Cover
Titel
Armageddon. The Battle for Germany, 1944-1945


Autor(en)
Hastings, Max
Erschienen
New York 2004: Knopf Publishing
Anzahl Seiten
640 S.
Preis
$30.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jost Dülffer, Historisches Seminar, Universität zu Köln

James Sheehan war in der New York Times (26.12.2004) recht angetan von diesem Nachfolgebuch von „Overlord“, in dem der Autor 1984 die Landung in der Normandie portraitierte. Hastings, früher Auslandskorrespondent und Herausgeber von Evening Standard und Daily Telegraph, hat immer wieder Sachbücher geschrieben, nicht zuletzt fünf über wichtige militärische Ereignisse. Seine Sicht ist durchgängig die des Reporters, der herumreist und in der Zeit seines Schreibens Augenzeugen interviewt, die seiner Meinung nach immer wieder Fleisch und Blut an die trockenen schriftlichen Quellen bringen. Natürlich hat auch er Forschungsliteratur zur Kenntnis genommen. Wer einmal einen Einblick in die gerade im angloamerikanischen Bereich immer noch populären Darstellungen der einzelnen Operationen und Divisionen genommen hat, in der sich möglichst viele Veteranen wieder erkennen können, weiß das zu schätzen. Positiv gesagt, fasst Hastings in seinem Buch die mehrtausend Bände der Operationsgeschichten und „War Theater“-Literatur souverän und unvoreingenommen in einer überwölbenden Studie zusammen, ohne diese jedoch selbst in größerem Umfang zur Kenntnis genommen zu haben.

Der Vf. geht im Kern chronologisch vor, wechselt aber immer wieder die Perspektive. Das heißt zunächst einmal, dass er den deutsch-sowjetischen Krieg im Osten und den deutsch-angloamerikanischen im Westen gleichermaßen behandelt, immer wieder von der einen zur anderen Seite wechselt. Darin ist eingeschlossen, dass er jeweils beide Seite der Kämpfe in den Blick nimmt, auch die materiellen und rüstungsmässigen Grundlagen, die mentalen Faktoren benennt. Es ist in diesem Zusammenhang schon eine wichtige Ausgangsbasis, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die USA 1944 mehr Kriegsmaterial produzierten als die Achsenmächte zusammen, 40 % des gesamten Anteils aller Kriegsbeteiligten (S.5). Die Unterschiede der Kampfesweise und Militärdoktrinen nehmen breiten Raum ein, insbesondere die vorsichtigere US-amerikanische Vorgehensweise im Vergleich zur russischen, bei der Menschenleben an der Front von geringerer Bedeutung waren.

So haben es ihm auch die großen Militärführer angetan, die Eisenhower, Montgomery, Koniew und Rundstedt. Das führt ihm aber zu der Schlussüberlegung, ob nicht auch Manstein oder Schukow, hätten sie auf der richtigen Seite der Demokratien gekämpft, auch im hohen Ansehen stehen könnten, offenbar als große Soldaten und Heerführer, losgelöst vom Kontext.. Das mag man – wie der Rezensent - für entbehrlich handeln, aber gerade das ist dem Autor wichtig. Die eigentliche politische Ebene, der Staatsführungen und ihrer Planungen und Konferenzen, ihrer Direktiven erscheint dagegen weniger bedeutsam – inklusive Jalta oder die „Kapitulation“. Kritik wird gerade an den britisch-amerikanischen Operationen, etwa „Market Garden“ (Arnheim) vorgebracht, die Kriegshelden erhalten auch nüchterne und kritische Einschätzungen. Vorschnell wird dagegen für die deutsche Seite immer wieder Hitler als Akteur benannt, längst bevor er sich im Bunker der Reichskanzlei (erfreulich knapp auf anderthalb Seiten dargestellt) verschanzte.

Unterhalb dieser Ebene sind fast durchgängig Erlebnisberichte, die er patchworkartig aneinander reiht. Kleine Leute, Soldaten, Offiziere, aber auch sehr viele Zivilisten zumal auf deutscher Seite, Frauen und damalige Kinder werden in ihren späteren Berichten aneinandergereiht. Helmut Schmidt als Leutnant in der Eifel und Henry Kissinger u.a. als Kommandeur in Krefeld werden mehrfach herangezogen, Major Karl-Günter von Hase ist ein weiterer später prominenter Partner oder Captain Lord Carrington. Das hat Charme, reproduziert aber gerade nicht deren damalige Sicht, sondern die spätere Erinnerung des Jahres etwa 2002 mit all ihren Problemen. Die Auffassung, dass der Zeitzeuge der Feind des Historikers sein könnte, dürfte von Hastings mit Kopfschütteln bedacht werden. Man merkt es dankbar an, wenn einmal ein authentischeres Tagebuch zitiert wird. Ganz konsequent wird im Register dann auch den wohl Hunderten Gesprächspartnern Ehre angetan, aber auch jede der benannten Einheiten wird erwähnt, die Orte allerdings sehr selektiv. Auch die Veteranen kommen also auf ihre Kosten.

Muß man ein solches Buch als Historiker heute lesen? Vielleicht sollte man eher mit einem erinnerungspolitischen Ansatz zur Kenntnis nehmen, welche Bücher heute noch von einem Weltkonzern in großer Auflage verbreitet werden. Doch kann man hinzufügen, dass Hastings stärker als wohl in allen vorangegangenen Büchern die sozialen Konflikte, die Not- und Angstsituationen einbezieht – das ist der Tenor schon bei Sheehans einleitend genannter Rezension. Da schont er keine Seite. Hastings geht aber auch auf Ebenen ein, die heute sozial- und kulturgeschichtlich von Bedeutung sind. Wir erfahren etwas über die gerade sexuell schwierige Rolle weiblicher sowjetischer Soldaten, wir hören auch von Plünderungen und anderen Übergriffen durch die westlichen Alliierten; wir erfahren breit und plakativ die noch intensiveren sowjetischen Praktiken. Das wird nüchtern und teilnehmend zugleich dargeboten. Im Kern stecken dahinter sehr viele, wohl tausende Alltagsgeschichten, die einem Guido Knopp und seiner Mannschaft Material für hunderte von Filmen geben könnten. Aber gerade in den emotionslosen, mit dem filmischen Prinzip des Schnitts arbeitenden Geschichten Hastings’ sind die Begebenheiten besser zu verkraften, wenn auch bisweilen ermüdend gereiht. Wir erfahren recht erfrischend Neues über die Erlebnisse britischer und amerikanischer Kriegsgefangener im Reich (wenig dagegen über sowjetische). Merkwürdigerweise wird die Situation der deutschen Gefangenen – „Rheinwiesenlager“- gar nicht abgehandelt. Zwangsarbeit, die Befreiung und die Toten von Konzentrationslagern werden berichtet. Die unterschiedlichen Erfahrungen deutscher Städter und Dörfler gegenüber den jeweiligen Besetzern kommen hinzu.

Der Vf. will häufig nur erzählen: Das gab es auch. Und in der Tat finden sich hier auch bislang wenig beachtete Nuancen, die aber ohne jede Kenntnis eines ja doch auch immerhin vorhandenen Forschungsstandes berichtet werden, aber diesem gelegentlich ohne analytische Begriffe zu verwenden doch nahe kommen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Klaus-Dietmar Henkes monumentales Werk zur US-Besetzung Deutschlands hinterlässt zwar keine sichtbaren Spuren 1, aber die Erlebnisberichte laufen häufig auf ähnliche Beobachtungen wie die quellengesättigte Studie hinaus. Der Bombenkrieg findet statt und Hastings setzt sich hier deutlich von Jörg Friedrichs Moralisierung deutscher Opfer ab und benennt seinerseits die differierenden moralischen Qualitäten des Tötens im Krieg an den unterschiedlichen Fronten. Gerade in diesen Nebenbemerkungen und Schilderungen steckt ein gutes Stück Sozial- und Kulturgeschichte der letzten Kriegsmonate, die jedoch unkritisch aus der Zeitzeugenperspektive erzählt wird.

Korrekturen an Namen und anderen Fehlern sind bei einem so umfassenden Werk immer möglich. Häufiger spukt wie hier in der englischsprachigen Literatur die Idee herum, der Feldmarschall von Stalingrad, Friedrich Paulus habe einen Adelstitel getragen; das einschlägige Konzentrationslager Dora-Mittelbau wurde bei Nordhausen, nicht Norderhausen angelegt und Jünkerath in der Eifel lag auch damals schon nicht an der Mosel oder gar 30 Meilen westlich von Frankfurt. Doch darauf kommt es letztlich nicht an. Entstanden ist eine populärwissenschaftliche Darstellung im Kern als traditionelle Militärgeschichte, aber sie geht doch an vielen Stellen erfreulich in eine Berücksichtigung von Erfahrungen und Mentalitäten hinaus. Armageddon, die Schlacht vor dem Jüngsten Gericht ist dagegen eindeutig zu hoch gegriffen – auch in den Niederungen des Endes vom Zweiten Weltkrieg. Es ist zu hoffen, dass sich eine solche religiös aufgeladene Metapher gerade für diese Zeit nicht durchsetzt, auch wenn sich schon andere Autoren zuvor an ähnlichen Bedeutungszuschreibungen versucht haben.

Anmerkung:
1 Henke, Klaus-Dietmar: Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995.

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