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Titel
The War Behind the Eastern Front. The Soviet Partisan Movement in North-West Russia, 1941-44


Autor(en)
Hill, Alexander
Erschienen
London 2004: Frank Cass
Anzahl Seiten
195 Seiten
Preis
£ 65.-
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Alexander Brakel Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Der Krieg der Partisanen in den besetzten sowjetischen Gebieten ist längst zum Mythos geworden, wie man nicht nur an den zahlreichen nach ihnen benannten Straßen, Plätzen und Metrostationen in den postsowjetischen Staaten, sondern vor allem an einer Flut von Erinnerungsliteratur und historischer Darstellungen sieht. Monoton wird in diesen Werken der hohe militärische Wert der Widerstandsbewegung sowie ihre enge Verbundenheit mit der Bevölkerung betont. In der deutschen Historiografie ist der Partisanenkrieg vor allem im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die sogenannte Wehrmachtsausstellung in die Diskussion geraten. Dabei standen allerdings weniger die Partisanen selbst als vielmehr ihre häufig außerordentlich brutale Bekämpfung durch die deutschen Truppen im Mittelpunkt. Die Tatsache, dass sich unter den Opfern dieser Bekämpfung mehrheitlich unbeteiligte Zivilisten befanden, hat viele westliche Historiker zu der Annahme verleitet, die Dezimierung der Bevölkerung und nicht die Abkehr der militärischen Bedrohung der Partisanen sei das Hauptziel der deutschen Besatzungsmacht gewesen. Mitunter wurde die militärische Bedeutung der Partisanenbewegung sogar gänzlich negiert, wie in dem berühmten Diktum von Hannes Heer vom „Partisanenkrieg ohne Partisanen“.1 Damit standen diese Forschungen, die sich ausschließlich auf deutsches Quellenmaterial stützten, im diametralen Gegensatz zu den Ergebnissen der sowjetischen und postsowjetischen Historiografie, die sich ihrerseits auf die sowjetischen Dokumente beschränkte. Was fehlte, war eine multiperspektivische Gesamtschau.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass mit dem Engländer Alexander Hill nun weder ein Historiker aus Deutschland noch aus der ehemaligen Sowjetunion den Versuch unternommen hat, die erste Monografie zu den sowjetischen Partisanen zu schreiben, die konsequent sowohl mit deutschen als auch mit sowjetischen Dokumenten arbeitet. Für seine Untersuchung hat Hill eine Region im Bereich der Heeresgruppe Nord ausgewählt, genauer gesagt die oblasti Kalinin und Leningrad. Eines der wichtigsten Argumente für diese geographische Auswahl war die Tatsache, dass in diesem Gebiet relativ wenige Juden wohnten. Dadurch kam es kaum zu einer an vielen anderen Orten beobachteten Vermischung von Judenmord und Partisanenbekämpfung. Mit anderen Worten: Die Frage, inwieweit die Deutschen sich tatsächlichen von militärischen Zielen leiten ließen oder ob ihren Handlungen eher ideologische Motive zugrunde lagen, läßt sich in dieser Region besser als anderswo beantworten.

Hill kommt zu teilweise spektakulären Ergebnissen: Er kann zeigen, dass sich die Deutschen tatsächlich von militärischen Überlegungen leiten ließen, ihre Einsätze also tatsächlich in Gegenden durchführten, in denen verstärkt Partisanen aufgetaucht waren. Opfer dieser deutschen Operationen waren dennoch mehrheitlich unbeteiligte Zivilisten, was Hill allerdings nicht mit ideologischen, sondern mit situativen Faktoren erklärt. Die Partisanen waren mobil und konnten sich, wenn Gefahr in Verzug war, schnell absetzen, während die übrige Bevölkerung zurückblieb und so den Deutschen in die Hände fiel, die wiederum wegen der mangelnden Kennzeichnung der Partisanen insbesondere in der ersten Zeit Partisanen und Nicht-Partisanen nicht voneinander unterscheiden konnten. Hill dokumentiert jedoch auch, dass die Einsätze der Besatzer dennoch nicht vergeblich waren, sondern der Partisanenbewegung starke Schläge versetzten. Bis 1943 waren die Partisanen viel zu schlecht ausgerüstet, um einen massierten deutschen Angriff abschlagen zu können. Sie profitierten vielmehr von dem Umstand, dass die Deutschen nur relativ wenig Personal zur Sicherung ihres Hinterlands abgestellt hatten, das nicht ausreichend war, um das Gebiet dauerhaft und großflächig zu befrieden. Trotzdem gelang es den Untergrundkämpfern ebenfalls bis 1943 nicht, eine größere Zahl von Menschen aus der Zivilbevölkerung für sich zu gewinnen. Das harte deutsche Vorgehen der Deutschen gegen Partisanen und ihre Sympathisanten schreckte die Mehrheit der Bevölkerung davon ab, die irregulären Truppen zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund erscheint selbst der brutale deutsche Terror als militärisch sinnvoll.

Auf der anderen Seite stellt Hill auch die Frage nach der militärischen Bedeutung des Partisanenkrieges. Er sieht sie in erster Linie in der enormen Unsicherheit, die er ins deutsche Hinterland trug. Ansonsten blieb das Potenzial der Partisanen dagegen lange Zeit stark begrenzt. Erst im dritten Kriegsjahr gelang es ihnen, auch den deutschen Nachschub nachhaltig zu stören. Allerdings schätzt Hill die Auswirkungen dieser Sabotageakte nicht sonderlich hoch ein, zumal die Partisanen ihre höchste Effektivität ausgerechnet zu dem Zeitpunkt erreichten, als die deutliche Überlegenheit der Roten Armee gegenüber der Wehrmacht bereits offensichtlich war. Somit konnten die Partisanen den Deutschen zwar Schaden zufügen, aber weder am grundsätzlichen Verlauf des Krieges etwas ändern, noch sein Ende deutlich schneller herbeiführen. Dementsprechend skeptisch fällt auch das Fazit aus, das Hill zieht: Zwar billigt er den Partisanen eine gewisse militärische Relevanz zu, macht sie aber indirekt auch für die enormen Verluste unter der Zivilbevölkerung mitverantwortlich, die sie durch ihre Aktionen provozierten. Den Preis für die letztendlich geringe militärische Wirkung bezeichnet Hill als unverhältnismäßig hoch.

Das sind klare Aussagen, die ein vollkommen neues Licht auf den Partisanenkrieg werfen, ohne indes die deutsche Verantwortung zu negieren oder klein zu reden. So attestiert Hill durchaus die enorme Brutalität, welche die Deutschen bereits in der Anfangsphase des Krieges an den Tag legten, als die Partisanenbewegung noch relativ unbedeutend war. In der nationalsozialistischen Vorstellung eines Krieges gegen die „Untermenschen“ sieht er eine der Ursachen hierfür. Er hält aber andere Gründe für wichtiger und legt dar, dass es sich beim deutsch-sowjetischen Partisanenkrieg um eine von beiden Seiten hochgetriebene Gewaltspirale handelte, deren Eskalation in erster Linie nicht auf ideologischen, sondern auf militärischen Faktoren beruhte. Zur Untermauerung dieser These führt er Beispiele ähnliche Radikalisierungstendenzen aus dem Vietnamkrieg und der aktuellen amerikanischen Besatzung des Irak an. Damit weist er zugleich die Richtung, in die sich zukünftige Forschungsarbeiten bewegen sollten. Um Hills Erkenntnisse auf eine breitere empirische Basis zu stellen und insbesondere seine Hypothesen über die geringe Bedeutung der NS-Ideologie für die Bekämpfung der irregulären sowjetischen Kämpfer zu verifizieren, sind nicht nur weitere Studien zur Ostfront vonnöten, sondern auch Vergleiche mit anderen Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkrieges und mit vergleichbaren militärischen Kontexten in anderen Kriegen. Erst derartige Studien werden die Frage nach der Relevanz rassistischer Denkmuster für die deutsche Kriegführung während des Zweiten Weltkrieges fundiert beantworten können. Mit dem Buch von Alexander Hill ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan.

1 Hannes Heer: Die Logik des Vernichtungskrieges. In: Ders./Klaus Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hamburg 1995, S. 104-138, hier 107-110.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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