St. Breuer: Nationalismus und Faschismus

Cover
Titel
Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich


Autor(en)
Breuer, Stefan
Erschienen
Anzahl Seiten
202 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Keller, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

Stefan Breuer, Soziologieprofessor in Hamburg und bekannt durch seine informativen und griffigen Darstellungen zur Geschichte anti-demokratischer und anti-modernistischer Milieus in Deutschland zwischen 1871 und 1945 1, hat ein (Lehr-)Buch zum Faschismus-Begriff vorgelegt. Es stellt sich sogleich die Frage: Was kann diese Publikation der endlosen Debatte um den „Wesenskern“ des Faschismus Neues hinzufügen? Der Faschismus-Begriff erlebt seit Mitte der 1990er-Jahre ausgehend von England und USA eine Renaissance, welche auf die Faktoren Ideologie und Utopie fokussiert: Das Phänomen Faschismus sei nur zu verstehen, wenn man – anders als früher, wo der Faschismus hauptsächlich als Abwehrreaktion auf den Sozialismus verstanden wurde – von der Zentralität einer eigenständigen Ideologie ausgehe; diese sei im größeren Feld nationalistischer Ideenwelten einzuordnen. Die faschistische Ideologie zeige im Motiv der Palingenese, also dem Mythos einer reinigenden Neugeburt der Nation, sogar utopischen Charakter.2 Stefan Breuer wendet sich gegen diese Konzeption. Eine „faschistische Ideologie“ als solche gebe es nicht, so seine These, lediglich ein „Aggregat“ von z.T. miteinander konkurrierenden Sinnmustern, zu denen auch das Nationalistische gehöre (S. 10). Das „volle Verständnis“ des Faschismus werde durch „Reduktion auf eine Art offshoot des Nationalismus“ verstellt (S. 11). In zwei großen Kapiteln, einem einführenden theoretischen und einem empirisch-konkreten über das jeweilige Verhältnis von Nationalismus und Faschismus in Frankreich, Italien und Deutschland sucht Breuer die These von der „faschistischen Ideologie“ und deren nationalistischen Kerngehalt zu widerlegen.

Breuer schildert zuerst in einem definitorischen und typologisierenden Parforce-Ritt entlang des Idealtypen-Konzepts von Max Weber die Spielarten von Nationalismus und Faschismus bzw. den Funktionswandel des Nationalismus seit seiner Entstehung und seine mögliche Vor(be)reiterrolle für faschistische Bewegungen. Schlussendlich steuert Breuer auf seine Definition des Faschismus zu und präsentiert ein (äußerst schlankes) „faschistisches Minimum“: Der Faschismus sei kein intellektuelles oder soziales Phänomen, sondern ein politisches Phänomen – somit sei er als Erscheinung des modernen Parteiwesens zu begreifen; für Breuer ist allein die „spezifische Verbindung von Gewalt, Charisma und Patronage in einer Partei“ als Faschismus zu bezeichnen (S. 59).

Breuer untermauert seine Thesen anhand der Schilderung nationalistischer und faschistischer oder faschistoider Strömungen in Frankreich, Italien und Deutschland, wobei er sich bei Frankreich in der Hauptsache auf die verschiedenen konkurrierenden Ausprägungen des Nationalismus beschränkt; bei Italien und Deutschland verfährt Breuer ausgehend von den „Endprodukten“ Faschismus (PNF) bzw. Nationalsozialismus als Partei (NSDAP) rekonstruierend und versucht, deren ideologische Strukturen anhand von Syndikalismus, Futurismus und Nationalismus (Italien), völkischem und „neuem“, an den „alten“ wilhelminisch-imperialen anknüpfenden Nationalismus sowie Rassenaristokratismus (Deutschland) zu zerlegen. Er konzentriert sich dabei v.a. auf die Publikationen, Aussagen und Aktionen bekannter Geistesgrössen oder Politaktivisten - in Frankreich etwa Maurice Barrès und Charles Maurras, in Italien Gabriele d'Annunzio und Filippo Tommaso Marinetti, in Deutschland Alfred Rosenberg und Gottfried Feder. Breuer weist nach, dass die starken nationalistischen Strömungen in Frankreich eher zum Misserfolg parallel bestehender faschistischer Gruppierungen beigetragen haben (S. 93ff.), während in Italien genau umgekehrt der Faschismus zur Auflösung des Nationalismus und dessen Überführung in imperiales Gedankengut geführt habe (S. 144) – ähnlich Deutschland, wo die imperialistischen Zielsetzungen nur schon auf Grund der rassischen Neuordnung der Welt nationalistischen Konzeptionen gesprengt habe (S. 192ff.).

Breuer zieht das Fazit, dass der Faschismus nicht allein auf Ideologeme – weder auf nationalistische oder rassistische etc. – zurückzuführen sei; kennzeichnend sei der Wille und die Fähigkeit zur Machteroberung in der (politischen) Praxis, nicht die Durchsetzung von intellektualistischen, elitären Ideen über die soziale Welt: „Vom Verständnis […] der Ebenendifferenz zwischen Doktrin und Praxis hängt die Erkenntnis des Faschismus ab“ (S. 198). Bei den Produzenten der nationalistischen Ideologien habe es sich v.a. um elitär-marginale Zirkel ohne politische Durchschlagskraft gehandelt (S. 129f.).

Nach der Lektüre fehlt ob der zahlreichen begrifflichen Klärungen, feinmechanischen Definitionsbemühungen und detaillierten Typologisierungsschemata etwas die Orientierung. So dankenswert es ist, eine derart fundierte Schilderung der bestehenden Forschungsdiskussionen in geraffter Form vorgestellt zu bekommen, so schwierig wird es mit zunehmender Lesedauer, den roten Faden nicht zu verlieren. Man gewinnt den Eindruck, dass die Untersuchung der behandelten historischen Phänomene dem Systematisierungswillen und der Positionierung des Autors im Feld der Faschismus-Diskussion untergeordnet wird. Es bleibt auch noch anzumerken, dass der vergleichende Aufbau des Buches sehr statisch daherkommt, woran aber die Mehrzahl vergleichend arbeitender Forschungen krankt: Die behandelten Phänomen werden linear nacheinander abgehandelt und nicht oder nur sehr punktuell aufgrund nach systematischen Gesichtspunkten ineinander verschränkt. So bleibt jedes Vergleichsbeispiel für sich stehen.

Inhaltlich gesehen bietet die Publikation lediglich eine Verlagerung der Problemkonstellation: Die von Breuer eingangs beklagte Tatsache, die Forschung habe sich zu lange auf die soziale Funktion des Faschismus abgestützt, was bei der Heterogenität der beteiligten sozialen Gruppen zu „uneindeutigen“ Ergebnisse führte (Einleitung, S. 7), wird bei ihm durch die politische Funktion abgelöst – mit dem Hinweis darauf, dass unter dem Schirm der Patronage-Partei äußert heterogene ideologische Versatzstücke zusammengeführt wurden; es ist zu befürchten, dass auch dieser Ansatz wiederum zu „uneindeutigen“ Ergebnissen führen könnte. Denn die Ideologie bleibt auch bei Breuers Definition ein zentraler Bezugspunkt, nicht zuletzt infolge seines bevorzugt ideen- und geistesgeschichtlichen Zugangs.

Was das „faschistische Minimum“ anbelangt, so wäre zu prüfen, ob diese Definition auch noch auf andere Phänomene außerhalb von Deutschland und Italien zutrifft; Wenn sich das „faschistische Minimum“ am Ende nicht auf ein generelles Phänomen der Zwischenkriegszeit, sondern doch nur auf die beiden Fälle beziehen lässt, so hätte man hier lediglich das Gegenstück zu denjenigen Definitionen, die den Nationalsozialismus ausschließen, und wäre kein Stück weitergekommen. So stünde Definition gegen Definition.

Abschließend bleibt noch die Frage zu erörtern, worin denn eigentlich Sinn und Nutzen der Diskussion um den besten Faschismus-Begriff bestehen könnte. Er ermöglicht vergleichendes Arbeiten, und das ist an sich schon ein Verdienst. Von daher ist jeder länderübergreifende Vergleich zu begrüßen. Doch der Faschismus-Begriff war schon immer politisch hoch aufgeladen – handelt es sich also bei der Abwehr der Rückführung des Faschismus auf eine kohärente Ideologie mit gar utopistischen Zügen um den Versuch, das Phänomen in die Geschichte zu verbannen, um so neofaschistischen Gruppierungen den (Nähr-)Boden unter den Füssen wegzuziehen? Dieses Vorhaben wäre auf jeden Fall zu begrüßen.

Anmerkungen:
1 Breuer, Stefan, Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1995; Ders., Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1995.
2 Vgl. Griffin, Roger, The nature of fascism, London 1991; Ders., International fascism. Theories, causes and the new consensus, London 1998; Sternhell, Zeev, The birth of fascist ideology. From cultural rebellion to political revolution, Princeton 1994.

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