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Titel
Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur Gegenwart. Eine Jahrhundertgeschichte


Autor(en)
Schwabe, Klaus
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
560 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Berg, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

An deutschsprachigen Büchern zur Weltmachtpolitik der USA herrscht seit dem Ende des Kalten Krieges und vor allem seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 und der kriegerischen Reaktion der Administration George W. Bushs nicht gerade ein Mangel. Etwas vereinfachend lassen sich diese Publikationen in zwei Denkschulen unterteilen1: Auf der einen Seite finden sich entlarvende Anklagen des US-Imperialismus, der mit den Mitteln militärischer Macht, politischen Drucks, wirtschaftlicher Dominanz und kultureller Durchdringung fremder Gesellschaften zielstrebig ein hegemoniales Projekt verfolge. Die von den USA als Rechtfertigung ihres Handelns angeführte weltweite Verbreitung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten wird dabei zumeist als zynische Bemäntelung materieller Interessen abgetan. Auf der anderen Seite stehen Autoren/innen, darunter zahlreiche akademische Historiker/innen und Politologen/innen, die in den USA einen unverzichtbaren Garanten für eine liberal-demokratische Weltordnung sehen, trotz aller Irrtümer, Fehler und Exzesse, die ideologischem Übereifer, der unvermeidlichen Arroganz der Macht und oft auch fehlender kultureller Sensibilität zugeschrieben werden.

Die realhistorischen Widersacher und ideologischen Konkurrenten des Imperium Americanum, namentlich der deutsche Nationalsozialismus, der japanische Imperialismus und der Sowjetkommunismus, erscheinen in letzterer Sicht kaum als wünschbare Alternativen. Die Erkenntnis, dass gerade die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik nur möglich war, weil Amerika sich entschlossen seiner weltpolitischen Verantwortung für Freiheit und Demokratie stellte, wurde seit dem Ende des Kalten Krieges selbst in weiten Teilen der deutschen Linken akzeptiert, ist jedoch seit der US-Invasion des Irak und dem unilateral-nationalistischen Auftrumpfen der Bush-Regierung wieder etwas in den Hintergrund getreten.

Der Titel des Buches von Klaus Schwabe, „Weltmacht und Weltordnung“, lässt keinen Zweifel, dass der Autor der zweiten Schule angehört. Das Erkenntnisinteresse seiner Darstellung, so Schwabe im Vorwort, bestehe darin, die amerikanische Außenpolitik sowohl in ihrer globalen Dimension als auch als Ergebnis eines demokratischen Prozesses zu erfassen. Im Zentrum des Buches steht „die Sisyphusarbeit, auf die sich die amerikanische Weltmacht, oft genug strauchelnd, bei dem Bemühen eingelassen hat, aufgrund ihrer Wertvorstellungen und mit ihren militärischen und nicht-militärischen Machtmitteln der Welt zu einer friedenserhaltenden globalen Ordnung zu verhelfen […], und ob und wieweit in Amerika die Bereitschaft bestand, sich selbst an die Prinzipien einer Weltfriedensordnung zu halten, zu deren Konzipierung seine Initiativen so entscheidend beigetragen haben“ (S. IX).

Es gibt wenige Autoren/innen, auf deren Sachkompetenz und Urteilskraft die Leser/innen bei der Verfolgung dieses „dynamischen Prozesses in chronologischer Abfolge“ (S. XI) so vertrauen dürfen wie im Fall von Klaus Schwabe. Schwabe gehört zur Pioniergeneration deutscher Historiker/innen und Politikwissenschaftler/innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals ein profundes analytisches Verständnis amerikanischer Außenpolitik und der ihr zugrundeliegenden materiellen, institutionellen und ideellen Triebkräfte entwickelt und an Generationen von Studierenden und Nachwuchswissenschaftler/innen weitergegeben haben. Der Aachener Emeritus ist ein exzellenter Kenner der US-Weltpolitik im 20. Jahrhundert und sein Buch kein an der Tagesaktualität orientierter Schnellschuss. Es bietet auf fast 600 Seiten die Summa eines wissenschaftlichen Lebenswerkes und basiert auf einer stupenden Kenntnis der umfangreichen Sekundärliteratur sowie auf langjährigen eigenen Forschungen, die Schwabe vor allem zum Wilsonschen Internationalismus und zur Haltung der USA gegenüber der europäischen Integration betrieben hat. Die klare, jargonfreie Sprache, der Faktenreichtum und die Überschaubarkeit der Argumentation machen „Weltmacht und Weltordnung“ zu einem Standardwerk, das Studierende und interessierte Laien, aber gewiss auch Experten/innen mit Gewinn lesen werden.

Einleitend arbeitet Schwabe fünf Traditionslinien heraus, welche die amerikanische Außenpolitik seit der Staatsgründung, oft in widersprüchlicher Weise, geprägt haben: die Tendenz zum isolationistischen Rückzug, einen revolutionären Antikolonialismus mit oft schwärmerischer Überhöhung nationaler Selbstbestimmung, den humanitären Impuls, den demokratischen Missionsgedanken sowie den räumlichen und ökonomischen Expansionismus. Zugleich betont er, dass die US-Außenpolitik als Ergebnis kontingenter historischer Konstellationen, komplexer pluralistischer Entscheidungsprozesse, widerstreitender Interessen und institutioneller Dynamiken verstanden werden muss. Alle diese widersprüchlichen Traditionen und checks and balances führten dazu, dass Amerika seine Rolle als Weltordnungsmacht keineswegs bereitwillig und zielstrebig annahm, sondern immer wieder zwischen internationalem Führungsanspruch und Rückzug auf traditionelle Vorstellungen von unilateraler Handlungsfreiheit, nationalen Interessen und uneingeschränkter Souveränität schwankte.2

Schwabe teilt das amerikanische Jahrhundert in drei große Phasen ein. Am Beginn standen die kurze Phase des direkten Imperialismus und der gescheiterte Versuch Woodrow Wilsons zur Schaffung einer universalen liberal-demokratischen Weltordnung. Amerikas Aufstieg zur Weltmacht zwischen 1921 und 1945 wurde dann entscheidend durch die totalitären Herausforderungen bewirkt, die von Hitlerdeutschland und dem japanischen Imperialismus ausgingen. Den bei weitem größten Raum gibt Schwabe freilich der Geschichte des Kalten Krieges und dessen Folgen. Seine Darstellung folgt dabei weitgehend der Interpretation, die in der Eindämmung von Kommunismus und sowjetischer Aggression sowie der Sicherung der liberalen Demokratie die grundlegenden Ziele der US-Politik erblickt. Diese Politik war in Westeuropa zweifellos auf eindrucksvolle Art und Weise erfolgreich und zeigte sich in entscheidenden Momenten flexibel genug, zunächst eine militärische Konfrontation zu verhindern und dann die friedliche Transformation von 1989/90 zu gestalten. Außerhalb Europas blieb der Kalte Krieg freilich nicht wirklich kalt, sondern führte, auch aufgrund eklatanter Fehleinschätzungen der US-Politik, zu unzähligen Stellvertreter- und Bürgerkriegen – dieser Aspekt kommt bei Schwabe vielleicht etwas zu kurz.3

„Weltmacht und Weltordnung“ ist keine präsentistische Kritik der derzeitigen US-Regierung, aber Schwabe drückt sich keineswegs darum, im Schlusskapitel die Politik der Bush-Administration einer nüchternen Analyse zu unterziehen und sie in die historischen Traditions- und Kontinuitätslinien amerikanischer Außenpolitik einzuordnen. Trotz aller Ähnlichkeiten der missionarischen Rhetorik grenzt Schwabe den liberalen Internationalismus Wilsons und Franklin D. Roosevelts vom „Neoimperialismus“ (S. 478) der Anhänger George W. Bushs ab. Im Unterschied zu Bush habe Wilson, so Schwabe, „den utopischen Anspruch“ der Demokratisierung der Welt niemals im Alleingang durchsetzen wollen (S. 491). Und „FDR“ habe allein schon wegen des schwierigen Verbündeten in Moskau eine kooperativ-multilaterale Nachkriegsordnung angestrebt. An dieser liberal-internationalistischen Grundorientierung der US-Außenpolitik änderte sich auch in den kommenden Jahrzehnten nichts, selbst wenn alle US-Administrationen in Einzelfällen auch zu unilateralem Handeln bereit waren. Was in der Vergangenheit jedoch ein „Notbehelf“ gewesen sei, habe George W. Bush zumindest zeitweise zum Prinzip erhoben.

Andererseits sieht Schwabe auch, dass die Bush-Administration angesichts des Scherbenhaufens, vor dem sie im Irak steht, und angesichts der zahlreichen internationalen Herausforderungen und Krisenherde, denen sich die USA und der Westen gegenübersehen, gar keine andere Wahl hat, als zur Politik multilateraler Zusammenarbeit zurückzukehren. Das unverändert aktuelle Ziel der Schaffung einer liberal-demokratischen Weltfriedensordnung bedürfe zwar der einzigartigen Machtmittel der USA, sei aber nicht durch militärische Macht allein zu erreichen. Nur als „regelgebundener Hegemon“ (S. 496) werde Amerika bei seinen Verbündeten die Glaubwürdigkeit und Unterstützung (zurück)gewinnen, ohne die Amerika seine internationale Führungsrolle nicht spielen könne.

„Weltmacht und Weltordnung“ wird als große Synthese der US-Außenpolitik des 20. Jahrhunderts gewiss auf längere Sicht Bestand haben. Gleichwohl ist Schwabes Politikbegriff, der sich auf Regierungshandeln und die zentralen strategischen Fragen von Krieg und Frieden konzentriert (S. XI), nicht unbedingt wegweisend für eine internationale und transnationale Geschichtsschreibung, die auch kulturelle Prägekräfte und nichtstaatliche Akteure in die Erforschung internationaler Beziehungen zu integrieren versucht und eine weniger auf Europa und die Großmächte fokussierte Perspektive anstrebt. Aber in „Weltmacht und Weltordnung“ hat Schwabe bewusst den traditionellen politikgeschichtlichen Ansatz gewählt, der auch in Zukunft legitim und relevant bleiben wird.

Anmerkungen:
1 Als anders gelagerten Systematisierungsversuch vgl.: Behrends, Jan C., Amerika als Imperium. Ein Überblick zur neueren Literatur, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), S. 111-120, online unter URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Behrends-1-2006>.
2 Siehe auch: Hochgeschwender, Michael, Die USA – ein Imperium im Widerspruch, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), S. 55-76, online unter URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Hochgeschwender-1-2006>.
3 Vgl. neuerdings: Greiner, Bernd; Müller, Christian Th.; Walter, Dierk (Hgg.), Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg 2006.

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