zu wirken; gemeinsam wollte man Deutsch zur Weltsprache machen. Die Gründung eines „Goethe-Instituts“ als praktische Abteilung innerhalb der Deutschen Akademie im Jahr 1932 leistete der Ausbildung von ausländischen Deutschlehrern Vorschub – und hätte fast eine Spende der Goethe-Gesellschaft im hundertsten Todesjahr des Dichterfürsten eingebracht.

Generalsekretär Franz Thierfelder war stellvertretend für die gesamte Deutsche Akademie bereits 1933 kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Sympathisant des NS-Regimes. Unter diesen neuen Machthabern, so erhoffte er sich nicht ganz zu Unrecht, werde die Auswärtige Kulturpolitik eine völlig neue Dynamik bekommen. Es folgte die freiwillige Gleichschaltung sowie die Einsetzung regimetreuer Mitarbeiter an Stelle der bisherigen. Gedankt wurde der Deutschen Akademie mit nicht unbeträchtlichen Mitteln, einem Freibrief für die weitere Entfaltung und insgesamt dem Wohlwollen der Nationalsozialisten gegenüber einem Franz Thierfelder, der seine Akademie schlicht an das Regime verkauft hatte. Erst seine persönliche Eitelkeit in einer Auseinandersetzung innerhalb der Akademie führte zum Ende der Ära Thierfelder im Jahr 1937. Der Aufstieg der zunehmend politisierten Deutschen Akademie war auch nach dem Ausscheiden Thierfelders nicht mehr zu stoppen. Per Führererlass im November 1941 in eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts umgewandelt, erreichte sie den Hochpunkt ihres strukturellen Ausbaus im Herbst 1942 mit über 64.000 eingeschriebenen Sprachschülern. Sie wurden von knapp 200 Deutschlehrern und über 500 Hilfskräften in 100 Lektoraten und weiteren 160 Zweigstellen unterrichtet. Nun begann ein stetiger Niedergang bedingt durch den ungünstigen Kriegsverlauf mit territorialen Verlusten, dem stetig zunehmenden kriegsbedingten Personalmangel und einer sich ständig verschlechternden Logistik. Die Deutsche Akademie brach mit dem Deutschen Reich zusammen.

Die siegreichen Amerikaner nahmen die Deutsche Akademie innerhalb der Entnazifizierung in die so genannte Kategorie I auf; sie war als „pseudo-wissenschaftliche Akademie mit Nazi-Charakter“ sofort aufzulösen. Ihre Mitarbeiter/innen mussten ihre Zugehörigkeit in den Entnazifizierungs-Protokollen angeben. Die Deutsche Akademie war zu sehr von den NS-Machthabern korrumpiert worden, sodass ihr Ende besiegelt schien. Für viele der an den Geschicken der Deutschen Akademie beteiligten Kulturpolitiker – allen voran Franz Thierfelder – war dies aber kein echter Hinderungsgrund in dem nun folgenden kulturpolitischen Interregnum weiterzuarbeiten. Ganz im Gegenteil: Um das verbliebene nicht unerhebliche Vermögen der alten Deutschen Akademie sichern zu können, betrieb Thierfelder eine Art Gründungsoffensive an Organisationen der Auswärtigen Kulturpolitik. Er war an der Entstehung des heute fast gänzlich vergessenen Wiesbadener Arbeitskreises, einem Sammelbecken für kulturpolitisch Interessierte in der Nachkriegszeit, ebenso beteiligt wie an der Erschaffung einer neuen Deutschen Akademie. Letztere blieb aber ein Papiertiger, denn niemand in den sich neu bildenden Regierungen von Bund und Land konnte sich vorstellen, mit dem Namen der stark NS-belasteten Deutschen Akademie weitermachen zu wollen. Eher zufällig entwickelte sich u.a. deshalb ein weiteres Ziehkind Thierfelders zum neuen großen Hoffnungsträger: Das Goethe-Institut mit Sitz in München.

Eckard Michels gelingt mit seiner Studie ein wertvoller Beitrag zu Geschichte der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik. Der Einblick in die Ideenwelt der verantwortlichen Kulturpolitiker glückt ebenso wie die institutionsgeschichtliche Aufarbeitung einer der bedeutendsten kulturpolitischen Organisationen des 20. Jahrhunderts. Dabei bleibt Michels Stil kritisch und professionell zugleich. Seine Quellenauswertungen sind umfassend und bisher unerreicht. Ein Forschungsdesiderat bleibt allerdings: Die Biografie Franz Thierfelders. Dieser Kulturpolitiker war zweifelsfrei die entscheidende Schaltstelle im Gefüge der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik des vergangenen Jahrhunderts.

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