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Titel
Inszenierter Stolz. Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften (1935-1975)


Herausgeber
von Saldern, Adelheid; unter Mitarbeit von Lu Seegers
Reihe
Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung 2
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
498 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Springer, Deutsches Historisches Museum Berlin

Lüdenscheid sei „kein Paris“, sondern eine „brave deutsche Mittelstadt“ (S. 300), erläuterte im Jahr 1968 der Oberbürgermeister der Stadt Lüdenscheid seinen vermutlich wenig überraschten Lesern. Anlass für die Selbstbeschreibung war die 700-Jahrfeier der sauerländischen Stadt. Eine solch bescheidene zeitgenössische Äußerung findet sich eher selten in den zahlreichen Fällen von „Stadtrepräsentationen“, die Alice von Plato, Elfie Rembold, Lu Seegers, Uta C. Schmidt und Thomas Siemon im Rahmen eines von der Volkswagenstiftung finanzierten und von Adelheid von Saldern geleiteten Forschungsprojektes aufgespürt und analysiert haben. Denn ein nicht unwesentliches Ziel der „Stadtrepräsentationen“ war (und ist) es, durch alle Zeiten hindurch und voller Selbstbewusstsein die Vorzüge der jeweiligen Stadt zu betonen und als Medium der Selbstdarstellung zu dienen – Bescheidenheit ist da fehl am Platz.

Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht die „klassische“ Form der „Stadtrepräsentation“, nämlich die städtischen Feierlichkeiten. Als Basis für die Betrachtungen dienen Feste in den Städten Gera, Leipzig, Rostock, Zwickau, Guben, Lüdenscheid, Wilhelmshaven und Hannover – eine umfangreiche und vor allem überzeugende Auswahl von Stadttypen, die ausreichend unterschiedlich sind und zugleich über genügend Ähnlichkeiten verfügen. Allenfalls die (trotzdem hochinteressante) Untersuchung der Feierlichkeiten anlässlich des U-Bahn-Baus in Hannover fällt thematisch ein wenig aus dem Rahmen, geht es dabei doch im Kern um die Vermittlung einer zentralen städtischen Baumaßnahme und nicht um die abstrakte Feier eines Stadtjubiläums. Andere Formen der Stadtrepräsentation wie Denkmäler oder Stadtmuseen stellen bewusst kein Thema des Bandes dar, sollen doch gerade die ereignishaften Stadtrepräsentationen im Vordergrund stehen. Einerseits würden sie, so von Saldern, „als Kristallisationspunkt städtischer Selbstdarstellung [...] besonders geschätzt“ (S. 11), andererseits könne der Blick auf Ereignisse, wie sie Stadtfeste darstellen, dazu dienen, „Strukturen in ihrer spezifischen zeit- und ortsbezogenen Bündelung herauszuarbeiten und ereignisorientierte Handlungsweisen und deren Sinndeutungen zu rekonstruieren“ (S. 17).

Der Sammelband knüpft an das Buch „Inszenierte Einigkeit“ an, in dem vor zwei Jahren ebenfalls Studien zu städtischen Feiern als Resultat des Forschungsprojekts vorgelegt wurden.1 Ging es dort ausschließlich um DDR-Städte, so ist nun der Fokus auf alle drei politischen Systeme des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland gerichtet: Nationalsozialismus, Bundesrepublik und DDR. Den genannten Städten sind jeweils einzelne Aufsätze gewidmet – den übergreifenden Vergleich leistet dagegen von Saldern, die in zwei umfangreichen, den theoretischen Rahmen und die Ergebnisse absteckenden Texten die Einzelstudien in ihrer Gesamtheit in den Blick nimmt.

Über eine Zeitspanne von vier Jahrzehnten werden so unterschiedliche Feste wie das Leipziger „Reichsbachfest“ (Elfie Rembold), die 700-Jahr-Feier in Gera (Alice von Plato) oder die Zwickauer Stadtjubiläen in den 1930er und 1960er-Jahren (Lu Seegers) behandelt. Vermutlich aus arbeitsökonomischen Gründen ist das Jahr 1975 (Inbetriebnahme des ersten Streckenabschnitts der hannoverschen U-Bahn) als Endpunkt der Darstellung gewählt. Dass die späten 1970er und die 1980er-Jahre fehlen, ist trotzdem bedauerlich, wäre es doch spannend gewesen zu erfahren, welche Veränderungen das Europäische Jahr des Denkmalschutzes, der veränderte Umgang mit Geschichte allgemein oder das Aufkommen der „Event-Kultur“ für die Stadtrepräsentationen (und im weiteren Sinn für die beiden politischen Systeme) bedeuteten.

Nichtsdestotrotz vermitteln die einzelnen Studien eine Fülle wichtiger Erkenntnisse über städtische Kultur und Herrschaftsverhältnisse in den drei Systemen und belegen damit erneut, welche zentrale Rolle stadthistorischer Forschung zukommt, will man Einblicke in die Alltagsrealität von Herrschaft und in die Funktionsweise von Gesellschaften gewinnen. Überzeugend demonstrieren die Autorinnen die Bedeutung, die städtische Feiern in allen Systemen als Möglichkeit der wie auch immer gearteten Kommunikation besaßen. Dabei geht es den Autorinnen nicht nur um das „von oben“ dekretierte Selbstbild der Stadt, sondern auch um die sehr viel schwerer zu eruierende Haltung der Bevölkerung. Die vergleichende Betrachtung ermöglicht es, sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten von Feiern innerhalb einer Stadt als auch in Bezug auf andere Städte herzustellen.

Zentrale Aufgabe der städtischen Feiern war es, das Selbstbild der Stadt zu artikulieren und deren Identifikations- und Bindungskraft für die Bewohner zu stärken. Darüber hinaus wirkten jedoch von Herrschaftssystem zu Herrschaftssystem unterschiedliche politische Entscheidungen und gesellschaftliche Prozesse auf dieses Bild ein. Die Leistung der fünf Autorinnen ist es nicht zuletzt, diese Fremdbestimmtheit und deren Bedeutung herausgearbeitet zu haben. So legt Lu Seegers am Beispiel der Rostocker Kulturwochen der Jahre 1934 bis 1939 dar, auf welche Weise die örtlichen Nationalsozialisten die Geschichte Rostocks umdeuteten und in die NS-Ideologie integrierten: „Die lokale und regionale Volkskultur [...] schuf [...] Identifikationsmöglichkeiten über parteipolitische Grenzen und soziale Schichten hinweg, die zur Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft beitrugen.“ (S. 181) Exemplarisch für die DDR-Städte der 1950er und 1960er-Jahre dürfte das Gubener Jubiläum des Jahres 1960 gewesen sein, bei dem versucht wurde, das ’kommunikative Gedächtnis’ der Bewohnerinnen und Bewohner Gubens in zweierlei Hinsicht zu überschreiben: „[Z]um einen verschoben sich die Identitätskonstruktionen von der Hut- und Tuchmacherstadt zur Chemiestadt; zum anderen veränderte die ‚gegenwartsbezogene Umformung’ und die sozialistische Geschichtsinterpretation die inszenierte Erinnerung.“ (S. 293)

Als Ausgangsmaterial nutzen die Autorinnen hauptsächlich Akten der Kommunalverwaltung, zeitgenössische Presseberichte, Broschüren und – wo möglich – auch den Film. Ein wenig zu kurz kommen die für die Verbreitung des Selbstbildes so wichtigen Quellen wie Werbeplakate, Fotos und Souvenirs - sind sie es doch, die in besonderer Weise in den Städten die Erinnerung an die Feste bestimmen. Auch auf Interviews oder auf die Auswertung privater Aufzeichnungen und Fotoalben verzichteten die Autorinnen. (Nachvollziehbarer) Grund dafür dürfte die große Zahl an untersuchten Städten gewesen sein, die die Bearbeiterinnen vor nicht unerhebliche logistische Probleme gestellt haben dürfte. Die schwierige Frage der Wirkkraft der Stadtrepräsentation bleibt deshalb jedoch weitgehend unbeantwortet. Die Untersuchung der Besucherresonanz beschränkt sich notwendigerweise in der Regel auf die Aussagen von Zeitungsartikeln - eine, wie die Autorinnen selbst bemängeln, wenig verlässliche, da meist überschwänglich mitfeiernde Quelle.

Überzeugend ist die Vorgehensweise der „Sondenforschung“, also der Erforschung von einzelnen Ereignissen mit dem Ziel, „punktuell die Tiefe des historischen Raums auszuloten und daraus verallgemeinerbare Erkenntnisse über das jeweilige Herrschaftssystem zu gewinnen“ (S. 17). Ein solches Verfahren ermöglicht erst so umfangreiche Vergleiche wie die vorgelegten. Allerdings wird dies mit einer nur sehr eingeschränkten Einbettung der Ereignisse in die jeweilige Stadtgeschichte „bezahlt“. Aus diesem Grund erfährt man verhältnismäßig wenig über die Rolle der Städtekonkurrenzen, die in der Regel in nicht unerheblichem Maße die Repräsentationen beeinflussen. In Bezug auf die DDR bleiben die für die Ausgestaltung der Feiern so wichtigen „Interdependenzen von Stadtverwaltung, lokaler SED und den verbliebenen ‚Resten’ städtischen Bildungsbürgertums“ (S. 415) eher unterbelichtet – eine stärker in die Stadtgeschichte eingebettete Analyse wäre hier sicher ertragreicher gewesen. Auch eine Einordnung der untersuchten Feiern in die gesamte lokale Festgeschichte findet nur begrenzt statt. Im Fall der konstatierten Ausblendungen der „alltäglichen brutalen Exklusionen andersdenkender und ‚nicht-arischer’ Menschen“ (S. 454) bei den nationalsozialistischen Stadtjubiläen hätte dies möglicherweise zu einer anderen Einschätzung geführt, denkt man etwa an die verbreiteten antisemitischen Darstellungen bei Fastnachtsumzügen.

Diese Punkte sollen den Wert des Sammelbandes jedoch keineswegs schmälern. Vielmehr haben die Autorinnen auch mit dem zweiten Band ihres Forschungsprojektes Maßstäbe für die vergleichende Erforschung von Stadtkultur und städtischer Herrschaftsverhältnisse gesetzt. Zugleich demonstrieren sie die Notwendigkeit einer „sondenforschenden“ Stadtgeschichtsschreibung als Möglichkeit des handhabbaren Vergleichs und als Ausgangspunkt für die intensivere Erforschung weiterer spannender Kapitel der modernen Stadtgeschichte.

Anmerkung:
1 von Saldern, Adelheid (Hg.), Inszenierte Einigkeit. Herrschaftsrepräsentation in DDR-Städten, Stuttgart 2003; vgl. die Rezension von Thomas Wolfes in: H-Soz-u-Kult, 29.04.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-071>; vgl. auch die ausführliche Rezension beider Bände von Detlef Schmiechen-Ackermann in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 1 (2005), S.87-95.

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