M. Kaufhold: Europas Norden im Mittelalter

Titel
Europas Norden im Mittelalter. Die Integration Skandinaviens in das christliche Europa


Autor(en)
Kaufhold, Martin
Erschienen
Darmstadt 2001: Primus Verlag
Anzahl Seiten
kart, 176 S., 12 s/w Abb.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Waßenhoven, Dominik

Zur Geschichte Nordeuropas im Mittelalter gibt es nur wenig Literatur in deutscher Sprache. Neuere Werke, die einen Überblick geben wollen, liegen praktisch nicht vor. Diesem Mangel will Martin Kaufhold abhelfen. Er liefert jedoch keinen erschöpfenden Überblick, sondern konzentriert sich bei seiner Darstellung auf einen Schwerpunkt. Der rote Faden, der sich durch den „einführenden Essay“ (S. 7) zieht, ist die Integration, das Hineinwachsen Skandinaviens in das christliche Europa.

Der geschichtliche Überblick ist dabei nicht zu kurz gekommen. Kaufhold schildert die Grundzüge der werdenden und sich etablierenden Königreiche kenntnisreich, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Er hat immer sein Leitthema im Blick, den Bezug auf Europa. Was er unter Europa versteht, erläutert Kaufhold zu Beginn allerdings nur kurz, ohne wirklich konkret zu werden. Für ihn ist Europa „eine Wertegemeinschaft, mit einem ähnlichen Verständnis von politischer, religiöser und rechtlicher Ordnung. Das bleibt etwas diffus und das muß es auch“ (S. 10). In der Tat ist dieses Europa-Verständnis diffus, aber es ist nicht ersichtlich, warum es das sein muss. Kaufhold umgeht eine weitere Problematisierung und konzentriert sich fortan auf Westeuropa, wodurch die interessanten Verbindungen vor allem der Schweden mit Byzanz, die nicht zu einer Integration führten, außen vor bleiben. Die intensiv genutzten östlichen Handelswege finden ebenso wenig Erwähnung wie die engen Beziehungen zu Kiew-Novgorod und Byzanz, wo etliche Waräger Kriegsdienst leisteten.

Man merkt dem Buch deutlich an, dass es aus einer Einführungsvorlesung (und anderen Lehrveranstaltungen) hervorgegangen ist, denn viele grundlegende Erscheinungen, die nicht nur die nordische Geschichte betreffen, werden erläutert. Dazu zählen – um nur einige Beispiele zu nennen – der Investiturstreit, das Eigenkirchenwesen oder die Exkommunikation. Damit werden auch Studienanfänger und interessierte Laien angesprochen. Dem anschaulichen Stil Kaufholds ist es zu verdanken, dass solche Passagen keine Längen erzeugen. Leider hat sich jedoch eine Vielzahl von Rechtschreibfehlern eingeschlichen.
Im Text verteilt finden sich Blöcke mit längeren Quellenzitaten in Übersetzung, auf denen die Darstellung fußt. So bekommt der Leser auch einen ersten Eindruck von der meist spärlichen Quellenlage, ohne das Altnordische (oder Lateinische) beherrschen zu müssen. Das Literaturverzeichnis hingegen umfasst nur wenige Titel, da Kaufhold sich auf neuere Arbeiten in deutscher oder englischer Sprache konzentriert hat.

Die Darstellung beginnt mit den ersten Missionsversuchen durch das fränkische Reich und den etwa zeitgleich einsetzenden Wikingerzügen. Kaufhold interpretiert die Quellen meist zurückhaltend und versucht, keine weitreichenden Schlüsse zu ziehen. Beispielsweise ist er vorsichtig, Überbevölkerung und ein exklusives Erbrecht als Gründe für die Wikingerfahrten anzusehen, und hat stattdessen einen interessanten Erklärungsansatz: „Die Verbindung von lohnenden Zielen und der schnell verbreiteten Kunde von diesen lohnenden Zielen mit einer Haltung, die solchen Abenteuern gegenüber aufgeschlossen war, bietet eine mögliche Erklärung für das schwunghafte Einsetzen der Wikingerfahrten seit den 830er Jahren.“ (S. 33) Die Neugier ist für Kaufhold ein wichtiges Movens der Integration.
Kritisch sieht Kaufhold auch die Bemühungen der letzten Jahre, die Wikinger als friedliebende Händler darzustellen. Im Gegensatz zu den meisten neueren Arbeiten betont er das Plünderungs- und Beutemotiv, das zumindest neben den Handelsinteressen bestand.
Im Zusammenhang mit den Wikingerzügen behandelt Kaufhold ausführlich die Ansiedlung der Nordleute in der späteren Normandie und versucht trotz schwieriger Quellenlage eine Darstellung der Integration dieser Bevölkerungsgruppe. Sie führte in jedem Fall zu einer Befriedung der Normannen, die mit militärischen Mitteln nicht erreicht werden konnte. Den Abschluss dieses Integrationsvorgangs in der Normandie sieht Kaufhold zu Beginn des 11. Jahrhunderts und damit in zeitlicher Parallelität zur Christianisierung der skandinavischen Bevölkerung.

Im nächsten Kapitel wendet sich Kaufhold den (werdenden) skandinavischen Königreichen zu und schildert ihre Christianisierung im 10. und 11. Jahrhundert. Die Wikingerzeit endet für ihn – bezogen auf die Integration – schon etwa 1030/40, also rund 30 Jahre früher als in der traditionellen Sichtweise. Er macht diese Datierung an der Hochzeit der Tochter des dänischen Königs Knut mit Kaiser Konrads II. Sohn Heinrich fest, auch wenn diese Verbindung nicht von langer Dauer war. Ein solches Ereignis „läßt sich kaum der Wikingerzeit zuordnen“ (S. 68).
Dieses Kapitel enthält auch einen Abschnitt über die wikingische Expansion im Nordatlantik. Das einzige, was die ausführlichen Schilderungen der Besiedlung Grönlands und der Reisen nach Neufundland zum Thema beisteuern, ist die Feststellung, dass diese Gebiete zu abgelegen waren, um dauerhaft in das christliche Europa integriert werden zu können. Ansonsten „hatten die Wikingerfahrten nach Nordwestamerika keinerlei Folgen, die auf Europa oder auch nur auf den Norden Europas zurückwirkten“ (S. 62), wie Kaufhold selbst feststellt. Es ist also nur vor dem Hintergrund der Überblicksdarstellung, die aber auch an anderen Stellen nicht vollständig ist, erklärbar, dass Kaufhold diese Fahrten schildert. Ihre Aufnahme in die Darstellung wirft aber auch die Frage nach dem Europa-Verständnis erneut auf, denn es ist nicht ersichtlich, warum Kaufhold von den Grönland- und Amerikafahrten, die über Europa hinausführten, berichtet, während die Verbindungen nach Ost- und Südosteuropa, die für den europäischen Handel von großem Interesse waren, keinerlei Erwähnung finden.

In den folgenden Kapiteln beschreibt Kaufhold die Annäherung der christlichen Königreiche Skandinaviens an Europa, die sich vor allem in der Kirchenorganisation, aber auch in Architektur und Literatur widerspiegelt. Die Orientierung nach Rom, die besonders in Island und Norwegen stark ausgeprägt war, spielte beim Integrationsvorgang eine entscheidende Rolle. Die Kontakte hatten aber immer nur punktuellen Charakter und führten nicht zur Ausbildung von Strukturen.
Kaufhold bewertet die Integration nicht ausschließlich positiv. So führte sie auch dazu, dass hierarchische Ordnungsgedanken in den Norden kamen, die dort noch nicht bekannt bzw. bestimmend waren. Die Unterwerfung Islands unter den norwegischen König „zeigte die andere Seite der europäischen Kultur des dreizehnten Jahrhunderts“ (S. 154).
Als sichtbaren Ausdruck der Integration bewertet Kaufhold das Angebot Papst Innozenz’ IV. an den norwegischen König Håkon, die Kaiserwürde zu übernehmen. Es „läßt sich als die Erfüllung einer fortschreitenden Integrationsentwicklung interpretieren, in der sich dieses Land im Norden schließlich soweit in die europäische Politik eingefügt hatte, daß ihm das höchste weltliche Amt der Christenheit angetragen wurde. Das war ein sichtbarer Erfolg, auch wenn das Angebot eine Verlegenheitslösung war und ausgeschlagen wurde“ (S. 146). Dennoch blieben die skandinavischen Länder in einer Randlage. Es wird deutlich dass Kaufhold bei aller Konzentration auf das Thema der Integration in der Beurteilung realistisch bleibt.

Entscheidend für die Integration war langfristig gesehen die Ausrichtung der Skandinavier nach Europa und der Wille, die christlichen Vorstellungen anzunehmen. Dahinter sieht Kaufhold vor allem eine grundlegende Motivation, die auch ihn selbst zu inspirieren scheint: „die Neugier auf das Unbekannte“ (S. 166).

Insgesamt bietet Kaufholds Buch zweierlei: Einen fundierten Überblick über die Geschichte der skandinavischen Reiche zwischen 800 und 1300, der nicht alle Einzelheiten anführt, der aber die Entwicklungslinien aufzeigt und anhand von ausgewählten Beispielen anschaulich macht. Dabei nimmt Kaufhold die Unterschiede wahr, die zwischen den nordischen Ländern bestanden, und ist sich bewusst, dass es ‚den Norden’ nicht gegeben hat. Gleichzeitig enthält die Darstellung auch einen thematischen Schwerpunkt, auf den Kaufhold die vielen Ereignisse dieses langen Zeitraums hin ordnet und auswählt.
Das große Verdienst Kaufholds ist es, einen Überblick über die skandinavische Geschichte geliefert zu haben, der – nicht nur in deutscher Sprache – seinesgleichen sucht. Deswegen ist sein Buch trotz der genannten Kritikpunkte empfehlenswert, und zwar sowohl für diejenigen, die sich erstmals mit dem mittelalterlichen Skandinavien befassen wollen, als auch für Kenner der nordischen Geschichte.

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