Th. David u.a.: Schwarze Geschäfte

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Titel
Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert


Autor(en)
David, Thomas; Etemad, Bouda; Schaufenbuehl, Janick M.
Erschienen
Zürich 2005: Limmat Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 23,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Weber, The Rothschild Archive, London

„Die Idee, ein Buch über die Schweiz und den Sklavenhandel zu schreiben, mag auf den ersten Blick unsinnig erscheinen. Alle wissen doch, daß die Schweiz nie eine Sklavenhandelsflotte oder Kolonien mit Zuckerplantagen […] besessen hat.“ Zudem entstand der schweizerische Nationalstaat erst, “als der transatlantische Sklavenhandel […] und die Sklaverei in Europa und Amerika kurz vor der Abschaffung standen.“ Mit diesen Worten beginnen die drei Autoren ihre Behandlung eines bislang zwar von einigen Publikationen angeschnittenen1, aber noch nie systematisch und in seiner ganzen Breite bearbeiteten Themas. Mit einer Stellungnahme der „Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus“ verurteilte die Schweiz im März 2001 ganz offiziell das Unrecht dieses Sklavenhandels, anerkannte einen durch ihn mit verursachten „Entwicklungsrückstand der betroffenen Länder“ und unterstützte das „Prinzip einer Wiedergutmachung“. Auf konkrete Entschädigungsforderungen an Länder, die vom Sklavenhandel profitierten, reagieren Vertreter der heutigen Schweiz mit dem Hinweis, dass „wir mit Sklaverei, dem Sklavenhandel und Kolonialismus nichts zu tun haben“ (S. 7-9). Genau in diese Lücke zwischen einer offiziellen Anerkennung der moralischen und ökonomischen Schäden und der Zurückweisung eigener historischer Verantwortung zielt die vorliegende Arbeit, und die Autoren waren sich nicht zu schade, die aktuellen Bezüge hervorzuheben. Neun Seiten des Anhangs bieten einen Einblick zu neueren Debatten, die hierzu in verschiedenen kantonalen Parlamenten und im Nationalrat geführt wurden.

Das Buch konterkariert die landläufige Vorstellung vom atlantischen Sklavenhandel als einer gewissermaßen exklusiven Angelegenheit der westeuropäischen Seemächte, und es beschreibt die seit dem frühen 18. Jahrhundert immer enger werdenden Verflechtungen von Schweizer Textilunternehmern, Bankiers und privaten Geldgebern mit diesem Sektor der frühmodernen Weltwirtschaft. Einer ganzen Reihe von Schweizern, die sich gezielt in Sklavenhandelshäfen wie Nantes, Bordeaux oder La Rochelle niedergelassen hatten, gelang die erfolgreiche Teilnahme an diesem Geschäft, das freilich im Wesentlichen von den eigentlichen Seemächten dominiert wurde. Aber die Schweiz brachte nicht nur Profiteure, sondern auch Gegner des Systems hervor, oder sie bot ihnen Asyl. So geht das Buch auch ausführlich auf die abolitionistischen Vereine des Landes und deren Aktivisten ein. Dabei zeigt sich, dass sowohl die Beteiligung an Sklavenhandel und Plantagenwirtschaft – zwei höchst kapitalintensive Branchen – als auch die Abolitionsbewegung – ganz wesentlich eine Medienkampagne – von der Funktion der Schweiz als europäischer Drehscheibe begünstigt wurden: zum einen als neutraler Finanzplatz von internationalem Format, zum anderen als ein mehrsprachiger Verlagsstandort, aus dem in der Zeit des späten Ancien Régime Übersetzungen britischer Abolitionsschriften in das von der Zensur beherrschte Frankreich gelangten.

In drei Kapiteln beschreibt das Buch die Verwicklung von Schweizern auf diesem Feld: zunächst ihre direkte und indirekte Beteiligung am transatlantischen Menschenhandel, dann an der auf Sklavenarbeit ruhenden Plantagenwirtschaft der Neuen Welt. Das dritte Kapitel behandelt die Schweizer Vereine zur Abschaffung von Sklaverei und Sklavenhandel. Dabei wird das Thema aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet: jener der Händler und Manufacturiers, der Reeder, der Seeleute auf den Schiffen, der Plantagenbesitzer und -verwalter und – soweit Quellen und Literatur dies erlauben – auch aus der Perspektive der Sklaven. Bei dieser Breite wurden auch Aspekte einbezogen wie die Teilnahme von Schweizern als Söldner an der Niederschlagung von Sklavenaufständen, etwa in Niederländisch-Guayana, oder als Soldaten in beiden Armeen des amerikanischen Bürgerkrieges. Das gibt dem Buch stellenweise den Charakter einer heterogenen Materialsammlung. Angesichts der Vielschichtigkeit des Gegenstandes und des enormen Geschäftsradius der Kaufleute besteht eine wesentliche Leistung der vorliegenden Arbeit aber gerade darin: erstmals dichtes Material hierzu bereitzustellen. Es war über Archive mehrerer Länder verstreut oder musste in teils schwer zugänglicher Spezialliteratur erschlossen werden. Manchmal kommt der Zufall zur Hilfe: So wurden Bücher der Basler Firma Burckhardt beim Abriss eines Hauses zwischen zwei Mauern entdeckt und nur durch die Überführung ins Basler Wirtschaftsarchiv der Forschung zugänglich (S. 19). Viele Recherchen wurden allerdings auch in Archiven westeuropäischer Seehäfen durchgeführt.

Sie machten offenbar, dass Schweizer Kapital auch vor drei Jahrhunderten seine Renditen in einer globalisierten Wirtschaft suchte. Bei dem risikoreichen, aber zugleich hohe Profite versprechenden Sklavenhandel geschah das einesteils durch direkte Beteiligungen an den großen Sklavenhandelskompanien, wie der portugiesischen Pernambuco e Paraíba oder der englischen South Sea Company. Bei der französischen Compagnie des Indes kommen die Verfasser gar zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass in den 1780er-Jahren rund 30 Prozent ihrer Anteile in helvetischen Händen waren. Andernteils lieferten die protoindustriellen Textilgewerbe der Nordschweiz als indirekt Beteiligte große Mengen an Kattunstoffen, der wichtigsten Tauschware beim Einkauf von Sklaven. Die Spezialisierung auf den afrikanischen Markt ging so weit, dass viele dieser Baumwollverarbeiter in den französischen Atlantikhäfen eigene Filialen gründeten. Nantes, Zentrum des französischen Sklavenhandels, hatte dabei besondere Anziehungskraft. In den 1780er Jahren arbeiteten dort so viele Schweizer, daß sie nach Ansicht eines Zeitgenossen leicht einen eidgenössischen Kanton hätten gründen können (S. 30-32). Eine Reihe dieser Firmen, wie Burckardt & Cie, Pourtalès, Pelloutier, Wirz und Weis rüsteten in diesen Häfen auch eigene Sklavenhandelsschiffe aus, teils in Kooperation mit französischen Reedern. Die Autoren sind sich darüber im Klaren, dass der quantitative Anteil des aus der Schweiz finanzierten Sklavenhandels nur näherungsweise bemessen werden kann, und sie nutzen hierfür verschiedene Methoden. Die Gesamtzahl der in die Neue Welt verschleppten Afrikaner liegt irgendwo zwischen 9,5 und 12 Millionen. Mit einem weniger konservativen Ansatz, der auch die indirekte Teilhabe einbezieht, käme man immerhin auf einen Schweizer Anteil von 1,5 Prozent. Damit läge das Land in der Größenordnung der bereits bekannten kleineren Akteure wie Dänemark und Schweden.

Die dabei gemachten Gewinne wurden von einigen Unternehmern schon früh in karibische Plantagen gesteckt. Andere investierten direkt aus Genf, Basel oder Neuenburg oder zogen selbst auf die französischen Antillen oder nach Guayana. Diese Entwicklung setzte offenbar schon deutlich vor 1700 ein, und sie hielt bis weit ins 19. Jahrhundert an. In South Carolina siedelten Schweizer seit mindestens 1730, und um 1850 betrieben sie Reisplantagen mit bis zu 300 Sklaven. Der Einsatz von Sklaven auf den Kaffee- und Tabakplantagen der damals in Bahia niedergelassenen Schweizer, manche mit 100 bis 150 Sklaven, führte schließlich auch in der Schweiz zu offener Kritik. Forderungen an den Nationalrat, den dortigen Landsleuten bei Fortsetzung dieser Praxis die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wurden allerdings zurückgewiesen (S. 86, S. 106, S. 108-109).

Die Schweizer Abolitionsbemühungen werden von den Autoren in zwei voneinander unhängige Phasen unterteilt. In einer ersten Phase, etwa 1770-1840, setzten sich aufklärerisch geprägte Schriftsteller (unter ihnen Madame de Staël und Benjamin Constant) vor allem für die Abschaffung der Sklaverei in der Neuen Welt ein. In der zweiten Phase engagierten sich Vertreter der Erweckungsbewegung und des konservativen Bürgertums gegen den arabischen Sklavenhandel in Afrika selbst, sowie gegen die dort verbreitete Sklaverei und Schuldknechtschaft. Teilweise bis auf die mikrohistorische Ebene vordringend, beschreibt dieses Kapitel auch die Rolle der Basler Mission bzw. ihrer Prediger, von denen sich einige selbst auf das abschüssige Terrain zwischen Mission und Ausbeutung begaben. Besonders aufschlussreich sind die Passagen, in denen Methoden der Sozialkontrolle und Disziplinierung der Arbeiterschicht in der Schweiz mit denen zur „Zivilisierung“ und Bekehrung der Afrikaner verglichen werden.

Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie diese facettenreiche Untersuchung immer in einen breiteren Kontext eingewoben ist. Dennoch hätten mehr Verweise insbesondere auf englischsprachige Überblicksdarstellungen, etwa von Herbert Klein und Philip Curtin, sie besser in die Literatur zum Plantagenkomplex eingebettet, und Paul Lovejoys „Transformations in Slavery“ hätte eine breitere Hintergrundfolie zur Sklaverei in Afrika bieten können.2 Das tut der Pionierleistung des Autorentrios jedoch in keiner Weise Abbruch. Was dagegen etwas verstimmt, ist die in manchen Punkten wirklich ungenaue Übersetzung aus der in französischer Sprache erschienenen Originalausgabe.3 Hier hätten die Verfasser und ihr Buch ein sorgfältigeres Lektorat verdient.

Mit ihrer Arbeit liefern sie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu der anhaltenden Debatte um einen kausalen Nexus zwischen dem auf unfreier Arbeit aufgebauten Plantagensystem Amerikas und dem Wachstum des europäischen Industrie- und Finanzkapitalismus. Das hierbei benutzte Datenmaterial ist bislang ganz auf die westeuropäischen Kolonialmächte (vor allem England) und ihre Besitzungen bzw. die USA und Brasilien beschränkt.4 Wie schon einige andere Studien angedeutet haben, diente Mitteleuropa aber nicht nur als wichtiger Markt für Plantagenprodukte, sondern es lieferte auch große Mengen von Tauschwaren nach Afrika, und die Protagonisten und Profiteure des Sklavenhandels kamen eben nicht nur aus Lissabon und Liverpool, sondern auch aus Iserlohn, Wandsbek und Winterthur.5 Dass die Sogwirkung der mit der Plantagenökonomie entstandenen Märkte und Chancen so tief nach Europa hineinreichte, ist bislang noch gar nicht in die Debatte eingeflossen.

Anmerkungen:
1 Wirz, Albert, Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem, Frankfurt am Main 1984, S. 33, 35. Pétré-Grenouilleau, Olivier, L’argent de la traite. Milieu négrier, capitalisme et développement: un modèle, Paris 1996, S. 58. Lüthy, Herbert, La banque protestante en France, de la Révocation de l’Edit de Nantes à la Révolution, Paris 1959-61. Neuerdings auch die speziellere Arbeit von: Stettler, Niklaus; Haenger, Peter; Labhardt, Robert, Baumwolle, Sklaven und Kredite: Die Basler Welthandelsfirma Burckhardt & Cie in revolutionärer Zeit (1789-1815), Basel 2004.
2 Klein, Herbert S., The Atlantic Slave Trade, Cambridge 1999. Curtin, Philip D., The Rise and Fall of the Plantation Complex: Essays in Atlantic History, Cambridge 1990. Lovejoy, Paul E., Transformations in Slavery. A History of Slavery in Africa, Cambridge 1983.
3 Originaltitel: La Suisse et l’esclavage des Noirs, Lausanne 2005.
4 Eine Zwischenbilanz bei: Solow, Barbara L.; Engerman, Stanley L. (Hrsg.), British Capitalism and Caribbean Slavery: The Legacy of Eric Williams, Cambridge 1987.
5 Thésée, Françoise, Négociants bordelais et colons de Saint-Domingue. Liasons d’habitation. La maison Henry Romberg, Babst & Cie. 1783-1793, Paris 1972. Degn, Christian, Die Schimmelmanns im atlantischen Dreieckshandel, Neumünster 1974. Neuerdings auch Schulte Beerbühl, Margrit, Deutsche Kaufleute in London. Welthandel und Einbürgerung (1660-1818), München 2007, S. 112 u. 344.

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