Cover
Titel
Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen


Herausgeber
Fayet, Roger
Reihe
Interdisziplinäre Schriftenreihe des Museums zu Allerheiligen Schaffhausen 1
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 32,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Bellanger, Institut für Soziologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der vorliegende Sammelband fokussiert die Bemühungen des Museums, zwischen den Dingen und den BesucherInnen eine Form von Kommunikation zu initiieren. Als Motto dieser Betrachtung dienen dem Band die folgenden von Paul Valéry anlässlich der Weltausstellung 1937 verfassten Zeilen, die weiterhin auf der Fassade des Palais de Chaillot in Paris zu lesen sind: „Vom Vorübergehenden hängt es ab, Ob ich nun Grab bin oder Schatz, Ob ich nun spreche oder schweige [...].“ Denn es sind die Vorübergehenden, die BesucherInnen, die das Ausgestellte zum Sprechen bringen oder aber im Schweigen verharren lassen können. Ausgehend von dieser wankelmütigen Instanz des Museumsgeschehens, regt der Herausgeber und Direktor des Schaffhauser Museums zu Allerheiligen, Roger Fayet, eine Reflexion über die Besonderheiten des von ihm geführten Hauses, aber auch der musealen Tätigkeiten an sich an. In einer Besprechung dieses Sammelbandes hob Susanne Hagemann hervor, dass „Im Land der Dinge“ damit dem gegenwärtigen Trend in den Sozial- und Geisteswissenschaften folgt, das Materielle im Hinblick auf dessen Eigenschaften zu befragen, Sinn sowie Bedeutung zu generieren und Sozialem Gestalt zu geben.1

Das Museum zu Allerheiligen eignet sich ideal für solch eine Thematisierung der Beziehung zwischen den Dingen und den menschlichen Akteuren. Denn das Schaffhauser Museum ist, ungewöhnlich für die Gründung im Jahr 1938, ein Mehrspartenhaus. Es führt unter seinem Dach die unterschiedlichsten Objekte zusammen – ausgestopfte Tiere, Waffen, archäologische Funde, Gemälde, religiöse Kultobjekte und stadt- und regionalhistorische Überreste. Die verschiedenen Abteilungen und wissenschaftlichen Schwerpunkte bilden keine in sich geschlossene Einheit, eher ist die Diversität der versammelten Objekte und Wissensbestände das auffällige Merkmal dieses Museums.

Die Ausstellungsintervention „50 Blicke hinter die Dinge – Auf der Suche nach dem Geheimnissen des Museums“, die bis Dezember 2005 im Museum installiert war und nun im Sammelband in Bild und Text dokumentiert wird, machte auf die Umstände und Besonderheiten der Zusammenkunft dieser verschiedensten Objekte an diesem Ort aufmerksam. Der bestehenden Dauerausstellung hinzugefügte Texttafeln hinterfragten die scheinbare Selbstverständlichkeit der Präsenz von Objekten und BesucherInnen im Museum. Im Gegensatz zu einer separaten Sonderausstellung lässt sich die Dauerausstellung aber auch weiterhin im Sinne der Intervention, mit einer Mischung aus gerichteter Aufmerksamkeit und gewünschter Irritation, besuchen. Denn mit dem Sammelband wird auch ein Ausstellungsführer an die Hand gegeben, der mit Blick für und hinter die Dinge quer zu den Abteilungsgrenzen durch das Museum leitet, auch wenn die Schilder und Tafeln, die die Intervention kennzeichneten, bereits abgebaut sind.

Im Sammelband ermöglichen Fotografien und Begleittexte die „Blicke hinter die Dinge“ Die Art und Weise, wie die Kamera den Objekten auf die Pelle rückt, so dass die Inszenierung der Objekte als Museumsobjekte aus dem Sichtfeld verwiesen wird, oder aber Abstand nimmt und die Objekte gerade im Kontext der Vitrinen und Raumanordnung zeigt, eröffnen die verschiedenen Bedeutungsebenen der Dinge.

Die Aufsätze des Sammelbands gehen dagegen kaum auf diese 50 Dinge ein, sondern wenden sich grundsätzlichen Überlegungen zur Institution Museum zu. Die beiden ersten Beiträge von Roger Fayet und Martin R. Schärer eröffnen den theoretisch-reflexiven Rahmen.

Fayet erörtert die verschiedenen Faktoren, „Sinngenerierungstechniken“, die Museen aufwenden, um die Vielfalt an möglichen Deutungen der Museumsobjekte, einzuschränken. Die Unmöglichkeit des Museums, das Verhalten und die Rezeption der BesucherInnen letztlich voraussehen zu können und die grundsätzliche Stummheit der Objekte, bilden die beiden Pole seiner Überlegungen. Er geht von der Überlegung aus, dass Naturalia wie Artefakte, Gebrauchsgegenstände wie Kunstwerke unterstützende Begleitmedien benötigen, die ihnen einen Sinn entlocken und zu einem Bedeutungswandel der Objekte bei Eintritt ins Museum führen. Die räumliche Anordnung und die sprachliche Begleitung der Objekte wirken als primäre Instanzen solch einer ergänzenden Sinnvermittlung. Sie werden, wie z.B. idealtypisch im Fall von Dioramen, durch sekundäre Museumsobjekte, wie Replika, und Bildelemente begleitet. All diese Verfahren sind jedoch keine Techniken, die eine spezielle inhaltliche Interpretation gewährleisten können. Vielmehr bieten sie einen Kontext, innerhalb dessen die BesucherInnnen den Objekten deutend begegnet. Fayet bezieht Valérys Aufforderung an die BesucherInnen, sich freundlich dem Museum und den Objekten zu zuwenden, auf die Institution des Museums an sich. Denn wie die Objekte, bleibt das Bemühen des Museums, Erkenntnis zu ermöglichen, ohne die BesucherInnen ungehört.

Im Gegensatz zu Fayet legt Schärer am Beispiel des von ihm geleiteten Museums „Alimentarium“ Sinn und Zweck museologischer Ausstellungen dar. Sein zentrales Argument ist, dass Museen keine objektiven, neutralen Abbilder schaffen, sondern dass jede Rekonstruktion eines sozialen, historischen oder wissenschaftlichen Zusammenhangs immer eine Neuschöpfung ist. Die von Fayet differenzierten Sinngenerierungstechniken liefern, wie Schärer betont, immer eine spezifische Interpretation der Wirklichkeit. Diesen Prozess der Interpretation den BesucherInnen zugänglich zu machen, erachtet er als notwendig, um einen kritischen Umgang mit diesem Medium zu fördern. Neben einer selbstreflexiven Thematisierung der musealen Tätigkeit schlägt er Brechungen und Verfremdungen von tradierten Seh- und Interpretationsweisen als Ausstellungsmittel vor.

Die weiteren Aufsätze gehen zumeist auf die verschiedenen Abteilungen und Sammlungsbereiche des Schaffhauser Museums ein. Iwan Stössel-Sittig bettet dessen naturhistorische Sammlung in die allgemeine Geschichte naturhistorischer Museen und Ausstellungen ein. Bei seinem Überblick von der Wunderkammer bis hin zur virtuellen Ausstellung versucht er die Veränderung wissenschaftlicher Leitbilder und Ordnungssysteme ebenso zu berücksichtigen wie den ästhetischen und gestalterischen Wandel von naturhistorischen Ausstellungen. Markus Höneisen wählt dagegen die Arbeitsweisen und Wissensobjekte der Archäologie als Ausgangspunkt, um die Möglichkeiten des Ausstellens dieser Wissenschaft zu erörtern. Die Beiträge von Mark Wüst und Daniel Grütter befassen sich mit der Geschichte des Schaffhauser Museums, wobei Wüst die historische Analyse mit Fragen und Problemen einer Neugestaltung der historischen Ausstellung verbindet. Mehr als die anderen Aufsätze berücksichtigt er die durch Fayet und Schärer aufgeworfenen museologischen Fragen. Im Vergleich dazu bleibt eher unverständlich, was die Beiträge von Isa Stürm, Peter Stohler und Daniel Walser mit den eher grundsätzlichen museologischen Fragestellungen des Sammelbandes oder dem konkreten Museum in Schaffhausen zu tun haben. Zwar spielen die Aufsätze an interessanten Beispielen das Verhältnis von Ausstellung und Architektur bzw. Raum durch, doch eine Bezugnahme auf die anderen Beiträge bleibt aus.

Wie das Museum die BesucherInnen, braucht das Buch die LeserInnen, die den Buchdeckel aufschlagen und sich Text, Bild und Thema zuwenden. Wie die verschiedenen Objekte im Museum lassen der Sammelband „Im Land der Dinge“ und die unterschiedlichen Aufsätze mehrere mögliche Interpretationen seitens der LeserInnen zu. Viele Aspekte der Aufsätze lassen sich mit den aktuellen Debatten zum Verhältnis von Menschen und Dingen sowie museologischen Fragestellungen verbinden und sie bieten Reflexions- und Systematisierungshilfen. Manche Darstellungen sind informativ in Bezug auf die Geschichte musealer Sammlungen und die Geschichte des Ausstellens, dennoch wäre eine thematische und analytische Vertiefung manchmal wünschenswert. Anderes wirkt ein wenig unverständlich und unverbunden. Es ist aber auch ein vergnügliches und schönes Buch, in dem es Spaß macht, kreuz und quer zu blättern und zu lesen.

Anmerkung:
1 Hagemann, Susanne: REV-LIT: Fayet, Roger (Hg.), Im Land der Dinge; Jamin, M.; Kerner, F. (Hg.), Die Gegenwart der Dinge, in: H-Museum vom 10.08.2005, <http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=h-museum&month=0508&week=b&msg=ZejTng4RZr9Y%2bdf7U0IehQZr9Y%2bdf7U0IehQ>.

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