G. Rasch: Antike geographische Namen nördlich der Alpen

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Titel
Antike geographische Namen nördlich der Alpen. Hrsg. von Stefan Zimmer. Mit einem Beitrag von Hermann Reichert: Germanien in der Sicht des Ptolemaios


Autor(en)
Rasch, Gerhard
Reihe
Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsbände 47
Erschienen
Berlin u.a. 2005: de Gruyter
Anzahl Seiten
XVIII, 284 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Das hier vorzustellende Werk ist eine sehr ungewöhnliche Publikation: Sie besteht aus zwei völlig getrennten Teilen, deren Entstehung über ein halbes Jahrhundert auseinander liegt. Der weitaus umfangreichere Teil ist eine posthum veröffentlichte Dissertationsschrift Gerhard Raschs aus dem Jahre 1950 (S. XI–230).1 Beigefügt ist ihr eine Studie von Hermann Reichert zu Germanien in der Sicht des Geographen Ptolemaios (S. 249–284), die im Zusammenhang mit dem 2003 in der Neuauflage des „Reallexikons der Germanischen Altertumskunde“ (im folgenden RGA) erschienenen Artikel von Reichert zu diesem Schriftsteller steht.2 Im Vorwort begründet der Herausgeber diese Veröffentlichung: Die Dissertation von Gerhard Rasch ist in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter der Ägide des bekannten Indogermanisten Hans Krahe (1898–1965) entstanden. Sie wurde Ende 1949 abgeschlossen und 1950 von der Heidelberger Universität angenommen, war aber bisher ungedruckt geblieben. Dennoch wird sie bis heute in namenkundlichen Publikationen regelmäßig zitiert, obwohl die Benutzer sich nur auf die Ausleihexemplare einiger Bibliotheken stützen konnten. Dieser Umstand und die Tatsache, dass eine so vollständige Sammlung und Kommentierung der alten Orts- und Flussnamen Mitteleuropas seitdem nicht wieder vorgenommen worden ist, rechtfertigt zweifellos die Drucklegung. Gerhard Rasch hat nach seiner Qualifikationsschrift offenbar nichts weiter publiziert, er ist 1985 in Ruhpolding gestorben.

Die Arbeit von Rasch besteht aus zwei Teilen. Der erste ist ein alphabetischer Katalog geographischer Namen im Raum nördlich der Alpen vom linken Rheinufer bis zur pannonischen Grenze (S. 9–105). Von der großen Zahl von Ortschaften und Flüssen, aber auch von Gebirgen, Inseln und Seen werden jeweils die überlieferten griechischen bzw. lateinischen Wortformen, die Quellen vollständig oder doch in einer repräsentativen Auswahl und weiterführende Literatur genannt. Der Nutzen dieser Zusammenstellung steht als Nachschlagewerk außer Zweifel, besonders natürlich für die antiken Zeugnisse, deren Bestand im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Bei der Deutung und Zuordnung vieler geographischer Begriffe beispielsweise aus dem Werk des Ptolemaios ist man heute allerdings vorsichtiger als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.3 Mit Recht hat Stefan Zimmer daher bereits im Vorwort auf das neue, in diesem Jahre 2007 mit Band 34 gerade abgeschlossene RGA hingewiesen, in dessen Artikeln häufig auch die Namenkunde recht ausführlich behandelt wird. Dieser monumentale Wissensspeicher kann für viele der von Rasch aufgeführten Namen mit Gewinn herangezogen werden.

Der zweite Teil bietet mit der Etymologie der Siedlungsnamen die sprachwissenschaftliche Auswertung des Kataloges (S. 107–219). Bei dem auf die Zeit der römischen Herrschaft in West- und Süddeutschland zurückgehenden Namengut werden die Bezeichnungen von Quellen und Flüssen, von Siedlungen und Heiligtümern sowie von Personen, Stämmen und Göttern abgeleitet. Innerhalb der Sachgruppen ist die Anordnung wiederum alphabetisch. Die Deutung der römischen Namen ist durchweg überzeugend und in den meisten Fällen auch längst Allgemeingut der Forschung. Ein Irrtum ist allerdings die Annahme, Ara Ubiorum, der Hauptort der Ubier, das spätere Köln, hätte ursprünglich auf dem rechten Rheinufer gelegen und sei erst von Kaiser Claudius auf das linke verlegt worden. Hier ist die spätere Stadt mit dem ursprünglichen Stammesgebiet der Ubier verwechselt worden (S. 118–120).

Die keltischen, germanischen und illyrischen Siedlungsnamen werden nach ihrer Wortbildung aufgeführt. Die mit Abstand größte Verbreitung haben die keltischen Namen. Dass diese ungefähr mit derjenigen der römischen übereinstimmt, ist der Überlieferungssituation geschuldet, da sie fast ausschließlich aus griechischen und römischen Quellen belegt sind. Die viel geringere Zahl germanischer Siedlungsnamen hängt ebenfalls mit den geographischen Kenntnissen der Römer zusammen, die Belege gehen daher auch nur in Ausnahmen über die Weser in Richtung Osten hinaus. Bei einer ganzen Reihe von Namen ist die Unsicherheit der Deutung heute noch ebenso groß wie vor 60 Jahren. Der bei Ptolemaios an der Elbe liegende Ort Loupfourdon bezeichnet sicher eine Furt an einer Lippe oder Luppe, einem häufigen Gewässernamen. Gedacht wird dabei an das Flüsschen Luppe, einen Seitenarm der Weißen Elster zwischen der Saale und Leipzig. Andere Deutungen nehmen für denselben Ort den Elbedurchbruch in der „Sächsischen Schweiz“, das Gebiet der Eger- und Moldaumündung im nördlichen Böhmen oder auch einen Flussübergang südwestlich von Prag in Anspruch. Ein Bezug zu einem modernen Namen existiert allerdings nur bei der ersten Annahme. Wie so häufig erlauben die Angaben des alexandrinischen Gelehrten keine eindeutige Lokalisierung. Raschs Vermutungen und die neuesten dazu bewegen sich auf ähnlichen Bahnen.4

Der problematischste Abschnitt des Buches ist derjenige über die illyrischen Siedlungsnamen. Die von Raschs Lehrer Krahe vertretene Ansicht vom „Illyrischen“ als einer großen indogermanischen Sprache in Mitteleuropa vor dem Keltischen und dem Germanischen und ihre Verbindung mit den Trägern der Urnenfelderkultur ist veraltet und darf heute als überholt gelten. Die unter dieser Überschrift gebotenen Namen dürften in den folgenden Abschnitt mit den Belegen unsicherer Herkunft gehören. In diesen Fällen kann nur der einschlägig bewanderte Sprachwissenschaftler entscheiden, wie tragfähig die von Rasch gebotenen Deutungen im Einzelnen sind. Das ausführliche Literaturverzeichnis vom Stand 1949 ist um eine bis zum Jahre 2003 reichende Literaturauswahl ergänzt worden.5

Eine willkommene Ergänzung stellt der Beitrag über Germanien in der kartographischen Sicht des Ptolemaios dar, ist das Werk dieses alexandrinischen Gelehrten doch eine der wichtigsten Quellen für Raschs Dissertationsschrift. Die „Anleitung zum Zeichnen einer Weltkarte“ des Klaudios Ptolemaios aus der Mitte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts war für das Weltbild der römischen Kaiserzeit von größter Bedeutung. Die Arbeit bietet mehr Einzelinformationen als alle anderen vergleichbaren Werke aus der Antike. Von Irland und den Kanarischen Inseln im Westen bis nach China sind etwa 8100 Namen von Flüssen, Bergen und Orten aufgeführt. Allerdings bereitet die Schrift erhebliche Schwierigkeiten bei der Auswertung. Dazu tragen einmal kartographische Verzerrungen bei, so ist etwa Germanien um etwa 1½ Grad zu weit nach Süden und um etwa 2 Grad zu weit nach Norden ausgedehnt, die Entfernung zwischen Donau und Ostsee mithin viel zu groß. Problematisch ist auch die Quellenlage. Ptolemaios stützte sich auf das verlorene Werk des Marinos von Tyros, das er verbessern wollte. Da dieser Autor etwa zwischen 110 und 120 geschrieben hat, dürfte seine Schrift im Wesentlichen die Verhältnisse des späten 1. Jahrhunderts widerspiegeln. Für die Gebiete außerhalb des Römischen Reiches zog Ptolemaios Beschreibungen von Wegstrecken und Küstenverläufen, Routenlisten und Stationsverzeichnisse mit Entfernungsangaben heran. Er selbst gibt Erkundungen von Reisenden und Kaufmannsberichte als wichtige Quellen an, Ungenauigkeiten und Irrtümer waren damit vorprogrammiert. In der Fülle des von ihm ausgebreiteten Materials sind viele Flüsse, Gebirge, Orte und Völkerschaften enthalten, die ausschließlich bei ihm vorkommen und mangels jeder Parallelüberlieferung nicht verifiziert werden können. Mit diesen und einer Reihe weiterer Probleme, auch überlieferungsgeschichtlichen, in den Germanien betreffenden Teilen des Werkes beschäftigt sich Hermann Reichert. Die Ergebnisse seiner knappen, aber sehr minutiösen Untersuchung präsentiert er in zwei Tabellen und vier Landkarten, in denen die 143 von Ptolemaios für Germanien angegebenen Punkte verzeichnet und mit mehr oder weniger großer Sicherheit eingezeichnet sind. Damit liefert er ein ausgezeichnetes Informationsinstrument für Mitteleuropa in der Schrift des Alexandriners auf dem derzeit neuesten Stand. Von besonderem Interesse ist die Erkenntnis, dass die irrigen Vorstellungen von der Größe Germaniens zu einer „zerrissenen“ Landkarte geführt haben, mit der zahlreiche Fehler erklärt werden können (vgl. Karte 3). So sind die Angaben über zwei Elbquellen möglicherweise dadurch entstanden, dass der Geograph in seinen Vorlagen unterschiedliche Entfernungsangaben von Norden und von Süden vorfand, die er auf zwei weit voneinander entfernte Punkte bezog, denen in der Realität nur einer entspricht.

Für die geographischen Kenntnisse der griechisch-römischen Antike über den Raum zwischen Nordsee und Alpen und zwischen Rhein und Weichsel sind die beiden Teile dieses Buches von hohem, wenn auch unterschiedlichem Wert.

Anmerkungen:
1 Sie trug den Titel „Die bei den antiken Autoren überlieferten geographischen Namen im Raum nördlich der Alpen vom linken Rheinufer bis zur pannonischen Grenze, ihre Bedeutung und sprachliche Herkunft“.
2 Reichert, Hermann, Art. „Ptolemaios“, in: RGA 23 (2003), S. 567–597.
3 Vgl. z.B. die Angaben zu dem als Harz gedeuteten Gebirge Melibokon bei Rasch (S. 70) und bei Reichert (S. 277f.).
4 Vgl. Rasch S. 66 u. 160 mit Beatrix Günnewig, Art. „Loupfourdon“, in: RGA 18 (2001), S. 623f.
5 Die hier aufgeführte Sammlung griechischer und lateinischer Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas, erarbeitet in der Berliner Akademie der Wissenschaften und herausgegeben von Joachim Herrmann, umfasst vier Bände, nicht nur drei und erschien 1988 bis 1992, nicht bis 1993.

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