A. Kümmel u.a. (Hgg.): Einführung in die Geschichte der Medien

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Titel
Einführung in die Geschichte der Medien.


Herausgeber
Kümmel, Albert; Scholz, Leander; Schumacher, Eckhard
Erschienen
Paderborn 2004: UTB
Anzahl Seiten
282 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clemens Zimmermann, Kultur- und Mediengeschichte, Universität des Saarlandes

Gemeinhin wird man unter einer "Einführung" ein Werk verstehen, das systematisch einen Überblick über ein größeres Gebiet verschafft sowie grundlegende Fragestellungen und Arbeitsmethoden vorstellt. Man erwartet, dass die persönlichen Perspektiven der Autorinnen und Autoren zugunsten einer eher dokumentarischen Schreibweise zurücktreten und dass kontroverse Forschungsansätze erörtert werden.

Das vorliegende Werk entspricht diesem Verständnis einer Einführung nur zu Teilen. Nacheinander werden hier einschlägige Gebiete der historischen Medienforschung nach Medien sortiert als (partielle) Überblicke vorgestellt: Buchdruck (Leander Scholz), frühe Zeitungsgeschichte (Hedwig Pompe), Lithografie (Christian Kassung), Fotografie (Petra Löffler), Telefon und Telegraf (Jens Ruchatz), Kino (Albert Kümmel), Radio (Albert Kümmel), Fernsehen (Christina Bartz), Video- und Überwachungsfernsehen (Torsten Hahn, Isabell Otto, Nicolas Pethes) und der Hypertext (Eckhard Schumacher). Es handelt sich um eine auf Mediendiskurse gerichtete Darstellung, bei der die "Realgeschichte" der Medien teils vorausgesetzt, teils kurz als Hintergrundfolie geschildert wird. Die durchweg jüngeren Autorinnen und Autoren haben sich also nicht zu einer klassischen "Einführung", sondern zu einem prononcierten diskurshistorischen Zugang entschlossen - was dem Gegenstand insgesamt nicht schlecht bekommen ist, die allgemeine Orientierungsleistung des Sammelbandes allerdings mindert.

Was kann nun einen solchen Sammelband so zusammenhalten, dass mehr als eine lockere Chronologie oder leeres Vokabular herausschaut? Ein verbindliches medientheoretisches Grundverständnis, etwa im Sinne der Festlegung auf eine einzelne Koryphäe, wird nicht zugrunde gelegt - dies würde ja auch vollends dem Zweck einer Einführung für ein breiteres Publikum widersprechen. Wohl tauchen gelegentlich Foucault, McLuhan, Kittler und Luhmann auf, diese führen auch partienweise verborgen die Feder, doch alles in verträglichen Dosierungen. Die zeitgenössischen Quellen hingegen werden reichlich, aber nie zu ausführlich angeführt. Alle Autoren haben sich am (leider zu kurzen) Vorwort orientiert, dabei aber auch individuelle Akzente gesetzt.

Im Vorwort wird zum Ersten postuliert, dass der historische Mediendiskurs als strikte Abfolge zu sehen sei. Demnach glauben die Zeitgenossen zwar, dass durch ein neues Medium, mit dem sie konfrontiert sind, ganz neue Kommunikationsbedingungen geschaffen werden, sie sehen dessen Einführung oft als "revolutionär", als Paradigmenwechsel an. Doch in Wahrheit wiederholen sie nur typische Stichworte und Grundargumente früherer Debatten. Die Herausgeber lassen allerdings offen, ob spätere Akteure sich der vorangegangen Debatten bewusst sind. Im Falle eines Postrates, der sich um 1900 über die Gestaltung der Pauschalgebühren beim Telefon äußert, ist jedoch beispielsweise schwerlich vorstellbar, dass er sich über die vorhergehende geistige Tradition bewusst ist. Seine Argumente wachsen ihm gleichsam durch die berufliche Rolle, in der er sich befindet, und aufgrund eines allgemeinen gesellschaftlichen Wissensvorrats zu. Das Vorwort vermittelt hingegen den Eindruck, als ob eine ziemlich geschlossene Tradition vorliege. Zugespitzt könnte man daraus folgern, dass es in der Mediendebatte seit Gutenberg wenig Neues gibt, was die Theoretisierung des Gegenstands eigentlich erleichtern müsste.

Zum Zweiten wird im Vorwort begrüßenswert klar gesagt, was das wichtigste Stichwort im Mediendiskurs der letzten Jahrhunderte war: Selektion. Das jeweils neue Medium, so meinen die Zeitgenossen immer wieder, erschließe Daten besser als das vorherige, trage aber auch zur Datenüberschwemmung bei. Es erhöhe die gesellschaftliche Partizipation am verfügbaren Wissen; es stelle eine Erweiterung menschlicher Sinne dar; es revolutioniere die bisherige Wissensordnung und greife damit auch Hierarchien an, sei dies nun erwünscht oder nicht; es biete neue und gewaltige Möglichkeiten der Speicherung; es steigere die Kopräsenz entlegener Welten und schaffe erhöhte Aktualität (S. 8f.). Tatsächlich taucht ein überraschend großer Teil dieser Grundargumente immer wieder auf, allerdings mit sehr unterschiedlichen Akzenten. Die Frage der Auswahl der guten Lektüre, wie sie im 16. Jahrhundert diskutiert wird, erscheint erneut in den Diskussionen um das Fernsehen in der frühen Bundesrepublik, und die Topik der Zerstreuung ist dem Mediendiskurs insgesamt immanent. Beim Buch tritt das Argument der Speicherung sowie der Datensicherheit hervor, beim Telefon werden die Vorteile der Erweiterung und der Geschwindigkeit betont, die mangelnde Speicherungskapazität wird deutlich als Problem benannt.

Doch die im Band vertretene Vorstellung eines begrenzten Gedankenarsenals reizt auch zum Widerspruch: Erstens werden ja bei jedem neuen Medium dessen spezifische Potentiale erörtert, die es so noch nicht gab (z. B. unterscheidet die ungeheure Ausdehnung des zeitgleich adressierbaren Publikums beim Fernsehen dieses vom dispersen Publikum des älteren Mediums Buch), und die Erkenntnis dieses spezifischen Potentials geht in den Mediendiskurs als neues Element ein. Zweitens ändern sich Referenzen: Sicherlich ist das gedruckte Buch bis heute ein wichtiges Referenzmedium, etwa wenn es um die Frage geht, ob man sich als Wissenschaftler auf den elektronischen Speicher einer Universitätsbibliothek verlassen soll. Aber die Alternative selbst ist ebenso neu, und die Qualität des Buches, ein sehr zuverlässiger Speicher zu sein, gerät eben gerade im digitalen Zeitalter in den Blick. Drittens schließlich: Neue Medien treten jeweils in ein bestehendes Medienensemble ein - eine Feststellung, die in dem Band durchaus unterstrichen und etwa in dem Beitrag von Christian Kassung über die Lithografie in ihrer Konkurrenz mit anderen Drucktechniken gut veranschaulicht wird. Aber insgesamt wird doch wenig darauf geachtet, wie Medien durch ihr Hinzutreten das Ensemble selbst verändern und wie Inhalte alter Medien in neue wandern. Zum Beispiel haben die Sportreportagen im Radio seit den späten 1920er-Jahren dieses Genre in Zeitungen nicht völlig ersetzt, aber doch eingeschränkt und in ihrer Form beeinflusst. Auch für die innovativen Elemente des Diskurses lassen sich zahlreiche Beispiele anführen: So brachte die Einführung des Telefons in Deutschland eine Zielutopie mit sich, die es zuvor nicht gab, etwa in der Weise, dass darüber diskutiert wurde, ob nicht jeder Haushalt (zumindest in Berlin) angeschlossen werden solle (S. 131). Ein weiteres Beispiel: Das Fernsehen wurde nicht nur "als Neuheit vorgestellt" (S. 200), es war tatsächlich eine Neuheit in den Kontexten des gegenwärtigen Medienensembles und der emergierenden Konsumgesellschaft. Die Eigenschaft des Fernsehens als Konsumobjekt wäre genauso zur Kenntnis zu nehmen wie das klassische Argument der Publikumsgefährdung.

Es gibt also im Medienwandel und im Diskurs über diesen doch mehr Neues als das Vorwort des Bandes suggeriert. Es ist sicher äußerst verdienstvoll, einer historisch uninformierten "Medienwissenschaft", deren Reflexionshorizont nicht selten gerade mal fünf Jahre beträgt, die lange historische Dimension aufzuzeigen, rhetorische Ahnen zu eruieren und explizite wie implizite Anknüpfungen zu erweisen. Zugleich sollten aber auch Fortschritt und Veränderungen aufgezeigt werden: Die Debatten bringen stets auch einen Überschuss gegenüber den Vorherigen mit sich, und der Mediendiskurs interpretiert nicht nur mediale Zusammenhänge, sondern reflektiert stets auch außermediale Faktoren.

Fazit: Der Band vermag sowohl viele Einsichten in analytische Einzelprobleme zu verschaffen als auch Zusammenhänge aufzuzeigen, die man so prägnant, verständlich und vollständig noch nicht gelesen hat. Man muss freilich auch die Grenzen des herangezogenen Materials sehen: Es sind Philosophen, Schriftsteller, in späteren Zeiten "Fachleute" aller Art, die sich in den behandelten Diskursen äußern, d.h. die gesellschaftliche Tiefe der Quellen ist beschränkt, und dem Ensemble, in dem die Medien stehen, wird relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Insgesamt handelt es sich weniger um eine "Einführung", als um einen substantiellen Forschungsbeitrag zur modernen (vor allem deutschen) Diskursgeschichte zentraler Medien.

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