A. Helg: Liberty and Equality in Caribbean Colombia 1770-1835

Titel
Liberty and Equality in Caribbean Colombia 1770-1835.


Autor(en)
Helg, Aline
Erschienen
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
$ 22.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrike Bock, Iberische und Lateinamerikanische Abteilung, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Kolumbien bildet traditionellerweise die unbekannte Größe unter den Ländern mit einer bedeutenden Anzahl von Einwohnern/innen afrikanischer Abstammung. Während neben den USA und Brasilien etwa Kuba einen festen Platz in der Forschung zu Schwarzen und Farbigen eingenommen hat, prägt Kolumbiens Selbstdarstellung als primär mestizisch auch die Außenwahrnehmung des Landes: Kaum jemand weiß, dass Kolumbien das Land mit der drittgrößten afroamerikanischen Bevölkerung ist.

Diesem Phänomen der Unsichtbarkeit nähert sich Aline Helg in ihrem neuen Buch aus einer vergleichenden Perspektive der Forschungen zu amerikanischen (Post)Sklavereigesellschaften und untersucht die kolumbianische Karibikküste als eine Region, die in erster Linie durch freie Farbige und eben nicht durch die Präsenz der als „Zweite Sklaverei“1 bezeichneten Massensklaverei geprägt war. Mit ihrem Fokus auf den karibischen Teil des heutigen Staates Kolumbien stellt sich Helg zudem in die Tradition einer Historiografie, die es sich seit Anfang der 1990er-Jahre zum Ziel gesetzt hat, im Gegensatz zu der traditionellerweise an die geprägten Geschichtsschreibung die kolumbianische Atlantikküste als Teil der Karibik wiederzuentdecken. Der entscheidende Unterschied in der Herangehensweise liegt dabei jedoch bei Helgs Betonung von „Rasse“ als Organisationskategorie. War es etwa noch Alfonso Múnera ein Anliegen, die entscheidende Partizipation von freien Farbigen an den Unabhängigkeitsbewegungen sichtbar zu machen 2, so betont Aline Helg nun die fehlende Solidarisierung der pardos mit den schwarzen Sklaven/innen und fragt nach den Gründen, die einen kollektiven Widerstand an der kolumbianischen Atlantikküste verhinderten. Gleichzeitig versucht sie durch eine Untersuchung der gesamten Küstenregion, die Fokussierung auf einzelne Städte (und dabei zum größten Teil auf Cartagena de Indias) zu durchbrechen und damit auch zu ergründen, warum es der kolumbianischen Karibikküste nicht gelang, eine starke regionale Identität zu entwickeln.

Die Antworten, die Helg auf ihre in der Einleitung aufgeworfenen Fragen gibt, bewegen sich im Wesentlichen um die Punkte Fluchtoption, individuelle Lösungen und soziale Aufstiegsmöglichkeiten sowie die fehlende Geschlossenheit der weißen Eliten. In der Anordnung des Buches, welches mit drei Kapiteln zunächst eine Einteilung der Gesamtregion in „Frontiers“, „Countryside“ und „Cities“ bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts bietet, finden sich die angedeuteten thematischen Aspekte allerdings etwas versprengt. Obwohl die getrennte Herangehensweise an die drei Zonen als Idee durchaus ihren Charme hat, ergeben sich in der Praxis einige thematische Überschneidungen und Inkonsistenzen in der Zuordnung der Unterkapitel.

Helg präsentiert die Karibikküste als einen von Kirche und kolonialem Staat nur schwach dominierten Raum, geprägt von einer geringen Siedlungsdichte, schlechter Infrastruktur, militärisch nicht kontrollierbaren indigenen Gemeinschaften sowie der Existenz von palenques und rochelas. Angesichts einer solchen Umgebung sei Flucht – nicht organisierter Widerstand – eine häufig wahrgenommene Alternative gewesen, sich den Ordnungsvorstellungen der kolonialen Autoritäten bzw. dem Sklavendasein zu entziehen. Diese Wirkung der Grenzen habe auch der Versuch, die Region in dem Zeitraum von 1740-1780 mittels insgesamt vier Militär- und Reorganisationskampagnen stärker in das Vizekönigreich Neu-Granada zu integrieren, nicht wesentlich verändern können.

Daneben hebt Aline Helg insbesondere die zentrale Bedeutung der im Rahmen der bourbonischen Reformen eingeführten Milizen, die zur Verteidigung der Atlantikküste ab 1773 flächendeckend eingerichtet wurden, hervor. Schon die demografischen Verhältnisse verhinderten allerdings, die Milizen entlang von „Rassekriterien“ zu organisieren; mit Ausnahme der Stadt Cartagena erfolgte die Bildung gemeinsamer „milicias de todos los colores“, die einer Polarisierung und Identitätsbildung anhand der Kategorie „Rasse“ entgegenwirkten. Das Funktionieren der Identifikationsmechanismen zeigte sich 1799 angesichts des einzig belegbaren Versuchs einer Sklavenrevolte in Cartagena, die von einem farbigen Milizionär verraten wurde.

Freie farbige Frauen hingegen nahmen vor allem Migration als individuelle Verbesserung ihrer Lage wahr, so dass in den Städten im Gegensatz zum männlich geprägten Hinterland ein Frauenüberschuss herrschte. Dabei band die notwendige Erwirtschaftung ihres Lebensunterhaltes sie in Patronagenetzwerke und rituelle Verwandtschaft ein, die ebenso wie die Milizen die hierarchische Ordnung reproduzierten, gleichzeitig aber sozial inklusiv wirkten. Aufgrund ihrer stärkeren Präsenz im urbanen Bereich hatten Frauen als Sklavinnen mehr Chancen, sich freizukaufen oder rechtlich gegen ihre Eigentümer vorzugehen. So zeigt Helg, dass der 1789 erlassene Código Negro auch nach seiner Annullierung durch Spanien fünf Jahre später in Neu-Granada offensichtlich weiterhin eine soziale Norm und Grundlage für rechtliche Verfahren gegen die Misshandlung von Sklavinnen und Sklaven darstellte.

Die Schwäche der weißen Eliten führt Helg unter anderem auf Faktoren wie ihre geringe Anzahl (etwa 10% der Gesamtbevölkerung) bei einer geografisch sehr ungleichmäßigen Verteilung und die militärische Abhängigkeit der gesamten Region von den oben genannten Milizen zurück. Ein notwendiges Bündnis mit den farbigen Unterschichten gingen die Eliten außerdem durch aktive Nutzung von Klientelnetzwerken ein. Dies verwischte die Trennungslinien auf der Basis von „Rasse“ Zudem stellt Helg die Uneinigkeiten innerhalb der Eliten dar, die ihre Identität stark an ihre Herkunftsstädte und deren konfligierende Interessenslagen koppelten.

Die Kapitel zu der ersten Unabhängigkeit 1810-1816 und der frühen Republik ab 1821-1831 sind stärker chronologisch sowie ereignisgeschichtlich ausgerichtet. Innerhalb ihrer Darstellung der ersten Unabhängigkeit geht Helg ausführlich auf die Ereignisse in den wichtigsten Städten Cartagena, Mompox, Santa Marta, Riohacha und Valledupar ein und macht dabei die unterschiedlichen Konstellation deutlich, die ein gemeinsames regionales Projekt wirksam verhinderten. Während aber andere Arbeiten 3 die aktive Mitwirkung von Farbigen und Schwarzen sowie die Erlangung nicht „rassengebundener“ Bürgerrechte in der Verfassung von 1812 betonen, legt Helg ihren Schwerpunkt auf „the inability of the lower classes of color to challenge the white elite“ (S. 161). Zwar stellt auch sie die klassen- und „rassenübergreifende“ Bewegung in Cartagena und Mompox dar, betont aber stets das Versäumnis einer historischen Chance, die kolonialen Hierarchien nachhaltig (und auf „Rassenbasis“) zu verändern. Damit gesteht Helg den partizipierenden freien Farbigen und Schwarzen kaum eigene agency zu; sie sieht diese Gruppen primär als von den weißen Eliten gelenkt und beklagt die fehlende Thematisierung der Sklaverei durch freie Farbige. Damit steht Helg’s Darstellung in gewissem Widerspruch zu innovativen Forschungsansätzen jüngerer Zeit, die die gestaltende Rolle nichtweißer Bevölkerungsschichten stärker betonen.

In den letzten beiden Kapiteln untersucht Helg die Bedingungen nach Erreichung der formalen Gleichstellung von freien Farbigen und Schwarzen als wahlberechtigte Staatsbürger durch die Verfassung von 1821. Dabei verweist Helg auf die Bedeutung, welche die „Furchtikone Haiti“4 unter den weißen Eliten auch zu diesem Zeitpunkt noch innehatte und interpretiert anhand zweier Fälle die Funktionalisierung dieser Ängste als Strategie lokaler Eliten zur Entfernung von pardos aus politischen Machtpositionen. So scheiterte auch der pardo General Padilla letztendlich an der fast manischen Furcht Bolívars vor einer pardocracia. Im Unterschied zu den oben genannten Beispielen erkennt Helg in Padillas Diskurs noch 1824 ein „rassenbasiertes“ kollektives Bewusstsein, doch bereits 1828 habe Padilla lediglich entlang der politischen Trennungslinien zwischen der Unterstützung Bolívars oder Santanders agiert. Abschließend zeigt Helg, wie die Positionierung der Städte anhand dieser Ausrichtungen, die sich bald in den Gegensatz zwischen „Zentralismus“ und „Föderalismus“ transformierten, die interne Zersplitterung stärkte und so den Herausbildung einer gemeinsamen regionalen Identität verhinderte.

Insgesamt werden in diesem Werk eine Vielzahl neuerer Forschungsansätze und -perspektiven berücksichtigt, die hier nicht alle erwähnt werden konnten (Eliten, Unterschichten, Grenzgesellschaften, Sklavereigesellschaften und Widerstand, Genderperspektiven, Untersuchung von Festen). Dies führt im einzelnen zu sehr interessanten Ergebnissen; die umfassende Betrachtung dieser Aspekte mindert allerdings im Vergleich zu einer stringenten Erzählung mitunter das Lesevergnügen. Ungeachtet der hier angemerkten Kritikpunkte hat Helg eine fundierte Überblicksdarstellung vorgelegt, die wohl künftig ein Standardwerk zur Geschichte der kolumbianischen Karibikküste werden wird.

Anmerkungen:
1 Tomich, Dale, The ‚Second Slavery‘. Bonded Labor and the Transformations of the Nineteenth-century World Economy, in: Ramírez, Francisco O. (Hg.), Rethinking the Nineteenth Century. Contradictions and Movement, New York 1988, S. 103-117.
2 Múnera, Alfonso, El fracaso de la nación. Región, clase y raza en el Caribe colombiano (1717-1810), Bogotá 1998.
3 Lasso, Marixa, Race and Republicanism in the Age of Revolution, Cartagena, 1795-1831, Ph.D. University of Florida 2002 bzw., dies., Haiti as an Image of Popular Republicanism in Caribbean Colombia. Cartagena Province (1811-1828), in: Geggus, David (Hg.), The Impact of the Haitian Revolution in the Atlantic World, Columbia 2001 sowie: Múnera, Alfonso, El fracaso de la nación. Región, clase y raza en el Caribe colombiano (1717-1810), Bogotá 1998.
4 Zeuske, Michael, Sklavereien, Emanzipationen und atlantische Weltgeschichte. Essays über Mikrogeschichten, Sklaven, Globalisierungen und Rassismus, Leipzig 2002.

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