M. Wrede: Das Reich und seine Feinde

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Titel
Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg


Autor(en)
Wrede, Martin
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 196
Erschienen
Anzahl Seiten
669 S.
Preis
€ 55,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Caspar Hirschi, Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit, Universität Fribourg

Bis vor kurzem hielt man die frühneuzeitliche Reichsgeschichte für kein fruchtbares Feld der Nationenforschung. Dieses Vorurteil hatte ideologische und methodische Gründe. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden die frühneuzeitlichen Fundamente des protestantisch-preußischen Nationskonstrukts erfolgreich verschleiert. Nachdem dieses Konstrukt in den beiden Weltkriegen eingestürzt war, stand der Aufschwung der Sozialgeschichte einer unvoreingenommenen Betrachtung der frühneuzeitlichen Nationalisierung im Weg. Er führte zu einer Überschätzung der Epochenschwelle um 1800 und verwischte langfristige Kontinuitäten. So ließ man die Nationenbildung erst in der Moderne beginnen, unter Berufung auf ihre angebliche Unverträglichkeit mit dynastischen und religiösen Loyalitäten. Erst die Renaissance des Nationalen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs leitete in Deutschland einen Prozess des Umdenkens ein. Erste Rehabilitierungsversuche einer deutschen „Nationalgeschichte“ in der Frühen Neuzeit legten Georg Schmidt und Wolfgang Burgdorf vor. 1 Schmidt kam dabei die nicht sehr dankbare, aber bedeutende Rolle zu, mit einer teils originellen, teils verklärenden Neubetrachtung die Kritik von Doyens wie Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling auf sich zu ziehen und zugleich jüngere Historiker zu animieren, dem Thema gründlicher nachzugehen. Zu letzteren gehört der an der Universität Gießen lehrende Martin Wrede mit seiner 2004 veröffentlichten Dissertation über die politischen Feindbilder in deutschen Flugschriften und Flugblättern zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg.

Wrede widmet sich der Auseinandersetzung mit drei ‚Reichsfeinden‘, die in den gut einhundert Jahren seines Untersuchungszeitraums eine wechselhafte Prominenz hatten: dem Osmanischen Reich, Schweden und Frankreich. Als „Reichs-Feinde“ galten damals, wie der Autor anhand von Zedlers Universallexikon darlegt, nicht nur „auswärtige Potentaten“, sondern auch reichsinterne Akteure, die für den Kaiser und die Reichsstände zur Gefahr wurden (S. 1). Aus diskursgeschichtlicher Perspektive ist die Beschränkung auf äußere Feinde also problematisch. Aus arbeitstechnischen Gründen war sie jedoch geboten, denn Wredes Quellenkorpus ist gewaltig: Er besteht aus der lauten und langen propagandistischen Begleitmusik zu verschiedenen Kriegen im Reich, in welche die drei Staaten verwickelt waren.

Den nach Feinden unterteilten Hauptkapiteln ist eine Einleitung mit Erläuterungen zum Forschungsstand, zur Terminologie und zu den Hauptfragestellungen vorangestellt. Sie überzeugt durch eine differenzierte Kritik an Schmidts Konzept des komplementären „Reichs-Staats“, dessen angeblicher Quellencharakter zurückgewiesen wird (S. 14). Weniger klar ist dagegen Wredes eigener Staatsbegriff, anhand dessen er die Verfassung des frühneuzeitlichen Reichs diskutiert. Entscheidend ist jedenfalls, dass von der späten Bildung eines deutschen Staates nicht auf eine „verspätete Nation“ geschlossen werden kann. Die deutsche Nationsbildung setzte deutlich früher ein als die deutsche Staatsbildung und war auch lange nicht auf diese fixiert. Zwar hat schon Herfried Münkler die beiden Prozesse voneinander getrennt, Wrede kommt aber das Verdienst zu, Münklers Vorstellung vom rein literarischen Charakter und von der Herrschaftsferne der frühneuzeitlichen Nation zu korrigieren. 2 In einer bestechenden Analyse der Öffentlichkeit, in welcher die Kriegspublizistik zur Entfaltung kam, macht Wrede glaubhaft, dass sowohl Verfasser wie Adressaten oft in herrschaftlichen Schaltzentralen saßen, ohne jedoch die Kriegspropaganda obrigkeitlich zu kontrollieren (S. 54-65).

Angesichts von Wredes Verortung des Nationalen im Alten Reich überrascht es, dass er von „Reichspatriotismus“ spricht. In der älteren Literatur hat dieser Begriff dazu gedient, das friedliche, defensive und gemäßigte Nationalgefühl der Vormoderne vom militanten Nationalismus der Moderne abzugrenzen. Wrede stellt diese Lesart in Abrede, hält aber am Begriff fest, weil er die Ausrichtung auf den Kaiser und das Nebeneinander von nationalen und regionalen Loyalitäten treffend erfasse (S. 4). Der Begriff überzeugt jedoch weder in methodischer noch in begriffsgeschichtlicher Hinsicht: Wenn man eine konstruktivistische Auffassung der Nationenbildung vertritt – und das tut Wrede zu Recht – so kommt man um Termini wie „Nationsdiskurs“ oder „Nationalismus“ nicht herum. Argumentiert man begriffsgeschichtlich, so unterstellt „Reichspatriotismus“ die Existenz eines Vaterlandsbegriffs, dessen zentraler Bezugspunkt das Reich gewesen sei. Dem war nie so. Die beiden Wörter wurden in der frühen Neuzeit nur selten verknüpft, und sie waren auch schlecht vereinbar: „Imperium“ war ein universalistischer Herrschaftsbegriff, „patria“ ein partikularer Raumbegriff. Gängig war dagegen seit dem Humanismus die Formel „patria Germania“ oder „teutsch Vaterland“, die direkt mit dem Nationsbegriff verknüpft wurde. Vaterland und Reich waren also meist nur indirekt über den Nationsbegriff verbunden. Ein stereotypes Diskursmuster lautete: Wer das deutsche Vaterland verteidigt und lobt, steigert die Ehre der Nation, die sich damit würdig erweist, das Reich zu besitzen. Auch die Reichspublizisten des 17. und 18. Jahrhunderts schrieben nicht als Reichspatrioten, sondern als „teutsche Patrioten“ und verteidigten die monströse Reichsverfassung, weil sie in ihr eine Schöpfung des „teutschen Nationalgeists“ sahen.

Die terminologischen Probleme gehen nicht auf Kosten der Qualität der Quellenanalysen im Hauptteil der Arbeit. Hier beeindruckt der Autor mit fundierter Textkenntnis, dem Einbezug ihres politischen Kontextes und hohem Reflexionsniveau. Zu den zahlreichen Faktoren, die die Konstanten und Variablen der Feindbilder bestimmten, gehörten die konfessionellen Fronten im Innern des Reiches. Der publizistische Krieg gegen die äußeren Reichsfeinde war oft eine Fortsetzung der Konfessionspolitik mit anderen Mitteln. So auch im Türkendiskurs: Auf protestantischer Seite stellte man, den Schriften Luthers folgend, die Abwehr des Antichrists aus dem Orient in direkten Zusammenhang mit der Bekämpfung des Antichrists in Rom (S. 72). Die katholische Propaganda kehrte den Spieß um und argumentierte, Gott strafe die Christen durch die Türken, weil so viele vom wahren Glauben abgefallen seien (S. 82). Nur der Kaiser erschien allen Religionsparteien als Beschützer und Retter des Reiches. Als Ende des 17. Jahrhunderts die Türkengefahr nachließ und gleichzeitig ein konfessionelles Tauwetter einsetzte, erhielt auch der „Türk“ ein neues Gesicht: Er konnte nun zum Repräsentanten einer verweichlichten Barbarei und zum Gegenstand herablassender Belustigung werden.

Ähnliche „Häutungen“ erfuhren die Feindbilder von Frankreich und Schweden, wobei in ihrem Fall die Überlappung von nationalen und konfessionellen, reichsinnen- und reichsaußenpolitischen Kampfplätzen noch größer war. Da das Königreich Schweden nur kurzzeitig, vorwiegend in Brandenburg und nur mit beschränktem Erfolg als Reichsfeind bemüht wurde, steht es in einem gewissen Kontrast zu den nachhaltigen, über Jahrhunderte präsenten französischen und türkischen Gegnern. Das ergiebigste Material bietet zweifellos die publizistische Bekämpfung des westlichen Nachbarn. Hier flossen Leitmotive aus dem Türkenbild, aus der französischen Monarchiekritik und aus dem reichsständischen Freiheitsdiskurs zusammen. Sie verwandelten Frankreich in kürzester Zeit vom „chérie de la liberté Germanique“ in einen tyrannischen „Erbfeind der deutschen Nation“ (S. 326). Wrede findet Hinweise dafür, dass die Angst und Empörung, die Ludwig XIV. durch die Verwüstung der Pfalz weckte, die konfessionellen Fronten im Reich zwischenzeitlich aufweichten. Weniger überzeugend ist im facettenreichen Frankreichkapitel die historische Einordnung einiger Leitbegriffe wie „Erbfeind“, „Teutschfranzoß“ oder „neufränkische Sitten“: Sie alle gehen direkt auf die Kriegspublizistik und die Sittenzuchtsprogramme Kaiser Maximilians I. und seiner humanistischen Propagandisten zurück und widerlegen Wredes Aussage, dass es sich bei den antifranzösischen Affekten vor Ludwig XIV. bloß um „mehr oder weniger unterschwellige Kulturkritik“ gehandelt habe (S. 537f.).

Bei allem Lob für die dichte Analyse eines wenig bekannten Quellenmaterials fällt auf, dass ihre Ergebnisse mit der Hauptthese des Buches nicht restlos harmonieren. Diese lautet, dass Krieg nach außen vereine und im Innern mobilisiere, und enthält die implizite Folgerung, dass Frieden destabilisiere und spalte. Auf dieses ‚Gesetz‘ führt der Autor sowohl die politische Konsolidierung in Deutschland während der von ihm untersuchten Reichskriege als auch die Zunahme der reichsinternen Konflikte nach ihrer Beendigung zurück. Abgesehen davon, dass Wrede mit dieser Behauptung ungewollt in trübem Fahrwasser schwimmt, unterschlägt sie auch, dass mit dem äußeren meist ein innerer Feind bekämpft wurde, und blendet damit eine entscheidende Komponente der nationalistischen Feindrhetorik aus. Diese wirkt nämlich nicht nur als Einheitsstifterin, wie die meisten Theoretiker der „kollektiven Identität“ betonen, sondern auch als Spalterin – gerade in Kriegen. Ihre Attraktivität besteht darin, dass sie eine subtile und hochwirksame Waffe im Verdrängungskampf zwischen innenpolitischen Gegnern darstellt.

Der Einwand gegen Wredes Hauptthese ändert jedoch nichts am Gesamteindruck, dass ihm eine anregende und erkenntnisreiche Studie gelungen ist, die sich ihren festen Platz in der Forschung zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte und zur vormodernen deutschen Nationsbildung sichern wird.

Anmerkungen:
1 Schmidt, Georg, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806, München 1999; Burgdorf, Wolfgang, Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige römische Reich Deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806, Mainz 1998.
2 Münkler, Herfried; Grünberger, Hans; Mayer, Kathrin (Hgg.), Nationenbildung. Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland, Berlin 1998, S. 16.

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