K. Bowes u.a. (Hgg.): Hispania in Late Antiquity

Cover
Titel
Hispania in Late Antiquity. Current perspectives


Herausgeber
Bowes, Kim; Kulikowski, Michael
Reihe
The medieval and early modern Iberian world 24
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 645 S.
Preis
€ 156,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido M. Berndt, Institut zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Universität Paderborn

Der in der Schriftenreihe 'The Medieval and Early Modern Iberian World' erschienene Sammelband unternimmt den Versuch einer Neubewertung der Geschichte der spätantiken Hispania. Die Herausgeber bieten darin der interdisziplinären Forschung eine Plattform, ihre neuen Ergebnisse zur Transformation der römischen Welt zwischen Spätantike und frühem Mittelalter zu veröffentlichen. Gleichzeitig werden die spanischen Provinzen aus ihrer bisherigen - durch eine lange Forschungstradition gefestigten - Isolation gelöst und in einen generelleren Kontext mit dem Römischen Imperium gestellt. Die Auswahl der Einzelstudien umfasst dabei so unterschiedliche Bereiche wie etwa die Geschichte des frühen Christentums auf der Iberischen Halbinsel, Urbanisierungsprozesse, die baugeschichtliche Entwicklung römischer Villen, Landwirtschaft, Handel und Militärwesen.

Insgesamt ist der Band in vier Abschnitte unterteilt, deren erster lediglich einen Artikel umfasst. In diesem stellt Michael Kulikowski die Städte der Hispania und ihre Verwaltungsstrukturen in den Vordergrund. Er betont, dass es insbesondere bezüglich des städtischen, durch die administrative Organisation geprägten Gefüges eine Stabilität von der frühen Kaiserzeit bis in das 5. nachchristliche Jahrhundert gab. In einer Kombination aus Neubewertungen älterer Grabungsberichte, aktuellen archäologischen Forschungen in Spanien sowie den wenigen verstreuten historischen Nachrichten entwirft Kulikowski ein Bild der Kontinuität, das die ältere Lehrmeinung von einem generellen Niedergang des spanischen Städtewesens (im 3. Jahrhundert!) in der Spätantike widerlegen kann. Weitere Untersuchungen müssten zukünftig, so seine daran anschließende Forderung, die Epoche der Spätantike als einen Entwicklungsschritt begreifen, der auf den wesentlich älteren Strukturen der römischen Kaiserzeit beruht.

Im zweiten Abschnitt des Sammelbandes finden sich vier Beiträge, die das "Christentum und die Kirche" behandeln. Herausragende Ereignisse wie Konzilien auf spanischem Boden oder auch die Herkunft des Kaisers Theodosius werden thematisiert, um zu verdeutlichen, welchen Anteil Spanien an der Geschichte des Mittelmeerraumes hatte. Als eine Prämisse dient dabei, dass die außerordentliche "Christlichkeit" Spaniens bereits seit dem 16. Jahrhundert immer wieder konstatiert, wenn nicht gar überbetont wurde. Insbesondere die Rückprojektionen auf die Verhältnisse der Gegenreformationszeit führten dazu, dass sich viele Forscher die Iberische Halbinsel auch in der Frühphase des Christentums als eine unumstrittene Bastion der Rechtgläubigkeit vorstellten. Nach diesem Modell sei Spanien mehr oder weniger unberührt von den konfessionellen Streitigkeiten des 4. und 5. Jahrhunderts geblieben. Arianismus und Priscillianismus wären demnach nur kurze Episoden, die allenfalls in den bäuerlichen Gegenden Galiciens von einiger Bedeutung gewesen seien.

Diesen Abschnitt des Sammelbandes eröffnet Neil McLynn. Aufbauend auf das von Theodosius veröffentlichte Cunctos populos aus dem Jahre 380 analysiert er dessen religiöse Haltung. Darin habe dieser das nicaenische Glaubensbekenntnis zur Orthodoxie erhoben und gleichzeitig alle anderen Auffassungen, pagane wie "arianische", zur Häresie erklärt. Diese Gesetzgebung versuchte man gemeinhin mit der spanischen Herkunft des Theodosius zu erklären. McLynn hingegen betont, dass der Kaiser sich kaum in Spanien aufgehalten habe und daher seine religiösen Ansichten auch nicht aus diesem Umfeld stammen können. Des Weiteren untersucht McLynn den Einfluss, den die Kirche von Thessaloniki im 4. Jahrhundert hatte, und stellt die politische Unerfahrenheit Kaisers Theodosius heraus, die eine Einflussnahme verschiedener Personengruppen erst ermöglichte. Insbesondere in Maternus Cynegius sieht McLynn einen der einflussreichen Männer. Doch charakterisiert er ihn weniger als "antiheidnischen" Akteur, als der er des Öfteren beschrieben worden ist.

Victoria Escribano vermutet in ihrem Beitrag, dass es sich bei dem Phänomen des Priscillianismus um nichts anderes als einen neuen Namen für eine alte Auseinandersetzung handelt, nämlich den Arianismus. Ausgangspunkt dafür sei die hoffnungslose Zerstrittenheit der lapsi mit den Rechtgläubigen gewesen. Diese Kontroverse analysiert Escribano in ihren Anfängen und kann zudem zeigen, dass es sich dabei nicht um ein innerspanisches Problem handelte, sondern in den Kontext der konfessionellen Debatten im gesamten Imperium gehört. Den nächsten Aufsatz dieser Sektion steuert Pedro Castillo Maldonando bei. In einem ersten Schritt zeichnet er die forschungsgeschichtlichen Entwicklungen nach. Den Beginn der Diskussion sieht er bereits vor etwa einhundert Jahren. Von Kirchenhistorikern, Archäologen und Historikern wurden diese Probleme erstmals angesprochen. In einem zweiten Schritt gelangt der Autor zu möglichen Neuansätzen über die Frühgeschichte des christlichen Spanien. Castillo kommt weiter zu der Ansicht, dass es in den spanischen Provinzen im Vergleich zu anderen Provinzen des Imperiums keinen so stark ausgeprägten Märtyrerkult gegeben habe. Im Unterschied zu anderen Regionen kannte man in Spanien offenbar keine confessores oder verehrungswürdigen Asketen. Erst im 6. und 7. Jahrhundert kamen durch die inventio und die "Wiederentdeckung" von Heiligen neue Kulte auf.

Kim Bowes geht in ihrem Beitrag der Frage nach, ob sich eine spezifisch spanische christliche Kultur feststellen lässt, die sich signifikant von der ihr benachbarter Regionen unterscheiden ließe. Ihr Ausgangspunkt sind dabei die Zeugnisse einer frühchristlichen Architektur. Dabei kann sie zwar kaum Unterschiede zu den angrenzenden Provinzen ausmachen, dafür aber deutliche Divergenzen zwischen einer urbanen und einer ländlichen Kultur innerhalb Spaniens nachweisen. Zur Erklärung dieses Phänomens zieht Bowes zudem die schriftliche Überlieferung heran, aus der sie eine nur schwache Verbindung zwischen der ländlichen Aristokratie und den in den Städten agierenden Bischöfen ableitet. Offenbar waren diese von spezifischen Eigeninteressen geleitet, die zur Folge hatten, dass die Bischofssitze weniger als Zentralorte des christlichen Glaubens aufgefasst wurden und sich somit keine breitgefächerte christliche Infrastruktur im 4. und 5. Jahrhundert ausprägen konnte.

Die im dritten Abschnitt des Bandes zusammengestellten drei Artikel wenden sich gegen die ältere Forschung, die das Spanien der Spätantike, zugespitzt formuliert, als historisches Unikum, abgetrennt von der Geschichte des Imperium sehen wollte. Sie zeigen, dass sich die Hispania nicht in einer isolierten Position befand, sondern ein weites Netz an Beziehungen zu seinen benachbarten Provinzen Africa und Gallien unterhielt, also ein integraler Bestandteil des Imperium war. In ähnlicher Weise argumentieren auch Pablo C. Diaz und Luís R. Menéndez-Bueyes im dritten Abschnitt des Sammelbandes, wobei sie sich im Wesentlichen auf die nordwestlichen Regionen der Iberischen Halbinsel konzentrieren. Ausgehend von der These, dass die gesamte Gegend bis ins 1. nachchristliche Jahrhundert kaum urbane Strukturen aufwies, fragen die Autoren nach den Gründen der dann einsetzenden Veränderung. Die Romanisierung und die damit gleichzeitig einhergehende Urbanisierung seien zunächst durch das Bestreben der Römer ausgelöst worden, die reichen lokalen Mineralienvorkommen auszubeuten. In diesem Zuge seien auch die Grundlagen für die Schaffung einer Infrastruktur gelegt worden, die dann bei der militärischen Erschließung und administrativen Ausformung bedeutsam wurde. Mit der Errichtung einer römischen Verwaltungsstruktur seien somit alle Voraussetzungen geschaffen worden, die das Gesicht der Region bis in die Spätantike hinein prägen sollten. Gerade die in augusteischer Zeit vorgenommenen administrativen Schritte bildeten dann die Basis für die unter Diocletian eingerichtete Provinz Gallaecia. Weiter fragen sie nach dem Einfluss indigener Traditionen, die zwar nicht immer im Kontrast zur Romanisierung stehen mussten, sich aber mit ihren spezifischen Organisationsformen gerade im 5. Jahrhundert verstärkt bemerkbar machten, als die barbarischen Invasionen über die Iberische Halbinsel hereinbrachen.

Carmen Fernández-Ochoa und Ángel Moillo legen in ihrem Beitrag zum ersten Mal seit den Studien von Ian Richmond aus den 1930er-Jahren umfassende Ergebnisse zu den städtischen Befestigungsanlagen der nordspanischen Provinzen vor. Sie stellen heraus, dass die zahllosen Stadtmauerbauten die einzelnen Städte finanziell überfordert haben dürften, somit eine Überorganisation als Erklärung herangezogen werden müsse. Sie sehen die Konstruktion von städtischen Befestigungsanlagen als Teil eines infrastrukturellen Gesamtkonzeptes der römischen Zentrale. Die fortifikatorischen Maßnahmen beschreiben die Autoren weniger als Reaktion auf die mannigfaltigen Krisen des 3. Jahrhunderts, als vielmehr mit militärischen Erwägungen der römischen Kaiser zusammenhängend. Im Beitrag von Javier Arce stehen die Verbindungen Spaniens zu den nordafrikanischen Provinzen im Vordergrund. Dabei kann er überzeugend darlegen, dass sich die Iberische Halbinsel keineswegs in einer isolierten Lage befand, sondern dass vielmehr mit Africa und Mauretania Tingitana ein reger Austausch stattfand, der sich von der frühen Kaiserzeit bis zu den arabischen Eroberungen verfolgen lässt. Arce interpretiert die Anbindung der Tinigitana in die spanischen Provinzen unter Kaiser Diocletian als eine Konsequenz aus ohnehin bestehenden administrativen Strukturen. Doch möchte er die Verbindung nicht überbetonen, da dieses Phänomen genauso gut auf eine selektive Überlieferung zurückgeführt werden könnte. Ein Sonderverhältnis zu den afrikanischen Provinzen habe es zumindest nicht gegeben.

Im letzten Abschnitt des Sammelbandes finden sich wirtschaftsgeschichtliche Beiträge. Das Bild der Forschung hinsichtlich der ökonomischen Verhältnisse der Hispania ist gemeinhin von einem Krisenszenario geprägt. Etwa seit dem 3. Jahrhundert hätten sich die spanischen Provinzen in einem Niedergang befunden, der selbst die "römischste" Provinz Baetica Tribut zollen musste. In Analogie zu einer für das gesamte Imperium geltenden Wirtschaftskrise, noch verstärkt durch die fränkisch-alemannischen Raubzüge, sei auch Spanien betroffen gewesen. Die letzte Sektion des Bandes hinterfragt diese althergebrachten Deutungsmuster, die offenbar in vielen Fällen auch die Auswertung archäologischer Grabungen (vor-)bestimmt hatten. Die spanische Archäologie hat aber in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich verfeinerte Methoden entwickelt, mit deren Hilfe der generelle Niedergang der Ökonomie auf der Iberischen Halbinsel zu hinterfragen ist. So passen etwa die großen und außerordentlich reichen Villen des 4. Jahrhunderts kaum in dieses Krisenszenario.

In einem umfang- und materialreichen Beitrag untersucht Paul Reynolds die Keramikproduktion in Spanien zwischen dem 2. und 6. Jahrhundert. Er bestätigt zunächst einen Niedergang der Ölproduktion in der Baetica und benennt die severischen Kaiser als Schuldige, da sie bestrebt gewesen seien, den privaten Produzenten das Geschäft weitgehend zu entreißen. Einen generellen Rückgang des Exportvolumens von spanischem Öl nach Rom sieht Reynolds bereits im späten 2. Jahrhundert, wobei er vermutet, dass die gleichzeitige Konkurrenz aus Nordafrika den Prozess noch verschärft habe. Für das 5. Jahrhundert kommt Reynolds zu einer überraschenden Neubewertung. Im Gegensatz zu dem Bild eines wirtschaftlichen Niedergangs argumentiert Reynolds, dass es vielmehr weit verzweigte Handelsbeziehungen im gesamten Mittelmeerraum gab, wobei er sogar die Vandalen als Teil dieses ökonomischen Systems benennen kann. Dieses Handelsnetz umfasste auch in der Spätantike noch Britannien. Die Balearischen Inseln sieht Reynolds - ohne die fragmentarische Quellenlage zu verschweigen - gewissermaßen als Umschlagsplätze, über die der Handel zwischen dem Osten und Westen abgewickelt wurde.

Fernando López Sánchezs Beitrag befasst sich anhand von spätantiken Münzfunden aus der Hispania mit den ökonomischen Entwicklungen auf der Iberischen Halbinsel. Er zeigt zunächst die Distribution von theodosianischen solidi (AE 2) auf, wobei die Konzentration solcher Münzen im Vergleich etwa zum Ebro-Tal insbesondere in den südlichen und westlichen Regionen augenfällig ist. Daraus leitet er eine allmähliche geopolitische Verschiebung ab und vermutet, dass die Gegend um Merida unter den Westgoten eine zentrale Bedeutung erlangte. López Sánchez argumentiert weiter, dass dieser Wandel sich bereits im 4. Jahrhundert angedeutet habe. Das Ebro-Tal sei immer weiter in eine isolierte Position geraten, wohingegen der Süden der Hispania eine verhältnismäßig stabile ökonomische Struktur behielt.

In dem den Band beschließenden Aufsatz von Alexandra Chavarría Arnau werden diese wirtschaftsgeschichtlichen Fragen von einer anderen Seite betrachtet. Anhand neuerer archäologischer Forschung kann sie eine Blütezeit der villae im späten 4. und beginnenden 5. Jahrhundert nachweisen. Auch in dieser detailreichen Studie stellt sich also die Frage nach einer - in der älteren Forschung stets vorausgesetzten - Krise. Zunächst zeigt Chavarría Arnau, dass es regionale Unterschiede in der architektonischen Gestaltung von villae gab. Während die reichen, gar luxuriösen Villen sich im Inland konzentrieren, verortet sie kleinere, stark produktionsorientierte Villen in den Küstengegenden. Sie kommt dabei zu der überzeugenden Einschätzung, dass sich anhand der Villen kein Verfallsszenario nachweisen lässt, sondern dass gerade die reicheren Gehöfte als Orte anzusehen seien, in denen eine lokale Elite die Kontrolle über das Umland ausübte. Die Küstenvillen hingegen seien als Plätze anzusehen, in denen sich eine agrarische und auf bestimmte Produkte spezialisierte Gesellschaft konzentrierte.

Die Geschichte der spanischen Provinzen in der Spätantike ist verglichen mit anderen römischen Provinzen bislang nur unzureichend erforscht worden. Es ist den Herausgebern zu verdanken, dass nun ein umfangreiches Werk vorliegt, in dem die neuen interdisziplinären Forschungen gerade spanischer Historiker, Kunsthistoriker und Archäologen der Wissenschaft zugänglich gemacht wurden. Der Sammelband trägt mit seinen facettenreichen Einzelstudien zu einem tieferen Verständnis der spätantiken Geschichte der Iberischen Halbinsel bei und bildet gleichzeitig einen wichtigen Ansatzpunkt zu weiterer Beschäftigung mit der Geschichte des Übergangs von der römischen Herrschaft zur Entstehung des mittelalterlichen Europa. Zu guter Letzt sei noch auf die umfangreiche Bibliografie (S. 557-624) mit ansonsten nicht leicht auffindbaren Studien zu Einzelproblemen und vor allem Grabungsberichten, hingewiesen. Ein Index beschließt den Band.

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