A. Schmidt: " ... mitfahren oder abgeworfen werden"

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Titel
" ... mitfahren oder abgeworfen werden". Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der Provinz Sachsen/im Land Sachsen-Anhalt 1945-1949


Autor(en)
Schmidt, Andreas
Reihe
Forschungen zur neuesten Geschichte 2
Erschienen
Münster 2004: LIT Verlag
Anzahl Seiten
581 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Donth, Berlin

Bisher gehörte die Geschichte der SED in der Provinz Sachsen, dem späteren Land Sachsen-Anhalt, zwischen 1945 und 1949 zu den weißen Flecken der SBZ/DDR-Geschichte. Nun schließt die von Hermann-Josef Rupieper betreute, hervorragende quellengesättigte Dissertation Andreas Schmidts diese Forschungslücke.

Im Gegensatz zu den von der Roten Armee besetzten Teilen Deutschlands vollzogen sich die Wiedergründungen von SPD und KPD westlich von Elbe und Mulde zunächst weitgehend unbeeinflusst von direkten Einflüssen der Siegermächte. Die ideologischen Konflikte zwischen KPD und SPD aus der Weimarer Republik bestanden nach 1945 fort und ließen sich auch durch gemeinsame Erfahrungen im Widerstand gegen die NS-Diktatur nicht überbrücken. Wie Schmidt belegt, konnten sich Kommunisten und Sozialdemokraten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine einheitliche „Arbeiterpartei“ nur als die Fortsetzung der jeweils eigenen vorstellen.

Nach dem Abzug der britischen und amerikanischen Truppen Anfang Juli 1945 und der Inbesitznahme der Provinz Sachsen durch sowjetische Truppen begann die Sowjetische Militäradministration (SMA), die Vorgaben der Deutschlandpolitik Stalins umzusetzen. Diese zielte darauf ab, mittelfristig das Gesellschaftsmodell der Sowjetunion auf die eroberten Staaten zu übertragen. Dazu erhielt der Apparat der Besatzungsmacht die Anweisung, flexibel vorzugehen und mit dem Instrument der Blockpolitik jegliche Opposition einzubinden, aufzuspalten und schließlich unschädlich zu machen.

In diesen Zusammenhang ordnet Schmidt die Geschehnisse in Sachsen-Anhalt ein. Er untersucht im regionalhistorischen Detail, wie die KPD gegenüber den anderen Parteien sowie in Staat und Gesellschaft ihren Machtanspruch postulierte und in welchem Umfang es ihr gelang, ihn durchzusetzen. Zur Unterstützung der SMA gelangten nach dem Besatzungswechsel auch etwa 20 kommunistische Funktionäre aus dem Moskauer Exil in die Provinz Sachsen, von denen vier Führungspositionen wahrnahmen. Mit Bernhard Koenen, der bereits zwischen 1916 und 1933 in verschiedenen Funktionen dem Apparat der KPD im preußischen Regierungsbezirk Merseburg angehört hatte, übernahm ihr profiliertester Vertreter die Leitung der KPD. Er exekutierte im Auftrag und enger Abstimmung mit der SMA die sowjetischen Vorgaben.

Nach Abschluss des Aufbaus der KPD-Parteiorganisation forcierten SMA und Kommunisten ab September 1945 die Vereinigung mit der SPD. Dies sahen bereits die im Moskauer Exil angestellten Planungen der KPD-Führung vor. Mitausschlaggebend für die kurzfristige Umsetzung dürften die Wahlniederlagen der kommunistischen Parteien in Ungarn und Österreich sowie der enorme Zuspruch gewesen sein, den die SPD in der Bevölkerung der SBZ verzeichnete. Die Einheitspartei sollte nach den Vorstellungen von SMA und KPD keine wirklich neue Partei sein, sondern die Kommunistische Partei hatte die Sozialdemokraten politisch-programmatisch einzugliedern und dadurch als eigenständige Kraft zu entfernen. Die Kommunisten bauten in der neuen Partei SED schrittweise ihre Vorherrschaft aus. Im Auftrag und mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht wurden Sozialdemokraten, die sich nicht unterordnen wollten, unter Druck gesetzt und bedrängt. Bereits 1946 sind Absetzungen und erste Verhaftungen nachweisbar.

Die Anziehungskraft der SED blieb letztlich begrenzt, weil wohl eine Mehrheit der Bevölkerung die Partei als bloßen Erfüllungsgehilfen der sowjetischen Politik betrachtete, die für weite Teile der Einwohner Sachsen-Anhalts im Alltagsleben mit Vergewaltigungen, Plünderungen und massiven Demontagen verbunden war. Auch deshalb scheiterte die Partei an ihrer ersten Bewährungsprobe bei den Gemeinde-, Kreistags- und Landtagswahlen 1946. Deren Resultate lagen weit unter den Erwartungen, weil die SED im Provinziallandtag und in einer Reihe größerer Städte nicht über die erhoffte absolute Mehrheit verfügte. Die Einheitspartei fuhr in Sachsen-Anhalt das schlechteste Ergebnis aller Landes- und Provinzialverbände der SED ein.

Dieses Wahlergebnis offenbarte auch die Krise der SED. Innerlich tief gespalten in frühere Kommunisten und Sozialdemokraten, verlief ihr organisatorischer Aufbau nur schleppend, und sie verfügte aufgrund der kurzen sowjetischen Leine nur über eine begrenzte Handlungsfähigkeit. Schrittweise gingen SMA und die aus der vormaligen KPD hervorgegangene Führung der SED 1947 daran, den Einfluss ehemaliger SPD-Mitglieder im Apparat der Einheitspartei zurückzudrängen, der vergrößert und dessen Leitungsstrukturen immer stärker zentralisiert wurden. Die Analyse Schmidts belegt, wie sich das Gewicht zunehmend von den Vorständen hin zu den hauptamtlichen Sekretariaten verlagerte. Innerparteilich sicherten die Kommunisten ihre Macht mit der Disziplinierung und umfassenden Kontrolle der Mitgliedschaft sowie dem Aufbau eines Erziehungs- und Schulungsimperiums ab. Damit bildete die SED neue „Kader“ für den Partei- und Staatsapparat heran, mit denen sie ihre Herrschaft sicherte. Darüber hinaus wurde die Parteiorganisation den „Aufgaben als hegemoniale Staatspartei“ (S. 540) angepasst.

Hervorzuheben ist Schmidts Untersuchung der Veränderungen in der Mitgliederstruktur. Ältere Funktionäre, die beispielsweise auf Kreisebene 1948 den Apparat noch dominiert hatten, verloren systematisch ihre Positionen. Hier rückte überwiegend die so genannte „FDJ-Generation“ nach. Wie der Autor betont, erfuhr dadurch trotz aller von der SED-Führung intern bemängelten Defizite eine Generation von Mitgliedern ihre politische Sozialisation, die die DDR bis 1989 tragen sollte. Als faktisches Drehbuch dieses Prozesses, der die SED Ende der 1940er-Jahre zur „Partei neuen Typs“ umformte und sich in allen Ländern der SBZ nachweisen lässt, fungierte der so genannte „Kurze Lehrgang“ der KPdSU.

Opposition und Widerstand von Sozialdemokraten wurden immer rigoroser geahndet. Spätestens 1948 setzte dann die flächendeckende Verfolgung und Unterdrückung von SPD-Mitgliedern ein, die zu ihren Überzeugungen standen und sich nicht den kommunistischen Zumutungen beugen wollten. Einher ging dies mit einer systematischen Zerstörung sozialdemokratischer Traditionen, Strukturen und Milieus. Tausende ehemaliger Sozialdemokraten kehrten daraufhin nicht nur der SED, sondern oft auch dem Land Sachsen-Anhalt den Rücken und flohen in den Westen.

Auf Landesebene hatten die Kommunisten bis auf wenige Ausnahmen weitgehend alle namhaften früheren Sozialdemokraten von den Schaltstellen der Macht entfernt. Sie wurden, wie der SED-Landesvorsitzende Bruno Böttge als Repräsentanten der SPD-Parität, in ihren Ämtern abgelöst oder sahen wie Volksbildungsminister Ernst Thape nur in der Flucht in den Westen einen Ausweg, um dem kommunistischen Druck zu entgehen. Wie kein anderer verkörperte Thape den Typus des selbstbehauptungswilligen Sozialdemokraten. Die Parteiwahlen 1949 bildeten in den örtlichen und regionalen Vorständen und Sekretariaten den Abschluss der Marginalisierung und Eliminierung des sozialdemokratischen Elements in der SED.

Schmidt rückt am Beispiel Sachsen-Anhalts die Geschichte der Organisation der SED als Grundlage der kommunistischen Herrschaft in den Mittelpunkt. Damit nimmt er die mittlere Ebene und die Entwicklung „vor Ort“ in den Blick und arbeitet heraus, mit welchen Mechanismen und Methoden die zentral von SMA und SED-Führung getroffenen Entscheidungen umgesetzt wurden. Nach kommunistischem Verständnis konnte die Durchsetzung der führenden Rolle ihrer Partei in allen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen nur mit einem zuverlässigen und effizienten Apparat gelingen. Deshalb ging es SMA und KPD von Anfang an darum, alle Schlüsselpositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft mit ihr genehmen Personen zu besetzen, um mit dem Aufbau eines am sowjetischen Vorbild orientierten Sozialismus beginnen zu können. Schmidt illustriert dies u.a. am Beispiel der Bildung der Landesregierung, der Bodenreform und auch beim Aufbau der Sicherheits- und Repressionsorgane. Dem Verlauf der Durchsetzung der Diktatur in Staat und Gesellschaft als wichtigster Aufgabe der SED hätte aber noch breiterer Raum gewidmet werden können.

Andreas Schmidt hat eine auf fundierter Quellengrundlage basierende, überzeugende Arbeit zur Organisation und Politik der SED in Sachsen-Anhalt für den Zeitraum vom Untergang des Dritten Reiches bis zur Gründung der DDR vorgelegt. An dieser Studie kommt niemand vorbei, der sich mit der Bedeutung der SED in der unmittelbaren Nachkriegszeit in diesem Teil Deutschlands befassen will. Zudem leistet Schmidt weit über den unmittelbaren landeshistorischen Rahmen hinaus einen beeindruckenden Beitrag zur Geschichte der SBZ.

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