M. Kulikowski: Late Roman Spain and its cities

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Titel
Late Roman Spain and its Cities.


Autor(en)
Kulikowski, Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 489 S.
Preis
£ 39,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido M. Berndt, Institut zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Universität Paderborn

Michael Kulikowski widmet diese Monografie der Stadtkultur des spätrömischen und frühmittelalterlichen Spaniens und es gelingt ihm, dieser Region jene Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die anderen römischen Provinzen wie beispielsweise Gallien oder Britannien seitens der Forschung schon seit langer Zeit zukommt. Es ist eine der Stärken dieser Studie, dass dabei zahlreiche festgefahrene Paradigmen und lange gepflegte Forschungstraditionen analysiert, hinterfragt und schließlich widerlegt werden können. Dabei lässt Kulikowski immer wieder Fallbeispiele einfließen, die in sich schon lesenswerte Dokumentationen römischer Städte in Spanien sind, so - um nur ein Beispiel herauszugreifen - seine präzisen Beobachtungen zu Tarragona (S. 57-62).

Vor allem möchte Kulikowski aber die Spätantike stärker als bisher in einer Kontinuität zu kaiserzeitlichen Verhältnissen begreifen und sie damit nicht abrupt mit einer Krise im 3. Jahrhundert beginnen lassen. Der deutliche Rückgang des epigrafischen Materials sowie der gleichzeitige intensive Bau von Villen auf dem Land wurden nach älterer Lehrmeinung zumeist als Indikatoren für diese Umbrüche verstanden. Gleichzeitig waren die Werke des Hydatius und Orosius gewissermaßen Garanten für den Beweis eines Todesstoßes, den die Barbaren Spanien zu Beginn des 5. Jahrhunderts versetzt hatten. Diese einmal von der Forschung verinnerlichte Ansicht über den Zerfall der urbanen Strukturen in der Spätantike ist nach wie vor kaum aufzubrechen. Kulikowski hingegen schwebt eine Quellenkritik vor, die auf moderner verfeinerter historischer Methodik beruht. Im Sinne des ursprünglich durch Walter Goffart in der Frühmittelalterforschung vollzogenen "linguistic turn" versteht der Autor diese Zeugnisse zunächst als literarische Produkte, deren Interpretation bestimmte Hindernisse in den Weg gelegt sind.1 Der Verfasser konstatiert zudem, dass die schriftlichen Zeugnisse für den Untersuchungszeitraum insgesamt eher gering und daher um weiteres Quellenmaterial zu bereichern sind. Dieses findet er in der Archäologie.

Eingeschränkt wird diese Materialbasis allerdings dadurch, dass die Dokumentation spanischer Ausgrabungen bis in die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nur mit wenigen Ausnahmen den Standards moderner Forschung entsprachen, da ihre Befunde häufig schon im Vorfeld aufgestellte Theorien belegen sollten (S. 86). Erst in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten wurde seitens der spanischen Archäologie der Weg beschritten, die archäologischen Quellen nicht in ein Gerüst einzuhängen, das durch die fragmentarischen Schriftquellen vorgegeben ist, sondern den umgekehrten Weg zu verfolgen und die archäologischen Quellen gewissermaßen gegen die schriftlichen Quellen zu lesen. Von den etwa 20.000 Inschriftenfunden aus der Zeit zwischen der römischen Republik und der arabischen Eroberung datiert etwa ein Zehntel in die Zeit nach 250 n.Chr., dies in Analogie zum gesamten Imperium. Der Wegfall des epigrafischen Nachweises der Wahrnehmung öffentlicher Ämter in den civitates bedeute jedoch nicht, so Kulikowski, dass diese Aufgaben überhaupt nicht mehr wahrgenommen worden wären, sondern nur, dass das Memorieren in Stein ist weggefallen ist (S. 32). Demnach wären die etwa 150 Jahre intensiver epigrafischer Tätigkeit eher als Ausnahme von der Regel zu begreifen. Vor allem während des intensiven Romanisierungsprozesses versicherten sich die Auftraggeber von Inschriften so ihrer neugewonnenen römischen Identität.

Zu Beginn der Studie erfolgt in groben Strichen ein Nachzeichnen der römischen Eroberungen in Spanien mit dem Verweis auf den Zusammenhang mit den Punischen Kriegen und der gesamten römischen Expansionspolitik. Daran schließt sich eine Beschreibung des darauf folgenden Romanisierungsprozesses an, der insbesondere für das Phänomen der Stadtentwicklung von großer Bedeutung war. Seit 73/74 sind die Städte der spanischen Provinzen munizipal organisiert (municium iuris Latii minus). In den Wirren des so genannten Vierkaiserjahres hatte Galba in Spanien Truppen rekrutiert; als Belohnung für diese Unterstützung wurden umfangreiche Rechte vergeben. Dementsprechend, so argumentiert der Autor, bedeutete die Constitutio Antoniania aus dem Jahre 212 keine grundlegende Neuordnung der provinzialen Verhältnisse. Am Ende der flavischen Ära umfasste Spanien etwa 300-400 civitates, die alle ein Rom en miniature waren, mit dem gesamten Ämterapparat der Kurialen, Magistraten, Aedilen, Quaestoren usw.

Seit der erfolgreichen Romanisierung in der zweiten Hälfte des 1. nachchristlichen Jahrhunderts werden die historischen Nachrichten zur Geschichte Spaniens rar. Nur Einzelfälle wie die Teilnahme bestimmter Kreise an Usurpationen oder der Barbareneinfall um 260 sind dokumentiert; vereinzelte historische Mosaiksteinchen, die keine schlüssige Narrative zulassen. Dies ändert sich erst mit dem Ende der römischen Verwaltung im ausgehenden 5. Jahrhundert. In den wenigen zur Verfügung stehenden Quellen findet Kulikowski überraschend viele Belege seiner Kontinuitätstheorie. So liest er beispielsweise die canones des ersten westlichen Kirchenkonzils von Elvira als ein Zeugnis der Kontinuität der munizipalen Traditionen zu Beginn des 4. Jahrhunderts (S. 41). Bei der Entscheidungsfindung während des Konzils bedienten sich die Bischöfe genau derjenigen Strukturen, wie sie es aus dem Römischen Reich kannten, genauer aus den römischen städtischen Institutionen. Weitere Belege für die Existenz der curiae im 5. Jahrhundert ergeben sich aus den zahlreichen Gesandtschaftsberichten, die Hydatius in seiner Chronik verzeichnet.

Entgegen der traditionellen Forschungsmeinung, die ruralización durch Krisen zu erklären, sieht Kulikowski hier Veränderungen, die bereits durch die diokletianischen Verwaltungsreformen ausgelöst wurden. Hinzu kommen ökonomische Veränderungen. Der Rückgang der Ölproduktion vor allem in der Baetica ist nicht zwangsläufig Beweis einer Wirtschaftskrise, da gleichzeitig immer mehr Garum-Fabriken aufgebaut wurden. Ihre Produktionstätigkeit lässt sich teilweise bis in das 6. Jahrhundert hinein verfolgen. Auch sich kontinuierlich wandelnde Moden zieht der Verfasser als Auslöser von Veränderungen in der Hispania in Betracht. So wurden nicht alle öffentlichen Gebäude durch die provinzialen Stadtbewohner über Jahrhunderte instand gehalten. Theater, Amphitheater oder Circi konnten ihre ursprüngliche Funktion verlieren und anderweitig verwendet werden. Auch dies muss nicht zwangsläufig als Indikator einer Krise interpretiert werden. Gleiches gilt auch für die Thermen, da man nun nicht mehr in der Öffentlichkeit zu baden pflegte, sondern intimer und privater. Diese Entwicklung war nicht zuletzt dem Einfluss geschuldet, der der neuen Moralvorstellung der Christen und ihrer spezifischen Auffassung zur Nacktheit entsprach. Ein weiterer traditioneller Indikator für krisenhafte Situationen in der Spätantike sind die verstärkt auftretenden Münzhortfunde. Doch auch sie, so argumentiert der Autor, lassen sich nicht eindeutig interpretieren, da zu unsicher ist, unter welchen Umständen sie jeweils in den Boden gelangten. Allenfalls die Tatsache, dass diejenigen, die die Münzen einst versteckten, keine Gelegenheit mehr hatten, die Reichtümer wieder zu heben, spricht für gesellschaftliche Fluktuationen.

In der zweiten Hälfte des Buches werden die Invasionen barbarischer Gruppen in Spanien beschrieben, die allerdings weder Vandalen, Alanen oder auch Sueben zu einem dauerhaften Erfolg verhalfen. Nicht in den Auswirkungen der Anwesenheit dieser - sich ohnehin in der Minderheit befindlichen - Gentes ist der Anfang vom Ende der römischen Herrschaft zu sehen, sondern erst in dem Wegfall der römischen Verwaltungsorganisation nach dem Tode Kaiser Maiorians im Jahre 461. Dieses Vakuum ausnutzend, seien dann die Westgoten vorgedrungen, um ihr Reich auf der Iberischen Halbinsel zu installieren. Doch sucht man eindeutige archäologische Belege für diese Vorgänge vergeblich. Erst in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhundert, namentlich unter König Leovigild, gelang es den Goten sich in der Hispania zu etablieren. Die Städte hatten im Verlaufe dieser machtpolitischen Veränderungen allmählich ihre Gestalt verändert, um ihren bereits jetzt in das Frühmittelalter verweisenden Charakter auszuprägen. Hier ist auch die Rolle des sich seit dem 5. Jahrhundert zusehends ausbreitenden Christentums zu erwähnen, das gerade auf die Topografie von Städten mit zahlreichen Kirchenbauten großen Einfluss zu nehmen begann. Zum Schluss seien noch zwei kritische Punkte genannt: Zum einen hätten sich die Leser/innen eine stärkere Auseinandersetzung mit den Thesen von Wolf Liebeschütz über den "decline" der römischen Städte gewünscht2, zum zweiten hätten die innovativen Forschungen von Edward A. Thompson, der letztlich der Erforschung des spätantiken und frühmittelalterlichen Spaniens zu neuen Impulsen verhalf, stärker gewürdigt werden können.3

Nichtsdestotrotz kommt Kulikowski im Laufe seiner Studie immer wieder zu neuen und manchmal überraschenden Ergebnissen. Die römische Stadt, die sich in all ihren Variationen auf der Iberischen Halbinsel entwickelt hatte, ging nicht in - von der Forschung überbetonten - Krisen unter, sondern hatte eine Kontinuität bis weit in das 6. Jahrhundert. Diese Interpretation dürfte eine neuerliche Forschungsdebatte auslösen, der zu wünschen ist, zu einem tieferen Verständnis der römischen und nachrömischen Hispania zu gelangen.

Anmerkungen:
1 Goffart, Walter, The Narrators of Barbarian History (AD 550-800). Jordanes, Gregory of Tours, Bede, and Paul the Deacon, Princeton 1988.
2 Liebeschütz, J. H. Wolfgang G., Decline and Fall of the Roman City, Oxford 2001.
3 Thompson, Edward A., The End of Roman Spain. I-IV Nottingham Medieval Studies 20 (1976), S. 3-28; 21 (1977), S. 3-31, S. 22 (1978), 3-22, S. 23 (1979), 1-21.

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