Titel
Der Berliner Lustgarten. Gartenkunst und Stadtgestalt in Preußens Mitte


Autor(en)
Jager, Markus
Reihe
Kunstwissenschaftliche Studien 120
Erschienen
Anzahl Seiten
365 S. mit 40 Farbtafeln u. 260 s/w Abb.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Katenhusen, Institut für Politische Wissenschaft Arbeitsgruppe "Europäische Integration/ European Studies", Universität Hannover

Im Januar 2006 beschäftigte sich der Deutsche Bundestag mit der Frage des Abrisses des Palasts der Republik und der teilweisen Rekonstruktion des ehemaligen Berliner Stadtschlosses. Obwohl bereits rund vier Jahre zuvor die Entscheidung zur „Wiederherstellung der Historischen Mitte Berlins“ gefällt worden war und damit das Aus für den Palast besiegelt schien, versuchten Bündnis 90/ Die Grünen und die Linkspartei in letzter Minute, seinen Abriss zu stoppen, bis ein realistischeres Konzept zur Nutzung des dann frei werdenden Geländes vorliege. In einer bewegten Sitzung hielt ihnen Friedbert Pflüger, designierter CDU-Spitzenkandidat für die Berliner Abgeordnetenhauswahl, entgegen, „[e]in Bauwerk, das Diktatur symbolisiert, gehört nicht zur Identität der Deutschen.“ 1

Es war und ist politisch hart umkämpftes Terrain, dieses Gelände mit dem Palast der Republik, dem Staatsratsgebäude und dem ehemaligen Außenministerium der DDR. Doch nicht allein der ehemalige Schlossplatz ist ideologisch besetzt, sondern auch das Gelände auf der anderen Seite der Karl-Liebknecht-Straße, der Lustgarten, der von Kupfergraben, Altem Museum und Berliner Dom eingegrenzt wird. Beide Areale zusammen bildeten vom Abriss des kriegsversehrten Hohenzollernschlosses 1951 bis zum Jahre Eins nach der Wiedervereinigung den Marx-Engels-Platz, in der Konzeption ein Demonstrationsplatz ersten Ranges,„erheblich größer […] als der Rote Platz in Moskau“, wie der Ostberliner Oberbürgermeister seinerzeit stolz betonte (S. 17, 283), in der Realität dann wenig mehr als ein „Verkehrsplatz für Fließdemonstrationen“ (S. 285), ja, was den Südteil des Platzes betrifft, nach dem Bau des Palasts der Republik gar zum Parkplatz in der realsozialistischen Mitte Berlins verkommen.

Martin Warnke hat Anfang der 1990er-Jahre über „Politische Landschaften“ geschrieben und in diesem Zusammenhang über Grenzen, Brücken, Straßen, Denkmale und Plätze und ihren jeweiligen „programmatischen politischen Auftrag“ 2. Es ist das Verdienst des Berliner Kunsthistorikers Markus Jager, am Beispiel des Berliner Lustgartens eine rein gartenhistorische Betrachtung um diese Perspektive des Politischen zu einer Studie zum öffentlichen Stadtraum geweitet zu haben. In seiner 2002 als Dissertation an der TU Berlin eingereichten und nun im Druck mit fast 300 Illustrationen versehenen Studie schenkt Jager Fragen mannigfachen politischen Indienstnahmen und semantischen Überformungen des Lustgartens ebenso Beachtung wie solchen nach freiräumlicher Ausgestaltung und ästhetischem Paradigmenwechsel in der Geschichte dieser Mitte Berlins und Preußens. Wenn der Lustgarten tatsächlich die „wichtigste Grünanlage der Republik“ ist (S. 15, 312), dann kann nicht ausbleiben, dass Politiker und Landschafts-, Grünflächen- und Gartendenkmalpfleger/innen gleichermaßen sich erbitterte Auseinandersetzungen über seine Gestaltung liefern und private Initiativen ihrer Forderung nach einer Rekonstruktion jener Anlage, wie sie Karl Friedrich Schinkel seit den 1820er-Jahren realisiert hatte, auch schon einmal mit Hacke und Spaten Nachdruck verleihen (S. 325).

Jager analysiert auch diese Aktion im Kontext landschafts- und freiräumlicher Überlegungen, aber auch politisch konnotierter Intentionen. Zwar wertet er die Schinkelsche Raumgestaltung als „urbanistische und semantische Vollendung“ des Ensembles von Schloss, Zeughaus, Dom und Altem Museum (S. 16). Erst Schinkels „Genie“ habe den Einklang zwischen „Monumentalität und Aufenthaltsqualität“ geschaffen (S. 167), nur er sei des Problems des „disparaten Erscheinungsbildes“ (S. 104) dieses Platzes Herr geworden, dem durch seine Lage eingangs der Museumsinsel enge natürliche Grenzen gesetzt waren und sind. Doch kritisiert auch Jager, die simple Wiederherstellung eines historischen Zustands zum Leitbild einer Neugestaltung zu machen, und seine Wertschätzung für das seit 1999 realisierte Lustgartenkonzept des Berliner Gartenarchitekten Hans Loidl ruht in der Überzeugung, statt bloßer Reproduktion sei hier „Ebenbürtigkeit mit dem historischen Vorbild“ (S. 333) erreicht worden.

Hier zeigen sich die Stärken dieser Studie, die im Juli 2004 mit dem Theodor-Fischer-Preis des Zentralinstituts für Kunstgeschichte ausgezeichnet wurde: Es ist zum einen der präzise Blick auf die Hintergründe der „Metamorphosen der Mitte“, eine Vorgehensweise, die sich auch an kleineren Unstimmigkeiten in der Forschungsliteratur akribisch abarbeitet und für den nicht speziell in Berliner Geschichte geschulten, nicht primär an den gartenhistorischen und stadtplanerischen Details interessierten Leser/innen eine bisweilen überwältigende Materialfülle bereit hält. Doch findet sich in dieser Studie auch viel an Neuem und allzumal den historischen Kontext der „politischen Landschaft“ Lustgarten Bereicherndem. Die Periodisierung nach politischen Epochen, die dem Band in Anbetracht der Tatsache zugrunde gelegt wurde, dass „allen Umgestaltungen des Lustgartens […] politische Zäsuren – Machtwechsel oder Kriege – vorangegangen“ sind (S. 18), erweist sich, zum anderen, als guter Griff, diese Materialfülle zu bändigen und so die Veränderungen und Überformungen dieses Platzes, der in dem knapp halben Jahrtausend seiner Existenz selten länger als drei Jahrzehnte sein Äußeres bewahrte, am Ende doch prägnant herauszustellen.

1573 wurde der Lustgarten zum ersten Mal aktenkundig, ein zum Schloss der Kurfürsten, später der Hohenzollern-Könige gehöriges Areal der seelischen und leiblichen Rekreation, dem rasch auch politische Bedeutung zukam, wurde es doch als Schmuck- und Skulpturengarten des „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelms in den Dienst absolutistischer Machtdemonstration genommen. Im Zeichen rapiden urbanen Wachstums veränderte das Terrain dann während der Regierung Friedrich Wilhelms I. wiederum sein Gesicht. Auf der „rasireten“ und „applanireten“ (S. 92) „Place d’Armes“ des „Soldatenkönigs“ wurde fortan exerziert und damit auch ein Grundstein für den Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht gelegt. Friedrich II. trug der Bedeutung des Ortes dann um die Mitte des 18. Jahrhunderts insofern Rechnung, als er hier ein „Forum der drei wichtigsten Instanzen des preußischen Staates“ (S. 16) schuf, der Krone, des Militärs und der Kirche. Eine vierte Säule sollte Karl Friedrich Schinkel ein knappes Jahrhundert später hinzufügen, als er mit der Anlage des heutigen Alten Museums den Künsten Zugang zum Lustgarten verschaffte. Im Zuge der „Verbürgerlichung der Kunst“ 3 schuf Schinkel, so Jager, den ersten „Volksgarten“ (S. 163) Berlins, der 1831 „der Öffentlichkeit“ übergeben wurde. Freilich verfährt der Autor mit theoretisch-analytischen Konzepten von (auch, aber nicht nur bürgerlich geprägten) städtischen Teilöffentlichkeiten, von kultureller wie politischer Aneignung und Partizipation, aber auch von Stadtrepräsentationen und Repräsentationen der (Haupt-) Stadt durchweg wenig reflektiert, so dass die Darstellung des Einflusses von in der Folge der Aufklärung sich herausbildenden neuen Akteursgruppen undeutlich bleibt. 4

Der Konkurrenz, die dem Lustgarten als preußischem Staatsforum nach der Reichsgründung durch den Bau des Reichstags als Symbol der neuen nationalen Einheit erwuchs, versuchte Wilhelm II. insofern zu begegnen, als er für Schlossplatz und Lustgarten die Schaffung eines Kaiserforums in Auftrag gab. Umso augenfälliger war der Verlust der Funktion als monarchisches Zentrum nach der Abdankung des letzten Hohenzollern. Ohne sein Äußeres zu verändern (ein Novum in seiner bisherigen Geschichte), entwickelte sich der Lustgarten in der Weimarer Republik zur Arena politischer Auseinandersetzung, in einen Raum, der nun erstmals auch von nicht-bürgerlichen Akteuren, nämlich von Angehörigen der gespaltenen Arbeiterparteien, erobert wurde. Wenn der Lustgarten für die Realisierung nationalsozialistischer Vorstellungen eines monumentalen Staats- und Regierungsforums auch viel zu klein war, so musste er schon wegen dieser Besetzung fest in die Aufmarsch- und Paradedramaturgie des ‚Dritten Reiches’ einbezogen bleiben. Nach dessen Zusammenbruch schließlich wurde die in Monarchie, Demokratie und Diktatur historisch gewordene Mitte Berlins alsbald wieder als Akklamationsraum in den Dienst der Politik genommen. 350.000 Menschen sollten fortan auf dem neuen Marx-Engels-Platz für den Sieg des Sozialismus demonstrieren können, für diesen Zweck wurde auf die Reste des Hohenzollernschlosses, ohnedies Symbol einer verhassten Vergangenheit, nur zu gern verzichtet. Nach und nach wurden die Repräsentativbauten des Staats- und Regierungszentrums der DDR fertig gestellt, den Abschluss bildete 1976 der Palast der Republik.

Fast auf den Tag genau dreißig Jahre später, im Frühjahr 2006, wird dieses Herzstück der realsozialistischen Mitte Berlins nun rückgebaut. Das breite Interesse, auf das jeder Schritt in diesem Zusammenhang stößt, lässt erwarten, dass diese eminente „Politische Landschaft“ von Politiker/innen, Gartenhistoriker/innen, Denkmalpfleger/innen, Freiraumplaner/innen und nicht zuletzt von unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Akteur/innen umworben bleibt. Eingedenk der Tatsache, dass „Annahme der Geschichte […] immer Annahme der ganzen Geschichte“ 5 bedeutet – so Gregor Gysis Replik auf Friedbert Pflügers bemerkenswert unreflektierte Bemerkung im Deutschen Bundestag –, bleibt zu hoffen, dass hier weiter um Fragen von Kontinuität und Wandel, von Reproduktion und Neugestaltung – und immer auch von nationaler Identität debattiert und gestritten wird.

Jager hält in seiner Studie den Blick eindringlich und fest auf Berlin und den Lustgarten gerichtet, so eindringlich, dass er gelegentliche Redundanzen nicht scheut, so fest, dass allenfalls andere Plätze der preußischen Metropole zum Vergleich herangezogen werden, nicht aber – was mit dem Hinweis auf die Einzigartigkeit des Lustgartens nicht hinreichend begründet scheint – auf ähnlich eminente Plätze weiterer europäischer Hauptstädte. Gerade in der Präzision und Unbestechlichkeit seiner Argumentation jedoch liefert Jager für künftige Auseinandersetzungen um das Humboldt-Forum in der „Historischen Mitte Berlins“ wertvolles Material und tragfähige Überlegungen. 6

Anmerkungen:
1 Friedbert Pflüger, Protokoll der 11. Sitzung des Deutschen Bundestages, 16. Wahlperiode, 19. Januar 2006, S. 795.
2 Warnke, Martin, Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur, München-Wien 1992, S. 22.
3 Nipperdey, Thomas, Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988, S. 10ff.
4 Vgl. dazu z.B. die Beiträge von: von Saldern, Adelheid, Stadt und Öffentlichkeit in urbanisierten Gesellschaften. Neue Zugänge zu einem alten Thema, S. 3-15 und Strohmeyer, Ulf, Stadtgeschichte und Öffentlichkeit. Aspekte der internationalen Forschungsdebatte, S. 16-22, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Themenheft 2 2000.
5 Gregor Gysi
6 wie 1, S. 795.