R. Trahair: Encyclopedia of Cold War Espionage

Cover
Titel
Encyclopedia of Cold War Espionage, Spies, and Secret Operations.


Autor(en)
Trahair, Richard C.S.
Erschienen
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
$75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Becker, Leipzig

Im Gegensatz zu früheren Enzyklopädien wie Norman Polars und Thomas B. Allens Publikation von 1997, die auf Individuen, Agenturen, Operationen, Werkzeuge, Methoden und Fälle verweisen1, oder Jacques Bauds weniger umfassendes Werk von 1998, das sich mit geheimdienstlichen Techniken, Organisationsformen und Mitteln beschäftigt 2, legt Richard Trahair den Schwerpunkt auf die so genannte ‚Humint’ (Human Intelligence), also die Agententätigkeit und somit den menschliche Faktor (S. xvii, xviii). Schon auf dem Umschlag wird die Motivation für Trahairs Enzyklopädie nachrichtendienstlicher Aktivitäten des Kalten Krieges als Versuch erklärt, das Wirrwarr der inoffiziellen Beziehungen zwischen dem Ost- und dem Westblock, aber auch innerhalb dieser Bündnisse zu erhellen. Diese Gewichtung verdeutlicht einerseits den hohen Stellenwert des Agenten, der vor allem in der Populärkultur erfolgreiche Vermarktung erlebte – man denke nur an James Bond, der wegen seiner hohen Popularität Eingang in Trahairs Enzyklopädie fand. Andererseits sollte die Problematik insbesondere nach dem 11. September zum Nachdenken anregen, da die verstärkte Ausrichtung der Geheimdienste auf technische Möglichkeiten, gepaart mit einem Unvermögen, die Unmengen an dieserart gewonnenen Daten rechtzeitig und nutzbringend auszuwerten, offensichtlich in eine Sackgasse führt. Nur ein ausgewogener Mittelweg zwischen technischen Hilfsmitteln und menschlichem Einsatz kann optimale Ergebnisse bewirken.

Trahairs Enzyklopädie besticht durch ihre Übersichtlichkeit. Noch bevor der eigentliche Hauptteil beginnt, werden die Namen von Personen und Operationen, die Eingang in das Nachschlagewerk fanden, alphabetisch aufgelistet. Dem folgt eine zweite alphabetische Auflistung geordnet nach Themen. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel leicht die Agenten einzelner Länder oder die Beteiligten an bestimmten Operationen im Überblick erfassen. Einem knappen Vorwort, einer Danksagung und einer Einleitung folgt der Hauptteil, der sich wiederum in drei Teile untergliedert. Der erste Teil legt den Schwerpunkt der Enzyklopädie auf die Erklärung einzelner Personen und Operationen der Nachrichtendienste des Kalten Krieges. Jeweils im Anschluss an jeden Eintrag sind Querverweise sowie bibliografische Angaben eingefügt, die auch Internetquellen aufführen. Es folgt eine Chronologie der relevanten nachrichtendienstlichen Ereignisse. Diese Chronologie mit dem Schlusspunkt 2003 führt bis ins Jahr 1917 zurück. Schließlich fügt sich ein umfassendes Glossar an, in dem relevante Abkürzungen, mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit indirekt im Zusammenhang stehende Ereignisse, Begriffe und Personen erläutert werden. Ein alphabetischer Index rundet das Werk ab. Durch diese Häufung von Verweisen und alphabetischen Listen stellt das Buch eine einfach zu handhabende Quelle dar.

In seinem Vorwort erläutert Trahair, dass der Kalte Krieg allen voran ein Konflikt zwischen zwei Weltmächten war, nämlich zwischen den USA und der Sowjetunion, die jeweils von Verbündeten bzw. Satellitenstaaten unterstützt wurden (S. xviii). Folglich sollte eine Betrachtung des Konflikts die gesamte Phase der Koexistenz beider Staaten überblicken, also den Zeitraum zwischen 1917 und 1991, da bereits mit der bolschewistischen Oktoberrevolution in Russland der Grundstein für den Kalten Krieg gelegt wurde. So wurde damals in der Sowjetunion die Vorläuferorganisation des KGB gegründet und in den Vereinigten Staaten eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Kommunismus auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen geführt – man denke nur an die Gründung kommunistischer Parteien und den ersten Red Scare. Da der Kalte Krieg nicht schlagartig beendet wurde, reicht die Chronologie der Ereignisse bis ins Jahr 2003. Trahair bezieht sich ausdrücklich auf Sekundärquellen, wobei er in der Einleitung eine Anzahl der namhaftesten Autoren und ihrer Standardwerke bespricht und zitiert. Das Werk wird somit auch zu einer Art Überblicksstudie über die existierende Literatur. Primärquellen wurden explizit nicht berücksichtigt (S. xxi). Trahair wendet sich nicht zuletzt an den unkundigen Leser, dem er mit seiner Enzyklopädie einen übersichtlichen Einstieg in die doch teils verwirrende Welt der Spionageaktivitäten geben möchte (S. xvii).

Verschiedentlich verweist Trahair auf die Tatsache, dass eigentlich nur Insider der Geheimdienste die genauen Fakten kennen und auch seine Darstellung somit Fehler enthalten kann (S. xxi). Tatsächlich werden die etwas kundigeren Leser Ansatzpunkte zu inhaltlichen Diskussionen finden. So erscheint es zwar als positiv, dass Trahair sein Hauptaugenmerk auf die beiden Supermächte USA und UdSSR legt. Doch betrachtet er den Ostblock zu sehr als eine der Sowjetunion hörige Einheit. Dies lässt sich vermutlich auch dadurch erklären, dass er vornehmlich in westlichen, anglophonen Ländern wie Australien und den USA recherchierte. Selbst das Studium französischer Darstellungen hätte dieses Blockdenken ein wenig aufweichen können. In der nach Themen geordneten Liste der Einträge zu Beginn der Enzyklopädie wird z.B. Markus Wolf unter der Überschrift ‚Soviet Spymasters’, also sowjetische Führungsoffiziere, geführt (S. xvi). Dies unterschätzt, dass das Ministerium für Staatssicherheit ein eigenständiger Geheimdienst war mit einer Hauptverwaltung Aufklärung, die 33 Jahre lang unter Wolfs Leitung stand (S. 337ff.).3 Zwar gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen osteuropäischen Geheimdiensten, doch wäre es zu einfach, diese ausschließlich als unselbständigen, verlängerten Arm sowjetischer Geheimdienste zu betrachten. Der Ostblock war kein heterogenes Gebilde, und man kann nicht davon ausgehen, dass die Sowjetunion in allen Satellitenstaaten fest das Zepter in der Hand hielt. Bestes Beispiel ist das Ende der reformunwilligen DDR in Zeiten von Perestroika und Glasnost.

Weiterhin kann eine Chronologie nachrichtendienstlich relevanter Aktivitäten von 40 Seiten, die eine Zeitspanne von über 80 Jahren der jüngsten Geschichte abdeckt, kaum vollständig sein. Sicher ist es schwer, eine Auswahl zu treffen. Doch stellt sich die Frage, warum z.B. das FBI und J. Edgar Hoover ausgeklammert wurden. Da Trahair offensichtlichen Wert auf die Vorgeschichte legt, wäre weiterhin auch eine Erwähnung des ersten Red Scare interessant, die erste Kommunistenhysterie in den USA in den Jahren von 1919 bis 1921. Trahair verweist lediglich auf die McCarthy-Ära der frühen 1950er-Jahre (S. 364, 369). Doch könnten aus einer Gegenüberstellung beider Phänomene interessante Parallelen abgeleitet werden. Während 1919 nach der erfolgreichen Oktoberrevolution in den USA Streiks, radikale Aktivitäten und ein Durchgreifen seitens der Regierung die Ängste vor der neuen roten Gefahr widerspiegelten, wiederholten sich diese Ängste nach der Konsolidierung der internationalen Konstellation des Kalten Krieges seit der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre. Zugestanden sei Trahair allerdings, dass er mit seiner Enzyklopädie eher eine Einführung in die Problematik als eine weiterführende Studie vorlegen wollte.

Alles in allem steht die vorliegende Enzyklopädie in einer deutlich angloamerikanischen Tradition der Geschichtsschreibung auf nachrichtendienstlichem Gebiet. Auf der relevanten Literatur basierend, werden innerhalb dieser Tradition wichtige Personen und Operationen fundiert vorgestellt, die auf dem Gebiet der Geheimdienste den Kalten Krieg prägten oder gestalteten. Dabei finden sich neben den berühmten Beispielen, wie dem Fall der Rosenbergs, auch weniger bekannte, die somit weitere Puzzleteilchen zum Bild hinzufügen. Das Buch ist an den interessierten Leser gerichtet, sollte aber auch hilfreiche Ansatzpunkte für wissenschaftliche Arbeiten geben, die sich mit der grundlegenden Literatur auseinandersetzen möchten.

Anmerkungen:
1 Polmar, Norman; Allen, Thomas B., The Encyclopedia of Espionage, New York 1997.
2 Baud, Jacques, Encyclopédie du Renseignement et des Service Secrets, Paris 1998.
3 Wolf, Markus, Spionagechef im geheimen Krieg. Erinnerungen, München 1997. Das englische Original erschien im selben Jahr bei Random House unter dem Titel „Man Without a Face“.

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