M. Korenjak: Publikum und Redner

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Titel
Publikum und Redner. Ihre Interaktion in der sophistischen Rhetorik der Kaiserzeit


Autor(en)
Korenjak, Martin
Reihe
Zetemata 104
Erschienen
München 2000: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
254 S.
Preis
DM 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Gerhardt, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Mit dieser Arbeit - einer revidierten Fassung seiner Innsbrucker Habilitationsschrift von 1999 - wendet sich Martin Korenjak an zwei potentielle Leserkreise: Klassische Philologen und "anderweitig an Rhetorik Interessierte" (Vorwort, S. 7). Einleitend konstatiert er, dass die Rolle des Publikums in der antiken Rhetorik, anders etwa als beim Drama, der Pantomimik und den Wagenrennen,1 bisher kaum Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe, während in den modernen Kommunikationswissenschaften die Bedeutung des Rezipienten für den kommunikativen Akt längst erkannt sei. Korenjak führt dies auf den didaktisch-präskriptiven Charakter der antiken Rhetoriktheorie seit Aristoteles zurück, die das Publikum nur als ein zu manipulierendes Objekt und nicht auch als handelndes Subjekt begreife. Die antike Rhetorik sei infolge dessen redner- und textzentriert, was sich auf die Klassische Philologie übertragen habe. Korenjak hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Sichtweise zu korrigieren und durch den Nachweis, dass die Interaktion zwischen Redner und Publikum einen konstitutiven Bestandteil des rhetorischen Geschehens bildet, den dialogischen Charakter der Rhetorik zu belegen.

Den Gegenstand der Untersuchung bildet die sophistische Rhetorik der Kaiserzeit von Seneca dem Älteren bis hin zu Chorikios von Gaza im 6. Jahrhundert n.Chr., die sich, so Korenjak, trotz des weiten zeitlichen Rahmens und der großen geographischen Verbreitung durch starke Kohärenz und innere Geschlossenheit auszeichne. An der Rhetorik dieser Zeit lasse sich das Verhalten des Publikums besonders gut studieren, da sie dem Hörer auf Grund ihres rein epideiktischen Charakters besondere Aufmerksamkeit widme.2

Korenjak gliedert seine Untersuchung in drei Hauptteile: Im ersten Hauptteil behandelt er die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der sophistischen Rhetorik, und zwar im Hinblick auf (1.) Anlässe, Schauplätze, Ablauf und Funktionen sophistischer Vorträge sowie (2.) Zusammensetzung und Bildungsstand des Publikums. Der zweite Hauptteil ("Das Publikum in Aktion") umfasst (3.) ein Lexikon des Publikumsverhaltens sowie Kapitel über (4.) "Die emotionale Interaktion zwischen Redner und Publikum", (5.) die Möglichkeiten des Publikums, das rhetorische Geschehen mitzugestalten, und (6.) nachträgliche Reaktionen auf rhetorische Darbietungen. Im dritten Hauptteil untersucht Korenjak "Antike Perspektiven" auf das Verhältnis zwischen Redner und Publikum - einerseits (7.) Plutarchs Schrift De audiendo und andererseits (8.) Metaphern, mit denen dieses Verhältnis beschrieben wurde.

Zu Beginn des ersten Kapitels charakterisiert er auf etwas mehr als einer Seite die Gesellschaft der Kaiserzeit - der dafür ebenfalls gebrauchte Begriff "Spätantike" (S. 22 u. 221) erscheint weniger passend - insgesamt als eine "theatralische Gesellschaft", in der nicht nur die Rhetorik, sondern auch Politik, Literatur, Grammatik und Medizin inszeniert und einem Publikum dargeboten wurden. In solcher Knappheit und bezogen auf einen so großen Zeitraum wirkt diese Charakteristik freilich eher behauptet als begründet, auch wenn sich Korenjak hierbei auf andere Arbeiten stützt.3 Den Begriff "sophistische Rhetorik" setzt er mit drei Gattungen gleich: den epideiktischen Reden im engeren Sinne (Lobreden auf Kaiser, Beamte, Städte usw.), den (häufig populärphilosophischen) Dialexeis und den Deklamationen. Bei den Anlässen unterscheidet er solche, die mit dem halböffentlichen Rhetorikunterricht in Verbindung standen (Mustervorträge, Begrüßung und Verabschiedung von Schülern, Berufungsvorträge), gesellschaftliche Anlässe wie Feste und Redewettkämpfe sowie Schaureden aus eigener Initiative der Sophisten in ihrer Heimatstadt oder auf Tourneen.

Schauplatz sophistischer Rhetorik konnte das Theater (oder auch sein kleinerer Verwandter, das Odeon), ein rechteckiger Hörsaal (Auditorium) oder das Rathaus (Bouleuterion) sein. Aber auch Privathäuser, Basiliken, Tempel und Foren / Agorai sind als Redeorte bezeugt. Vor allem das Theater begünstigte durch seine Sitzordnung, so Korenjak, die publikumsinterne Kommunikation und damit gruppendynamische Effekte. Der Ablauf sophistischer Vorträge, vor allem solcher, die der Sophist von sich aus veranstaltete, folgte einem klar erkennbaren Schema: von der Reservierung eines geeigneten Raumes und der Ankündigung durch Sklaven, Anschläge oder Mundpropaganda über die unmittelbare Vorbereitung des Sophisten durch Stimmübungen, die Vorrede (Prolalia), die Themenwahl (bei Deklamationen) und den Hauptvortrag von einer bis anderthalb Stunden Länge bis hin zum entspannenden Bad nach dem Ende der Vorstellung.

Die soziale Funktion der sophistischen Rhetorik ging, wie Korenjak im Anschluss vor allem an S. Swain und Th. Schmitz 4 ausführt, über ihren reinen Unterhaltungswert hinaus: Als Inszenierung traditioneller griechischer Bildung hielt sie im griechischen Osten die Verbindung der Gesellschaft mit ihrer großen Vergangenheit aufrecht und diente zugleich der Selbstvergewisserung der Oberschicht als intellektueller Elite. Die Frage, inwieweit ähnliches auch für den lateinischen Westen galt, wird nur in einer Fußnote (S. 40, Anm. 106) kurz angerissen, da hier keine einschlägigen Untersuchungen vorliegen.

Im zweiten Kapitel über die Zusammensetzung und Bildung des Publikums setzt sich Korenjak vor allem mit der von Schmitz 5 vertretenen Ansicht auseinander, die sophistischen Vorführungen hätten ein Massenpublikum angezogen, das keineswegs nur aus Liebhabern und Kennern, sondern sogar großenteils aus Analphabeten bestanden hätte. Korenjak verweist sicherlich zu Recht darauf, dass bei den Zahlenangaben der Sophisten über ihr eigenes Publikum mit Übertreibungen zu rechnen sei, verfällt aber bei der Interpretation der wenigen Zeugnisse in das umgekehrte Extrem. Sein Argument etwa, bei der Interaktion zwischen Redner und Publikum habe die Mimik eine große Rolle gespielt, spricht nicht unbedingt gegen größere Zuschauerzahlen, denn auch in einem modernen Theater, wo die Mimik der Schauspieler nicht weniger wichtig ist, kann sie aus den hinteren Reihen eines dritten Rangs kaum oder nicht mehr wahrgenommen werden. Hatte Korenjak zuvor (S. 28) die Theater als wichtigste Vortragsorte des Sophisten genannt, so bezeichnet er nun (S. 44) Angaben über deren Fassungsvermögen (das Dionysostheater in Athen etwa fasste 14 000 Personen)6 als "wenig hilfreich, da sie nicht primär für derartige Anlässe konstruiert wurden und bei diesen vermutlich kaum jemals voll sind". Bei der Ansetzung der Publikumsgröße eines durchschnittlichen sophistischen Vortrags "irgendwo zwischen fünfzig und fünfhundert Personen" (S. 45) wird man ihm sicherlich folgen, aber die Auftritte von Stars der Szene, die naturgemäß am längsten im Gedächtnis haften blieben, dürften durchaus einmal tausend oder mehr Zuschauer angezogen haben.

Die Frage, wie groß der Anteil von Angehörigen der Oberschicht und damit von gebildeten Zuhörern am Publikum war, ist für Korenjaks Argumentationsgang von einiger Wichtigkeit (vgl. z.B. die Konklusion, S. 220), da hiervon das Niveau der Interaktion zwischen Publikum und Redner abhängt. Die von Schmitz (S. 171-175) angeführten Beispiele dafür, dass an das Wissen der Zuhörer z.T. nur sehr geringe Ansprüche gestellten wurden, kann Korenjak noch nicht dadurch entkräften, dass er reichlich summarisch ihre "simple Machart" (S. 43) kritisiert.

Das Durchschnittsalter der Zuschauer schätzt Korenjak auf Grund eines hohen Anteils an Rhetorikschülern auf 25 bis 30 Jahre, womit sich die immer wieder beklagte Disziplinlosigkeit des Publikums erklären lasse. Dass auch Frauen an sophistischen Vorträgen teilnahmen, sieht er als wahrscheinlich an, wenn es sich auch kaum durch Quellen belegen lässt, jedoch seien sie zu größerer Zurückhaltung als die Männer verpflichtet gewesen.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Korenjak dem "Sonderfall Bildung". Drei Gruppen werden dabei unterschieden: erstens die ungebildeten, meist der Unterschicht entstammenden Hörer, zweitens die in Folge ihrer einstigen Teilnahme am Rhetorikunterricht gebildeten Hörer und drittens die Experten - Sophisten und z.T. auch ihre Schüler. Während sich die erste Gruppe vor allem von den Äußerlichkeiten des Vortrags beeindrucken ließ und von den Sophisten entsprechend abfällig beurteilt wurde, war die zweite Gruppe mit dem Redner durch die Zugehörigkeit zur selben sozialen Schicht und durch die gemeinsame kulturelle Identität verbunden. Bei den Deklamationen mit ihren der griechischen Geschichte entnommenen Themen sei sie in die Rolle des damaligen Publikums, etwa der Athener der klassischen Zeit, geschlüpft und habe sich so mit der glorreichen Vergangenheit identifiziert. Korenjak beschränkt sich hier auf Grund der Quellenlage wiederum auf das griechische Publikum und äußert über das römische lediglich einige vage Vermutungen (S. 57, Anm. 58). Er hält die gebildeten Hörer für den zahlenmäßig stärksten Teil des Publikums, muss aber einräumen, dass sie in den Quellen nur selten auftauchen, was er damit erklärt, dass sie an einem störungsfreien Ablauf des Vortrags interessiert waren und daher "ein statisches und stabilisierendes Element" (S. 61) bildeten. Die dritte Gruppe schließlich stellte den kompetentesten und damit auch kritischsten Teil des Publikums dar. Rhetorikschüler applaudierten in der Regel bei den Reden ihres Lehrers und störten zuweilen die seiner Konkurrenten. Die Sophisten selbst demonstrierten entweder betont freundschaftliches Wohlwollen oder überlegene Ablehnung bei den Vorträgen ihrer Kollegen.

Hohen Unterhaltungswert hat das Lexikon des Publikumsverhaltens, das den zweiten Hauptteil des Buches eröffnet. Korenjak teilt das Publikumsverhalten in Anlehnung an die moderne Semiotik ein in Chronemik und Proxemik (Einflussnahme auf die zeitliche und räumliche Ebene der Interaktion, z.B. zu spätes Erscheinen und vorzeitiges Weggehen, das Verkleinern der Distanz zum Redner bis hin zum Körperkontakt), in sprachliche (Akklamationen) und parasprachliche Äußerungen (Lärm, Gemurmel, Zischen), in Mimik und Gestik sowie Körpersprache (Sitzhaltung, Aufspringen u.ä.). Besonders interessant sind solche Äußerungen, die keine Parallele im modernen Publikumsverhalten besitzen, z.B. Schmatzgeräusche und das Anheben des Gewandes als Formen von Beifall.

Im vierten Kapitel über die emotionale Seite des Redner-Publikum-Verhältnisses kommen Phänomene wie Massenhysterie und Starkult zur Sprache, die in der Antike stärker als heute im Sinne einer quasireligiösen Verehrung gedeutet wurden. Breiten Raum widmet Korenjak der emotionalen Macht des Publikums über den Redner. Er verweist auf die labile psychologischen Situation des Redners, der sich in die (fiktive) Situation seiner Rede hineinversetzen musste, mit Lampenfieber zu kämpfen hatte und von seinem Gedächtnis bzw. seiner Improvisationsgabe abhängig war. An dem von Philostrat beschriebenen Scheitern des Herakleides von Lykien vor einem (vermeintlich) missgünstigen Publikum - dem Hofstaat des Septimius Severus - kann Korenjak zeigen, wie falsche Erwartungen und Missverständnisse den Redner aus dem Konzept bringen konnten. Unter die Rubrik "emotionale Destruktion" ordnet Korenjak auch magische Praktiken der Sophisten gegen ihre Konkurrenten ein. Hier genügte schon die Angst vor solchen Praktiken, um bei einem Redner wie Libanios Gedächtnisblockaden und Arbeitsunfähigkeit hervorzurufen.

Dem fünften Kapitel über "Die Mitgestaltung des rhetorischen Geschehens durch das Publikum" kommt besondere Bedeutung für Korenjaks These zu, dass es sich bei der sophistischen Rhetorik um eine dialogische Kommunikationsform handelt. Den größten Einfluss auf den Ablauf des Vortrags hatte das Publikum bei Deklamationen, wo es das Thema vorschlagen durfte. Korenjak zeigt jedoch, dass diese Themenwahl an ungeschriebene Gesetze gebunden war: Sie stand nur den Angesehensten zu, das Thema musste der rhetorischen Theorie genügen, und der gute Ton forderte Rücksichtnahme auf die Stärken des Redners. Nur wenn das Verhältnis zwischen Redner und Publikum von vornherein gestört war, kamen Verstöße gegen diese Gesetze vor. Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag bot den Hörern die Möglichkeit, ihren Sachverstand unter Beweis zu stellen und ihrerseits mit rhetorischer Brillanz zu punkten. Auch den in der Sophistik verbreiteten Einsatz von Claqueuren behandelt Korenjak in diesem Zusammenhang, obwohl es eher der Redner war, der durch Anmieten einer Claque das rhetorische Geschehen in seinem Sinne steuerte.7

Neben solchen 'institutionalisierten' Formen der Publikumsintegration werden kleinräumige Interaktionsformen wie z.B. Szenenapplaus besprochen. Dieser hatte die wichtige Funktion, dem improvisierenden Redner Denkpausen zu verschaffen. Durch den geschickten Einsatz von Sentenzen konnte der Redner, wie Korenjak zeigt, Szenenapplaus gezielt hervorrufen, was den häufig getadelten Sentenzenreichtum sophistischer Texte plausibel erklärt.

Weniger gut belegt ist das Nachsprechen oder (im Falle wiederkehrender rhythmisierter Satzschlüsse) Vorwegnehmen einzelner Textstellen durch das Publikum. Hier zeigt sich exemplarisch ein auch an anderen Stellen der Darstellung greifbares Problem: Auf Grund der schlechten Quellenlage (vgl. S. 11; 14f.) zieht Korenjak zuweilen aus wenigen zweifelhaften Belegen weitreichende Schlussfolgerungen, die nicht immer nachvollziehbar sind. So ist der einzige Beleg für das Nachsprechen eine gleichnishafte Lukian-Stelle (De domo 3), die Korenjaks Interpretation nicht unbedingt stützt, und auch die Vorwegnahme ist in der rhetorischen Praxis nur einmal belegt, und zwar nicht als vom Redner erwünschter Effekt, wie ihn Korenjak aus den theoretischen rhetorischen Schriften herleitet, sondern als Akt der Sabotage durch das Publikum (vgl. S. 143). Skepsis ist ebenfalls gegenüber Anzeichen für Kommunikation mit dem Publikum im Text der Reden geboten (im Stile von "Ihr wollt noch mehr darüber hören? Nun denn ..."), da es sich hier um ein bloßes Stilmittel handeln kann (so Korenjak selbst S. 138, Anm. 78). Schließlich werden Fälle untersucht, in denen das Publikum Eigeninitiative entfaltete, etwa durch Begeisterungsausbrüche und die Forderung nach Zugaben oder im Gegenteil das Sabotieren einer Darbietung, die nicht den Erwartungen genügte.

Im Kapitel 6 über "Nachwirkungen sophistischer Reden" betrachtet Korenjak zunächst die Errichtung von Ehrenstatuen und -inschriften. Nach dem Zeugnis der Inschriften wurden die Sophisten weniger für ihr rhetorisches Können als ganz allgemein für ihre Verdienste um die Gemeinschaft geehrt. Ergiebiger sind zwei Reden des Apuleius und des Favorinus über die Errichtung bzw. Beseitigung von Statuen dieser beiden Redner. Korenjak deutet die Prozedur, die der Aufstellung einer solchen Statue vorausging, als "eine Art von zeremoniellem Dialog" (S. 154), der für beide Seiten mit Prestigegewinn verbunden war. Weitere Nachwirkungen sophistischer Reden konnten deren Veröffentlichung auf Grund von Hörermitschriften sein oder die Verbreitung einiger besonders einprägsamer Passagen als 'Schlager'.

Neben seine Versuche, die Rolle des Publikums anhand von verstreuten Bemerkungen und impliziten Informationen nachzuzeichnen, stellt Korenjak im dritten Hauptteil seines Buches die Analyse direkter antiker Äußerungen zu diesem Thema. Der einzige monograpische Text hierzu - Plutarchs Traktat De audiendo - handelt freilich vom richtigen Verhalten nicht bei sophistischen Reden, sondern bei philosophischen Vorträgen. Korenjak umgeht dieses Hindernis, indem er zu Recht auf die Nähe von sophistischer und philosophischer Beredsamkeit hinweist, wenn diese auch von Seiten der Philosophen (und nicht zuletzt von Plutarch selbst) immer wieder bestritten worden ist. Plutarchs idealer Hörer bringt dem Redner Wohlwollen entgegen und nimmt die goldene Mitte zwischen dem kritiksüchtigen Neider und dem unkritischen Bewunderer ein. Er beweist beim Zuhören Tugenden wie Aggressionskontrolle und Kooperationsbereitschaft, die für eine rechte Lebensführung überhaupt Voraussetzung sind. Der Vortragsbetrieb erhielt so eine erzieherische Funktion - er bereitete die Jugendlichen auf ihre Rolle als Mitglieder der Oberschicht vor.

Im letzten Kapitel behandelt Korenjak die Metaphern, mit denen sophistische Rhetorik beschrieben wurde, und unterscheidet dabei insgesamt fünf Modelle: agonale Metaphorik, in der das Publikum als Schiedsrichter über die Rede oder sogar als Gegner des Redners auftritt, Herrschaftsmetaphorik, bei der der Redner unumschränkter Herrscher über sein Publikum, aber auch (vor allem aus Sicht der Philosophen) dessen gefallsüchtiger Sklave sein kann, erotische Metaphorik, die dem Redner überraschend häufig den passiven Part des oder der Geliebten und dem Publikum den des Liebenden zuweist, musikalische Metaphorik vom Publikum (insbesondere dem Schülerkreis eines Sophisten) als Chor und dem Redner als seinem Chorführer und schließlich Mysterienmetaphorik mit dem Redner (vor allem dem Rhetoriklehrer) als Hierophanten oder Mystagogen und den Hörern als Mysten. Die einzelnen Metaphernfelder sind unterschiedlich gut durch Beispiele belegt. Während sich die Herrschafts-, Chor- und Mysterienmetaphern bei einer Fülle unterschiedlicher Autoren finden, sind die für agonale und erotische Metaphorik herangezogenen Beispiele weniger zahlreich und zudem so widersprüchlich, dass sie sich nur schwer einer Interpretationsrichtung zuordnen lassen. Insgesamt aber bestätigen die Metaphern das zuvor gewonnene Bild vom Publikum als aktivem Partner im rhetorischen Geschehen.

Mag man Korenjak auch nicht in jedem Punkt seiner Argumentation zustimmen, so kann er doch seine Grundthese - den dialogischen Charakter der sophistischen Rhetorik der Kaiserzeit - überzeugend belegen. In der Konklusion erweitert er diese These auf die Rhetorik insgesamt, weist auf potentielle Arbeitsgebiete hin und fordert eine stärkere Berücksichtigung dialogischer Elemente auch in der modernen Rhetoriktheorie. Das Buch endet mit einem Abkürzungs- und Literaturverzeichnis,8 einem Stellenregister, das leider nur eine Auswahl der im Text enthaltenen Quellenbelege aufführt, wobei die Kriterien der Auswahl nicht deutlich werden, sowie vier weiteren Indices mit griechischen und lateinischen Begriffe, Sachen und Eigennamen.

Korenjaks anregende und materialreiche Untersuchung ist übersichtlich gegliedert, flüssig geschrieben und sorgfältig redigiert. Alle lateinischen und griechischen Zitate werden auch in Übersetzung geboten, was um so mehr zu begrüßen ist, als die Übersetzung häufig bereits eine Interpretation darstellt. Immer wieder sind Vergleiche mit dem heutigen Publikumsverhalten eingeflochten, weitere drängen sich beim Lesen unwillkürlich auf. Vor allem der wissenschaftliche Vortragsbetrieb bietet zahlreiche Parallelen, und so möchte man manchem geltungssüchtigen Zuhörer Korenjaks Buch oder auch Plutarchs Traktat über die Kunst des Zuhörens besonders zur Lektüre empfehlen.

Anmerkungen:
1 Zu nennen sind hier die Arbeiten von Al. Cameron, Circus Factions. Blues and Greens at Rome and Byzantium, Oxford 1976 und H. Kindermann, Das Theaterpublikum der Antike, Salzburg 1979 sowie aus jüngerer Zeit P. D. Arnott, Public and Performance in the Greek Theatre, London / New York 1989; A. M. van Erp Taalman Kip, Reader and Spectator. Problems in the Interpretation of Greek Tragedy, Amsterdam 1990; R. C. Beacham, The Roman Theatre and its Audience, London 1991 und Sh. Bartsch, Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian, Cambridge / London 1994.
2 Dies erscheint freilich nicht ganz schlüssig, da gerade auch der forensische oder politische Redner auf seine Hörer eingehen muss, um sie zu einer Entscheidung in seinem Sinne zu bewegen, vgl. S. 115 u. 196.
3 Vgl. auch die Kritik von G. Woolf (Rez. in JRS 83, 1993, 257f.) an der Überbetonung der Idee einer 'spectator culture' durch Av. Cameron in ihrem Buch "Christianity and the Rhetoric of Empire" (Berkeley 1991), das Korenjak anführt.
4 S. Swain, Hellenism and Empire. Language, Classicism, and Power in the Greek World, AD 50-250, Oxford 1996, bes. 89-100; Th. Schmitz, Bildung und Macht, Zur sozialen und politischen Funktion der zweiten Sophistik in der griechischen Welt der Kaiserzeit, München 1997, bes. 44-50.
5 Schmitz (wie Anm. 4), 160-175.
6 Kindermann (wie Anm. 1), 18f.
7 Laut Korenjak (S. 126f.) brauchten die Claqueure "Sachkenntnis und Rhythmusgefühl", während sie der jüngere Plinius (epist. 2, 14, 7) als non intellegentes, ne audientes quidem abqualifiziert.
8 Hier fehlt M. L. Astarita, La cultura nelle "Noctes Atticae", Catania 1993 (zit. S. 163, Anm. 50).

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