R. T. Baus: Die christlich-demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945-1948

Cover
Titel
Die christlich-demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945-1948. Gründung, Programm, Politik


Autor(en)
Baus, Ralf Thomas
Reihe
Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 36
Erschienen
Düsseldorf 2001: Droste Verlag
Anzahl Seiten
590 S.
Preis
DM 82,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wettig, Gerhard

Nach einer Reihe von Werken über die Ost-CDU, deren Schwerpunkt die Konflikte mit der sowjetischen Besatzungsmacht und die zunehmende Unterdrückung eigenständigen Handelns waren, mißt das vorliegende Buch den innerparteilichen Willensbildungsprozessen gleiches Gewicht zu. Ralf Thomas Baus umreißt darüber hinaus einleitend den politischen Rahmen, den die Besatzungspolitik der UdSSR und das daraus resultierende Vorgehen ihres deutschen Instruments KPD/SED vorgaben. Er kommt zu dem Schluß, daß das amtliche demokratische Mehrparteiensystem von Anfang an mehr Schein als Wirklichkeit war. Folglich gab es für die Ost-CDU niemals freie Entfaltungsmöglichkeiten.

Im historischen Rückblick erscheint daher der politische Einsatz im Kampf um eine wenigstens halbwegs freie Ordnung des Gemeinwesens als von vornherein vergebens. Die – vor allem von der Funktionsträgern und Mitgliedern der unteren Ebenen und in der Provinz gebrachten – enormen Opfer waren demnach umsonst, wenn man es nicht als ein Verdienst der Christdemokraten ansehen will, in der SBZ/DDR Demokratie ernstlich versucht und deren unausweichliches Scheitern am Willen der Kommunisten demonstriert zu haben.

Baus stellt die Entwicklung der Ost-CDU nicht nur, wie es bisher die Regel war, aus der Perspektive der „Reichsleitung“ in Ost-Berlin oder, wie es in einigen Länderstudien geschah, lediglich regionalgeschichtlich dar. Er verbindet vielmehr den zentralen Aspekt mit einer umfassenden Betrachtung der Geschehnisse auf den unteren Ebenen. Dort unterschieden sich die Verhältnisse weithin grundlegend von den Bedingungen, die für die Spitzen der Partei bestanden. Da die Personen in der breiten, vor allem westlichen Öffentlichkeit in der Regel unbekannt waren und die Vorgänge in der Provinz kaum überörtliche Bekanntheit hatten, konnten die Besatzungsbehörden sehr viel ungehemmter Druck ausüben und mit Akten der brutalsten Repression operieren.

Es wurde daher zu einem generellen Handlungsmuster der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD), den lokalen und regionalen Parteigliederungen eine Linie aufzuzwingen, welche die Politik der Zentrale in Ost-Berlin konterkarierte, um diese durch „Druck von unten“ zur Anpassung an den vorgesehenen Kurs zu nötigen. Diese Manöver nahmen bei Bedarf den Charakter einer regelrechten Spaltungsstrategie an, die „reaktionäre“ Personen und Gruppen durch „fortschrittliche Kräfte“ isolierte und ausschaltete. Die Möglichkeit, unterschiedliche Einstellungen zu akut gestellten Fragen herbeizuführen, bestand allein schon aufgrund des offensichtlichen Erfordernisses, daß sich die CDU dem Verlangen der – mit der „obersten Gewalt“ ausgestatteten – sowjetischen Seite zumindest in gewissem Ausmaß anpassen mußte: Wie weit man in dieser Hinsicht gehen konnte und durfte, war immer wieder strittig. Unter diesen Umständen fehlten der Unionsführung von vornherein weithin die Voraussetzungen dafür, eine einheitliche Politik für das Parteiganze zu formulieren.
Der Effekt wurde noch dadurch verstärkt, daß die Okkupationsmacht die Kommunikationswege zu den regionalen und lokalen Unterorganisationen in der Provinz kontrollierte und daher bestimmte, welche Nachrichten und Mitteilungen ausgetauscht werden konnten.

In großer Detailliertheit behandelt Baus die durch solche Probleme belastete Interaktion der autochthonen Kräfte und Tendenzen der Partei untereinander und mit den Einwirkungen der Okkupationsbehörden und ihrer deutschen Helfershelfer, ohne jemals den Blick auf das Ganze aus dem Auge zu verlieren. Die Ost-CDU war gegenüber den Kommunisten von vornherein in einer hoffnungslos unterlegenen Position, denn nur diese waren zu politischem Handeln befähigt, mit dem sie dem Willen der Besatzungsmacht innerdeutsche Geltung verschafften, während ihre Konkurrenten darauf nur zu reagieren vermochten. Der typische Ablauf sah so aus, daß die Führung der KPD/SED den Blockparteien die sowjetischerseits vorgesehenen Maßnahmen „vorschlug“, dabei aber als unumgänglich hinstellte.

So konnten sich die „Partner“ nur noch als hinterherlaufende Bremser betätigen, die Wünsche und Forderungen bezüglich einzelner Modalitäten geltend machten und zudem keinerlei Gewähr hatten, daß daraufhin vielleicht gegebene Zusagen auch eingehalten wurden. Denn auch die Durchführung der ihnen vorgegebenen Entscheidung lag völlig außerhalb ihres Einflusses, weil sich die Besatzungsmacht in allen dafür wichtigen Positionen zuverlässiger KPD/SED-Kader bediente, die allein ihrem Kommando – bzw. dem Befehl zwischengeschalteter kommunistischer Parteidienststellen - folgten.

Ablehnungsversuche der CDU, des für die SMAD härtesten Brockens, wie sie Andreas Hermes im Dezember 1945 und Jakob Kaiser im Herbst 1947 wagten, endeten jeweils mit der Absetzung der widerborstigen Vorsitzenden durch unmittelbaren Eingriff der Okkupationsbehörden, begleitet von scharfen Repressions- und Spaltungsmaßnahmen in allen Gliederungen der Partei. Das zweite Vorgehen, das nach dem offenen Ausbruch der Ost-West-Konfrontation stattfand, so daß frühere Rücksichten auf die westlichen Besatzungspartner entfielen, wurde zum Auftakt für die völlige Unterwerfung und Satellisierung der Partei, die sich freilich, namentlich wegen beharrlichen Widerstrebens auf der Ebene der Kreis- und Ortsverbände, noch über viele Jahre hinzog.

Stalins Entschluß, die Sowjetisierung der SBZ/DDR überhaupt auf dem Umweg über ein Mehrparteiensystem und die Zulassung bürgerlicher Parteien anzustreben, war – außer durch den generellen Wunsch nach weiteren westlichen Kooperationsleistungen (die mit Rücksicht auf Washington und London eine demokratische Fassade notwendig erscheinen ließ, wie sie auch in Ostmittel- und Südosteuropa errichtet wurde) – wesentlich durch gesamtdeutsche Erwägungen bedingt. Wie auch Baus anhand seiner Quellen immer wieder feststellt, ging es dem Kreml entscheidend darum, die in Berlin geschaffenen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse auf das Landesganze zu übertragen, also auch in den Westzonen durchzusetzen.

Eine Duldung seitens der dortigen Besatzungsmächte und ein Mitmachen der dortigen deutschen Kräfte, denen gegenüber die UdSSR keine Besatzungsgewalt geltend machen konnte, waren nur zu erwarten, wenn man sich, zumindest scheinbar, in Übereinstimmung mit westlichen Vorstellungen befand. Nicht zuletzt der Ost-CDU kam dabei eine zentrale Bedeutung zu: Wenn es der „Reichsleitung“ in Ost-Berlin gelang, die West-Partei mitzuziehen, war der Kreml seinem Ziel ein sehr großes Stück nähergekommen. Denn die West-CDU war in den Westzonen neben der SPD, die er zunächst mittels Sonderbeziehung zur KPD und dann durch die Zwangsvereinigung in die Hand zu bekommen hoffte, von entscheidender Bedeutung. Daß die östliche Besatzungsmacht verschiedentlich davor zurückschreckte, alle zu Gebote stehenden Zwangsmittel offen gegen die Führung der Ost-CDU einzusetzen, hängt nicht zuletzt mit dem Bestreben zusammen, sich diesen Hebel der Einflußnahme zu erhalten.

Baus stellt eindringlich in aller Bandbreite die Methoden dar, mit denen die SMAD unter Einschaltung der KPD/SED schließlich ihre Ziele gegen alle Widerstände in der CDU erreichte. Seine Feststellungen stimmen bemerkenswerterweise fast immer mit den Befunden aus russischen Archiven überein, soweit diese bisher geöffnet worden sind 1, obwohl der Autor seine Studie nur auf deutsche, vor allem ostdeutsche Quellen stützt und auch die auf sowjetischen Akten beruhende einschlägige Sekundärliteratur weithin nicht heranzieht 2.

Nur an wenigen, für die Gesamtdarstellung unwichtigen Stellen macht sich das Fehlen von Zusatzinformationen aus sowjetischen Quellen bemerkbar. Das gilt etwa für Einzelheiten des Berichts über die Absetzung Kaisers (S. 404-407), die im Anfangsstadium nicht allein „faktisch vollzogen“ war, sondern auch von Oberst Tjul’panov in aller Form, wenngleich nur insgeheim festgelegt wurde. Ein anderes korrekturbedürftiges Detail, ist die Darstellung, die SED sei im Zusammenhang mit den Herbstwahlen von 1946 durch die Haltung der anderen Parteien vorübergehend gezwungen worden, von der sowjetischen Position abzurücken, daß die Oder-Neiße-Linie ein- für allemal fixiert sei (S. 313-315).
Das klingt so, als habe sich die kommunistische Führung der SBZ in ihren Verlautbarungen zeitweilig in einem Dissens zur UdSSR befunden. Tatsächlich jedoch handelte sie nach sowjetischer Anweisung: Um den politischen Rivalen den Wind aus den Segeln zu nehmen, müsse sie bis auf weiteres deren Revisionsstandpunkt scheinbar akzeptieren.

Das Buch von Baus ist die umfassendste und zuverlässigste Darstellung von Politik und Schicksal der Ost-CDU, die bisher vorliegt, und verspricht, zum Standardwerk über dieses Thema zu werden. Ein Anhang mit Abkürzungsverzeichnis, Tabellen, Kurzbiographien, Listen benutzter unveröffentlichter wie gedruckter Quellen, Personen- und Sachregister erleichtern die Lektüre.

Anmerkungen
1 Als veröffentlichtes Material siehe den Sammelband mit ausgewählten Dokumenten aus dem Archiv des russischen Außenministeriums: G.P. Kynin/J. Laufer (Bearb.), SSSR i germanskij vopros 1941-1949, hrsg. vom Historisch-Dokumentarischen Departement des [russischen] Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten und vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, Bd. 2: 9. Mai 1945 bis 3. Oktober 1946, Moskau 2000.
2 Das gilt vor allem für folgende Studien: Gerhard Wettig, All-German Unity and East German Separation in Soviet Policy, 1947-1949, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, 1994, S. 122-139 (siehe insbes. das Kapitel über die Entwicklung des Parteiensystems auf S. 124-129); Gerhard Wettig, Der Konflikt der Ost-CDU mit der Besatzungsmacht 1945-1948 im Spiegel sowjetischer Akten, in: Historisch-Politische Mitteilungen, 6 (1999), S. 109-137; Stefan Donth, Die Sowjetische Militäradministration und die CDU in Sachsen 1945-1952. Eine bürgerliche Partei aus dem Blickwinkel der Besatzungsmacht, in: Historisch-Politische Mitteilungen, 7 (2000), S. 109-133.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension