D. Münkel: W. Brandt und die ,Vierte Gewalt'

Cover
Titel
Willy Brandt und die ,Vierte Gewalt'. Politik und Massenmedien in den 50er bis 70er Jahren


Autor(en)
Münkel, Daniela
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina von Hodenberg, Queen Mary University of London c.hodenberg@qmul.ac.uk

In einer präzisen, knappen und lesenswerten Studie hat Daniela Münkel versucht, das Verhältnis von Politik und Medien in der Geschichte der frühen Bundesrepublik genauer zu bestimmen. Ihre Leitfrage ist die Medialisierung der Politik, also die zunehmende Anpassung der Politik an die Bedingungen der Massenmedien, während der 1950er- bis 1970er-Jahre. Geschrieben ist das Buch im Wesentlichen aus der Perspektive der Politik; genauer, es konzentriert sich auf einen Politiker, Willy Brandt, und dessen Verhältnis zu den Medien. Mit der Wahl dieses Ausschnitts werden produktive Tiefenbohrungen in veröffentlichten wie unveröffentlichten Quellen möglich, die manch neue Einsicht zutage fördern. Auf der anderen Seite bringt die enge Fokussierung auf Brandt auch Nachteile mit sich: eine starke Personalisierung der mediengeschichtlichen Argumentation und eine gewisse Überstrapazierung von Brandt als Dreh- und Angelpunkt der bundesrepublikanischen Mediengeschichte.

In Übereinstimmung mit der neueren Forschung sieht Münkel die 1960er-Jahre als Aufbruchsjahrzehnt, in dem die Medialisierung der Politik einen kräftigen Schub erfuhr (S. 12f.). Sie betont jedoch, dass die „eigentliche Zäsur“ im letzten Drittel der sechziger Jahre anzusiedeln sei: Erst „im Vorfeld und während der ersten Kanzlerschaft Brandts“ sei es zu einer engeren „Symbiose zwischen Politik und Presse“ sowie Fernsehen gekommen (S. 133, 158). Im Zusammenhang damit verliert die „Spiegel-Affäre“ des Jahres 1962 an Bedeutung; sie wird zum „symbolischen Wendepunkt“, ohne einen echten Bruch im Verhältnis von Journalismus und Politik darzustellen (S. 131).

Münkels Studie wendet sich zunächst der Medienpolitik von SPD und CDU in den fünfziger Jahren zu. Dabei zeichnet sie das Bild einer durchaus modernen, aber nicht immer liberalen Medienpolitik unter Konrad Adenauer. Davon setzt sie die veralteten und ineffektiven Medienstrategien der SPD unter Fritz Heine ab. Im nächsten Kapitel wird das Beziehungsgeflecht aufgeschlüsselt, das Willy Brandt und seine engsten Mitarbeiter (vor allem Egon Bahr) mit Presse, Funk und Fernsehen verband. Das Verhältnis zwischen Politik und Medien wird hier überwiegend aus personalisierender Perspektive geschildert. Der Leser lernt hier manch Neues über die langjährigen, guten Kontakte zwischen Axel Springer und Willy Brandt und Axel Springers Sympathien für die SPD in den 1950er-Jahren. Dokumente aus Privatnachlässen erlauben es Münkel auch, die engen Verbindungen zwischen Ludwig Erhard und Gerd Bucerius zu belegen, die den Kurs der ZEIT um die Wende zu den 1960ern beeinflussten.

Ein weiteres Kapitel widmet sich Journalisten, die als Wahlkampfhelfer, Politikberater oder gar Parteimitarbeiter tätig waren, und damit der durchlässigen Grenze zwischen Medien- und Politiksphäre. Ein herausragendes Unterkapitel befasst sich mit der Sozialdemokratischen Wählerinitiative (SWI) und mit den Schriftstellern und Journalisten, die sich lokal und unmittelbar für die Sozialdemokraten in die Wahlkämpfe einschalteten. Günter Gaus, Klaus Harpprecht und Conrad Ahlers erfahren besondere Aufmerksamkeit. Interessant ist dabei Münkels These, dass Brandt für den engen Umgang mit den recht eigenwilligen Journalisten häufig mit parteiinternen Konflikten und dem Anschein der Führungsschwäche bezahlen musste. Allerdings vermag Münkel den „nicht unerheblichen“ Einfluss der journalistischen Berater auf Willy Brandt nicht genauer zu bestimmen (S. 205).

Schließlich werden die Medienstrategien der SPD wie der CDU während der Wahlkämpfe von 1953 bis 1972 durchleuchtet, wobei Münkel diese auf Elemente einer „Amerikanisierung“ hin befragt. Das Ergebnis dieses ausführlichen Kapitels – man solle „weniger von ‚Amerikanisierung’ als vielmehr von einem durch amerikanische Vorbilder beeinflussten Modernisierungsprozess“ sprechen (S. 289) – ist wenig überraschend. Die Feststellung, dass amerikanische Elemente nur selektiv angeeignet und stets mit deutschen Traditionen vermengt wurden, entspricht den Ergebnissen anderer neuerer Arbeiten zur Amerikanisierung und Westernisierung der westdeutschen Gesellschaft.

Immer wieder stellt Münkel im Laufe der Studie heraus, Willy Brandt sei der „erste ‚moderne Medienkanzler’“ gewesen: Seine Person sei medial auf neuartige Weise inszeniert worden – bis hin zu einer „neuen Symbiose zwischen Politik und Medien“ (S. 10, 58, 120, 291). Dies Beharren auf Neuartigkeit wirkt bisweilen etwas bemüht, gerade weil Adenauer und die Medienpolitik der CDU in den Fünfzigern durchaus modern daherkamen – ganz von der medialen Vermarktung Adolf Hitlers abgesehen, eine Vorgeschichte, die in diesem Zusammenhang kaum reflektiert wird. Der Leser erfährt soviel Aufschlussreiches über Brandts spezifischen Stil im Umgang mit den Medien, dass die Frage danach, wer denn nun der Erste war, eher müßig erscheint. Zu häufig lässt Münkel mit Brandt alles irgendwie neu beginnen: so die „human interest story“ über den Menschen hinter dem Politiker, die „homestory“ über den Politiker daheim oder den Politiker als Fernsehstar (S. 57f., 125f., 146). Dabei geraten zu leicht die Kontinuitäten und das Prozesshafte der Entwicklung aus dem Blick. Zu fragen wäre auch, was die angesprochene „neue Symbiose“ von Journalismus und Politik, die Münkel insbesondere für die Jahre 1969 bis 1972 konstatiert, inhaltlich von früheren, ähnlich „zeitlich limitierte[n] Allianz[en] zwischen Politik und Teilen der Massenmedien“ abhebt. In diesem Kontext hätte man sich eine eingehendere Betrachtung des Faktors Ostpolitik gewünscht. Denn es liegt nahe, dass sich die inhaltlichen Übereinstimmungen Willy Brandts mit zahlreichen Verlegern und Journalisten – von Axel Springer bis Günter Gaus – wesentlich aus gemeinsamen Haltungen zur deutschen Frage speisten.

Daniela Münkel hat mit dieser souveränen Studie einen vernachlässigten Bereich der SPD-Parteigeschichte und der Biografie Willy Brandts aufgearbeitet. Ihr Buch ist unverzichtbar auch für jene Historiker/innen, Politik- und Medienwissenschaftler/innen, die sich mit Medialisierung und „Mediendemokratie“ beschäftigen. Als Abriss einer Mediengeschichte der frühen Bundesrepublik eignet sich das Buch wegen der Konzentration auf einen Politiker und seine Partei dagegen weniger.

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