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Titel
Athen und Sparta.


Autor(en)
Dreher, Martin
Reihe
C. H. Beck Studium
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
222 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ernst Baltrusch, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin Email:

Das vorliegende Studienbuch behandelt eines der wichtigsten Arbeits- und Interessengebiete der Alten Geschichte überhaupt. Was über Athen und Sparta in der archaischen und klassischen Zeit allein seit der Begründung der modernen Geschichtswissenschaft geschrieben wurde, ist nicht mehr zu überblicken und entzieht sich zudem einer wirklich zusammenfassenden Bewertung, weil die Forschermeinungen zu beiden Städten in Einzelfragen wie in der Gesamtbewertung heute mehr denn je weit auseinandergehen. War Athen eine wirkliche Demokratie oder nicht? War seine Außenpolitik imperialistisch oder nicht? War Sparta ein Stadt wie jede andere oder ein Sonderfall unter den griechischen Poleis? War seine Verfassung frühzeitig festgelegt oder unterlag sie einem stetigen Veränderungsprozeß? Diese und andere Fragen beherrschen immer noch das Forscherfeld.

Ist es da sinnvoll und überhaupt möglich, ein Studienbuch zu diesen beiden Städten zu schreiben? Ein Buch, das Lehrern, Studenten und interessierten Laien von Nutzen sein soll? Das resümierend, nicht wissenschaftlich diskutierend sein soll? Es ist sinnvoll, es ist nach dem "Vorwort" auch der Anspruch des Autors, und man muß sagen: Dieser Anspruch wird erfüllt. Der Vorzug des Buches liegt in der Information. Das Ziel des Autors ist im positiven Sinne plutarchisch: Die Gegenüberstellung Spartas und Athens soll einen direkten Vergleich ermöglichen, um klarer die Unterschiede und Gemeinsamkeiten einerseits sowie die wechselseitige Beeinflussung andererseits herausarbeiten zu können.

In erster Linie wurde mit der neuesten Forschungsliteratur gearbeitet, um den aktuellen Forschungsstand präsentieren zu können; ältere Literaturangaben werden auf Standardwerke beschränkt.

Dem genannten Ziel entsprechend ist der Aufbau des Buches. Er ist dreigeteilt: Kapitel I (13-58) behandelt die archaische Zeit bis 511 (Ende der Peisistratiden), Kapitel II (59-138) das 5. Jahrhundert (von 511-404, dem Ende des Peloponnesischen Krieges) und Kapitel III (139-174) das 4. Jahrhundert (von 404-338, der Schlacht von Chaironeia). Diese chronologische Gliederung ist sachlich ebenso sinnvoll wie die Hauptgewichtung des 5. Jahrhunderts, in welchem beide Städte ihre Blütezeit hatten. In der Binnengliederung der einzelnen Kapitel orientiert sich Dreher konsequent an seinem Vorhaben, beide Städte parallel abzuhandeln; dies erweist sich auch als glücklich, denn die Geschichte Athens und Spartas läuft seit dem Ende des 6. Jahrhunderts in engem Kontrakt und wechselseitiger Beeinflussung, und nur, wo das nicht gegeben war, in der archaischen Zeit bis 511, entschied sich Dreher für eine getrennte Abhandlung, die er dann in einem Vergleich wieder zusammenführt. Der Leser bekommt hier in gelungener Weise vor Augen geführt, wie der spartanische Kosmos und die athenische Demokratie zusammenhängen. Der Anmerkungsteil beschränkt sich auf wesentliche Forschungspositionen und Quellenangaben - auch das war bei der Fülle des Materials sehr sinnvoll. Die Literaturliste konzentriert sich auf möglichst neue Literatur, aus der sich die ältere mühelos erschließen läßt. Sie ist sachlich gegliedert, was die Auffindung einzelner Angaben der Anmerkungen etwas umständlich macht. Den Abschluß des Buches bildet ein Register und einige für die vielfältigen geographischen und topographischen Angaben nützliche Karten.

Das Buch erfüllt also seinen Zweck und ist als Studienbuch zu empfehlen, zumal Dreher selbst zum Thema, insbesondere Athen, geforscht hat und vieles von seinen Arbeiten einbringen konnte. Geboten wird ein vergleichender Überblick, der sich an der politischen und Sozialgeschichte orientiert und der mit neueren Forschungen vertraut macht. Die Sprache ist verständlich und dem Thema angemessen, wenn auch bisweilen etwas trocken.

Inhaltlich wird man über das, was Dreher schreibt, trefflich streiten können Auf einige dieser Streitpunkte möchte ich an dieser Stelle kurz eingehen. Zunächst zu Athen. Der peisistratidischen Tyrannis weist Dreher im Anschluß an Welwei (Athen, 1992) keine besondere Bedeutung für die innere Entwicklung der Stadt zu (30), während er durch Kleisthenes "nach staatsrechtlichen Begriffen ... alle wesentlichen Elemente der Demokratie geschaffen" sieht (67). Beides scheint mit zweifelhaft; vor allem die Demokratisierung ist aber doch ohne die militärische und dann verstärkt auch politische Einbeziehung der "Ruderbänkler" nach den Perserkriegen gar nicht denkbar. Es unterscheidet sich im übrigen die seit 462/1 traditionell als radikale Demokratie bezeichnete Verfassung, die ja wesentlich - wie auch Drehers Darstellung deutlich macht - außenpolitisch und vom Seebund her geprägt war, von jener des 4. Jahrhunderts stärker als es Dreher gegen M. Hansen zugeben möchte (bes. 168). Dies macht die weitere Darstellung deutlich. Zu Recht kritisch ist Dreher gegenüber der Angabe der Athenaion Politeia 23, 1 bezüglich der Areopagherrschaft nach den Perserkriegen (83). Was er zur Gründung des Attischen Seebundes sagt, kann man gelten lassen, obwohl nicht ganz klar wird, wie man sich das Verhältnis von Hellenenbund 480 und Attischem Seebund 478 vorzustellen hat (85f.); richtig ist, daß letzterer ein neuer Bund war (86).

Den Kalliasfrieden hält Dreher zu Recht mit Klaus Meister und gegen Ernest Badian für nicht historisch, weil der Attische Seebund dann überflüssig geworden wäre. Dem Bürgerrechtsgesetz des Perikles von 451/0 unterstellte er Motive, die sich zwischen Ökonomie und Herrschaftsbewußtsein bewegen, doch sollte man eher, wie eine demnächst erscheinende Studie von Elke Hartmann (Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen) überzeugend argumentiert, an eine Reaktion auf die gestiegene Metökenzahl und auf fremde Einflüsse in Athen denken. Daß die Metöken mit den Periöken in Sparta verglichen werden, scheint mir nebenbei bemerkt weniger glücklich. Es fehlt mir im ganzen Athen-Komplex des Buches auch ein Reflex auf die Forschungen Christian Meiers, der doch den Anstoß zu einem verstärkten Nachdenken über das politische Bewußtsein der Athener gegeben hat (in der Literaturliste fehlt sein Buch über Athen). Was Sparta betrifft, so hat sich Dreher weitgehend neueren Arbeiten angeschlossen, denen es um die Integration der Stadt in das übrige Griechenland geht. Hier hat insbesondere neuerdings Lukas Thommen (Lakedaimonion Politeia, 1997 und in einigen Aufsätzen) Maßstäbe gesetzt, die Dreher nahezu vollständig übernommen hat. Also: Spartas Ordnung hat sich im Laufe des 5. Jahrhunderts erst wirklich herausgebildet. Es kann aber nicht oft genug betont werden, daß diese neuen Interpretationen alles andere als gesicherte Erkenntnisse enthalten. Weil sich Dreher zu stark auf sie stützt, entstehen gelegentlich schiefe Bilder von Spartas System, z. B. über den Umgang mit den Heloten (40f.; 73f.), über das Erziehungssystem (93) oder über die Kunstproduktion; die Aussagen zu letzterer (46f.) sind widersprüchlich: erst bestreitet er einen "abrupten" Rückgang der Kunstproduktion um 550, wenig später bestätigt er einen solchen "ungleichmäßigen". Es war nun einmal so, daß Sparta spätestens seit dem Ende des Zweiten Messenischen Krieges eine Sonderstellung in Griechenland einnahm, und die Quellen, die sich mit diesem Thema befassen, bestätigen das auch. Quellenkritik muß dann ihre Grenzen haben, wenn sie in Willkür abgeleitet, um etwas zu widerlegen.

Was den Peloponnesischen Bund betrifft (49f.), so sollten noch stärker die juristischen Implikationen der Verträge betrachtet werden; die Freund-Feind-Klausel, Kern aller Verträge Spartas mit seinen Verbündeten, ließ keineswegs den Bündnisfall auch bei "spartanischen Angriffskriegen" (50) eintreten. Hier waren nach dem griechischen Völkerrecht klare Grenzen gezogen. Den Frauen in Sparta (119f.) weist Dreher eine etwas bessere Stellung zu als den Frauen in Athen, die jedoch wiederum besser gewesen sei als gemeinhin angenommen. Auch hier ist der Versuch der Angleichung augenfällig. Für Sparta hat Maria Dettenhofer das Richtige gesagt. Es läßt sich noch manches andere anführen, wo man sich mehr Klarheit gewünscht hätte, Spartas Rolle etwa vor dem Peloponnesischen Krieg oder die inneren Diskussionen nach dem Sieg über Athen. Etwas zurückhaltend äußert sich Dreher auch zu den Allgemeinen-Friedensverträgen des 4. Jahrhunderts, die wohl im Lichte spartanischer Hegemonialbestrebungen diskutiert werden, aber nicht in ihrer gesamtgriechischen Konzeption als mehrseitige Verträge über Frieden und Selbstbestimmung.

Es liegt in der Natur einer Rezension, daß man Einzelkritik übt. Diese Kritik zeigt, daß vieles in dem vorliegenden Buch umstritten ist. Den Wert des Buches beeinträchtigt das nicht. Es ist von einem fachkundigen Autor verfaßt und wird sich zu Recht einer großen Beliebtheit bei Fachleuten und Studenten erfreuen, die auf wenigen Seiten eines der zentralen Themen der Alten Geschichte nach Quellen, Forschungen und Darstellung aufgeschlüsselt bekommen.

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