H. Walravens: W.A. Unkrig (1883-1956) Korrespondenz mit Hans Findeisen

Titel
W.A. Unkrig (1883-1956). Korrespondenz mit Hans Findeisen, der Britischen Bibelgesellschaft und anderen über Sibirien und den Lamaismus


Herausgeber
Walravens, Hartmut
Reihe
Asien- und Afrika-Studien der Humboldt-Universität zu Berlin
Erschienen
Wiesbaden 2004: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
204 S.
Preis
58 €
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Dittmar Schorkowitz, Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin

Mit Band 17 der Asien- und Afrika-Studien führt Hartmut Walravens seine 2003 in dieser Berliner Schriftenreihe begonnene Edition von Quellen zur Korrespondenz Wilhelm Alexander Unkrigs und seines Schaffens für die deutschsprachige Mongolistik zielstrebig fort. 1 Walravens, dem es im Laufe seiner langjährigen Funktion als Leiter der Abteilung für überregionale bibliographische Dienste der Staatsbibliothek zu Berlin gelungen ist, eine Fülle wissenschaftsgeschichtlicher und biobibliographischer Beiträge zur Orientalistik zu veröffentlichen, 2 rundet mit diesem dritten Band unser Wissen über den aus Köslin in Pommern gebürtigen Unkrig, der vielen als profunder Kenner des Lamaismus nicht nur in Rußland und als Verfasser mongolistischer bzw. tibetologischer Arbeiten 3 bekannt sein dürfte, ganz erheblich ab, nachdem immer wieder vereinzelt Studien über ihn erschienen waren. 4 Bedauerlich ist nur, daß bei der vorliegenden Edition auch der Druckteufel gehörig mit am Werke war und eine Vielzahl ärgerlicher Schreibfehler bzw. Buchstabendreher hinterlassen hat, die durch sorgfältiges Lektorieren hätten vermieden werden können.

Der vorliegende Band umfaßt den umfangreichen Schriftwechsel Unkrigs mit Hans Findeisen (S. 13-156), Briefe unterschiedlichster Provenienz an Unkrig (S. 157-178), dessen Briefe an die British & Foreign Bible Society (S. 179-186) sowie an Bruno Beger und Ernst Schäfer (S. 187-199). Abgerundet wird die Edition durch ein knappes Vorwort, durch Übersichten zu Verfasser und Daten der jeweiligen Korrespondenzgänge sowie durch ein ausführliches Namensregister.

Bei den ältesten hier abgedruckten Schriftstücken handelt es sich um vier Briefe an R. Kilgour, seinerzeit Editorial Superintendent der British & Foreign Bible Society. Unkrig schrieb sie mehrheitlich vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Frühjahr 1914 aus Kazan’, wo er als ‚griechisch-orthodoxer’ Kleriker an der Geistlichen Akademie bei Archimandrit mag. theol. Gurij Stepanov studierte, für den er auch Übersetzungen ins Deutsche anfertigte. 5 Durch ihre Bibelübersetzungen und die philologisch-historische Ausbildung der Missionare sorgte die Akademie seit Mitte des 19. Jahrhunderts für eine wissenschaftliche Grundlegung der russisch-orthodoxen Mission unter den vielen verschiedenen, nicht-christlichen Nationalitäten des Russischen Reiches. Unkrigs lebenslanges Interesse an Tibet und der lamaistischen Religion (Mahâyâna-Buddhismus) der Rußlandmongolen (Burjaten, Kalmücken), deren Geschichte und Heilkunde, Sprache und Folklore geht auf diese Studienzeit an der Kazaner Akademie zurück, deren Bibliotheksbestände er durch seine Korrespondenz mit London aufzubessern suchte.

Zeitlich anschließend, indes an den Anfang des Bandes gestellt, umfaßt das Konvolut der von 1926 bis 1956 währenden Korrespondenz mit Hans Findeisen 105 Schriftstücke. Ein beigefügter Schriftwechsel zwischen letzterem und Martin Bodmer aus dem Jahre 1960 schließt diesen Teil ab. Mit Hans Findeisen, der Nordasien und Ostsibirien mehrfach bereist hatte, verband Unkrig nicht nur die Erfahrung rußlandbezogener Forschungstätigkeit. Sondern es stellten sich mit Unkrigs Übersiedlung nach Berlin darüber hinaus eine sich intensivierende und freundschaftliche Arbeitsbeziehung zu dem auch an sozialen Fragen interessierten Religionsethnologen ein, den viele noch heute als Spezialisten für den sibirischen Schamanismus in Erinnerung haben dürften. 6

Dem mit kleineren Übersetzungsarbeiten und Zeitungsveröffentlichungen um seine Existenz kämpfenden Unkrig boten bis 1936 seine Kontakte zum Berliner Museum für Völkerkunde und danach das Frankfurter China-Institut, wo er die Sinica redigierte, ein gewisses Auskommen. Hans Findeisen wie auch der bekannte Forschungsreisende Wilhelm Filchner, 7 für den er u.a. eine Beschreibung des tibetischen Klosters Kumbum Dschamba Ling anfertigte, haben ihn darin nach Kräften unterstützt.

Unkrig stand während seiner Berliner Jahre der russisch-orthodoxen Gemeinde der Stadt sehr nahe und hat - so weit ihm dies möglich war - seine Kontakte in die Sowjetunion bzw. nach Zentralasien entweder selbst oder durch Vermittlung aufrechterhalten, um auch in schwerer Zeit den wissenschaftlichen Anschluß für seine religions- und medizingeschichtlichen Veröffentlichungen nicht zu verlieren. Bemerkenswert ist sein Engagement, Kenntnisse der tibetischen Heilkunde und Pharmakologie insbesondere auf Grundlage des rGyud bzi im Westen bekannter zu machen. 8 Hilfe fand er hierbei durch Paul Diepgen vom Institut für Geschichte der Medizin und offensichtlich auch durch das Berliner Pharmaunternehmen Schering-Kahlbaum.

Zu seinen Korrespondenzpartnern, die im vorliegenden Quellenband zwar öfter Erwähnung finden, über deren Briefwechsel wir weiter jedoch nichts erfahren, zählten: Cyben Dzamcarano, Badzar Baradijn, Boris Jakovlevic Vladimircov, Wolfram Eberhard, Ferdinand Lessing und dessen Tochter Brunhilde, Wladislaw Kotwicz, Otto Franke, Sergej Michajlovic Sirokogorov, Bruno Plaetschke, Nikolaus Poppe, Isi-Dordzi, Günther Schulemann, Antoine Mostaert, Sven Hedin, Siegbert Hummel, Rudolph Loewenthal u.v.a.m.

Obschon doch seitens verschiedener Behörden des Dritten Reiches ein dezidiertes Interesse an Zentral- wie an Südasien bestand, erfährt man merkwürdig wenig darüber, wie sich Unkrig, der sich politisch gänzlich desinteressiert zeigt, mit den Mächtigen des Regime arrangiert hat. Nur am Rande erwähnt wird eine kleinere Übersetzungsarbeit für die Gestapo, die 1936 auf Vermittlung des Orientalischen Seminars zustande kam (S. 64). Eine weitere ‚Behördenarbeit’ ist erst wieder für Dezember 1942 vermerkt (S. 96). Sie paßt jedoch in Unkrigs Engagement, für die Forschungsstätte Tibet tätig werden zu wollen, die - 1943 in Sven Hedin-Reichsinstitut für Innerasienforschung umbenannt - unter Leitung des für seine Tibet-Expeditionen bekannten Zoologen Ernst Schäfer und des Physioanthropologen bzw. Rassekundler Bruno Beger der SS-Stiftung Deutsches Ahnenerbe Heinrich Himmlers unterstand. Da dort gleichfalls die angesehenen Wissenschaftler Helmut Hoffmann 9 und Johannes Schubert 10 wirkten, mag Unkrig sich völlig unbefangen oder auch in naiver Verkennung der Lage hier um eine Anstellung bemüht haben, die ihm nach eigenen Vorstellungen ein sorgloses Altersstudium und Auskommen in seiner Heimat hätte sichern sollen.

Acht Briefe der Jahre 1942-44 aus amerikanischen Aktenbeständen, die später dem Bundesarchiv übergeben wurden, geben hierüber nur bescheidene Auskunft. Danach hat Unkrig nicht nur den Reichsbehörden, sondern gelegentlich - offenbar aber erst nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 - auch Dienststellen der NSDAP zugearbeitet (S. 189). In einem Schreiben an Ernst Schäfer weist er in diesem Zusammenhang explizit auf „eine Dienststelle der Formationen des Reichsleiters Rosenberg“ hin (S. 195). Allerdings wird nicht greifbar, worin sein Wert - abgesehen von seiner Referenzfunktion für mongolistische bzw. tibetologische Fragestellungen - für das Amt Rosenberg eigentlich bestanden haben mag. Zu einer Festanstellung am Reichsinstitut für Innerasienforschung, die eine Kündigung seiner Redaktionsstelle beim China-Institut vorausgesetzt hätte, ist es denn auch nicht gekommen. Vielmehr konnte Unkrig dort seine Stellung infolge eines ministeriellen Lehrauftrages für Mongolisch und Tibetisch an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe Universität bis Kriegsende ausbauen.

Überraschenderweise gelang es Unkrig, seine publizistische sowie seine Übersetzungs- und Lehrtätigkeit in den Nachkriegsjahren zunächst fortzuführen, trotz der erschwerten Lebensbedingungen und der herben Buch- bzw. Manuskriptverluste, die er kriegsbedingt hatte hinnehmen müssen. Denn da man versäumt hatte, die Bibliothek und die Sammlungen des China-Instituts rechtzeitig auszulagern, wurden auch die wertvollen Folianten und Zettelkästen asiatischer Pflanzennamen aus dem Unkrigschen Bestand im März 1944 ein Opfer der Bombenangriffe. Doch lassen seine Briefe den früheren Elan vermissen und offenbaren eine depressive Stimmung, die zwar als das Ergebnis langjähriger Entbehrungen wahrgenommen werden können, aber sicherlich auch mit der Selbsteinschätzung Unkrigs zusammenhängen, nicht den rechten Platz im Leben gefunden zu haben. ‚Sascha’ Unkrig, wie ihn seine russischsprachigen Freunde genannt haben mögen, starb vor fünfzig Jahren, am 24. Juni 1956 in Traisa bei Darmstadt, „an der Schreibmaschine mitten in der Arbeit“, 11 wie Walther Heissig in seinem Nachruf festhielt.

Anmerkungen:
1 Bisher erschienen sind: W.A. Unkrig (1883-1956), Korrespondenz mit Herbert Franke und Sven Hedin. Briefwechsel über Tibet, die Mongolei und China [= Asien- und Afrika-Studien der Humboldt-Universität zu Berlin 15], Wiesbaden 2003 sowie: W.A. Unkrig (1883-1956). Leben und Werk. Mit einigen seiner mongolistischen Beiträge [= Asien- und Afrika-Studien der Humboldt-Universität zu Berlin 12], Wiesbaden 2003.
2 Erwähnt werden sollen hier nur Walravens, Hartmut, Ferdinand Lessing (1882-1961). Sinologe, Mongolist und Kenner des Lamaismus. Materialien zu Leben und Werk, mit dem Briefwechsel mit Sven Hedin, Osnabrück, 2000; ders., Julius Klaproth (1783-1835). Leben und Werk des Orientalisten [= Orientalistik - Bibliographien und Dokumentationen 3], Wiesbaden 1999; ders., Julius Klaproth. Briefe und Dokumente [= Orientalistik - Bibliographien und Dokumentationen 4], Wiesbaden 1999; ders., Zur Geschichte der Ostasienwissenschaften in Europa. Abel Rémusat (1788-1832) und das Umfeld Julius Klaproths (1783-1835) [= Orientalistik - Bibliographien und Dokumentationen 5], Wiesbaden 1999; ders., „Die Anfänge des chinesischen und mandjurischen Unterrichts in Rußland“, in: Schorkowitz, Dittmar (Hg.), Ethnohistorische Wege und Lehrjahre eines Philosophen. Festschrift für Lawrence Krader zum 75. Geburtstag, Frankfurt/ Main u.a. 1995, S. 350-372; ders., „A.M. Pozdneev. Eine Bibliographie des Mongolisten“, in: Mongolian Studies. Journal of the Mongolia Society (1994), S. 21-76.
3 Unkrig, Wilhelm Alexander, Aus den letzten Jahrzehnten des Lamaismus in Rußland [= Untersuchungen zur Geschichte des Buddhismus 20], München 1926, ders., Die Tollwut in der Heilkunde des Lamaismus nach tibetisch-mongolischen Texten im »Statens Etnografiska Museum« zu Stockholm [= Contributions to Ethnography, Linguistics and History of Religion], Stockholm 1954.
4 Walravens selbst war mit zwei einschlägigen Arbeiten über Unkrig schon Anfang der 80er Jahre hervorgetreten, als man sich auch im angelsächsischen Raum für ihn zu interessieren begann. Siehe Walravens, Hartmut, Wilhelm Alexander Unkrig. Mongolist, Theologe und Kenner lamaistischer Heilkunde: Eine Bibliographie, Hamburg 1982; ders., „W.A. Unkrig und sein Werk“, in: Zentralasiatische Studien des Seminars für Sprach- und Kulturwissenschaft Zentralasiens der Universität Bonn 16, Wiesbaden 1982, S. 251-291; vgl. dazu: Bawden, Charles R., „W.A. Unkrig’s Correspondence with the British and Foreign Bible Society: A Contribution to the History of Bible Translation and of Printing in Mongolian in Russia in the Early Nineteenth Century“, in: Zentralasiatische Studien des Seminars für Sprach- und Kulturwissenschaft Zentralasiens der Universität Bonn 14 (1980) 1, S. 65-108 sowie Williams, D.S.M., „The Mongolian Mission of the London Missionary Society: An Episode in the History of Religion in the Russian Empire“, in: The Slavonic and East European Review, 56 (2003) 3, S. 329-345.
5 Hierbei handelt es sich um die Titel Der Lamaismus und seine Bestrebungen zur Hebung seines intellektuellen und moralischen Niveaus, veröffentlicht im Archiv für Religionswissenschaft 17 (1914), S. 113-124 sowie um Der Buddhismus des Mahayana, erschienen in Anthropos 16 (1921), S. 343-359, 17 (1922), S. 801-818, 18/19 (1923/24), S. 267-277. Archimandrit Gurij war ein für seine Zeit überaus schreibfreudiger und aufgeklärter Kenner der mongolischen Kultur. Vgl. Stepanov [Ieromonach], Gurij, Donskie Kalmyki i istorija ich christianskogo prosvescenija: Po trudam Kazanskogo missionerskogo s-ezda, Sankt Peterburg 1911; Stepanov [Archimandrit], Gurij, Neotloznoe delo. K voprosu ob otkrytii missionerskogo monastyrja v kalmyckoj stepi, Moskau 1914; ders., Ocerki po istorii rasprostranenija christianstva sredi mongol’skich plemen: Tom 1, Kalmyki, izsledovanie, cast’ 1-aja, Istoriceskij ocerk zizni mongolov, Kazan’ 1915; ders., Ocerki po istorii rasprostranenija christianstva sredi mongol’skich plemen: Tom 1, Kalmyki: izsledovanie, cast’ 2, Rasprostranenie christianstva sredi kalmykov, Kazan’ 1915.
6 Siehe Findeisen, Hans, Schamanentum. Dargestellt am Beispiel der Besessenheilspriester nordeurasischer Völker, Zürich u.a. 1957; ders., Dokumente urtümlicher Weltanschauung der Völker Nordeurasiens. Ihre Mythen, Mähren und Legenden nach vorwiegend russischen Quellen zusammengestellt, Oosterhout 1970 sowie zusammen mit Gehrts, Heino, Die Schamanen. Jagdhelfer und Ratgeber, Seelenfahrer, Künder und Heiler [= Diederichs Gelbe Reihe 47], Köln 1983.
7 Vgl. etwa Filchner, Wilhelm, Tschung-Kue: Im Reich der Mitte, Berlin 1925; ders., HUI-HUI: Asiens Islamkämpfe, Berlin 1928; ders., Bismillah: Vom Huang-ho zum Indus, Leipzig 1938.
8 Neuere Arbeiten dazu liegen vor von Finckh, Elisabeth, Grundlagen tibetischer Heilkunde: Nach dem Buche rGyud bzi, Uelzen 1976 sowie auf Russisch in einer Übersetzung aus dem Tibetischen durch Dandar Bazarzapovic Dasiev, Czud-Si: Pamjatnik srednevekovoj tibetskoj kul’tury, hg.v. S.M. Nikolaev und R.E. Pubaev, Novosibirsk 1988.
9 Siehe Hoffmann, Helmut, Quellen zur Geschichte der tibetischen Bon-Religion, Wiesbaden 1950; ders., Die Religionen Tibets. Bon und Lamaismus in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Freiburg u.a. 1956.
10 Schubert, Johannes, „Das Wunschgebet um Šambhala. (Ein tibetischer Kâlacakra-Text mit einer mongolischen Übertragung.) Herrn W.A. Unkrig zugeeignet“, in: Mitteilungen des Instituts für Orientforschung 1 (1953), S. 424-473.
11 Heissig, Walther, „W.A. Unkrig †“, in: Central Asiatic Journal 3 (1957/58) 1, S.20-22, hier S. 22.

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