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Titel
Kriegsende in Deutschland.


Herausgeber
N.N.
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kay Kufeke, Deutsches Historisches Museum, Berlin

Einschneidende historische Ereignisse haben für die betroffenen Gesellschaften oft langwirkende Folgen, die bis in die Gegenwart reichen. Für den Zweiten Weltkrieg und den Zusammenbruch des NS-Regimes im Frühjahr 1945 gilt diese Feststellung in besonderer Weise, denn noch immer beziehen sich aktuelle politische Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik auf die Kriegsereignisse und deren Interpretation. Kollektive und private Erinnerung sind in vielfacher Hinsicht mit dem Zweiten Weltkrieg und den NS-Verbrechen verbunden. Dementsprechend groß war in den letzten Monaten auch die Beschäftigung der Medien mit den Ereignissen des Kriegsendes vor 60 Jahren. Fernseh- und Kinofilme, Rundfunksendungen und Ausstellungen nahmen sich des Themas an. Verschiedene Verlage gaben zusammenfassende Darstellungen heraus. Auch der „Ellert & Richter Verlag“ hat in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „GEO“ den Versuch unternommen, das Ende des NS-Herrschaft in einem mit vielen Fotos ausgestatteten Bildband darzustellen.

Die Herausgeber wenden sich an ein breites Publikum, das sie in kurzer Form mit den wesentlichen Ergebnissen der aktuellen historischen Forschung vertraut machen wollen. Achtzehn jeweils 8 bis 10-seitige Beiträge überwiegend einschlägiger Autoren beschäftigen sich mit dem Kriegsverlauf an West- und Ostfront, mit Luftkrieg, Flucht und Vertreibung, mit der Auflösung der Konzentrationslager sowie der Haltung von Wehrmacht und deutscher Bevölkerung in der Endphase des Krieges. Zwei Artikel widmen sich, vielleicht mit Blick auf die vermutete Leserschaft, dem Kriegseinsatz der Hitlerjugend und der Kinderlandverschickung. Nicht nur die Kriegsereignisse selbst, sondern auch zentrale Fragen der Auseinandersetzung mit dem Kriegsende („Stunde Null“, Hitler-Mythos, Verhältnis von privater und kollektiver Erinnerung) werden thematisiert. Die Beiträge sind auf der Höhe der Forschung, auch wenn einige stilistisch etwas sperrig daherkommen. Zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos illustrieren den Text. Die Bildunterschriften greifen wesentliche Aussagen der Beiträge heraus und geben so auch dem flüchtigen Leser die Möglichkeit, dem Inhalt zu folgen. Kartenmaterial, eine Chronologie und Literaturhinweise vervollständigen die Darstellung.

Die isolierte Behandlung des Kriegsendes birgt die Gefahr, allein Opfer und Leiden der deutschen Soldaten und der Bevölkerung zu thematisieren und die von Deutschen begangenen Verbrechen in den Hintergrund zu rücken. Der Band entgeht dieser Gefahr durch eine konsequente Berücksichtigung auch der NS-Verbrechen. Um die Folgen nicht von den Ursachen loszulösen, werden deutsche Kriegsführung und die Ereignisse des Kriegsendes auf dem Reichsgebiet stets in Beziehung zueinander gesetzt.

Ein einleitender Artikel von Ulrich Herbert und Axel Schildt skizziert die Situation in Deutschland und in Europa am Kriegsende. Schon hier zeigt sich das Prinzip, das der gesamte Band durchhält: Der 8. Mai 1945 ist immer eine Zäsur, die Darstellung der Ereignisse hört hier jedoch nicht auf. Stets werden Kontinuitätslinien über den Sommer 1945 hinaus aufgezeigt, das Fortwirken der Kriegsereignisse in die Nachkriegszeit hinein zumindest angedeutet. Herbert und Schildt heben die starke, moralbildende Wirkung hervor, die die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und seinen verbrecherischen Charakter heute hat. Die mehrheitliche Ablehnung von Rassismus und Völkermord im heutigen Europa gehe auf die Kriegsereignisse zurück.

Nach West- und Ostfront getrennt geben Ralf Blank und Manfred Zeidler einen Überblick über die letzen Kriegsmonate auf Reichsgebiet. Erwähnt werden hier auch die letzten Morde der Gestapo an Tausenden von politischen Gefangenen, „Ostarbeitern“ und „Deserteuren“ kurz vor Eintreffen der alliierten Truppen. Für die Ostfront wird auf die Leiden der Zivilbevölkerung durch Flucht und Übergriffe sowjetischer Soldaten verwiesen, vor allem auf die massenhaften Vergewaltigungen, die erst nach Wochen durch die Befehlshaber gestoppt wurden.

Mathias Beer entwirft das Thema Vertreibungen konsequent als eines der charakteristischen Themen im Europa des 20. Jahrhunderts, ohne einseitige Schuldzuweisungen und ohne den ganzen Umfang des Leids der Betroffenen zu bagatellisieren. 12 Millionen Displaced Persons, 12 Millionen geflüchtete und vertriebene Deutsche, über 30 Millionen Kriegsgefangene auf allen Seiten machen deutlich, wie viele Menschen nach 1945 heimatlos in Europa „unterwegs“ waren. Der Austausch ethnischer Minderheiten, so Beer, wurde nach 1945 auch auf westlicher Seite als Beitrag zum Frieden durch eine „Entflechtung“ der Nationalitäten angesehen. Die Vertreibungen der deutschen Bevölkerung dienten der Revanche, und ihre „Entfernung“ sollte vor erneuten Annexionsversuchen schützen, wie NS-Deutschland sie zum Beispiel gegenüber der Tschechoslowakei unternommen hatte. Die „Idee der nationalen Purifizierung“ (Beer) herrschte europaweit; sie machte Flucht und Vertreibung der Deutschen zum „Teil einer europäischen Katastrophe“.

Die Bombenangriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung kurz vor Kriegsende thematisiert der Beitrag von Dietmar Süß. Etwas zu oberflächlich behandelt er die aktuellen Auseinandersetzungen um die alliierten Angriffe auf deutsche Städte. Süß betont, es habe Alternativen zu den Flächenbombardierungen gegeben, benennt diese aber nicht.

Bernd-A. Rusinek schildert eindringlich die schrecklichen Lebensbedingungen in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern mit einer hohen, jedoch nicht systematisch herbeigeführten Todesrate. Der von Rusinek wiederholt angestellte Vergleich zwischen sowjetischen Kriegsgefangenenlagern und NS-Konzentrationslagern hingegen besitzt, zumindest so oberflächlich vorgenommen, wenig Erklärungskraft. Schon in den 1950er-Jahren setzte man im Sinne der Totalitarismustheorie Konzentrationslager und sowjetische Speziallager in der SBZ/DDR einfach gleich, was die vorhandenen Unterschiede eher verwischte als klärte.

Frank Bajohr benennt eine interessante Parallele, die in der deutschen Bevölkerung in den letzten Kriegsjahren angesichts der alliierten Bombenangriffe offensichtlich vielfach gezogen wurde. Die Luftangriffe auf deutsche Städte seien die Vergeltung für die Verbrechen der Deutschen an den Juden. Diese Annahme war in der Sache nicht richtig, zeigt aber, dass schon zu diesem Zeitpunkt ein Bewusstsein für die NS-Verbrechen existierte, deren Kenntnis später vielfach geleugnet wurde.

Gabriele Hammermann schildert die Auflösung der Konzentrationslager und die Todesmärsche der Häftlinge in Richtung Westen mit Hunderttausenden von Toten in den letzten Kriegsmonaten. Ebenso widmet sie sich dann aber auch der „Nachnutzung“ der ehemaligen KZ als Internierungslager der Westalliierten bzw. Speziallager der sowjetischen Militärverwaltung in den späten 1940er-Jahren.

Während die Inhalte des Bandes durchweg zufriedenstellen, gibt es bei der Bildredaktion bzw. bei Bildauswahl einige Mängel. Aus sowjetischen Kriegsgefangenen, die an ihren Budjonny-Mützen deutlich zu erkennen sind, macht die Bildunterschrift polnische Zwangsarbeiter (S. 25). Dies ist umso ärgerlicher, als das Bild bekannt ist und schon mehrfach in Publikationen verwendet wurde. Die Authentizität eines Fotos, das eine Folterszene aus dem KZ zeigt, das so genannte „Baumhängen“ (S. 8), ist zumindest umstritten.1

Entscheidender als solche Fehler ist jedoch der Gesamteindruck, der durch die Auswahl der Fotos entsteht. Zwei Drittel der ganzseitigen, den Band dominierenden Abbildungen zeigen zerstörte deutsche Städte und flüchtende, besiegte, verzweifelte Deutsche. Die Auswahl der Fotos könnte, trotz aller Differenzierung der Texte, beim Leser dazu führen, vorrangig die „deutschen Leiden“ wahrzunehmen. Das wiederum würde die ansonsten stets durchgehaltene Absicht des Bandes konterkarieren, ein möglichst vielschichtiges Bild des Kriegsendes zu vermitteln.

Anmerkung:
1 Vgl. Dachauer Hefte 14 (1998), S. 278-288.

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