J. P. R. Kain u. a.: Enclosure Maps of England and Wales 1595-1918

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Titel
The Enclosure Maps of England and Wales 1595-1918. A Cartographic Analysis and Electronic Catalogue


Autor(en)
Kain, Roger J. P.; Oliver, Richard R.; Chapman, John
Erschienen
Anzahl Seiten
420 S.
Preis
€ 195,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Behrisch, Universität Bielefeld

Der Band ist eine umfassende Auswertung einer Datenbank zu sämtlichen, gut fünftausend ‚Enclosure Maps‘ aus England und Wales. Dabei handelt es sich um präzise kartografische Erfassungen der ‚Einhegungen‘, also der Feldregulierungen und Allmendaufteilungen, die für die englische Agrar-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von immenser Bedeutung waren. Die daraus hervorgegangenen Karten waren in gewisser Hinsicht das Pendant zu den kontinentaleuropäischen Katasterkarten, die ebenfalls – mit einem ähnlichen zeitlichen Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – die ländlichen Besitz- und Bodenverhältnisse festhielten. Ein signifikanter Unterschied bestand jedoch darin, dass die ‚Enclosure Maps‘ nicht unter staatlicher Regie, sondern jeweils im Interesse und Auftrag der einzelnen ländlichen Gemeinden angefertigt wurden. Sie entstanden daher auch weder flächendeckend noch zeitgleich und konnten – je nach Zeitpunkt, Region, Typ der Flurregelung und ausführenden Kartografen – sehr unterschiedlich gestaltet sein. Erst mit dem General Enclosure Act von 1845 wurde die kartografische Aufnahme landesweit standardisiert.

Der Band gliedert sich in etwa vier gleich große Teile: Einen zweigliedrigen Textabschnitt, der die historische Dimension und die kartografische Typologie der ‚Enclosure Maps‘ beleuchtet (S. 1-46, S. 159-204); eine nach Counties strukturierte Detailbeschreibung des kartografischen Befunds (S. 47-158); eine alphabetische Liste der Kartografen (Surveyors) mit Angabe der Zahl und Größe der von ihnen erstellten Karten (S. 205-290); sowie einen alphabetischen Index sämtlicher erfasster Orte (Gemeinden) mit Schlüsselangaben zur jeweiligen Karte (S. 291-410). Dieser Index dient gleichzeitig als Scharnier zu der im Internet zugänglichen Datenbank [http://hds.essex.ac.uk/em/index.html], die sämtliche 92 Parameter für jeden kartografierten Ort (aber keine Karten!) enthält. Da diese Parameter in den Abschnitten des Bandes zur allgemeinen und zur regionalen kartografischen Typologie bereits sehr umfassend ausgewertet wurden, bietet die Datenbank jenseits eines lokal- und regionalgeschichtlichen Interesses allerdings keinen Nutzen. Der Zugriff wird überdies dadurch erschwert, dass die Parameter nicht hierarchisch einzelnen Auswertungsthemen zugeordnet werden, sondern auf gleicher Ebene nebeneinander stehen.1

Der Band, „the first comprehensive study of [...] enclosure mapping“ (Vorsatzblatt), möchte nicht nur eine umfassende kartografische Analyse dieser Karten bieten, sondern auch ihre Relevanz im Kontext der Landaufteilung untersuchen. Dieser Anspruch wird allerdings nur sehr bedingt eingelöst. Es bleibt letztlich bei der rhetorischen Forderung, die Karten fortan nicht mehr nur als Quellen der agrarischen Siedlungs-, Besitz- und Nutzungsgeschichte heranzuziehen, sondern sie auch als Instrumente der sozialen und ökonomischen Steuerung im lokalen Kontext zu betrachten.2 So wird zwar die agrarhistorische Entwicklung, die der Entstehung dieses kartografischen Genres zugrunde lag, in einem sehr gut gelungenen Forschungsüberblick gewürdigt und dabei auch gezeigt, welche bedeutenden Korrekturen die systematische Auswertung des Kartenmaterials für die wirtschafts- und sozialgeschichtliche Interpretation der Landaufteilungen erbringen kann. Ausgeblendet bleiben aber eben Fragen der Art, ob die Karten jenseits ihrer Dokumentationsfunktion auch als Instrumente sozialer Interessenartikulation, als Momente lokaler Identitätsbildung oder etwa auch als nachhaltige Formen der Vergewisserung über Agrarstrukturen, über Besitzdifferenzierungen und damit auch über Klassenunterschiede dienen konnten.

Die Beschränkung auf das kartografische Erscheinungsbild einerseits und auf die im engeren Sinne agrargeschichtliche Dimension andererseits bedingt es auch, dass letztlich keine Erklärung dafür gegeben wird, warum die Kartierung ländlicher Besitzverhältnisse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und zwar konkret seit den 1760er-Jahren, so massiv zunahm.3 Dies war zwar eng mit dem zeitgleichen Bedeutungszuwachs der ‚Parliamentary Enclosures‘ verbunden – der durch einen formellen Rechtsakt verbrieften Landaufteilungen – doch bleibt offen, warum solche Verbriefungen jetzt nicht mehr ohne Kartenmaterial auskamen (S. 39ff.). Der Hinweis auf die europaweite Bedeutungszunahme kartografischer Erfassungen seit den 1760er-Jahren ist durchaus stichhaltig, dennoch hätte man darüber hinaus spezifischere, aus dem konkreten Kontext hervorgehende Erklärungsangebote erwartet, die dann wiederum Aufschlüsse für die allgemeine Entwicklung geben könnten. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt, dass die Parallelen und Divergenzen zur kontinentaleuropäischen, staatsgesteuerten Erfassung des agrarischen Raums durch die Kataster nur in zwei Sätzen erwähnt werden – und das, obwohl einer der Autoren selbst eine Bestandsaufnahme der europäischen Katastrierungsprojekte vorgelegt hat.4 Hier wird Erkenntnispotential verschenkt – vorläufig jedenfalls, möchte man anmerken.

In der historischen Einführung wird ein Gesamtbild des Prozesses der ‚Enclosures‘ gegeben. Abgesehen von dem physischen Akt der Abgrenzung einzelner Landparzellen durch Zäune und Hecken sind dabei zwei Typen der Aufteilung des agrarischen Nutzlandes zu unterscheiden: Zum einen die Aufhebung von Flurzwang und Triftrechten sowie, in unterschiedlichem Maße, die Arrondierung der Besitzverhältnisse in der Feldflur („property reorganisation movement“); zum anderen die Aufteilung von Allmende und ungenutztem Ödland („reclamation movement“). Da in einem (geografisch nur vage einzugrenzendem) „midlands core“ die Feldflur in der Regel bedeutend größer war als die Allmende, gingen beide Prozesse hier häufiger miteinander einher als in anderen Regionen, wo das Gemeindeland ebenso groß oder größer war als die Feldflur (S. 3). Entsprechend umfassen die Karten des ‚Kerngebiets‘ meist die gesamte Gemeinde, während in den anderen Regionen meist nur einzelne Teile des Gemeindelands abgebildet wurden (S. 162). Zudem fanden im zentralen Gebiet die Aufteilungen und die damit einhergehenden Kartierungen insgesamt früher statt, was wiederum die bessere Qualität der Karten in den anderen Regionen bedingt.

Die kartografische Gesamttypologie lässt sich als komplexe Variation dieser zentralen Parameter beschreiben, wobei hier – und erst recht natürlich im Abschnitt zu den einzelnen Counties – die regionalen, lokalen und personenspezifischen Eigenheiten stets hervorgehoben werden. Viele der regionalen Strukturdifferenzen und zeitlichen Entwicklungstendenzen werden dabei auf thematischen Karten dargestellt. Hier erscheint allerdings die Tiefenschärfe der Typologisierung, jedenfalls für den Geschmack des Historikers, mitunter übertrieben: So wäre es vielleicht nicht nötig gewesen, die in der Datenbank erhobenen Parameter ‚Kolorierung abgebildeter Gebäude‘, ‚Unterscheidung zwischen bewohnten und unbewohnten Gebäuden‘ und ‚Angabe der Gebäudenamen‘ über die Diskussion im Text hinaus jeweils auch noch mit einer thematischen Karte abzubilden (Fig. 18, 22, 28) – zumal diese Merkmale zum Teil unter der statistischen Erheblichkeitsschwelle liegen (S. 185), zum Teil nicht einmal regionalen Mustern, sondern lediglich den individuellen Launen der Kartografen zuzuschreiben sind (S. 177). Angesichts der großzügigen Verwendung thematischer Karten erstaunt wiederum das Fehlen einer Übersichtskarte mit den Namen der Grafschaften; zumindest für die ausländischen Leser/innen bleiben somit viele Ausführungen abstrakt, solange sie nicht ein zusätzliches Kartenwerk zur Hand nehmen. Die enzyklopädisch-deskriptive Ausrichtung der Darstellung drückt sich schließlich auch darin aus, dass interessante ikonografische Detailbeobachtungen – einige Karten sind mit ländlichen Idyllen geschmückt, in anderen rauchen im Hintergrund bereits die Fabrikschlote – nicht als Ausweis lokaler Identität oder sozialer und ökonomischer Utopien diskutiert werden.5

Von solcher Detailkritik abgesehen, gewinnt man bei der Lektüre der kartografischen Analyse ein sehr umfassendes und, nicht zuletzt dank der reichen Bebilderung, auch durchaus lebendiges Bild der großen Bandbreite kartografischer Erfassungen. Die zeitliche, regionale und darstellerische Vielfalt der Karten legt zudem für die historische Interpretation nahe, dass einheitliche Erklärungsmodelle weder für die Ursachen noch für die Folgen der ‚Enclosures‘ hinreichen. Ob Zins- und Inflationsrate, ob Ertragsoptimierung oder die Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit – keiner dieser als ursächlich veranschlagten Faktoren kann die typologische, zeitliche und räumliche Vielfalt des Phänomens einfangen (S. 3ff.). Wichtig für eine Neubewertung der ‚Enclosures‘ ist zudem der quantitative Befund, dass die Regulierung der Feldflur gegenüber der Allmendaufteilung nicht nur in Wales, sondern auch in England flächenmäßig von deutlich geringerem Stellenwert war (S. 28f.). Dies relativiert nicht zuletzt die gängige Annahme, dass kleine Stellenbesitzer meist die Verlierer der Einhegungen waren. Allenfalls für den zentralen ‚midland belt‘, wo die Allmendaufteilung von geringerer Relevanz war, kann von einer signifikanten ländlichen Besitzkonzentration und einer entsprechend massiven Landflucht gesprochen werden (S. 38f.).

Der vorliegende Band dürfte ein Meilenstein in der Enclosure-Forschung sein; daneben enthält er reichhaltiges und zudem systematisch präsentiertes Material, das eine kulturhistorische und komparatistische Kartografiegeschichte sicherlich noch fruchtbar auswerten wird.

Anmerkungen:
1 Die Suchfunktionen beschränken sich zudem auf ‚County‘, ‚Place‘ und ‘Year‘; eine von spezifischen Parametern angeleitete Suche, wie sie den Auswertungen im Bandes zugrunde liegen, ist somit nicht möglich.
2 „This book argues that enclosure maps had a much more active role at the time they were compiled. Seen from this perspective of their contemporary society, enclosure maps are [...] instruments of land reorganisation and control which both reflected and consolidated the power of those who commissioned them“ (Vorsatzblatt; ähnlich S. XXVII).
3 65 Karten vor dem Jahr 1760, gegenüber 127 Karten allein in dem Jahrzehnt 1760-69, bei steigender Tendenz (S. 159 u. S. 45, Fig.6).
4Kain, Roger J. P.; Baigent, Elisabeth, The Cadastral Map in the Service of the State. A History of Property Mapping, Chicago 1992.
5 Derartige Bezüge werden lediglich in zwei Bildunterschriften angedeutet (Fig. 31, 32).