P. Cartledge: Alexander the Great

Cover
Titel
Alexander the Great. The hunt for a new past


Autor(en)
Cartledge, Paul
Erschienen
Anzahl Seiten
XXXV, 329 S.
Preis
£18.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Justus-Liebig-Universität Gießen

Paul Cartledge, Professor für Griechische Geschichte an der Universität Cambridge, ist ein ausgewiesener Kenner des archaischen und klassischen Griechenlands, insbesondere der Geschichte Spartas.1 Seine Alexanderbiografie, die auf mehreren seiner Vorlesungen basiert (S. XIII), ist ein Versuch, mittels verschiedener Betrachtungweisen "the enigma that was Alexander" (S. IX) zu entschlüsseln. Die Untersuchung der unterschiedlichen Images des Königs in zwölf Kapiteln sollen zu dem Ergebnis führen, "something substantial about what made Alexander tick, and how and why he was able to achieve what he did" (S. 7) zu ergründen.

Ausgehend von einer Analyse von Alexanders makedonischem Hintergrund, speziell der Problematik des propagierten Griechentums der Argeaden, betrachtet Cartledge seine Jugend am Hof von Pella.2 Bezüglich seiner erzieherischen Prägung stellt er heraus, dass Alexander eher militärisch und politisch von Philipp II. als philosophisch von Aristoteles beeinflusst worden sei. Alexanders Verhältnis zu den Makedonen wird von seinen schwierigen Jahren als umstrittener Kronprinz bis zur Meuterei in Opis untersucht. Cartledge beleuchtet den Dualismus zwischen makedonischem König und Adel insbesonders anhand der Todesfälle von Parmenion, Philotas, Kleitos, Hermolaos und Koinos. Alexanders gewandeltes Herrschaftsverständnis nach der Übernahme des Perserreichs wird als Hauptursache der Konflikte herausgearbeitet: "Having first abandoned the Panhellenic crusade in 330, he was now abandoning a narrowly Macedonian imperialism." (S. 76) Fraglich ist allerdings, ob die Abkehr vom Konzept des primus inter pares erst so spät datiert werden kann. Die Quellen liefern Hinweise, dass Alexander spätestens nach Issos, wahrscheinlich aber schon zuvor, die Rolle des Achaimenidenherrschers übernahm.3

Bezüglich Alexanders Verhältnisses zu den Griechen stellt Cartledge fest, dass er eine konstante politische Linie verfolgt habe, die einzig dem Ziel gedient habe, seine Macht und seinen Ruhm zu unterstreichen (S. 80). Weiterhin billigt er Alexander eine Affinität zur griechischen Kultur zu, die jedoch in den meisten Fällen von staatspolitischen Interessen gelenkt oder ihnen untergeordnet worden sei. Als ein Beispiel seien die Städtegründungen zu nennen, die zwar nach griechischem Muster erfolgt seien, jedoch nicht primär der Ausbreitung von hellenischer Kultur, sondern der Sicherung von Alexanders Macht gegolten hätten (S. 83). Die Beziehung zwischen Makedonen und Griechen sei von gegenseitigem Misstrauen und von gegenseitiger Verachtung geprägt gewesen; Alexanders panhellenische Propaganda sei auch als Mittel eingesetzt worden, Hellas während des Zuges ruhig zu halten. Als wichtige Ereignisse für die griechisch-makedonische Beziehung thematisiert Cartledge den Brand von Persepolis als mögliches panhellenisches Rachefanal und das Verbanntendekret, dessen Intention umstritten ist. Leider erfolgt keine eigene Stellungnahme zu diesen beiden nicht unproblematischen Punkten.

Im Folgenden wird Alexanders Rolle als Eroberer von Persien in ihrem ideologischen Wandel von der - in ihrer Historizität umstrittenen 4 - homerischen Geste des Speerwurfs am Hellespont bis zur Übernahme der ägyptischen und der achaimenidischen Herrschaft behandelt. Das Scheitern von Alexanders imperialem Konzept sieht Cartledge in dem missglückten Einführungsversuch der Proskynese für die Makedonen versinnbildlicht (S. 125). Das von Cartledge ausgewählte Bildbeispiel Veroneses, "Die Familie des Dareios vor Alexander", illustriert dessen respektvolles Verhalten gegenüber der persischen Königsfamilie und verdeutlicht, wie die Episode in der Neuzeit zu einem Tugendsymbol wurde, verliert jedoch an Anschauungswert, wenn Cartledge anmerkt, die Zuschreibung der Hauptpersonen sei unklar (S. 117). Hephaistion, vor dem sich die Frauen zu Boden geworfen haben, weist mit der Hand auf den König an seiner Seite: Veronese folgt der Vorgabe der Quellen.5

Im Kapitel über Alexander als Feldherrn möchte Cartledge der Tendenz entgegenwirken, ihn als reinen Glücksritter zu bewerten. Ungeachtet des maßgeblichen Anteils, den Philipps bewährte Generäle an den Siegen gegen Dareios hatten, sei Alexander selbst "a military leader of genius" (S. 157) gewesen. Indes sprechen nicht nur die Zeugnisse über die mühevollen Siege des Indienzuges ohne diese Offiziere gegen die Theorie. Problematisch erscheint überdies, dass Cartledge Belege nennt, die geformt und in ihrer Authentizität umstritten sind, wie die Opisrede bei Arrian, die Episode, Alexander habe während des Zuges durch die Gedrosische Wüste das Privileg eines Schluckes Wasser abgelehnt, die zudem unterschiedlich lokalisiert wird 6, und das Alexandermosaik, von dem ohnehin nicht gesichert ist, ob es die Schlacht bei Issos darstellt, wie Cartledge voranschickt (S. 151).7

Der Untersuchung zu Alexanders Rolle als König von Asien, von der sich die Diadochen distanzierten (S. 179), folgt eine Betrachtung der letzten Jahre des Makedonen, die Cartledge im Anschluss an Badian als "a reign of terror" charakterisiert.8 In einer psychologischen Analyse des "Menschen Alexander" argumentiert Cartledge mit den - de facto in der Überlieferung konstruierten - Persönlichkeitsbildern von Olympias und Philipp II., um ein Psychogramm Alexanders zu zeichnen, und setzt es in den Kontext von Ehrenbergs angefochtener Pothos-Theorie als eines determinierenden Faktors.9 Es ergebe sich das Bild Alexanders als "a pragmatist with a streak of ruthlessness, but also an enthusiast with a streak of passionate romanticism" (S. 212). Zusätzlich vermutet Cartledge bei ihm einen unterdrückten Ödipus-Komplex (S. 207).

Im elften Kapitel geht es um den Streitpunkt, ob Alexander zu Lebzeiten als Gott verehrt wurde. Aufgrund der spärlichen Quellen kommt Cartledge zu keinem definitiven Ergebnis, stellt jedoch heraus, dass der Weg zur sakralen Überhöhung durch Vorläufer wie Lysander, Klearchos von Herakleia und Philipp II. vorgezeichnet gewesen sei. Den Abschluss bildet ein kurzer Überblick über Alexanders Nachleben in verschiedenen Medien von den Diadochen bis zur Moderne, womit sich der Bogen, der im einleitenden Kapitel gespannt wurde, schließt.

Die Jagd, wie sie im Untertitel als wichtiges Element angekündigt wird, steht in Cartledges Studie nicht nur für den königlichen Sport und den Krieg, sondern vor allem für die Bemühung der Forschung, die historischen Ereignisse des Alexanderzuges unter der Schicht von Mythen und Interpolationen zu fassen. Die Betrachtung der verschiedenen Repräsentationsformen Alexanders ist ein Ansatz, der die überkommene Verhaftung an dem Konstrukt eines Persönlichkeitsbilds des Königs in der aktuellen Diskussion ersetzt. Cartledges anregende, anschaulich geschriebene Biografie wird daher in den Passagen problematisch, in denen versucht wird, die beiden inkompatiblen Ansätze, die Zeichnung eines Psychogramms und die Betrachtung der Repräsentationen Alexanders als Rollen, miteinander zu verbinden. Eine der Widersprüchlichkeiten, die sich daraus ergeben, begegnet in der Darstellung der Anfänge des Persienzuges. Cartledge zeigt die Probleme auf, die Alexander mit dem einflussreichen makedonischen Adel hatte, und weist auf die wichtige Rolle von Parmenion und Philotas hin, die den Feldzug in den Anfängen bestimmten (S. 65-70). Gleichzeitig wird jedoch das Bild eines souveränen Alexanders gezeichnet, der bereits 334 alle Zügel in der Hand gehalten und die Eroberung des gesamten Perserreichs geplant habe (S. 13-14), was zu Recht in der aktuellen Diskussion bezweifelt wird.

Diese Ambivalenz kommt jedoch nur in einzelnen Passagen zum Ausdruck; ansonsten wertet Cartledge differenziert und entwirft ein stimmiges Bild der Laufbahn Alexanders. Insbesondere zeichnet das Buch aus, dass die Geschichte des Makedonenkönigs in einen breiten kulturellen und politischen Kontext eingebettet ist, der neben der makedonischen auch die griechische und achaimenidische Seite ausreichend berücksichtigt. Zudem ist die Publikation reich mit Materialien ausgestattet; sie enthält Abbildungen bildlicher Quellen, Karten, Zeittafeln, ein prosopografisches und ein geografisches Glossar, einen Appendix mit ausgewählten, jeweils diskutierten Quellenpassagen und eine kommentierte Bibliografie. Allerdings fehlt ein Anmerkungsapparat mit Belegen zumindest für die zitierten Quellenstellen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass Cartledges Buch Denkanstöße gibt, die für die Alexanderforschung weiterführend sein können. Jedem historisch interessierten Leser bietet es eine überaus lohnende Lektüre.

Anmerkungen:
1 Vgl. Cartledge, P., The Spartans. An epic history, London 2003; Sparta and Lakonia. A regional history 1300-362 B.C., London 2002; Spartan reflections, Berkeley 2001; The Greeks. A portrait of self and others, Oxford 1993; Agesilaos and the crisis of Sparta, London 1987.
2 Die Legende von der Zähmung des Bukephalos durch den jungen Alexander sollte man indes nicht so wörtlich nehmen, wie Cartledge es tut; vgl. Baynham, E., Who put the romance in the Alexander romance? The Alexander romance within Alexander historiography, in: AHB 9 (1995), S. 1-13.
3 Curt. 4,1,14. 5,7; Arr. an. 2,14,7-9. Einen vor Issos anzusetzenden Hinweis liefert eventuell Plut. Alex. 17,3-4; vgl. Wiesehöfer, J., Die "dunklen Jahrhunderte" der Persis. Untersuchungen zu Geschichte und Kultur von Fars in frühhellenistischer Zeit (330-140 v.Chr.), München 1994, S. 27, Anm. 25.
4 Vgl. Zahrnt, M., Alexanders Übergang über den Hellespont, in: Chiron 26 (1996), S. 129-147.
5 Curt. 3,12,15-17; Diod. 17,37,5-6; Arr. an. 2,12,7-8.
6 Polyain. Strat. 4,3,25; Curt. 7,5,9-12; Arr. an. 6,26,1-3; Front. Strat. 1,7,7; Plut. Alex. 42,4-6.
7 Vgl. Stähler, K., Das Alexandermosaik. Von Machterringung und Machtverlust, Frankfurt am Main 1999; Cohen, A., The Alexander mosaic. Stories of victory and defeat, Cambridge 1997; zur Theorie, Alexander sei bewusst unheroisch dargestellt, vgl. Badian, E., A note on the Alexander Mosaic, in: Tirchener, F. B.; Moorton Jr., R. F. (Hgg.), The Eye Expanded. Life and the arts in Greco-Roman antiquity, Berkeley 1999, S. 75-92.
8 Vgl. Badian, E., Harpalus, in: JHS 81 (1961), S. 16-43.
9 Vgl. Ehrenberg, V., Pothos, in: Ders., Polis und Imperium, Zürich 1965, S. 458-465.

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