Cover
Titel
Der Drahtzieher. Vernon Walters - ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges


Autor(en)
Eichner, Klaus; Langrock, Ernst
Reihe
Edition Zeitgeschichte 18
Erschienen
Anzahl Seiten
277 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Becker, Leipzig

Angaben von Zeitzeugen sind eigentlich ein willkommener Beitrag für den Historiker, besonders dann, wenn andere Quellen nicht vorhanden oder nicht einsehbar sind. Leider nutzt Klaus Eichner diese Chance im vorliegenden Band nicht, sondern weicht mit seinem Co-Autor, Ernst Langrock, der laut Vorwort das Buchprojekt inspirierte, auf subjektive Wertungen aus. Eichner war bis 1990 in der Aufklärung des MfS (Hauptverwaltung A) tätig, zuletzt als „leitender Analytiker auf dem Fachgebiet amerikanische Geheimdienste“, wie der Umschlagtext verrät. 1997 veröffentlichte er als Mitautor „Headquarters Germany“ 1, einen Band über die Geheimdienste der USA in Deutschland während des Kalten Krieges. Langrock war als Chemiker in der DDR und in der UdSSR tätig. Seit 1992 arbeitet er als Publizist. Eichner trug den „Hauptanteil der Mühen“ (S. 14). Im Gegensatz zu „Headquarters Germany“, in dem Eichner Interna preisgibt, die historisch von Interesse sind, ist „Der Drahtzieher“, aus einer überschaubaren Zahl von Primärquellen zusammengeschrieben und mit kurzen Kommentaren von oft subjektivem Charakter versehen. Man vermisst eine ausformulierte These und Argumentation.

Von Anfang an kristallisieren sich Aussagen eher indirekt zwischen den Zeilen heraus. Das Buch stellt keine Biographie im herkömmlichen Sinne dar, sondern möchte eine laut Eichner und Langrock in Vernon Walters personifizierte amerikanische Staatsraison verdeutlichen. Die Einleitung beginnt fulminant mit einem Verweis auf James Bond Spionagefilme, denen immerhin in ihrer „rücksichtslosen und gewalttätigen Art“ ein „weitgehender“ Realitätsbezug zugebilligt wird. Kurz darauf wird Walters „beispielhaft“ als „einer der übelsten Vertreter der Geheimdienstzunft“ vorgestellt (S. 13). Doch statt einer Erklärung, wieso Walters als „übel“ gebrandmarkt wird, erläutert Langrock unmittelbar nach dieser Äußerung, warum er auf die Idee kam, mit Eichner dieses Buch zu schreiben. Walters wird von da an „problematisiert“. Der unkundige Leser tappt allerdings im Dunkeln, warum Walters den Unmut eines ehemaligen MfS-Kaders und eines DDR-Wissenschaftlers weckte. Im Kapitel 1 gibt es weitere Andeutungen: als Walters im April 1989 als Botschafter der USA nach Bonn geschickt wurde, gab Präsident George Bush, Sr., diesem die Worte „es wird ums Ganze gehen“ mit auf den Weg, so zitieren Eichner und Langrock Walters (S. 19). Ein weiteres Zitat von Walters präzisiert dieses „Ganze“ folgendermaßen: „Ich werde nicht geschickt, wenn ein Erfolg wahrscheinlich ist. Eine meiner Hauptaufgaben ist es, die letzte Ölung zu geben, kurz bevor der Patient stirbt.“ (S. 19). Da die Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt nicht im Sterben lag, es jedoch im Ostblock brodelte, so Eichner und Langrock, muss wohl ein anderes Land der „kranke Patient“ sein, der 1989 einer letzten Ölung bedurfte.

In diesem schwerfälligen, indirekten Stil, der suggeriert statt Fakten zu präsentieren, entwickelt sich die Geschichte weiter. Walters’ Karriere wird in den Kapiteln 2 und 3 aufgerollt. Das Fazit aller Beispiele: Walters tauchte seit den späten 1940er Jahren immer gerade dort auf, wo wenig später Regierungen fielen. Wenn der Leser Kapitel 4 erreicht hat, ist ihm klar suggeriert: mit Walters’ Ankunft in der Bundesrepublik im April 1989 muss kurze Zeit später die DDR eine schwere Regierungskrise durchleben. Eichner und Langrock deuten damit an, dass es eine langlebige Politik der Vereinigten Staaten ist, unangenehme Regierungen durch geheimdienstliche Aktivitäten abzusetzen. Diese Aussage ist aus zwei Gründen nicht akzeptabel. Einerseits fehlen im Text weitgehend Verweise auf Dokumente, auch wenn im Anhang einige kommentierte Schriftstücke mit dem Vermerk „Top Secret“ angefügt sind. Diese Dokumente sind aus veröffentlichter Sekundärliteratur abgedruckt und stehen losgelöst vom Text. Andererseits wird nicht bedacht, dass sich zu Zeiten des Kalten Krieges zwei ideologisch gegensätzliche Gegner mit Expansionsdrang gegenüberstanden 2. So wird es verständlich, dass beide Seiten das Bedürfnis verspüren, sich vor dieser Bedrohung zu schützen. Inwiefern hier Planung und tatsächliche Durchführung von geheimdienstlichen Aktivitäten eine Rolle spielte, sollte allerdings anhand von Primärquellen untersucht werden.

Am Ende des Buches tauchen plötzlich Gedanken auf, die die vorherige Darstellung aufheben. Hat man als Leser erfasst, dass US-Geheimdienste beim Zerfall der DDR eine tragende Rolle gespielt haben sollen, wird dies nun relativiert: „Letzten Endes waren die inneren Widersprüche in der DDR und den anderen RGW-Ländern die Basis für eine ständig anwachsende Volksbewegung, die weit über die eigentliche oppositionelle Bürgerrechtsbewegung hinausreichte und zunehmend auch Mitglieder der noch regierenden sozialistischen/kommunistischen Parteien erfasste.“ (S. 182). Man sieht hier einerseits kurz das Bedürfnis aufblitzen, einen größeren Zusammenhang aufzuzeigen. Doch gelingt es Eichner und Langrock nicht, diesen Gedanken zu entwickeln. Statt dessen ist die auf fast 200 Seiten entwickelte Darlegung aufgehoben, die Beweisführung hat sich selbst überholt. D.h. die Andeutung, dass US-amerikanische Geheimdienste zielgerichtet das Ende der DDR bewirkt haben könnten, wird durch das Zugeständnis ersetzt, dass die DDR von allein zerfiel.

Alles in allem erscheint das Werk unfertig. Oft werden Gedanken nicht in Absätzen entwickelt, stichpunktartig beginnt mit neuen Sätzen viel zu oft eine neue Zeile. Zu oft werden längere Zitate notiert, die dann lediglich subjektiv kommentiert aber nicht sachlich diskutiert werden. Z.B. wird ein längeres Walters-Zitat über Mauerbau und repressiven SED-Staat, dem unmittelbar eine Bemerkung zur erfolgreichen Demokratisierung und Entnazifizierung vermutlich in Westdeutschland folgt, mit dem folgenden Abschnitt abgetan: „Das ist keine Satire, sondern eine der vielen dreisten und schamlosen Lügen, die bis auf den heutigen Tag ihre Wirkung tun. Wer die Geschichte der ‚Aufarbeitung’ der faschistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik auch nur in Ansätzen kennt, wird bei diesem Satz über die ‚mustergültigen Demokraten’ […] zumindest den Kopf schütteln.“ (S. 37-38). Der die DDR-betreffende Teil bleibt unkommentiert, der die Bundesrepublik betreffende Teil wird mit Andeutungen bewertet, ohne konkrete Beispiele auszuformulieren. Auch muss einkalkuliert werden, dass das Demokratieverständnis in Ost und West verschieden war, beide deutsche Staaten jedoch ein demokratisches Selbstverständnis vorgaben. Die Tatsachen sind also wesentlich komplexer als angedeutet wird.

Dennoch distanzieren sich Eichner und Langrock im Vorwort von Verschwörungstheorien 3: „Es gibt eine ganze Zunft von ‚Verschwörungstheoretikern’, die alle Weltgeschichte“ nur über die „überschätzte“ und „überhöhte“ Rolle von „Geheimdiensten mit Spionageaktivitäten“ darstellen. Dem gegenüber sehen Eichner und Langrock „Politiker, die die Dienste überhaupt nicht ernst nehmen.“ Ihr Fazit: die „Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte“ (S. 13). Leider können Eichner und Langrock mit ihrem Band diesem Anspruch, einen Mittelweg zu gehen, nicht gerecht werden. Sie weisen es von sich, „Amerikahasser“ zu sein. Tatsächlich widmen sie das Buch „allen anständigen Amerikanern in der Hoffnung, daß ihre Zahl ständig wächst“. Doch schließt sich dem unmittelbar der Wunsch an, dass ‚alle anständigen Amerikaner’ „eines Tages solche Politganoven, wie Walters einer war, in die gebührenden Schranken weisen“ (S. 15). Damit begeben Eichner und Langrock sich selbst in eine simple Welt aus schwarz und weiß, gut und böse. Gleichzeitig deutet die Wortwahl „Politganove“ auf stark wertende Aussagen, die sich in der Tat durch das gesamte Buch ziehen. Für den Leser bleibt es bestenfalls eine Enttäuschung.

Anmerkungen:
1 Eichner, Klaus; Dobbert, Andreas, Headquarters Germany. Die USA-Geheimdienste in Deutschland, 2. korr. Ausgabe, Verlag das Neue Berlin Edition Ost, Berlin 2001.
2 Nach Ende des Kalten Krieges versucht die Geschichtsschreibung, Motive auf beiden Seiten nachzuvollziehen und zu vergleichen. Z.B. Trahair, Richard C. S., Encyclopaedia of Cold War Espionage, Spies, and Secret Operations, Greenwood Press, Westport (Ct.) and London 2004, S. xviii.
3 Ein Beispiel für Verschwörungstheorien im Kontext des Kalten Krieges wäre Winer, Stan, If Truth Be Told. Secrecy and Subversion in an Age Turned Unheroic, Antony Rowe, Eastbourne 2003, 2004. Siehe meine Rezension des Werkes in The Journal of Intelligence History, 4. Jahrgang, Heft 2, (Winter 2004), S. 87-88.

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