W. Wüst: Die gute Policey im Bayerischen Reichskreis

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Titel
Die gute Policey im Reichskreis, Bd. 3: Der Bayerische Reichskreis und die Oberpfalz. Zur frühmodernen Normensetzung in den Kernregionen des Alten Reiches


Autor(en)
Wüst, Wolfgang
Erschienen
Berlin 2004: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
880 S.
Preis
€ 94,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Langensteiner, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Die Policeywissenschaft hat sich seit längerem als eigenständiger fachübergreifender Forschungszweig etabliert. Standen zunächst noch rechts- und politikwissenschaftliche Zugänge im Vordergrund, so hat das historische Interesse an Policey im frühmodernen Staat seit einigen Jahren unverändert Konjunktur, zumal die Ordnungstätigkeit der einzelnen Territorien zahlreiche Policeyordnungen, Mandate, Dekrete und ähnliche Materialien hinterlassen hat. Sichtbar gemacht wurde dieses gestiegene Interesse unter anderem durch die seit 1999 von Michael Stolleis herausgegebenen „Studien zu Policey und Policeywissenschaft“, sowie durch eine große Anzahl von Publikationen, die sich meist aus regionalgeschichtlichem Blickwinkel mit dem Thema befassen, oft allerdings unter alleiniger Fixierung auf die gesetzgeberische Tätigkeit der frühmodernen Obrigkeiten. 1

In diesen Zusammenhang lässt sich auch die zu besprechende Edition von Wolfgang Wüst einordnen, die jedoch nicht die Territorien, sondern die Reichskreise als Untersuchungsfeld verwendet. Nachdem sich die beiden Vorgängerbände dem Schwäbischen und dem Fränkischen Reichskreis widmeten, beschäftigt sich der dritte Band der Editionsreihe mit dem Bayerischen Reichskreis und der Oberpfalz. Diese Verbindung – die Oberpfalz gehörte dem Bayerischen Kreis niemals als eigenständiger Kreisstand an – zeigt, dass es dem Autor nicht so sehr um den Kreis in seiner Funktion als politische Institution geht, sondern vielmehr um eine regionale Eingrenzung des Untersuchungsgebietes. Das Bezugsfeld Reichskreis wird also „eher als eine gemeinsame Klammer für die bayerischen Reichsstände“ (S. 42) aufgefasst. Dies ist durchaus sinnvoll, da die Aktivitäten dieses Kreises im Bereich des Policeyrechts marginal blieben und – etwa im Gegensatz zum Fränkischen Kreis – auch keine eigene Kreispoliceyordnung aufgerichtet wurde. Wüst richtet seinen Fokus also auf die Einzelterritorien und ihre jeweilige gesetzgeberische Tätigkeit, fragt aber gleichzeitig auch danach, inwiefern die Reichspoliceygesetzgebung auf die einzelstaatlichen Ordnungen einwirkte.

Der Band gliedert sich in eine rund 100 Seiten umfassende „Historische Einleitung“, einige kurze Bemerkungen zur Überlieferung und den anschließenden Editionsteil, der 25 Einzelordnungen umfasst. Abgerundet wird er durch ein ausführliches Glossar. In der Einleitung wendet sich der Verfasser nach einem kurzen Überblick über den Editionsstand der bayerischen Rechtsquellen zunächst der Herkunft des „Policey“-Begriffes zu. Hierbei stellt er fest, dass sich – ungeachtet früherer Ursprünge – gegen Ende des 15. Jahrhunderts im Rahmen der Diskussion um die Reichsreform ein Policeybegriff von neuer Qualität entwickelte, der zuerst in Texten königlichen oder reichsstädtischen Ursprungs auftrat, ehe er sich dann im 16. Jahrhundert zunehmend auch in Verordnungen der Territorialfürstentümer finden lässt, wie an zahlreichen Beispielen aus dem Gebiet des Bayerischen Kreises belegt wird. Lässt sich somit der Beginn policeylicher Ordnungstätigkeit zumindest für die untersuchte Region zeitlich relativ präzise festmachen, so sucht Wüst in einem zweiten Schritt nach Kontinuitäten im Bereich der Policeygesetzgebung, d.h. er geht der Frage nach, inwiefern sich die einzelnen Ordnungen an den Reichspoliceyordnungen des 16. Jahrhunderts orientierten bzw. in welchem Maße andere ältere Ordnungen rezipiert wurden. Die Berufung auf das Reich, die sich in vielen Quellen nachweisen lässt, diente in erster Linie legitimatorischen und autoritätsstiftenden Zwecken. In der Praxis vieler Kanzleien war jedoch der Rückgriff auf ältere Fassungen bestimmter Ge- oder Verbote eigener Provenienz üblich, die dann lediglich erweitert oder umgeschrieben wurden. So basiert etwa die große Landes- und Policeyordnung des bayerischen Herzogs und späteren Kurfürsten Maximilian I. von 1616 auf zwei älteren Landesordnungen aus den Jahren 1516 und 1553. Außerdem sind Bezüge zu einem herzoglichen Mandat von 1583 sowie auf die Reichspoliceyordnung von 1548 und den Reichslandfrieden zu erkennen. Wüst spricht vom „Verwaltungsphänomen der Kontinuität durch Erneuerung“ (S. 50).

Im Folgenden bietet der Autor einen Überblick über die wichtigsten Untersuchungsfelder der gegenwärtigen Policeyforschung. Zunächst wird das Zusammenspiel von Konfessionsbildung und außerkirchlicher Normierung thematisiert. Wüst betont, dass Policey und Konfession in vielerlei Hinsicht als Einheit agierten. So wurde beispielsweise durch die Aufnahme von Zensurbestimmungen oder klaren Regelungen zum Ausbau des Schulwesens in die Policeyordnungen dem Konfessionalisierungsprozess Vorschub geleistet. Im Rahmen des Ausbaus frühmoderner Staatlichkeit durch die Sozialdisziplinierung kommt den Policeyordnungen nach Meinung Wüsts ebenfalls eine Schlüsselposition zu. Die Themenvielfalt etwa der pfalz-neuburgischen „christlichen“ Policeyordnung (1606) verdeutliche dabei allerdings, dass die Sozialdisziplinierung über Gerhard Oestreichs Interpretationsansatz hinausging (S. 79ff.). Wünschenswert wäre an dieser Stelle eine etwas differenziertere Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Forschungsstand gewesen, etwa im Hinblick auf die Frage, ob man bei Policeyordnungen tatsächlich von „Normdurchsetzung“ oder nicht eher von „Normimplementierung“ als einem zirkulären Prozess sprechen solle, um der Rolle nicht nur der Obrigkeiten, sondern auch der Untertanen gerecht zu werden. 2

Für die Erforschung von administrativer Herrschaftsverdichtung und staatlichem Gewaltmonopol im 17. und 18. Jahrhundert sind die Policeyordnungen laut Wüst ebenfalls wertvolle Quellen. Er zeigt auf, in welchem Maße die obrigkeitliche Ordnungstätigkeit durch die direkte Miteinbeziehung aller Beamten und Fürstendiener, die z.T. direkt in den policeylichen Verordnungen angesprochen wurden, Loyalitäten zu schaffen versuchte und wie das staatliche Bemühen um die Durchsetzung von Zucht und Ordnung sowie die Wahrung von Frieden und Sicherheit durch policeyliche Tätigkeit bis hinab in die dörfliche Ebene reichte. Was die Frage nach dem Grad der tatsächlichen Umsetzung der policeylichen Ordnungstätigkeit in der Praxis anbelangt, so stößt auch die vorliegende Edition an ihre Grenzen, wie der Autor freimütig einräumt (S. 104). Zwar lässt sich nachweisen, dass die immer noch weit verbreitete Annahme einer stärkeren Verrechtlichung der großen Territorien nicht zutrifft. Gerade in den winzigen Räumen kirchlicher Immunitäten der Reichsstadt Regensburg lässt sich eine geradezu grotesk anmutende Regulierungswut beobachten. Für präzisere Aussagen sieht Wüst allerdings Nachfolgestudien mit einem regional enger umgrenzten Untersuchungsradius als unabdingbare Voraussetzung an.

Alle genannten Aspekte werden reichlich mit Zitaten aus den edierten Ordnungen belegt, allerdings fallen gelegentliche Wiederholungen ins Auge (etwa auf S. 94/107 oder S. 36/112). Sofern man bereits mit den Einleitungen der ersten beiden Bände der Editionsreihe vertraut ist, kann man auf die genauere Lektüre dieser Einleitung im Übrigen verzichten, da alle drei, abgesehen von kleineren Umformulierungen, gleich lauten und nur die entsprechenden Textpassagen aus den edierten Quellen wechseln, was die Arbeit des Verfassers zweifelsohne erheblich erleichtert hat, das Lesevergnügen aber nicht unbedingt steigert.

Das sehr knapp gehaltene Kapitel zur Überlieferung verdeutlicht die regionalen Unterschiede zwischen den einzelnen Territorien. Während man im Herzogtum Bayern auf eine bis ins 15. Jahrhundert zurückreichende Tradition der Setzung von Landgeboten zurückgreifen konnte, die dann Anfang des 16. Jahrhunderts erstmals systematisch gebündelt wurde, fehlte etwa in Pfalz-Neuburg zunächst eine eigenständige Überlieferung. Im 16. Jahrhundert wurden hier in erster Linie die Reichsgesetze und bayerische Mandate rezipiert, während eine umfassende eigene Policeygesetzgebung erst im Jahr 1606 mit der „christlichen“ Policeyordnung begann.

Der eigentliche Editionsteil besteht aus 25 Einzelordnungen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert aus Bayern, Pfalz-Neuburg, der Oberpfalz, dem Erzstift Salzburg, den Hochstiften Passau und Regensburg, der Fürstpropstei Berchtesgaden, der Herrschaft Hohenaschau, der Reichsstadt Regensburg, den Landstädten München und Donauwörth und des Marktes Trostberg. Daneben enthält er die Regensburger Reichstagsordnungen von 1641 und 1663. Einige der Ordnungen sind bereits in früheren Editionen zu finden (z.B. das Ehaftgebot der Herrschaft Hohenaschau von 1770), andere dagegen werden hier zum ersten Mal zugänglich gemacht.

Das Werk beansprucht eine Überprüfung der „Transparenz des frühmodernen Normen- und Ordnungsgefüges“ (S. 14) und möchte dabei auch supraterritoriale Tendenzen offen legen. Die Repräsentativität der edierten Ordnungen ist angesichts ihrer geringen Zahl allerdings fraglich. Die Auswahl der Quellen erfolgte unter der Prämisse, die Bandbreite frühmoderner Ordnungspolitik darzulegen und so den „grenzüberschreitenden Vergleich normativer Herrschaftsinstrumentarien“ (S. 110) zu ermöglichen, was aber nicht in allen Punkten einleuchtet. Wenn etwa auf die „Marckht ordnung betr[effend] 20. April 1691“ der Fürstpropstei Berchtesgaden die inhalts- und z.T. auch wortgleiche „Neue marckht- vnd burger ordnung zu berchtesgaden 1691“ (S. 326-338/S. 339-354) folgt, so hält sich der Erkenntniswert doch in engen Grenzen. Insgesamt wird man aus dem besprochenen Werk gegenüber den beiden vorherigen Bänden kaum neue Erkenntnisse gewinnen können, für regionalgeschichtliche Forschungen im Bereich des bayerischen Reichskreises bietet die Edition aber eine umfangreiche Materialsammlung und wird sich hierfür als wertvolles Hilfsmittel etablieren.

Anmerkungen:
1 Vgl. für den oberdeutschen Raum die Übersicht bei Hieber, Andreas, Policey zwischen Augsburg und Zürich – ein Forschungsüberblick, in: Blickle, Peter; Kissling, Peter; Schmidt, Heinrich Richard (Hgg.), Gute Policey als Politik im 16. Jahrhundert. Die Entstehung des öffentlichen Raumes in Oberdeutschland, Frankfurt am Main 2003, S. 1-24.
2 Vgl. Landwehr, Achim, „Normdurchsetzung“ in der Frühen Neuzeit in der Frühen Neuzeit? Kritik eines Begriffs, in: ZfG 48 (2000), S. 146-162.

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