F. Liemandt: Die zeitgenössische literarische Reaktion auf den Tod des Königs Gustav

Titel
Die zeitgenössische literarische Reaktion auf den Tod des Königs Gustav II. Adolf von Schweden.


Autor(en)
Liemandt, Frank
Reihe
Europäische Hochschulschriften, Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur, 1662
Erschienen
Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1999: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
DM 118,00
Michael Kaiser, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Aus dem tausendfachen Sterben, das sich in Nebel und Pulverdampf an der Straße von Lützen nach Leipzig am kalt-feuchten 16. November 1632 ereignete, ragt der Tod Gustav Adolfs, König von Schweden, heraus. Mit ihm fiel nicht nur ein gekröntes Haupt – was bei einer dynastisch legitimierten Herrschaft immer die Gefahr einer monarchischen Krise heraufbeschwören konnte – und der Feldherr der schwedischen Interventionsarmee, sondern vor allem die Leit- und Integrationsfigur im Krieg ge-gen den lange Zeit übermächtig scheinenden Kaiser und die mit ihm verbündeten katholischen Reichsstände. Die literarisch-publizistische Reaktion auf dieses Ereignis zu untersuchen, hat sich die vorliegende Münchener Dissertation im Fach Germanistik zum Ziel gesetzt.
Die Arbeit kommt zum Ergebnis, daß bezüglich der untersuchten Textformen den Leichenpredigten eine nicht zu unterschätzende propagandistische Wirkung attestiert werden muß. Tendenziell weniger politisch motiviert waren die lyrischen Epicedien (Trauer- u.Trostgedichte), bei denen dafür ästhetische Aspekte einen größeren Raum einnahmen. Doch bestanden zwischen den Genres keine undurchlässigen Grenzen; es gibt Beispiele für Übergangsformen, bei denen die künstlerischen und politischen Kom-ponenten anders verteilt waren. Viele Motive fanden bei der Bearbeitung des Themas gattungsüber-greifend Verwendung, und so tauchten eben auch in den lyrischen Elaboraten Elemente auf, die be-reits in der Publizistik vorgeformt waren.
Mit Blick auf den politischen Kontext läßt sich festhalten, daß im Laufe der Jahre die literarischen und publizistischen Reflexe auf den gefallenen König immer seltener wurden. Einige Zeit wurde noch versucht, Gustav Adolf zumindest publizistisch am Leben zu erhalten. Angesichts wachsender zentri-fugaler Tendenzen unter den protestantischen Reichsständen, die sich von Schweden emanzipieren wollten, sollte auf diese Weise die integrierende Kraft des Charismas Gustav Adolfs mobilisiert wer-den. Eng damit verknüpft war die bis in die Zeit des Prager Friedens intensiv genutzte Argumentationsfigur, die aus dem Tod des Königs, der als Aufopferung für die evangelische Lehre und fürstliche Libertäten gedeutet wurde, den Appell an die protestantischen Reichsfürsten ableitete, weiterhin bis zum Frieden an der Seite Schwedens zu kämpfen.
Diese Befunde wird man insgesamt akzeptieren können, doch bleiben Vorbehalte gegenüber der Anlage des Buches. Die Arbeit geht punktuell vor, indem sie sich allein auf das Ereignis des Schlachtentods konzentriert, sie geht enzyklopädisch vor, indem sie möglichst alle zu diesem Ereignis relevanten Textformen berücksichtigt. Relevant ist damit jedweder Text, in dem an irgendeiner Stelle der Tod des schwedischen Königs erwähnt ist. Die eingehende Interpretation soll „sozusagen strahlenförmig nach allen Seiten“ hin geschehen (S. 11), mit anderen Worten: Es gibt keinen interpretatorischen Flucht-punkt, der durch die Masse des publizistischen Materials einen Weg weist. Wohl gibt es gattungsbe-zogene Haltepunkte, die sich wiederum mit der chronologischen Abfolge verschränken. Denn Zeitun-gen und Relationen griffen als erste dieses Thema auf, danach erschienen gedruckte Gedenkpredig-ten und andere Formen der Trauerpublizistik. Auch in weiteren, späteren publizistischen Kontexten tauchte das Thema des gefallenen Königs auf, schließlich auch in poetischen Elaboraten. Doch diese eher reihende Anlage von Einzelanalysen vermag nicht, die zweifelsohne große Materialmasse in eine übersichtliche Struktur zu bringen und die vielen interessanten Einzelbeobachtungen in einem synthe-tischen Zugriff zu bündeln. Daß sich Motive und Intentionen gattungsübergreifend wiederfinden lassen und dadurch Vorgriffe und auch Rückbezüge unvermeidlich seien, darauf hat der Autor selbst hinge-wiesen (S. 15) – als ein warnendes Indiz für eine problematische Anlage der Arbeit hat er dies nicht erkannt. So werden die verschiedenen literarischen und publizistischen Genera nacheinander abgear-beitet, und man erfährt tatsächlich vieles über die verschiedenen Muster und Strategien, um den Tod des Königs darzustellen, und ebenso über einzelne Topoi sowohl der Herrscherverherrlichung wie auch der literarischen Trauer. Auch der politische Kontext wird berücksichtigt, doch bereits hier unter-laufen dem Verfasser eine ganze Reihe von Mißinterpretationen, die sich im Kontext einer sach- und nicht gattungsbezogenen Analyse sehr viel eher hätten vermeiden lassen. Darauf sowie auf eine ganze Reihe von Einzelproblemen ist im folgenden kurz einzugehen, wobei allerdings – dies sei hier vorausgeschickt – keineswegs der germanistische Erkenntniswert der Arbeit in Frage gestellt, sondern nur Monita von historischer Warte aufgezeigt werden sollen.
Insgesamt fällt auf, daß der Aussagewert der untersuchten und verglichenen Quellen nicht immer kritisch hinterfragt, mitunter dann auch falsch eingeschätzt wird. So werden manche Äußerungen in Flugblättern distanzlos behandelt, als würde das Medium den zuverlässigen Wortlaut einer tatsächlich gemachten Äußerung transportieren. Ob beispielsweise Gustav Adolf tatsächlich wenige Tage vor der Schlacht bei Lützen die Worte verlauten ließ, daß er, wenn er falle, „vor sein [=Gottes; M.K.] heiliges Wort / vnnd vor die teutsche Freyheit“ sterbe (S. 56), sei dahingestellt – abgesehen davon, daß auch der schwedische König gewisse Äußerungen bewußt lanciert haben mochte. Wünschenswert wären aber auch grundsätzliche Worte zur Publikation von Briefgut gewesen. Fragile Kommunikationslinien und abgefangene Briefe sind ein Strukturproblem (nicht nur) dieses Krieges gewesen, doch warum Fürsten- und Feldherrenkorrespondenzen und auch Vertragswerke in den Druck gegeben und damit (wenn es denn immer echte Briefe waren) politische Arkana bewußt einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, sind Fragen, die vor der Interpretation dieses Materials geklärt werden müssen. Auch eine quellenkritische Unterscheidung zwischen offiziell publizierten Briefen, wie sie eben der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna und der schwedische Feldherr Baner in Druck gaben (S. 268 f. u. S. 271 f.), und quasi anonymen Briefen und Relationen eines „Niedersächsischen“ (S. 249 ff.) und „eines fürnemmen Gesandten“ (S. 258 f.) sucht man vergebens.
Daß auch die Interpretation nicht publizierter Briefe ihre Tücken hat, zeigt die Korrespondenz Wallensteins und Kaiser Ferdinands II. in Reaktion auf die Schlacht bei Lützen. Hieraus „deutlich eine Freude des Kaisers über den Tod des Hauptgegners“ abzulesen (S. 69), ist deswegen schwierig, weil in diesem Fall der Kriegsherr seinen Feldherrn zu einem Erfolg beglückwünscht und sich dazu eines im Duktus stark formalisierten Briefes bedient, emotionale Spuren also gattungsbedingt kaum oder nicht so offenbar aufzufinden sein dürften. Daß an der Wiener Hofburg der Tod Gustav Adolfs mit freudiger Erleichterung aufgenommen wurde, wird hingegen auch nicht durch die in Khevenhüllers Annales Ferdinandei überlieferte Episode relativiert, derzufolge Ferdinand II. „keine Freude, sondern ein hertzliches Mitleiden“ an den Tag legte (S. 89): Auch ein Kaiser hatte sich in fürstlicher Solidarität zu üben, eine Herrschertugend, die hier um so leichter fallen mochte, als der Betroffene bereits tot war.
Es gibt schwer erklärbare Befunde, so der Umstand, daß auf kaiserlich-katholischer Seite publizi-stisch nur selten der massiven proschwedischen Propaganda entgegengehalten wurde. Die Überle-gung, daß der schwedische Siegeszug auch alle Druckzentren unter schwedische Kontrolle gebracht hätte und auf diese Weise die technischen Möglichkeiten für publizistischen Gegenkampagnen fehl-ten (S. 79 f. u. S. 312), sollte aber nicht überstrapaziert werden. Denn damit wird die Effizienz einer schwedenfreundlichen Zensur schlichtweg überschätzt – und dies gerade angesichts des in der Frü-hen Neuzeit immer wieder beobachteten Phänomens, daß es kaum eine Obrigkeit je geschafft hat, die Presse und die Publikationsmöglichkeit in der gewünschten Weise zu kontrollieren. Nur erwähnt sei auch für diesen zeitlichen Rahmen der Untergrundbuchdruck in der Niederrheinregion, der eine große Rolle für die Meinungsbildung und -beeinflussung der öffentlichen Meinung im niederländischen Raum spielte.[1]
Doch von diesen „echten“ und höchst komplexen Interpretationsproblemen abgesehen, gibt es die nicht seltenen Fälle, in denen eindeutige historische Sachverhalte mindestens schief oder unklar dar-gestellt werden. So verkennt die Behauptung, daß Gustav Adolf über den Widerstand protestantischer Reichsstände ihm gegenüber erfreut gewesen sei, weil ihm auf die Weise die betroffenen Territorien kraft des Kriegsrechts als Eigentum zufielen (S. 39), das Legitimationsproblem der schwedischen In-vasion: Da der schwedische König als Retter der protestantischen Reichsstände auftrat, war er drin-gend auf reguläre Verbündete angewiesen – eine politische Notwendigkeit, die durch Kontributionen und Kriegsgewinne kaum kompensiert werden konnte. Daß nun bis in die 1630er Jahre eine „Union“ protestantischer Reichsstände auftaucht (bes. S. 38, 218, 267), daß es einen „türkischen Kaiser“ gibt (was also nicht als Quellenbegriff kenntlich gemacht wird, vgl. S. 223), daß das Herzogtum Pommern schon von Gustav Adolf annektiert wurde (vgl. S. 259 u. 379: „Annektion“ [!]) und daß die böhmische Kurwürde an Bayern gefallen war (S. 223 Anm. 689), ist genauso ärgerlich wie eine problematische und unzutreffende Begrifflichkeit: So wird immer wieder der (gerade bei der Benennung von Adressa-ten) undeutliche Kollektivbegriff „die Deutschen“ und „Deutschland“ gebraucht, während die ständische Gesellschaft als „Klassensystem“ bezeichnet wird (S. 25 Anm. 69); mit „hochdekorierten“ Offizieren sind hingegen nicht mit Ehrenabzeichen und Orden dekorierte, sondern, wie das Quellenzitat erkennen läßt (S. 60), hochrangige Offiziere gemeint, und Zwickau erfuhr keine „Entsetzung“ (wurde also nicht von einer Belagerungsarmee entsetzt, sprich befreit), sondern wurde vielmehr im Sturm genom-men, wie bereits aus dem Kontext selbst hervorgeht (S. 65).
Wie sehr der mangelhaft ausgeleuchtete historische Hintergrund die Interpretation des Autors schwächt, läßt sich anhand des Details verdeutlichen, daß der schwedische König ohne Rüstung in die Schlacht ge-gangen sei. Die zeitgenössischen Reaktionen erklären dieses Faktum nicht, sondern interpretieren es einmal (tendenziell kritisch) als übermäßigen Wagemut und ein anderes Mal (tendenziell positiv) als Ausdruck eines tiefen Gottvertrauens (S. 57-61). Den eigentlichen Grund dafür, daß der König nur einen Elchlederkoller, aber keine Rüstung trug, sieht die Forschung seit längerem darin – und dies ist entscheidend für den Stellenwert der zeitgenössischen Erklärungsversuche –, daß Gustav Adolf seit seiner schweren Verwundung in der Schlacht bei Dirschau 1627 keine Brustpanzerung mehr am Leib zu tragen vermochte.[2]
Nun mag der Eindruck entstehen, daß hier ein Beckmesser in der unverkennbaren Absicht unter die Historiker gegangen ist, einen Vertreter der benachbarten germanistischen Disziplin zu bekritteln. Doch gegen diesen möglichen Einwurf sei auf das Buch selbst verwiesen, das sich durchaus auch an einem historischen Wissensfortschritt zu beteiligen anschickt. So soll das hier zugrunde gelegte Quel-lenmaterial auch dazu geeignet sein, „weitere Erkenntnisse zur Person des schwedischen Königs zu gewinnen“ (S. 12), eine Einschätzung, die angesichts der intentionalen Ausrichtung der hier behandel-ten Medien zweifelhaft erscheint. Daß die historische Forschung in der Hinsicht skeptisch bleibt, tut sie mit großer Berechtigung; daß aber die historische Forschung publizistische Materialien generell „als Quellen“ ablehnt und sie nicht beachtet (S. 10), ist eine gewagte Behauptung. Dabei behandelt das Buch selbst eine Thematik, die wie kaum eine andere die Kombination germani-stischen und historischen Arbeitsweisen erfordert. Denn gerade bei Flugblättern und verwandten Medien der Zeit, die oft auf einen sehr konkreten zeitgenössischen Sachverhalt verweisen und damit einen sehr punktuellen Bezugs-rahmen haben, ist eine präzise Wahrnehmung der historischen Begleitumstände unumgänglich, will man nicht Gefahr laufen, auch die Bewertung – sei sie nun eher germanistisch, sei sie nun eher histo-risch ausgerichtet – unpräzis werden zu lassen. Daß dies kein entrücktes Ideal ist, sondern durchaus eingelöst werden kann, hat vor einigen Jahren die Germanistin Silvia Serena Tschopp gezeigt. Diese vor allem auch in ihrer Fragestellung und im analytischen Zugriff vorbildhafte Studie läßt die Möglich-keiten erkennen, die eine Beschäftigung mit der Publizistik zu Gustav Adolfs Tod offeriert.[3]

Anmerkungen:
1  Vgl. dazu Johannes Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648 (Münstersche Historische Forschungen, 13), Köln/Weimar/Wien 1998, bes. S. 232 ff.
2  Michael Roberts, Gustavus Adolphus. A History of Sweden 1611-1632, London 1958, Bd. 2, S. 343; Marcus Junkelmann, Gustav Adolf (1594-1632). Schwedens Aufstieg zur Großmacht, Regensburg 1993, S. 271.
3  Vgl. Silvia Serena Tschopp, Heilsgeschichtliche Deutungsmuster in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges. Pro- und antischwedische Propaganda in Deutschland 1628 bis 1635 (Mikrokosmos, 29), Frankfurt a.M. u.a. 1991, bes. S. 11 f. zur Konzeption.

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