Sowjetische Gräberstätten und Ehrenmale in Ostdeutschland heute

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Titel
Sowjetische Gräberstätten und Ehrenmale in Ostdeutschland heute.


Herausgeber
Arbeitsgemeinschaft Sowjetische Gräber und Ehrenmale in Deutschland
Erschienen
Berlin 2005: Wostok Verlag
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Endlich, Berlin

Die Zeit der Denkmalsstürze ist glücklicherweise vorbei. Gefährdet waren viele sowjetische Ehrenmale und Grabanlagen vor allem in den Jahren nach dem Mauerfall. Manche wurden aus den Stadtzentren an die Peripherie oder auf einsame Friedhöfe versetzt, andere auch ganz demontiert, einige mit neuen Emblemen und Widmungen versehen – der Sowjetstern durch das christliche Kreuz ersetzt, die kyrillischen Inschriften durch den pauschalen Satz „Den Opfern der Gewaltherrschaft“, in dem sich auch die Opfer des SED-Unrechts wiederfinden können. Es wurden sogar Friedhöfe geschändet. Auch viele Denkmäler für deutsche NS-Opfer oder Angehörige des Widerstands blieben damals von jenen Zugriffen nicht verschont. Manche Städte und Gemeinden nahmen das Ende der DDR zum willkommenen Anlass, nicht nur mit politisch verordneten Gedenk-Ritualen Schluss zu machen, sondern sich auch materiell der gesamten Erinnerung an das nationalsozialistische Terrorregime zu entledigen, nicht zuletzt der Erinnerung an die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung.

Das Jahr 1995 mit seinen Gedenkfeiern zum Kriegsende stellte bei diesen Umwidmungen einen unliebsamen Höhepunkt dar, markierte aber bereits den Übergang zu einer neuen, reflektierten Sichtweise. Auch auf kommunal- und regionalpolitischer Ebene war man zunehmend bereit, sowjetische Denkmäler und Grabstätten zu erhalten, zu schützen und zu pflegen, so wie es seit 1991 die deutsch-sowjetischen, später deutsch-russischen Abkommen und Gesetze bekräftigen. Denn Denkmalschutz allein nutzt wenig, wenn das öffentliche Bewusstsein nicht mitspielt und die Menschen nicht bereit sind, die sowjetischen Gräber wie die eigenen zu achten und die Ehrenmale – die ja meist zugleich auch Grabstätten sind – als steinerne Zeitzeugen einer vergangenen Epoche wahrzunehmen und zu betreuen.

Konflikte gab es eher um die Frage, wer Substanzerhaltung, Reparaturen und Sanierungen zahlen sollte, die gerade bei den großen Anlagen aus Sicherheitsgründen notwendig, aber teuer sind. Meist kommt hier Unterstützung von Bundes- oder Landesseite. Spektakulär, weil technisch-logistische Meisterleistungen, waren die großen Sanierungsprojekte bei den Berliner Sowjetischen Ehrenmalen in Tiergarten und Treptow; das dritte (Schönholzer Heide) steht noch aus. Aber auch die Bilanz des aktuellen Zustandes der dezentralen Stätten in den neuen Bundesländern ist eher positiv, gerade auch aus russischer Sicht.

Es ist also an der Zeit, endlich eine umfassende Bestandsaufnahme der sowjetischen Ehrenmale und Grabanlagen vorzunehmen. Die erste legt nun eine Arbeitsgemeinschaft vor, deren Autoren sich dem Thema mit Fleiß und Engagement widmen. Vier Kapitel behandeln die historischen Entstehungsbedingungen, die politischen und rechtlichen Aspekte nach 1990, den kritisch kommentierten Zustand der Anlagen heute – von etwa 850 gehen die Autoren aus – und die Perspektiven im Kontext der deutschen Erinnerungskultur. Danach findet sich auf mehr als 100 Seiten die schwarzweiß-fotografische Bestandsaufnahme einer Auswahl, mit Daten und Kurzbeschreibungen versehen und nach Ländern gegliedert: von den monumentalen Ehrenmalen und individuell gestalteten Denkmälern über die Ehrenfriedhöfe, die sich in der Formensprache ihrer Obelisken oft bis zur Verwechslung ähneln, bis hin zu kleinen, anrührenden Grabsteinen auf deutschen Friedhöfen oder an historischen Orten. Im Anhang folgen Karten, Statistiken, Dokumente und Literaturhinweise.

Die sachlich-präzisen und relativ gut gedruckten Fotos zeigen den – häufig nicht zufriedenstellenden – Zustand der Anlagen, ohne Beschönigungen, aber auch ohne dramatisierende Bildästhetik. Für den Architektur- und Kunstgeschichts-Interessierten öffnet sich ein – angesichts des offiziellen Formenkanons der DDR-Zeit – doch unerwartet breites Gestaltungspektrum, das viele Bezüge zur sozialistischen, aber auch zur bundesrepublikanischen Gedenkkunst von 1945 bis Ende der 1980er-Jahre erkennen lässt. Die Begleitinformationen vermitteln einen Eindruck von den bis heute wenig wahrgenommenen Dimensionen des durch das NS-Regime verschuldeten Leidens und Sterbens der großen Zahl von sowjetischen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und in den Endkämpfen gefallenen Armeeangehörigen, aber auch vom „Alltag“ der Soldaten, teils auch der Offiziersfamilien in den Sowjetkasernen bis zum Abzug in den 1990er-Jahren.

Dennoch ist Kritik an diesem Buch angebracht. Sie richtet sich zunächst auf die Sprache, die nicht zu trennen ist von dem erklärten Anliegen des Buches, gerade junge Menschen für das Thema zu interessieren. Der Leser muss den Eindruck gewinnen, dass die Autoren sich in einer Raumkapsel befinden, die die Gegenwart noch nicht erreicht hat. Ihre moralisierende Wortwahl und oft fragwürdige Begrifflichkeit, vollgepackt mit Pathosformeln, Vorwürfen und Tadeln, enthalten – hoffentlich ungewollt – fatale Anklänge an DDR-Publikationen. Die konkrete Entwicklung und die lebendigen Debatten der Erinnerungskultur seit 1990 scheinen fast spurlos an den Autoren vorübergegangen zu sein. Nicht einmal erwähnt wird zum Beispiel, dass das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst 1995 von einem deutsch-russischen Team grundlegend neu konzipiert wurde, das nicht mehr den „ruhmreichen Kampf der Roten Armee“ in den Mittelpunkt stellte, sondern die sowjetischen Opfer des Krieges, die NS-Vernichtungspolitik und das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter (<http://www.museum-karlshorst.de>).

Auch bei vielen anderen Stätten wird die Chance vertan, auf dort verortete Begleitaktivitäten hinzuweisen, die die öffentliche Wahrnehmung viel stärker beeinflussen als mehr oder weniger perfekt erhaltene steinerne oder bronzene Zeugen. Ein Beispiel von vielen ist Neuburxdorf in Brandenburg, Ehrenfriedhof aus der DDR-Zeit für die im „Stalag IV B“ Mühlberg zu Tode gekommenen Kriegsgefangenen. Nicht erwähnt wird, dass es seit Mitte der 1990er-Jahre am historischen Lager-Ort im Wald eine Gedenkstätte gibt (mit Dependance im Heimatmuseum von Mühlberg), die sowohl an die Opfer des Stalag wie auch an die Opfer des im September 1945 dort angesiedelten sowjetischen „Speziallagers Nr. 1“ erinnert (welches der Grund dafür war, dass zur DDR-Zeit über diesen Ort geschwiegen und das Gedenken allein am Friedhof in Neuburxdorf angesiedelt wurde). Will man das Interesse der Menschen für dieses Thema gewinnen, so gelingt das weniger über die baulichen oder künstlerischen Ehrenmale mit ihrer manchmal stalinistisch-heroisierenden und daher als eher peinlich empfundenen Formensprache, sondern vor allem über sachlich-dokumentarische Informationen, die die historischen Hintergründe in all ihrer Komplexität beleuchten und so auf andere Weise Emotionen wecken.

Ein weiteres Problem ist die Auswahl der Bild-Text-Beispiele und ihre Kommentierung. Bei vielen hätte man sich mehr Informationen über Entstehungsjahr, Künstler, historischen Hintergrund und aktuelle Literatur gewünscht, bei manchen weniger Gedenk-Mythologien und Verschwörungs-Theorien. Verfehlt erscheint der Versuch, die Schuld an den zu Recht konstatierten Defiziten im Bereich des Denkmalschutzes und der wissenschaftlichen Aufarbeitung gerade den Einrichtungen zuzuschreiben, die sich besonders darum bemüht haben, nämlich den Landesämtern für Denkmalpflege und dem Deutsch-Russischen Museum Berlin- Karlshorst.

Ein größerer Recherche-Aufwand mag die Kräfte der Autoren überfordert haben (doch warum ist dann eine ganze Reihe von Denkmälern aufgenommen, die das Thema des Buches sprengen?).Vor allem fehlen jedoch wichtige Grundinformationen. So fallen nur die eigentlichen Denkmäler, also ein kleiner Teil der erfassten Stätten, in die Zuständigkeit der hier gescholtenen Denkmalschutzbehörden; diese sind den Kulturministerien zugeordnet und haben kaum Geld, auch nicht zur Sicherung der Schlösser und Herrenhäuser. Für Friedhöfe hingegen sind die Innenministerien zuständig, die über ihren eigentlichen Auftrag der Grabstättenpflege hinaus sich längst auch um die Architekturen kümmern, zumindest bei Anlagen von besonderer Bedeutung.

Das größte Manko des Buches ist eine Scheuklappen-Sicht, die vermutlich einer gewissen DDR-Nostalgie entspringt. Kein Wort darüber, dass die Präsenz der Sowjettruppen in der DDR sich jahrzehntelang vor allem als Besatzungsherrschaft und nicht als die so oft zitierte „unverbrüchliche Freundschaft“ manifestierte, was nach deren Abzug ja der Grund für die Aggressionen vieler Bürger und Gemeinden gegen sowjetische Ehrenmale war. Kein Wort auch über die schwerwiegenden Versäumnisse zur DDR-Zeit (die übrigens noch viel schlimmer die jüdischen Friedhöfe traf!): Die dokumentarische Erfassung aller existierenden Stätten, die die Autoren heute vom Karlshorster Museum einfordern, war damals trotz des Denkmalschutzgesetzes von 1975 unterblieben, und selbst die notwendigsten Sanierungsmaßnahmen waren unterlassen oder kosmetisch übertüncht worden, was bei vielen Stätten – auch bei jenen im Buch anklagend geschilderten Beispielen – wiederum dazu führte, dass die Bausubstanz verrottete und sich nach dem Ende der DDR als unrettbar verloren erwies. Insgesamt ist der Versuch einer Bestandsaufnahme der sowjetischen Gräberstätten und Ehrenmale also sehr zu begrüßen; die Umsetzung im hier besprochenen Buch lässt aber noch zu wünschen übrig.

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